ESSEN: JAZZ IM BÜRGERZENTRUM VILLA RÜ

Unter dem Titel „JAZZ VISIONS RUHR©“ betritt das Bürgerzentrum Villa Rü neue Pfade. In Zusammenarbeit mit Lutz Felgner (B.S.E. Jazzclub Essen), der bereits seit einigen Jahren Jazzfreunde mit Filmvorführungen beglückt, finden nun auch Livekonzerte statt. Ziel ist die Förderung junger Jazzmusiker/innen aus Essen und Umgebung. Die musikalische Leitung hat Alex Morsey. Am ersten Sonntag eines Monats besteht im Café der Villa Rü die Möglichkeit, ab 16.30 Uhr bei einer Tasse Kaffee den Nachmittag ausklingen zu lassen. Um 18.00 Uhr ist bei freiem Eintritt (!!) der Beginn der jeweiligen Konzerte. Am Ende des Konzerts geht ein Hut bzw. der Klingelbeutel für Spenden herum: Auch Musiker müssen schließlich von mehr als Luft und Liebe leben!

Den Auftakt der Jazzvisionen machte mit dem Programm „Tiefenspannung – Konzentration – Klangvielfalt“ der Kontrabassist Alex Morsey, der in seinem Soloprogramm mit Tieftonerfahrungen auch Tuba und Guembri spielte sowie außerdem auch unter Beweis stellte, dass er nicht nur Obertonsingen, sondern auch tieftöniges Scat Vocal beherrscht. Überaus gut besucht war die Villa Rü an diesem frühen Abend. Selbst rund um den Musiker hatten die Zuhörer dicht an dicht auf der Bühne Platz gefunden. Schätzungsweise 70 Jazzinteressierte wollten sich das Jahresanfangskonzert der Reihe Jazz Visions Ruhr nicht entgehen lassen. Sie wurden nicht enttäuscht, denn der Multiinstrumentalist Alex Morsey verstand es mit einem mitreißenden, durchaus bunten Programm, angefangen bei Eigenkompositionen über Stücke von John Coltrane und Charles Mingus bis zu Lee Konitz und Jimi Hendrix, das Publikum mitzunehmen. Lang anhaltender Applaus, auch Zwischenapplaus waren deutliche Zeichen dafür, dass das Publikum von Morseys Auftritt sehr angetan war.

Aufgemacht wurde das Konzert von zwei Kompositionen Morseys: „Monasterie's Mysteries“ und „Love Theme“. Gleich zu Beginn glitt die Linke von oben nach unten über den gesamten Hals des Tieftöners, derweil die Rechte zupfte. Alles war unplugged und natürlich tieftönig, sehr tieftönig. Die Tonfolgen entwickelten sich Schritt für Schritt, so als würde man Treppenstufenvon oben nach unten begehen: Schritt für Schritt. Die Saiten wurden aber auch „gerieben“ und mit vollem Einsatz zu langem Schwingen gebracht. Nur selten verirrte sich Morsey ins Hochtönige. Es schien alles im Dunkel, kein Wunder bei dem Stück, bei dem es ja um die Geheimnisse eines Klosters ging. Die zweite Komposition des Essener Kontrabassisten, der nicht nur Mitglied von „The Dorf“ und „Rose Hip“ ist, sondern auch immer wieder in anderen Formationen wie dem Lutz Wichert Trio spielt oder gemeinsam mit dem Pianisten Vadim Neselovskyi auf der Bühne steht, heißt eigentlich „Love theme for a Mafia movie“.
Was durfte man erwarten? Verhalten war der Beginn. Einige Harmonien schienen vertraut und irgendwie auf das Great American Songbook zu verweisen. Als perlend waren die Tonfolgen zu charakterisieren. Es war ja ein Liebeslied und kein wildes Ausschießen rivalisierender Mafiaclans in New York oder Italien. So klang es dann auch schmeichelnd und hier und da auch ein wenig süßlich, was Morsey den Zuhörern am frühen Abend servierte. Dass man Astor Piazzola auch als Solist auf die Bühne bringen kann, unterstrich der Essener Kontrabassist nachfolgend. Nein, um Tango argentino ging es nicht, auch nicht um Tango nuevo, sondern um „Contrabajissimo“. Auf dem gestrichenen Bass ließAlex Morsey auch mal die hohen Lagen anklingen, aber nur ab und an, so als wollte er Anleihen am Klang des Bandoneons nehmen. Der Bogen wurde auf die Saiten geschlagen; ein Schwirren breitete sich im Raum aus, ehe dann auch der Korpus unmittelbar als Klangkörper herhielt, fuhren doch Morseys Hände über und auf den Bassleib. Nachfolgend hatten man den Eindruck, Harmonien und Melodiefluss ähnelten einem Volkstanz, zu dem wildes Gefiedel passen könnte. Das klang dann eher nach Polka als an einen Tango angelehnt. Schließlich dämpften die Handkanten des Kontrabassisten die Schwingungen der Saiten, vernahm man schließlich den letzten Strich über die Saiten.

Alex Morsey suchte bei der Fortsetzung des Konzerts die Herausforderung und hatte daher ein Stück von Thelonious Monk namens „Brillant Corners“ ausgewählt, das er auch gesanglich begleitete. Nahezu im Gleichlauf zum Stimmfluss – das klang dann wie Röpähädidodadatomdadidodibdobdo“ oder ähnlich – ließ sich der dickbäuchige Tieftöner vernehmen. Teilweise erschien Alex Morsey in seinem Scat-Gesang wie losgelöst und weit von dem typischen „Plink, Plank, Plonk – Monk“ entfernt. Was hätte man auch anderes erwarten können, denn hier ging es ja um die Paraphrasierungen, wie stets im Jazz.

Schwermetall rückte in den Mittelpunkt, als wir den „Blue Train“ von John Coltrane bestiegen. Mit seiner Tuba nahm uns Alex Morsey mit auf seine musikalische Reise in den Fußstapfen von Coltrane. Hier und da vermeinte man, einen schnaufenden Zug zu hören. Es klapperten auch die Ventile. Beabsichtigt oder unbeabsichtigt? Brausen, Brummen, Schwirren – sind wohl angemessene Beschreibungen dessen, was der „Blue Train“ von sich gab.

Gleich zwei Mingus-Kompositionen hatte Morsey für das Programm außerdem ausgewählt. Wie er bekannte, sei Mingus für ihn der beste Kontrabassist des Jazz und einer seiner Lieblingsjazzmusiker. „Orange Was The Colour Of Her Dress, Then Blue Silk“ spielte Morsey nicht auf dem Bass, sondern auf der Tuba. Beim Zuhören hatte man den Eindruck, eine chic gekleidete Frau in einem flatternden Kleid spaziere über einen Boulevard. Bei der Präsentation in der Villa Rü vermisste wohl keiner den Bläsersatz rund um Mingus, bestehend aus Eric Dolphy (bass clarinet), Clifford Jordan (tenor sax) und Johnny Coles (trumpet), zumal ja das tieftönige Schwermetall klanglich der Bassklarinette sehr nahe kam, auch wenn nicht mit samtener Stimme. Teilweise schnalzte Morsey mit dem Mundstück und sprach auch Worte hinein. Zwischendurch gab es einen unvorhergesehenen „Paukenschlag“ mitten im „summenden Gebrumme“ der Tuba.

Für das nachfolgende Mingus-Stück erfolgte ein Wechsel des Instruments. Nun griff der Essener Musiker zur Guembri, einem in der marokkanischen traditionellen Gnawa-Musik vorherrschenden Saiteninstrument aus Holz und Ziegenfell. Bei der Einleitung klang das Spiel ab und an wie das Zupfen einer arabischen Laute, ehe dann teilweise Obertongesang über dem Saitenschwingen lag. Ins Rockig-Bluesige glitt das Spiel auch ab, als Morsey im Verlauf seiner Phrasierungen auf die Saiten klopfte.

In die jüngste Jazzgeschichte entführte uns der Solist des Abends mit John Scofields „Keep me in mind“. Dabei wurde der Bass nicht nur gezupft, sondern bekam hin und wieder auch einen Klaps auf den Korpus. Der Melodiefluss ließ Assoziationen an einen Frühlingstag im Münchner Englischen Garten oder am Strand von Coney Island zu. Wie man über eine „Modulation“ nochmals modulieren kann, unterstrich Alex Morsey bei dem Stück „Subconscious Lee“ von Lee Konitz. Dabei basiert das Stück von Konitz auf der Akkordfolge von “What Is This Thing Called Love?”, einem Klassiker von Cole Porter aus dem Jahr 1929.

Einer der Höhepunkte des Abends war sicherlich der „German Blues“, dessen Fundament in dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms gegründet ist. Mit jiddischen und türkischen „Versatzstücken“ bekam der deutsche Blues eine ganz eigenwillige Einfärbung. Auch eine Stimmgabel spielte bei diesem Stück eine gewichtige Tonrolle. Neben dem getragenen Requiem hörte man aber auch einen Schlag auf die Vier neben einem stellweise gestrichenen Frohlocken. Fragil klang es, als der Bogen von Alex Morsey nur auf die Saiten  getippt wurde. Obertongesang mischte sich schließlich mit melancholischen Saitenklängen, aber mit Anklängen an den Orient, ans Saz und Daburka.

Die Zugabe war der Knaller: Jimi Hendrix' „Purple Haze“ auf der Tuba. So gab es keine schwirrenden, gellenden und schreienden Gitarrensounds, aber ein Schmatzen, Schnalzen und einen steten Atemzyklus, mit dem sich die Tuba in ein Didgeridoo zu verwandeln schien. Textfragmente ließ Morsey außerdem ins Mundstück einfließen. Was wohl Jimi dazu gesagt hätte?
So endete ein sehr gelungener Soloabend in der Villa Rü. Man darf auf die weiteren Konzerte gespannt sein.

Texte und Photos © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Alex Morsey

Interview
http://www.jazzhalo.be/interviews/alex-morsey-interview-mit-dem-bassisten/

Villa Rü
Nächste Termine

7. Februar
The Beauty of the Great American Songbook
Johannes Nebel (bass) und Achim Schif (guitar)

6. März
ausgewogen – beständig – geerdet
Trey: Caspar van Meel (bass), Bastian Ruppert (guitar), Dominic Brosowski (drums)

Weitere Termine
3. April, 8. Mai, 12. Juni 2016
http://www.bvr-ruettenscheid.de/

Musik im Original
T. Monk Brilliant Corners
https://www.youtube.com/watch?v=0TLEPQZIVOg

C. Mingus Orange Was The Colour Of Her Dress, Then Blue Silk
http://www.jazzonthetube.com/videos/charles-mingus/orange-was-the-colour-of-her-dress-then-blue-silk.html


In case you LIKE us, please click here:



Foto © Leentje Arnouts
"WAGON JAZZ"
cycle d’interviews réalisées
par Georges Tonla Briquet




our partners:

Clemens Communications





Hotel-Brasserie
Markt 2 -
8820 TORHOUT

 


Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse


Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée


Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant


Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon


Pedro Soler
(08/06/1938 – 03/08/2024)
foto © Jacky Lepage


Special thanks to our photographers:

Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte

Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper

Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Jeroen Goddemaer
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein

Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre

Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten

Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden

Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner


and to our writers:

Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Chris Joris
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst