Es gilt in diesem Jahr ein Jubiläum zu feiern: 60 Jahre Jazz in Villingen. Keine Frage, der Ort des diesjährigen Festivals war eigentlich gut gewählt, die legendären MPS Studios. Doch der Wettergott hatte etwas gegen Open-Air-Konzerte. Daher verschoben die Veranstalter die beiden Eröffnungskonzerte wie auch das weitere Festival in das Theater am Ring, dicht am historischen Riettor und einem Teil der Stadtmauer, die Villingen umgibt.
Aufgemacht wurde das Festival mit drei jungen Musikern aus drei Ländern. Dabei hat der Bassist des Trios seine Wurzeln in St. Georgen. Die drei Musiker sind derzeit Studenten an der Musikhochschule Carl-Maria-von-Weber in Dresden. Der Pianist Gabriel Gutierrez stammt aus Lima in Peru. Er spielt seit seinem fünften Lebensjahr Klavier. Studiert hat er unter anderem auch in Boston am Berklee College of Music. Der aus Barcelona stammende Schlagzeuger Pablo Santamaria Navarro hat dort bei verschiedenen musikalischen Projekten mitgewirkt. Aufhorchen lässt sein Aufenthalt in Indonesien im Jahr 2016, als er sich mit dortiger traditioneller Musik beschäftigte. Schließlich ist der in Plymouth geborene, aber an der Musikschule St. Georgen ausgebildete Bassist Neil Georg Richter Teil des Trios, das Gäste aus nah und fern zum Festivalauftakt herzlich begrüßte. Auch wenn Richter die Ansagen der Stücke übernahm, gab es bei diesem klassischen Klaviertrio keinen Bandleader im eigentlich Sinne. Alle drei agierten auf Augenhöhe.
Mit dem Konzert stellten die drei jungen Musiker – the next Generation in Jazz – auch ihr Debütalbum namens „Poqpo“ vor. Dabei bezieht sich der Name des Albums auf die Energiebündelung und die Kraftaufladung, die sich aus dem Zusammenspiel ergibt. Warum die drei Musiker im hinteren Bühnenraum Aufstellung genommen hatten, blieb dem Berichterstatter ein Rätsel. Abstand zum Publikum wegen der Pandemie? Nun ja, der Funke der teilweise sehr lyrisch ausgeprägten Musik sprang auch so über. Mit zarten melodischen Tönen begann der Abend. Auch der Bassist zauberte auf seinen Saiten einen lieblichen Melodienklang, der auf die ansonsten stets vorhandene Erdigkeit des Basses verzichtete. Losgelöstheit schien im Spiel zu liegen. Leichtigkeit wurde zum Ausdruck gebracht. Dazu steuerte auch der Drummer mit dezenten Snare-Reizungen und Beckenschwirren bei. Das, was Gutierrez am Flügel zu Gehör brachte, glich einem quellenden Bachlauf. Durch die gezielte Temposetzung des Drummers hatte man den Eindruck, der Lauf des Wasser verstetige sich, nehme Fahrt auf, überschlage sich gar. Dunkle Tönungen fügte schließlich des Bassist Neil Georg Richter dem Stück im weiteren Fortgang bei. Und hier und da hieß es auch „Let’s swing“, wenn auch fern von Benny Goodman!
„Missing Canada“ hieß diese Eröffnungskomposition und stammt aus der Feder des Bassisten, der noch kurz darauf hinwies, dass die Band eigentlich Tres/and bzw. Tres@ heißt. So richtig im Kontext zu verstehen war dies nicht. Doch die Drei für das Trio sollte wohl noch um etwas ergänzt werden, was sich aus der Drei heraus entwickelt. Daher der Zusatz des „Und“. „Alice in Wonderland“, eine Komposition von Bill Evans, war als nächstes zu hören. Ist da der Name Evans schon Programm für das Konzept des Trios? Nicht der Pianist, sondern der Bassist eröffnete diesen Evans-Klassiker, dabei die Klangfläche des Tieftöners in Gänze ausreizend. Bisweilen hatte man beim Zuhören die Vorstellung eines tänzerisch veranlagten Basses, der ansonsten eher durch Bodenständigkeit auffällt. Ein bisschen Beckengewische wurde dem Basssolo beigegeben, ehe es dann am Pianisten war, sich dem Thema von „Alice in Wonderland“ anzunehmen. Das Spiel war frisch und beschwingt. Kaskadierend ergossen sich die Tastenfolgen des zeitweilig dominanten Pianisten. Ähnlich im Duktus gehalten wie die Evans-Komposition war die Eigenkomposition des Pianisten namens „Las Magnolias“. Da gab es keine Ekstase, keine überschäumenden Drummings, sondern eher perlende Klangströme zu vernehmen.
Was allerdings die intensiven Lichtinszenierungen sollten, die die Zuhörer in den ersten Reihen blendeten, bleibt ein Rätsel. Lichtgestaltung im Jazz scheint Feinfühligkeit zu fordern. Diese war jedoch zu vermissen, vor allem bei dem Farbwechsel, der völlig entgegen den harmonischen Linien verlief. Man muss nicht unbedingt etwas von Synästhesie verstehen, doch hilfreich wäre es schon gewesen. Angesichts der Lichtreizungen fiel es schwer, sich auf die musikalische Präsentation zu konzentrieren. Doch zumindest beim angestimmten „Latin Fever“ schien der Zuhörer wieder in medias res, oder? War da Samba oder Rumba angesagt oder doch nur Wunschdenken des Berichterstatters im Spiel?
Auch ein Stück von Wayne Shorter aus dem Album „Nefertiti“ stand auf dem Programm, nämlich „Pinocchio“. Mit Leichtigkeit ließ dabei der Drummer Pablo Navarro seine Sticks über sein Drumset tanzen. Dazu gab es eine hektische Lichtregie zwischen Blau, Rot und Gelb. Das musste man mögen. Das änderte sich leider auch dann nicht, als die beiden anderen Musiker sich am Erzählen der Geschichte von „Pinocchio“ beteiligten. Für „Pia“ wurde anschließend aufgespielt, für eine besondere Pia, wie der Bassist betonte, ohne allerdings Pia und seine Beziehung zu ihr näher zu erläutern. Na ja, das muss ja öffentlich nicht sein, wenn es sich denn um eine kleine Romanze gehandelt haben sollte. Wie auch bei anderen Stücken war auch dieses von lyischen Linien durchzogen. Dramatisch jedoch war das Narrativ von „El Retorno“, geschrieben vom Pianisten des Trios. Man konnte zur Musik Bilder von galoppierenden Wildpferden in der Camargue assoziieren, von in hohen Wellen tanzenden Jollen, von einer wilden Serpentinenfahrt durch schroffe alpine Landschaft im Coupé. Im Gegensatz zu den vorherigen Stücken war hier Dynamik im Spiel, wurde ein starker Spannungsbogen aufgebaut, was im Übrigen auch für den Schlusstitel des Konzerts namens „Bloom“ von Radiohead galt.
Ein Villinger Eigengewächs
Dann hieß es Szenenwechsel,und auch ein Wechsel in den Klangflächen, die skizziert wurden. Ein Saxofon-Quartett stand auf der Bühne. Zugleich konnte man von einem „Schwarzwald-Eigengewächs“ reden, das im Jazzkeller in der Villinger Webergasse seine ersten Gehversuche unternommen hat. Zu hören war im zweiten Teil des Festivaleröffnungskonzerts der Saxofonist Tom Timmler mit seiner Band, die für den zweiten Set des Abends sorgte. Im Vorlauf zum Festival konnte man über Timmler nachstehende Zeilen lesen: „Sein Klang ist kraftvoll und rund, mit vielen Ornamenten, aber keinem überflüssigen Ton. Sein erdiger Sound ist geprägt von Reife und Erfahrung. Und er spielt ausschließlich Tenorsaxofon, das Instrument, das auf ihn zugeschnitten zu sein scheint. Timmler hat in seinem Quartett seelenverwandte Mitspieler: den ausdrucksstarken Pianisten Tilman Günther, den routinierten Bassisten German Klaiber und den quirligen Drummer Matthias Daneck.“ Übrigens, Vorbild Timmlers ist kein Geringerer als John Coltrane, in dessen Fußstapfen er sich musikalisch bewegt. Was sich bewahrheitete, das sei vorweg genommen, ist die Verwurzelung der Band im Bebop. Ob man nun von Neo-Bop sprechen sollte, sei dahingestellt.
Also dann Vorhang auf für die Urgesteine der Schwarzwald-Baar-Jazzszene: Fulminant und temporeich ging es los. Das Saxofon war weichgezeichnet und schnurrte. Hier und da vernahm auch kehlige Laute, doch nicht überdreht. Von markschreierisch konnte beim Saxofon, dass Tom Timmler spielte, nun mal überhaupt nicht die Rede sein. Eher hatte man den Eindruck, der sanfte Ansatz eines Paul Desmond hätte Timmler geleitet. Tanzende Bassfinger bereicherten das Klanggemisch mit „Umbrafärbungen“. Leichthändig agierte der Drummer an seinem Set. Organisch waren die Bewegungen zwischen Blechen und Snare. Und dann war es am Pianisten mit Pling und Plong ein wenig Monkschen Geist nach Villingen zu bringen, oder? Und was hörten wir da eben: „????“. Doch so rätselhaft schien das Stück nicht, dessen Linien Schummerungen die Zuhörer ohne Aufwand folgen konnten. Nachfolgend stand „Mahatma“ auf dem Programm. Eine Ode an Mahatma Gandhi? Das erläuterte Timmler nicht, der sich während des Konzerts im Kern auf die Ansage der Titel der jeweiligen Kompositionen beschränkte.
Wenn man auflösende schlierige Wolkenbänder in eine musikalische Form transponieren wollte dann genau in der Art, wie der Saxofonist das tat. Da war eine schwebende Melodie vorhanden, die sich im Saal ausbreitete. Dieses Bild griff der Pianist in seinem Solo auf und ergänzte dazu einige sprunghafte Klangfolgen. Auch auf Triller verstand sich der Mann an den weißen und schwarzen Tasten. Die Basshand wurde dabei nicht vernachlässigt und im Diskant wurde nachhaltig agiert. Und dann war da ja noch der Saxofonist, der eine Klanggouache zeichnete, die ein wahrer Hörgenuss war. Zwischen kurzem Tacktacktack und Ticktick bewegte sich der Drummer der schwungvolle Bewegungen zwischen Snare und Toms vollführte. Zartes Tätscheln von Hi-Hat gehörte zudem zum Repertoire.
Gleichsam als eine Hommage an den Altisten Roisario Giuliani – „eine Wucht in Tüten“, so Timmler – ist „Rosario’s Delight“. Dabei war auffallend, dass sich Timmler eher um die Hochtönigkeit seines Tenorsaxofons kümmerte. Bisweilen meinte man, er spiele gar Alt- oder Sopransaxofon. Klarer, glockenheller Klang stand im Fokus. Es gab kein Röcheln und Röhren, kein hörbarer Atemstrom jenseits des Tonalen. Wäre es falsch von einem „Saxofonrondo“ zu sprechen, jenseits von klassischem Habitus, sondern eher bildhaft im Sinne von tänzerischen Klangdrehungen? Mischte sich da nicht auch ein Hauch von Latin-Rhythmik mit in den Song ein? In einen breit angelegten Erzählmodus verfiel der Pianist in seinem Solo. Dabei meinte man, man höre eine Begleitung zu einem zirzensischen Akt. Irgendwie wartete man auf Bolero und Bossa zum Flic Flac, oder? Jedenfalls waren das Mittelmeer und Südamerika im Theater am Ring zeitweise präsenter als der schwarze Wald.
Nach all den temporeichen, teils groovenden Stücken war „Dear One“ ein Kontrapunkt im Programm und als Ballade angelegt. Ausschweifend und bewegt zeigte sich der Saxofonist auch in diesem Stück, das wie all die anderen aus dem Album „Dedication“ stammt. Dabei war auch ein gewisser wehmütiger Unterton nicht zu überhören. Was wurde hier besungen? Die Tristesse einer amerikanischen Kleinstadt im mittleren Westen? Ehedramen wie wir sie aus Filmen mit Richard Burton und Elizabeth Taylor kennen? Irgendwie hatte man jedenfalls beim Zuhören Bilder von Alltagseinerlei im Kopf, gleichsam „es geht alles seinen Gang“. „Simple Song“ – „für einen älteren Herren nämlich mich geschrieben“, so Timmler kommentierend – schloss sich an den Vortrag der Ballade an, ehe dann „Wir wissen es nicht“ zu hören war. Wer bei der Ankündigung von „Afro“ meinte, nun werde Abdullah Ibrahim Tribut gezollt, der irrte gewaltig. Eher musste man an Manu Dibango und Fela Kuti denken, die als westafrikanische Musiker auch den europäischen Jazz nachhaltig beeinflusst haben. Nein, Rumble in the Jungle war nicht auszumachen, aber schon eine distinkte Rhythmisierung des Stücks mit Afro-Beats. Zudem nahm uns Timmler mit seinem sonoren Gebläse mit auf seine ganz eigene Afrikaexpedition.
Nun der Schlussakt und zugleich ein politisches Statement, ein wichtiges über den Traum einer gerechteren Welt mit weniger Hass, weniger Marginalisierung und Hunger: „We have a dream“ nimmt dabei bewusst Bezug auf Martin Luther Kings „I have a dream“! Während es ja dem Zeitgeist entspricht, angesichts der Pandemie von Verschwörung zu fantasieren, gar von Diktatur zu schwafeln, so Nena, Xavier Naidoo und andere Musiker mit Rechtsdrall, war es ein Lichtblick, dass Timmler andere Themen in den Fokus rückte und die soziale Frage ohne Umschweife in den Raum stellte. Was wir dann hörten, hatte Soul, schien einem Gospel nahezukommen, erinnerte an Songs von Nina Simone, auch an Statements wie „Strange fruit“ von Billie Holiday. Jazz und politische Positionen gab es und muss es geben. Zudem war die Komposition so angelegt, dass man leicht mitsummen konnte. Der Song blieb so im Gedächtnis haften. Schließlich fragte man sich: Wird es für den Traum irgendwann auch Lyrik geben, ähnlich wie „We shall overcome“?
Ein lauer Septemberabend ging mit einer Zugabe und anhaltendem Beifall zu Ende. Man durfte auf die nächsten Tage des Festivals gespannt sein.
Fotos und Text © ferdinand dupuis-panther
Info
Line-up
TRES (ES/PE/D)
Gabriel Gutierrez (Piano)
Pablo Santamaria Navarro (Schlagzeug)
Neil Richter (Bass)
TOM TIMMLER QUINTETT (D)
Tom Timmler (Tenorsaxophon)
Tilman Günther (E-Piano)
German Klaiber (Bass)
Matthias Daneck (Schlagzeug)
http://www.tomtimmler.de/bio.html
https://www.shazam.com/de/track/76782736/mahatma
https://music.apple.com/us/album/dedication/586183676
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