Ensemble West, LWL Museums für Kunst und Kultur Münster

13. April 2019 



Der Westfälische Kunstverein Münster lud ein; das Museum für Kunst und Kultur stellte sein Auditorium zur Verfügung, die Münsteraner kamen in Scharen und so gab es ein gut besuchtes Konzert, das der Suche nach der Schönheit der Melodie verpflichtet war. Und die Musiker? Sie kamen tief aus dem Westen: „Tief im westen, / wo die sonne verstaubt / ist es besser, / viel besser, als man glaubt / tief im westen" - so heißt es im Bochum-Lied des Popbarden Herbert Grönemeyer. Das scheint auch die Musiker zu einen, für die das Ruhrgebiet Quell ihrer Kreativität ist, vorneweg der Gitarrist Ingo Marmulla, von dem an diesem Abend einige Kompositionen zu hören waren, aber nicht allein von ihm.


Das Ruhrgebiet als Heimat, die Welt als Bühne

Die Heimat von Thomas Hufschmidt (piano), Ingo Marmulla (guitar), Gerd Dudek (tenorsaxophone), Klaus Osterloh (trumpet, flugelhorn), Stefan Werni (doublebass) und Thomas Alkier (drums) ist Herten, Wanne-Eickel, Mühlheim a.d. Ruhr oder Recklinghausen. Doch Jazzer mögen ja „Heimaten“ haben, aber sie sind auch mondial, sprich ihr Blick richtet sich stets über den Tellerrand hinaus.


Der Pianist Thomas Hufschmidt, der an der über die Grenzen Deutschlands hinaus renommierten Folkwangschule/Essen unterrichtet, arbeitete mit Tony Lakatos, Carla Bley oder Albert Mangelsdorff zusammen, während Gitarrist Ingo Marmulla  in den Gruppen von Charlie Mariano, Jasper van t´Hof und Gunter Hampel für die Auswahl des harmonischen Saitenklangs zuständig war. Bassist Stefan Werni tourte ausgiebig mit der amerikanischen Gesangslegende Sheila Jordan. Trommelkünstler Thomas Alkiers stand mit Gary Burton, Eartha Kitt, Albert Mangelsdorff, Betty Carter und Michel Petrucciani auf der Bühne. Auch Thomas Alkier ist wie Thomas Hufschmidt Professor an der Essener Folkwangschule.

Und dann gab es ja noch zwei hochkarätige Gäste an diesem Konzertabend zu begrüßen: Der Name des heute über 80-jährigen Tenorsaxofonisten Gerd Dudek ließ aufhorchen. Albert Mangelsdorff, Alexander von Schlippenbach, Manfred Schoof, das sind die Musiker, mit denen Dudek ab den 1960er Jahren den europäischen Jazz erneuerte. Das Globe Unity Orchestra folgte ab 1966. In den Formationen von Don Cherry,  Dexter Gordon und Lester Bowie war er auch zu hören. Schließlich gehörte zum Sextett des Abends der Trompeter und Flügelhornist Klaus Osterloh, der bis 2012 für annähernd 30 Jahre Mitglied der WDR Big Band war.


Einmal Umdrehen bitte

Ohne viel Vorrede ging es in medias res: „Turnaround“ von Ornette Coleman war die Ouvertüre des Abends. Ein Free-Jazzer am Beginn eines Konzerts – eine Herausforderung fürs Publikum? Doch gemach,  Ekstase und Klang-Krawall standen nicht auf der Tagesordnung. Statt dessen war der satte Klang eines beinahe wohlig schnurrenden Saxofons zu hören. Mit stoischer Gelassenheit setzte sich der Bass in Bewegung. Im Hintergrund schwirrten die Bleche des Schlagwerks. So begann eine Reise in die Geschichte des Jazz.


Wie ein musikalischer Gezeitenstrom erwies sich das Solo von Gerd Dudek. Über einen Klangteppich, den Thomas Hufschmidt auf seinem Korg-Tastenwerk knüpfte, verfeinerte Ingo Marmulla mit Saitenumspielungen das Thema. Aus „Turnaround“ wurde hier und da ein „Merry-go-round“, so konnte man meinen. Keck und vorwitzig zeigte sich das Flügelhorn in den Händen von Klaus Osterloh. Nein, von Sanftheit, Seidigkeit und Samtheit wie bei anderen Flügelhornisten konnte nicht die Rede sein. Kaskadierungen und Anklänge an Jazz Rock waren im weiteren Verlauf auszumachen. Ähnlich wie bei Jazzstandards wie „Sugar“, „Caravan“ und „So What“ schmeichelte sich „Turnaround“ mehr und mehr ein, wurde fast ein „Ohrwurm“, dessen melodisches Thema leicht mitzusummen ist.

Nach dem „Blues zum Warmspielen“, wie Ingo Marmulla es formulierte, folgte eine Komposition des Ensemble-West-Gitarristen namens „Cosimo on Trees“ mit einem solistischen Wechselspiel von Gitarre, Trompete und Saxofon. An dieser Stelle sei eingefügt, dass die Rotationen des Solistischen durchaus kennzeichnend für das Ensemble West und seine beiden Gästen waren. Es gab einen ständigen interaktiven Fluss, also Musik in Bewegung, Klang in Wellen und Tälern, Klangmalströme und -kaskaden.


Beim Zuhören kamen Bilder von Rollerskatern ebenso auf wie von Luftakrobaten an einem heiteren Sommertag, derweil draußen in Münster Frühlingskälte Einzug gehalten hatte. An Flaneure musste man denken, an Mädels in Polka Dots und Pettycoats und mit Hochsteckfrisuren. Surf Sound wurde nicht vermisst, denn auch ohne diesen verstand es Ingo Marmulla, dem Stück Leichtigkeit und  „Schwerelosigkeit“ einzuhauchen. Eine schöne Klangfarbe steuerte Klaus Osterloh mit seiner gedämpften Trompete bei, derweil Ingo Marmulla dezent das Regie-Zepter schwang. Man hatte den Eindruck, „Cosimo in Trees“ vermittelte auch, dass das Leben zu genießen ist


Frühlingsmomente und …

Bei Thomas Hufschmidts Komposition „Spring will come“ erlebten wir auch einige fliegende Blätter, machten sich doch während des Vortrags einige Notenblätter selbstständig. Sonorer Klang des Flügelhorns traf ohrschmeichlerische Saitenläufe. Als Teil eines harmonischen „Dreiklangs“ trat auch das Tenorsaxofon hervor. Gerd Dudek schien mit seinem Spiel einen Apriltag einzufangen, der Sonnenschein, Platzregen, Graupelschauer und Aufklarungen umfasste. Auch ein heftiger Frühlingswind schien mit im Spiel zu sein. Lauschte man Thomas Hufschmidt, so schien es, als sei aus dem Tasteninstrument ein Vibrafon geworden. Leicht metallisch-voll klangen die zu hörenden Passagen. Hufschmidt ließ es aber auch strudeln, strömen, fließen, rinnen, wenn er sich dem thematischen Material des kommenden Frühlings zuwendete.


Bekannt gemacht hat die Komposition „Aisha“ John Coltrane, so Ingo Marmulla. Doch der Titel entstammt der Feder von McCoyTyner. Die Ballade hat der bekannte Jazzpianist für seine „Herzdame“ komponiert. John Coltrane war es der McCoy Tyners Pianospiel in den höchsten Tönen lobte: „ „Seine größte Gabe ist sein melodischer Einfallsreichtum, (…) die Klarheit seiner Ideen. Auch hat er einen ganz persönlichen Sound auf dem Piano - einen Sound, der wegen der Clusters, die er gebraucht, und der Art und Weise, in der er sie individualisiert, besonders klar und hell ist (…) Außerdem hat McCoy einen ungewöhnlichen Formsinn (…) Er spielt niemals konventionelle Klischees.“

Leider stand Thomas Hufschmidt kein Flügel zur Verfügung, der für diese Komposition wirklich das richtige Harmonieinstrument gewesen wäre. Besengewische und Saitenfeinheiten vereinten sich zu Beginn, ehe Gerd Dudek sanfte Klangverwebungen vornahm. Doch die Sanftheit wurde stets auch durch ein wenig aufgebrachtes „Marktgeschrei“ durchbrochen. Ein Tenorsaxofon ist eben kein Sopransaxofon. Schnarrendes und Schnurrendes vermischten sich. Wahrnehmbar war ein Auf und ein Ab. Hier und da schien die „Blaue Stunde“ beschworen zu werden. Verzückungen drückte Gerd Dudek mit seinem Tenorsaxofon außerdem aus. Perlendes Spiel auf den Tasten gab es als wesentliche Beigabe.


Mit der Komposition „Kansas City Statement“ des Trompeters und Flügelhornisten Benny Bailey, eines Weggefährten von Dizzy Gillespie, Les McCann und Eddy Harris, endete das erste Set. Dabei wurde durchaus deutlich, dass Jazz auch tanzbar ist. Zugleich konnte man bei dieser Kompositionen eine Ahnung von den Wurzeln des Rock `n Roll bekommen. Doch einen Jive legte keiner aus dem Publikum hin.


Auf zum Tanz

Nach „Blues at the River“ widmeten sich die „Herren tief aus dem Westen“ einer Komposition von Ingo Marmulla namens „Danza Folcloristica“, basierend auf einer kalabrischen Volksweise, über die der Gitarrist bei einem Urlaub in Süditalien gestolpert war.

Der Klangfluss suggerierte Zusammen- und Auseinandergehen, Kreisbewegungen, Sprungschritte und wieder Drehungen an Drehungen. Dichtes Klanggewebe – dank an Thomas Hufschmidt – lag unter dem solistischen Vortrag von Ingo Marmulla. Dabei musste man an einen Schreittanz denken. Standing und Hanging Tom vibrierten. Blechgeflirre war zu vernehmen. Im Thema schien auch irgendwie Cannonball Adderley im Geiste anwesend zu sein. Saxofon und Flügelhorn vereinten sich schließlich zu einem gemeinsamen „Teufelstanz“.


Mit starken Funkeinfärbungen kam „Igbob‘s Shuffle“ daher. Dem Alt- und Sopransaxofonisten Sonny Fortune ist dieser Song zu verdanken. Nun ja, ein Sopransaxofon war bei dem Konzertvortrag nicht vorhanden, spielte doch Gerd Dudek eine tiefere Lage. So kamen auch nicht die exaltierten Höhen zustande, die das Original ausmachen und so prägend sind. Schließlich hörten wir, das muss eingefügt werden, ein Arrangement und keine Coverversion! Wer Soul und Funk, wer die Filmmusik von „Shaft“ und einen Song wie „Papa is was rolling stone“ (The Temptations) schätzt, der kam bei „Igbob‘s Shuffle“ voll auf seine Kosten!

Zu den Klassikern des Jazz gehört gewiss „Round Midnight“, eine Komposition, die an diesem Abend nicht fehlte, ehe dann als Schlussakkord „Where is David?“ erklang. Nach einem Florenz-Besuch und der stundenlangen Suche nach dem Original des berühmten David von Michelangelo – durchaus schweißtreibend, wie Ingo Marmulla betonte –, sei diese Komposition zustande gekommen. Im Spielfluss konnte man sich als Zuhörer in die Suche nach David hineindenken. Mal ging‘s links ab, mal rechts, mal auch geradeaus. Jeder Winkel wurde ausgekundschaftet; Fragen wurden gestellt, um David aufzuspüren.

 


Der Schlussapplaus war sehr herzlich und so ließ es sich das Ensemble West nicht nehmen, eine Zugabe zu geben: „You don‘t know what love is“ .  Der Abend endete mit der Musik von Gene de Paul und einer Hommage an das Great American Songbook. Dabei vermittelte, so der Eindruck, der Trompeter Klaus Osterloh auch einen Hauch von Miles, ehe die Konzertbesucher in die Nacht enteilten.

Text unf Fotos: © ferdinand dupuis-panther – Der Text und die Fotos sind nicht public commons!


Informationen

Line-up

Klaus Osterloh – Trompete
http://www.klausosterloh.de/

Gerd Dudek – Saxofon
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerd_Dudek

Ingo Marmulla – Gitarre
http://www.ingo-marmulla.de/Ingo_Marmulla-Gitarre.html

Thomas Hufschmidt – Klavier
https://www.folkwang-uni.de/home/hochschule/personen/lehrende/vollanzeige/personen-detail/prof-thomas-hufschmidt/

Stefan Werni – Bass
https://de-de.facebook.com/stefanwerni

Thomas Alkier – Schlagzeug
http://www.folkwang-jazz.de/thomas-alkier.html


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