Das Essen Jazz Orchestra besteht aus bekannten Musikern der freien Jazz-Szene Essen, so wie Florian Walter, Alex Morsey und Felix Carlos Fritsche, die auch in eigenen Band-Projekten von sich Reden machen oder bei The Dorf auf den „Dorfvorsteher“, den Saxofonisten Jan Klare, hören. Natalie Hausmann am Tenorsaxofon ist unter anderem bei Fritz Krisses New Space aktiv. Florian Walter und Felix Fritsche sind „Die Verwechslung“ und bespielen im Ruhrgebiet auch mal die eine oder andere Trinkhalle, um nur einige Beispiele über das vielfältige musikalische Engagement einiger Essener Jazzmusiker ins Feld zu führen. Geleitet wird das Ensemble von Tobias Schütte, selbst Posaunist und Komponist und somit auch für das musikalische Repertoire des Orchesters zuständig. Alex Morsey (Bass) und Tobias Wember (Posaune) tragen mit ihren kompositorischen Arbeiten gleichfalls zur Hörfarbe des Orchesters bei. Tobias Wember wurde 2015 – das sei an dieser Stelle hervorgehoben – mit dem WDR-Jazzpreis in der Sparte Jazzkomposition ausgezeichnet!
Zwischen Proben und Konzert hatte ich Gelegenheit mit Tobias Schütte zu reden. Dabei ging es auch um die „Wurzeln“ des Orchesters und meine Annahme, dass die Folkwang-Hochschule Essen eine Art Dreh- und Angelpunkt dafür sei. Tobias antworte darauf mit einem „Jein“. „Es sind alles ehemalige Folkwängler“. Es gibt keine freischaffende Big Band in Essen und auf der anderen Seite viele Komponisten. Wir haben diesen Umstand zusammengeführt und schreiben nun für unsere eigene Band. Es gibt drei Hauptkomponisten: ich, Alex Morsey und Tobi Wember.“
Die Frage nach den Ideen für die Kompositionen drängte sich im Gespräch dann zwangsläufig auf. „Ich habe eine Zeit lang in Italien gelebt. An dem Abend, als ich ankam, entstand das Stück „Patience“. Man geht ans Meer, schaut darauf und so ist dann die Idee für das Stück entstanden, so die weiteren Ausführungen von Tobias Schütte. „So sind es oftmals emotionale Eindrücke, die man hat, und die kombiniert man mit seinem musikhistorischen Wissen.“ Bei einer Big Band, selbst wenn sie Musik der Gegenwart spielt, stellt sich auch die Frage nach der Wichtigkeit der Vorläufer wie Duke Ellington, Count Basie oder Jimmy Dorsey und deren Orchester. „Na ja, das ist wie Mozart in der Klassik. Das ist der Grundstock und unglaublich wichtig. Das ist das, worauf man zurückgreift, und das, was man in gewisser Weise weiterentwickelt. So wie man für Big Band damals geschrieben hat, so schreibt man im Grunde genommen heute noch, auch wenn die Musik reicher geworden ist.“ Bei der Musik, die EJO präsentiert, sind allerdings auch rockige Elemente eingeflossen, was Tobias Schütte im Gespräch durchaus bestätigt: „Man setzt heute E-Gitarren mit ihrer Rock-Vergangenheit entsprechend ein. So ist der Farbenreichtum größer geworden.“ Gespielt werden momentan nur eigene Kompositionen und keine Standards. Doch, so Tobias Schütte, das könne sich auch in der Zukunft ändern, wenn externe Gäste eingeladen werden. Das Credo lautet jedoch: „Wir spielen das, was gut geschrieben ist und noch nicht zu Gehör gebracht wurde.“
Zum Konzertprogramm gehörten drei Teile einer fünfteiligen Suite, die Tobias Wember zu verdanken ist. Geballte Kraft der Blechbläser ertönte gleich zu Beginn, auch wenn die Trompeten mit Dämpfer gespielt wurden. Es schien so, als wären die Holzbläser, sprich die Saxofone, den Blechbläsern heillos unterlegen. Die beiden Querflöten – gespielt von Felix Fritsche und Roman Sieweke – waren leider nur zu erahnen. Für sie hätte man eine kompositorische Lücke schaffen müssen, um deren Klangfarbe voll zur Geltung zu verschaffen. Doch:Wer kann schon dagegen ankommen, wenn Trompeten und Posaunen miteinander anbandeln und das musikalische Zepter nicht aus der Hand geben wollen? Irgendwann brauchten die Bläser eine Pause, eine Chance für die rockig klingende Gitarre – Christian Hammer entlockte ihr die entsprechenden Riffs – und der brummelnde Bass in den Händen von Alex Morsey stimmte munter mit ein. Mit einer beinahe donnernden Klangwelle meldeten sich danach wieder die miteinander vereinten Saxofone und Posaunen, die die Hörfarbe des ersten Teils der Suite maßgeblich bestimmten. Klangwelle auf Klangwelle rollte heran. Ein aufbrausendes Klangmeer ergoss sich. Müsste man ein Gemälde zur vorgetragenen Musik konzipieren, es wäre gewiss ein tosendes Meer mit Schiffbrüchigen, das die Leinwand füllen würde.
Nur hier und da sowie für kurze Moment flammte der klassische Big-Band-Sound von Ellington und Co auf. Aus dem musikalischen Mezzoforte wurde alsbald ein Fortissimo. Doch bekanntlich folgt auf jeden Höhepunkt auch der Abschwung. Das war auch bei der Eröffnungssuite nicht anders. Als Tobias Wember zu seinem Posaunensolo ansetzte, meinte man, man wäre inmitten einer Seeschlacht, die insbesondere niederländische Maler mit Sinn für eine furiose Dramatik im 17. und 18. Jahrhundert auf ihre Leinwände bannten.
Alex Morsey, der im Gespräch bekannte, durchaus ein Faible für die Musik von Ellington und Basie zu haben, war dann für „Wheel Dealer“ verantwortlich. Es war seine Hommage an den im letzten Jahr verstorbenen kanadischen Trompeter und Flügelhornisten Kenny Wheeler. Der Name ließ bei dem einen oder anderen Zuhörer aufhorchen, war doch Wheeler ganz wesentlich an der Entwicklung des Jazzrocks beteiligt und zudem Mitglied des legendären United Jazz & Rock Ensemble. Durfte man also rotzigen Rock gemischt mit ausgefeilten Changes und Bridges erwarten?
Zunächst breitete Hajo Wiesemann mit seinem Tastenklangkörper einen satten Klangteppich vor unseren Augen und Ohren aus, ehe die Flügelhörner einen Hauch von Bebop reloaded verströmten. Eher gedämpft und nicht in Forte ließen sich die Posaunen vernehmen. Ein wenig gequält klang der gestrichene Bass, derweil Philipp Zdebel die Becken seines Schlagwerks zart antippte. Die Bläser verstummten dabei für einen Augenblick. Doch Stille trat keineswegs ein, denn Alex Morsey ließ seinen Bass fortan weiter jammernd und klagend erklingen. Das dann vorgesehene Solo war der Trompeterin Sinje Schnittker vorbehalten, die sich dabei voll ins Zeug legte.
Auch das nachfolgende Stück war eine Hommage, diesmal für den Komponisten, Arrangeur und Saxofonisten sowie Klarinettisten Bob Mintzer, der bekanntlich für Fusion und Jazzrock steht. Also kosteten wir mal die von Alex Morsey zusammengestellte „Mince Sauce“.
Tatsächlich, wie erwartet, erhielt das Stück dank Christian Hammer an der E-Gitarre eine starke Note an Jazzrock. Wer dabei auch an den Gitarristen Volker Kriegel denken musste, war nicht gänzlich auf einer falschen Fährte. Dieser Jazzmusiker hatte bis zu seinem allzu frühen Tod ganz wesentlich den Jazzrock in Deutschland beflügelt und befruchtet, nicht nur als Ensemblemitglied des United Jazz & Rock Ensembles, sondern auch in eigenen Bandprojekten, an denen auch Eberhard Weber am E-Kontrabass beteiligt war. Nach dem starken Auftritt der Rhythmusgruppe - mit Christian Hammer gleichsam als Frontmann - setzten die Trompeten sehr prägnante Akzente. Nachfolgend ergänzten sich ein „aufgewühltes“ Schlagwerk und ein flott gespielter Bass, der seine sonst übliche, stoische Ruhe zu vergessen schien. Man hatte gar im Fortgang des Stücks den Eindruck, mit Latin Grooves würde die Komposition schmackhaft angereichert.
Mit einem balladenhaften Teil der von Tobias Wember geschriebenen Suite setzte das Orchester sein Programm fort. Vor der Pause gab es dann noch den letzten Teil der Suite zuhören. Schloss man für eine Weile die Augen, konnte man sich dramatische Bilder einer Segeltour durch Wellentäler und -kämme vorstellen. Signalisierten da nicht Bass und Schlagzeug einen Wetterwechsel? Tatsächlich, Trompeten und Altsaxofone bliesen so, als würde der Wind auffrischen und eine kräftige Bö über unsere Köpfe fegen. Oh, nun musste auch noch eine Halse gemeistert werden, um schnell den sicheren Hafen anzusteuern. Es schien in letzter Minute zu passieren, denn nun brach ein Sturm herein, achtete man auf das Fortissimo und Crescendo der vereinten Bläser. Orkanstärke wurde im Spiel erreicht.
Nein, es war nicht Buxtehude und auch nicht Bach, der für eine Big Band arrangiert wurde, sondern John Dowland, ein englischer Komponist aus der elisabethanischen Zeit, sprich des 16. Jahrhunderts.“Can She Excuse My Wrongs“ lautete der Titel, der auch ein sehr schönes Trompetensolo enthielt, das weniger nach Renaissancemusik denn nach „Fjordsound“ à la Mathias Eick klang. Im nachfolgenden Tutti war sie dann thematisch wieder deutlich vernehmbar, die höfische Musik. Doch mit dem „Stellungswechsel“ von Felix Fritsche, der sich der Rhythmusgruppe dazugesellte, änderte sich der Charakter der Musik. Sie wurde freier, lehnte sich nicht mehr an das vorherige „Choralhafte“ an. Schnalzen, Flirren, Krächzen, Schwirren – das war das, was Felix Fritsche seinem Holzbläser entlockte. Sang da nicht Alex Morsey im Hintergrund, derweil sich das Altsaxofon echauffierend äußerte – dank sei Felix Fritsche? Ein Inferno bahnte sich an. Doch irgendwann war dieser Spuk vorbei, und John Dowlands Weisen waren wieder deutlich erkennbar.
Durch einen gleichsam kaskadierenden Melodiefluss zeichnete sich Alex Morseys Komposition „Se Bändwürm“ aus. Für mich als Zuhörer drängten sich Bilder einer Schiffspassage im dichten Nebel auf. Auch eine mögliche Filmmusik für die amerikanische Krimifilmserie „Die Straßen von San Francisco“ kam mir beim aufmerksamen Zuhören in den Sinn.
Im Konzertfortgang kam dann eine „streunende Katze“ auf die Bühne. „Stray Cat“ spielte das Ensemble, und dabei schien die Zeit der großen Big Bands wieder lebendig zu werden, eine Zeit, in der Billy Strayhorn mit seinen Kompositionen Duke Ellington zum Welterfolg verhalf. Doch Strayhorn, schwul und schwarz, erntete zu Lebzeiten nie den Ruhm, der ihm eigentlich gebührte. Mit „Toys Noise“ schloss sich der musikalische Reigen, sprich mit all dem, was genervte Eltern jeden Tag ertragen: Kinderlärm mit Toben, Kissenschlachten, Quietscheenten, Tröten, Tuten, Klappern, Rasseln, Trommeln und Xylofon.
Man darf auf weitere Konzerte dieses Ensembles gespannt sein, das zukünftig regelmäßig den Konzertsaal der RueBühne in Essen-Rüttenscheid bespielen wird. Hingehen lohnt sich auf alle Fälle, den das ist frischer, energetischer Big Band Sound von heute, denn EJO präsentiert!
Fotos und Text: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Line-up
Altsax:
Roman Sieweke (https://soundcloud.com/roman-sieweke)
Felix Fritsche http://www.soundcloud.com/felix-fritsche;
Interview: http://www.jazzhalo.be/interviews/felix-carlos-fritsche-interview-mit-dem-essener-altsaxofonisten-und-klarinettisten-u-a-the-dorf-fc-fritsche/
Tenorsax:
Veit Lange, Philipp Zdebel
Natalie Hausmann (http://www.nataliehausmann.de)
Baritonsax:
Florian Walter
Posaunen:
Tobias Wember
http://www.tobiaswember.de
Raphael Klemm, Peter Schwatlo, Gerd Jentzsch
Trompeten:
John-Denis Renken
http://www.john-dennis-renken.com
Jakob Helling, Stephan Struck, Martin Berner
Sinje Schnittker
http://www.sinjeswelt.de, Hans Martin Schnittker
Drums:
Hermann Heidenreich, Philipp Zdebel
Gitarre:
Andreas Wahl (http://www.andreaswahl.net), Christian Hammer
Bass
Alex Morsey
Klavier/Keyboards
Hajo Wiesemann
Conducting:
Tobias Schütte
http://www.tobiasschuette.de
EJO
https://de-de.facebook.com/EssenJazzOrchestra
http://e-j-o.de/
In case you LIKE us, please click here:
Hotel-Brasserie
Markt 2 - 8820 TORHOUT
Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse
Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée
Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant
Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon
Pedro Soler
(08/06/1938 – 03/08/2024)
foto © Jacky Lepage
Special thanks to our photographers:
Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte
Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper
Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Jeroen Goddemaer
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein
Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre
Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten
Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden
Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner
and to our writers:
Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Chris Joris
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst