Ein Rückblick auf das 35. Jazzfestival Würzburg 2019

Hendrix, Techno und mehr …, Würzburg 26. und 27.10.2019




Im Spätherbst ein zweitägiges Festival Jazz made in Germany, das war auch nur möglich, weil wie in den Jahren zuvor  Ehrenamtliche der Jazzini Würzburg tatkräftig an diesem Festival Hand angelegt haben. Gewiss Sponsoren gab es, aber das Engagement von Jazzliebhabern ist für ein solches Festival essentiell, das eben nicht in den Metropolen Berlin, Frankfurt oder Hamburg stattfindet. Wieder einmal war es den Organisatoren gelungen, ein überaus facettenreiches Festivalprogramm zusammenzustellen. Fusion traf dabei auf Techno. Ethno Jazz war ebenso zu hören wie Anlehnungen an Hip Hop, Rap und Nu Jazz.


26. Oktober 2019


Eröffnet wurde das Festival durch das Quartett von Axis, Gewinner des Jazzwettbewerbs der HfM Würzburg.  Ein Jimi-Hendrix-Programm ohne E-Gitarre und E-Bass präsentierten die Sängerin Sarah Buchner, der Saxofonist und Klarinettist Sebastian Wagner, der Drummer Jonas Sorgenfrei und der Pianist Max Arsava. Um es vorwegzunehmen: Klassiker wie „Hey Joe“ oder „ All along the watchtower“ gehörten nicht zum Repertoire. Hingegen waren dann bekannte aber auch eher unbekannte Songs von Hendrix zu hören,  „The Wind cries Mary“, „Purple Haze“ und „Voodoo Child“ auf der einen und zum Beispiel  „Crosstown Traffic“ und „Spanish Castle Magic“ auf der anderen Seite. Doch die Frage bleibt, was denn Musiker, die Hendrix nur vom Hörensagen kennen, an dessen Musik so fasziniert. Dabei versteht sich Axis nicht als Tribute Band, und das Covern ist eh nicht angesagt. Schon der Verzicht auf E-Bass und E-Gitarre deutet auf Abgrenzung hin, bei der zwar das thematische Gerüst noch genutzt wird, aber der freien Interpretation nachgegangen werden kann. Und das geschah auch, mal mehr und mal weniger überzeugend.


Aufgemacht wurde mit „The Wind cries Mary“. Gewischte Felle waren im Hintergrund wahrnehmbar, ehe dann das Thema eher lyrisch-getragen vorgebracht wurde. Während Hendrix ja eher einem gehauchten, geröchelten, rauen Sprechgesang frönte, wenn er Textzeilen vortrug, war dies bei Sarah Buchner gar nicht oder weniger der Fall. Sandige Stimmfärbungen waren auszumachen, gemischt mit Ansätzen von Koloraturen. Dazu stimmte Sebastian Wagner auf dem Tenorsaxofon säuselndes Windgebläse an. Perlende Passagen entlockte Max Arsava seinem Grand Piano; dabei das Thema gekonnt umschiffend, auflösend und wieder ins Thema findend. Auf die vokalen Anteile hätte man durchaus verzichten können: „Hendrix without words“ war aber nicht das Konzept von Axis.

Auszumachen waren gelegentliche gesangliche Schwächen, vor allem im oberen Sopran. Dieser Eindruck verstärkte sich, als als Zugabe nochmals das Anfangsstück vorgetragen wurde. Die Band hatte eben nur acht Hendrix-Songs arrangiert und im Repertoire.


Nochmals zum Vokalen: Warum hat die Sängerin nicht schlich einzelne Textpassage fragmentarisch zu den solistischen Einschüben von Piano und Saxofon hinzugefügt? Das wäre dann vielleicht mehr DADA als Hendrix, aber hätte sich dann aus der gesanglichen Klammer des „Vorbildes“ gelöst. Sehr überzeugend war im ersten Stück allerdings der in Richtung Free Jazz wandernde Sebastian Wagner, dessen Tenorsaxofon schräg, aufgebracht, aufgekratzt und aufmüpfig klang, ganz zu schweigen davon, dass der Holzbläser das Windgeschrei sehr überzeugend einfing.

Völlig konträr zum ersten Stück gelang „Crosstown Traffic“.  Das wurde zwar nicht gerappt, aber durch den Sprechgesang, mittels Megaphon zeitweilig verfremdet, erhielt der Vortrag einen Hauch von Punk verpasst. Einstürzende Klangbauten hatte man  vor sich. Das urbane Chaos entlud sich dann auch noch in lauten Sirenen von Polizeifahrzeugen.

Bei „Spanish Castle Magic“ schien dem Tenorsaxofonisten die Rolle des Gitarristen zuzufallen, der seine Gitarre jaulen, wimmern und weinen lässt, so wie einst auch Hendrix. Fulminant war das Schlagwerk, das das eine oder andere Mal für einen wahren Paukenschlag gut war.

 


Dass die Vokalistin des Quartetts durchaus in Scat Vocals zuhause ist, bewies sie nachfolgend, teilweise auch im Zwiegespräch mit der Bassklarinette, die Sebastian Wagner spielte. Auch wenn man vielleicht eine soulig-rauchige Gesangsstimme erwartet hatte, so muss man doch anmerken, dass Sarah Buchner wesentlich sicherer als zuvor auftrat. Hendrix rückte sie mit ihrem Vortrag in die Ferne – und das war gut so. Das Stimmliche war teilweise gebrochen in den Höhen, aber das passte wie auch das Gehauchte und das Gestöhne. Dazu vernahm man flache Klangkaskaden, die der Pianist dem Flügel entlockte. Schließlich nahm man noch kristalline Wasserbilder wahr, die gleichfalls dem Spiel des Pianisten geschuldet waren.


Federführend trat der Saxofonist in „Purple Haze“ auf, bei einem Stück, das man durchaus als sperrig und spröde bezeichnen kann und von den Riffs Hendrix lebt. Teilweise schien sich der Klangstrom des Saxofons zu überschlagen. Ein gewisses Stimmrauschen war im Übrigen Teil des Vortrags.

Sehr überzeugend war dann zum Konzertabschluss die Interpretation von „Voodoo Child“. Das Baritonsaxofon in den Händen von Sebastian Wagner fügte dem Stück eine sehr umbragefärbte Klangnote bei. Entfesselt war zeitweilig das Spiel und vermittelte den Eindruck, man sei bei einer geheimnisvollen Voodoo-Zeremonie zugegen. Was den stimmlichen Beitrag von Sarah Buchner anbelangt, war ihr dieser Song wie auf den Leib geschneidert, konnte sie doch die gesamte Bandbreite von Scat Vocals einbringen. Es war schon auffallend, dass der Gesang als Teil das Ganze bereicherte, wenn sich Sarah Buchner von den jeweiligen Textvorlagen löste.


Nighthawks – zwischen Surf Sound und Jazz Rock


Im Kontext des Albums „Nighthawks 707“ konnte man in einem Pressetext Nachstehendes lesen: „Die Nighthawks haben in der Spanne ihres über 20jährigen Schaffens ein fein konturiertes, ästhetisches Konzept geschaffen: Musik für Reisende. So spielen Geschwindigkeit und Ruhe, Dichte und Leere, Hell und Dunkel eine zentrale musikalische Rolle im Oeuvre der Band. Die zahlreichen, eingängigen Songs sind sehr klare, auf Reduktion bedachte Stimmungsbilder, die sich vielfach auf reale und fiktive Orte in der Welt beziehen. So gesehen ist die Musik der Nighthawks ein Road Movie, eines, das sich nun in dem großartigen siebten Studio Album fortschreibt.“

Dal Martino kündigte gleich zu Beginn an, dass die Zeit dahineile und man dennoch einige Kostproben aus den bisherigen sieben Alben der Band zum besten geben wolle. Sphärische Klänge eröffneten das Konzert. Tieftöniges traf auf Kristallines. Waren da nicht auch Motorengeräusche vernehmbar? Rockiges von dem Saitenspieler Jörg Lehnardt vorgetragen, rieb sich an der gedämpften Trompete, die Reiner Winterschladen spielte. Dabei klang die Trompete so wie bei Stücken des Spätwerks von Miles Davis: geätzt, brüchig, gebrochen, verärgert, aufgebracht, ohne gänzlich aus der Form zu fallen.


Ein satter Orgelklang flammte auf; es gab obendrein trillernde Tastenklänge zu erleben. Eine wimmernde und jaulende Gitarre vereinte sich mit dem bodenständigen E-Bass und den harten Schlägen auf die Basstrommel begleitet von vielen Blechschwingungen, dank an Thomas Alkier.

Bei „Secret Loneliness“ nahm uns die Band auf eine „Reise bis hinter den Horizont“ mit. Zumindest vermittelte das versierte Spiel von Reiner Winterschladen eine Weite, so weit das Auge reicht. Wurde da nicht auch Polarlicht eingefangen?

Saitenhöhenflüge im Nachgang von Mark Knopfler waren zu vernehmen. Und vor dem geistigen Auge des einen oder anderen schwebten Gleitschirmflieger am Himmel dahin, in der Thermik aufsteigend und fallend, unterwegs in die Ferne, die jenseits des Horizonts zu finden ist, wie schon der Rockbarde Udo Lindenberg sang.

 


Dass man nicht nur bei diesem Instrumentalstück an Filmmusik denken musste, kam nicht von ungefähr, begannen doch Dal Martino und Reiner Winterschladen in den 1990er Jahren mit dem Komponieren von Filmmusiken beispielsweise zu Bildern des verregneten New York und einer mexikanischen Wüstenstadt mit weißer Kapelle und Glockentürmchen. Gerade bei dieser Art von Musik stellte sich rasch beim Zuhören die Assoziation mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ ein. Man musste zudem an den blauäugigen Gringo aus Italo-Western denken, der sich mit den schnauzbärtigen, hinterhältigen mexikanischen Bandidos herumschlagen muss.


Auf der Albumversion von „Norways“ ist anfänglich Wassergeplätscher und Vogelgesang zu vernehmen. Darauf verzichtete die Band bei ihrem Würzburger Auftritt. Bestechend war Reiner Winterschladen mit seinem Flügelhorn (?)- und Trompetengesang, dabei das Land der Fjorde einfangend. Ließ er nicht Segler unter vollen Segeln auf einem Fjord kreuzen und anderswo vor der Küste Norwegens einen Katamaran über Wellen springen? So musste man sich jedenfalls beim Hören Bildausschnitte denken. Und zum Schluss kreischten Möwen, sah man Tölpel schwerelos kreisen.


Krumme Takte sind im Jazz durchaus geläufig, aber eher noch in der Folklore des Balkans. Auch Nighthawks widmete sich in einem Stück der Rhythmik des Balkans, auch wenn der Song zu Beginn eher an ein Remake der Filmmusik zu „Shaft“ denken ließ. Momente von Funk steuerte Jürgen Dahmen an den Keyboards bei. Hatte man beim Zuhören nicht eher das Bild wilder Derwische vor Augen als tanzende Roma auf einer Bergdorfhochzeit irgendwo im Balkangebirge?

Der Schlussapplaus und lautstarke Rufe nach einer Zugabe veranlasste die Band noch eine Zugabe an ihr Konzert anzufügen.  Und dann hieß es umbauen, um LBT auf die Bühne bitten zu können.


Leo Betzl Trio – da ging die Techno-Post ab


Auf der Homepage des Trios lesen wir: „Lebendiger Techno. Rein akustisch erzeugt, auf Klavier, Kontrabass und Schlagzeug, ohne Computer oder Synthesizer. Von lyrisch bis minimal, von deep bis industriell: Der Sound von LBT ist facettenreich, dabei stets angetrieben von einer pulsierenden Kickdrum. Ihre Musik ist eine Reise nach innen, lädt zum Träumen genauso ein wie zum ekstatischen Tanzen. Im Modern Jazz groß geworden, nimmt das Trio seine große Liebe zur Improvisation ernst. ...“

Hm, eingefleischte Jazzer, vor allem wenn Bebop und Hard Bop ihre Leidenschaft ist, mussten sich an eine andere Kost gewöhnen. LBT – bestehend aus Leo Betzl (piano), Maximilian Hirning (double bass) und Sebastian Wolfgruber (drums) – heizten mächtig ein. Klang-Stakkatos waren angesagt. Locker machen für eine Klangreise stand auf dem Programmzettel. Angesagt wurde nur zu Beginn, getreu dem Motto, dass alles möglich sei, tanzen, zuhören, klatschen … Und getanzt wurde von einigen wirklich. Da flogen die Beine und die Hände in die Höhe, da wurde nicht nur verhalten mit der Fußspitze gewippt, sondern bisweilen ekstatisch zu Werke gegangen.


Die vorgetragenen Kompositionen wie „Apreggione“, „Smida“, „Sober“ oder „Vernazza“ stammen alle aus der Feder des Bassisten. Diese Kompositionen waren eingerahmt von stark rhythmischen Segmenten. Man stelle sich vor, man sei bei einer Springflut Augenzeuge und die wiederkehrenden Fluten schlagen mit Brachialgewalt gegen geschlossene Flutschutztore. Diese Bild konnte man beim Zuhören vor Augen haben. Dabei wechselten sich kurztönige Passagen mit stark getakteten und rhythmisch aufgewühlten Klangfragmenten ab.

Wesentlich waren nicht nur Delays des Schlagwerks, sondern auch das Spiel auf einem präparierten Flügel, sodass die angeschlagenen Tasten ohne Nachklang blieben. Es war eher ein Blob und ein Tok zu vernehmen, als ein lang anhaltender Klang – und das war Vorsatz und Absicht. Nur hin und wieder verbreitete der gestrichene Bass einen Anschein von Nachhall. Die Bleche des Schlagwerks gaben ein Plink-Plink wider und schienen eher verbeulten Topfdeckeln zu gleichen, die mit Sticks bearbeitet wurden.


Der Bass heulte und ab und an wurde er hochfrequent bearbeitet. Dabei rutschte der Bogen auch dicht an den Steg, kletterte die Hand hoch den Hals des Basses hinauf. Brummender Bass und Gerassel vereinten sich. Tastenschläge wurden zum Klonk-Klonk. Und man sage ja nicht, dass eine klassische Jazztrio-Besetzung langweilig klingt!

Gemorste Dreiklänge entlockte Maximilian Hirning seinem Tieftöner, einem amerikanischen Bass mit verlängerter tiefer Saite. Paukenschläge inszenierte der Drummer Sebastian Wolfgruber. Zerbrochene Klangwellen trafen unter anderem auf Klangstolpern. Auch eine Melodica kam im Konzertverlauf zum Einsatz, im Klang eher an ein Akkordeon erinnernd. Der gezupfte Bass mischte schließlich auch kräftig mit, als der Saal in ein Techno-Klangmeer verwandelte wurde.

Nach und nach verbreitete der musikalische Vortrag Trancezustände jenseits elektronischer Trancemusik. Knackende Tonfolgen breiteten sich im Saal aus. Man musste an angerissene Lamellen einer Daumenharfe denken, oder? Machte uns da nicht Maximilian Hirning denken, es ginge auch um Obertonsingen und um mongolische Folklore, als er das eine oder andere Mal seine Basssaiten zum Schwirren brachte?


Schließlich verneigte sich das Trio noch vor einem der Großen der modernen Musikgeschichte. Dabei handelt es sich um Frank Zappa, der schon früh entgegen aller Widerstände öffentlich Free Jazz mit Fahrradteilen präsentierte. In Gedenken an diesen Zappa-Auftritt -  es handelte sich um die Steve Allen Show: Frank Zappa Playing music on a Bicycle im Jahr  1963 – trugen die drei Musiker von LBT die Komposition „Zappa“ vor. Dabei trommelte u. a. Sebastian Wollgruber auf einem schlauch- und mantellosen Radreifen und Leo Betzl strich mit einem Bogen über eine gespannte Speiche im Korpus des Flügels.

Mit diesem teilweise ohrenbetäubenden Klangerlebnis, das auch durch Mark und Bein ging, endete der erste Tag des Festivals.



27. Oktober 2019



Leléka ...


…  ist die Band der in Berlin lebenden, aus der Urkaine gebürtigen Vokalistin Viktoria Leléka. Der Bandname bezieht sich, so die Bandleaderin auf Nachfrage, auf den Storch als Bote des Frühlings und des Glücks – so die Übersetzung von Leléka ins Deutsche  Im Kontext der Band ist von Folk Jazz die Rede. Was soll das sein? Singer/Songwriter? Joan Baez reloaded? Oder gar Peter, Paul and Mary revisited? Zudem ist auch von Ethno Jazz die Rede. Im Zusammenhang mit einem Festivalauftritt in Lviv wurde die Band mit nachstehenden Worten angekündigt: „Their music is based on the well-known folk Ukrainian songs, which is successfully combined with contemporary European jazz. So, come and feel the magic from the combination of challenging musical improvisations and Ukrainian melos all together!“

Was das Quartett im voll besetzten Felix-Fechenbach-Haus vortrug, waren traditionelle Volksweisen, von denen die Komponisten und Versdichter nicht bekannt sind. Sie entstanden, so Viktoria Leléka, weit vor dem 18. Jahrhundert.

Dass die Texte in Ukrainisch gehalten sind, war kein Beinbruch, denn die Vokalistin war gut aufgelegt und fasste vor oder nach den vorgetragenen Songs den Kerninhalt zusammen. In einem Liedvortrag wechselte sie sogar mittendrin ins Deutsche, eine spontane Idee der Sängerin, die sichtlich Spaß hatte, ein Stück Ukraine an den Main zu bringen.

Wenn Songs im Mittelpunkt stehen, ist stets die Gefahr gegeben, dass sich alles auf die Lyrik fokussiert und die musikalischen Arrangements lediglich der melodischen Unterfütterung dienen. Das war im vorliegenden Fall nicht so. Es gab Raum für Solos; Unisono zwischen Bass und Piano war ab und an angesagt, Schlagwerksolos waren auch auszumachen. Auch das Herunterbrechen des Quartetts in kleinere, intime Einheiten wie bei einem Duett zwischen Sängerin und Schlagzeuger machten deutlich, dass ein Quartett eben kein Monolith ist, jedenfalls nicht für Leléka.


Bei „Oj Tam Jawdoschka“ konnte man in der Eröffnung die sentimentale Linie ganz deutlich heraushören. Grieg und Sibelius waren nicht fern. Das Spiel des schwedischen, aber in Berlin lebenden Pianisten Povel Widestrand erinnerte an das Brechen des Winters, an das sich klirrend auflösende Eis auf dem Wasser, an knirschenden Schnee unter den Stiefeln des Winterwanderers. Nach dieser Einführung betrat Viktoria Leléka die Bühne. Sobald sie anfing zu singen, voll und sicher in verschiedenen Lagen bis in die Spitzen des Soprans, änderte sich der Charakter des Stücks. Die Tristesse schien vergessen, die Winterstarre auch. Irgendwie stellte sich eine gewisse Unbeschwertheit ein, auch wenn der Bass stets auf die Bodenhaftung bedacht war und seine angestimmten Tonfolgen erdfarbene Färbungen aufwiesen. Ein kurzes Schlagwerkintermezzo war in einer Pause des Textvortrags möglich. Und worum ging es textlich? Um Frauen, die ihren Mann auf dem Markt feilboten. Hm, ein durchaus schräges Thema, oder?

Im nachfolgenden Liebeslied namens „Ischto Diwatscha“ wurde aus dem Bass dank der eingesetzten Schlagtechnik beinahe eine Bassgitarre, die längst nicht so schnarrt und schnurrt wie der Kontrabass. Dazu gesellte sich verspielter Gesang. Frühlingsfarben fügte der Pianist mit seinem Fingerspiel im Diskant bei, während der Schlagzeuger dezentes Besenspiel an den Tag legte.


An ein Dorffest mit tanzenden Dorfbewohnern erinnerte „Odna Gona“, wobei reizvolle Duette zwischen Pianisten und Bassisten ins Stück eingewoben waren. Lauschte man, so sah man das Bild von ausgelassen, sich im Kreis drehenden, hüpfenden und hopsenden Menschen, die man auch auf Gemälden niederländischer Genremaler finden kann.

Mit „Dobra Dolja“ wurde ein traditionelles Hochzeitslied vorgestellt, das den Auszug der Tochter aus dem Elternhaus beinhaltet. Mit dem Segen der Eltern geht es dann in ein eigenes Leben, so in Kürze die Zusammenfassung des Textes, den Viktoria Leléka vortrug. Gab es dann nicht auch kurz Anwandelungen an Calypsopassagen in dem Arrangement?

Nicht auf Deutsch, sondern Ukrainisch erklang danach „Die Gedanken sind frei“, immer noch hoch aktuell, gerade in diesen bewegten und politisch unsicheren Zeiten, in denen viele nach einfachen Lösungen suchen und sich wenig Gedanken über die Zukunft machen. Dabei wechselte sich Lyrik mit Scat Vocal ab, drängten gar Afro-Rhythmen in den Vordergrund, dank an Jakob Hegner am Schlagwerk, das er mit seinen Handflächen  und Fingern zum Schwingen brachte.


Und auch das gab es: ein Lied zum Mitsingen. Nachdem sich eine überaus ausgelassene Stimmung im Saal ausgebreitet hatte, folgte mit dem nächsten Stück eine Zäsur. Im Liedtext ging es um einen Mann, der in den Krieg zieht und sich zuvor von seiner Mutter verabschiedet. Im übertragenen Sinne gehe es, so die Sängerin Viktoria Leléka, um den Schrei der Erde nach Frieden und Stille. Angelegt war das Stück im Kern als ein Zwiegespräch zwischen Stimme und Bass. Und nach dem Ende des Liedes schwieg nicht nur die Vokalistin, sondern es war auch still im Saal, betreten still. Der sonst erfolgte Applaus blieb für Sekunden aus, die wie Minuten erschienen.

Mit einem Lied über „Ivane“ verabschiedete sich das Quartett schließlich vom Publikum.


Wolfgang Lackerschmid Connection – Bayernsamba und mehr


Ein Schlagwerk stand im Fokus. Nein, nicht das klassische Ensemble aus Hi-Hat, Toms, Snare, Bassdrum und Becken, sondern das Vibrafon, ähnlich sperrig wie die Hammond B3. Selten ist dieses Instrument im Jazz der Gegenwart geworden. Die Zeiten von Gary Burton und Dave Pike sind Geschichte. Wolfgang Lackerschmid ist heute einer der wenigen bekannten Vibrafonisten. Am Tegernsee aufgewachsen, lebt er heute in Augsburg, wo er auch sein Tonstudio betreibt. In Würzburg war er mit seinem Quartett zu hören und präsentierte dabei gewissermaßen die Suche nach der schönen Melodie, dabei durchaus mit brasilianischem Tropenaroma versehen.

Es sei schon schwierig, so Wolfgang Lackerschmid, in einem einstündigen Konzert die Bandbreite dessen vorzustellen, was in den letzten Jahren entstanden sei. Doch dank einer gelungenen Melange aus Kompositionen Lackerschmids verschiedener Jahre oder besser Jahrzehnte gelang das sehr überzeugend.


Aufgemacht wurde mit „Aint No Sunflower“ (comp. Wolfgang Lackerschmid). Dabei verschmolzen Bill Withers „Ain‘t no sunshine when she‘s gone“ mit Lackerschmids eigenen kompositorischen Ideen. Eingeführt wurde ins Stück gemeinsam, während es dann in der Folge Solos des Vibrafonisten, des Trompeters und des Bassgitarristen zu hören gab. Blechgeschwirr lag unter dem „glockengrellen Flügelhorn“, das mal nicht wie sonst bei vielen Flügelhornisten in Samt eingehüllt und gebettet war. Ryan Carniaux entschied sich für einen anderen Duktus, der die Fülle des Horns sehr gut zur Geltung brachte.

Über die metallenen Klangstäbe tanzten die Schlägel und beschworen den Sonnenschein herauf, ganz im Gegensatz zur Erwartung angesichts des Titels. Weiche Klangstrukturen zeichnete Stefan Rademacher mit seiner Bassgitarre in den Klangraum. Im Laufe des Stücks drängte sich außerdem ein wenig Latin Fever auf, ohne in Son, Salsa oder Bossa zu verfallen. „Ohrschmeichlerische Klangwölkchen“ reihten sich aneinander, auch im Dialog zwischen Vibrafonisten und Flügelhornisten. Als perfekte Ergänzung erwies sich dazu das bedachte und behutsame Drumming von Guido May.


Mit einem unerwarteten Drumming-Solo begann „Climbing Up“ (comp. Wolfgang Lackerschmid). Organisch-leicht agierte Guido May an seiner „Schießbude“. Wellenklänge nahm man wahr, als Ryan Carniaux seine Trompete an die Lippen gesetzt hatte. Er agierte zwischen klanglichen Springfluten und geruhsamen Fahrwasser. Feinstufige Klang-Kaskadierungen waren Wolfgang Lackerschmid zu verdanken. 

Entstanden im letzten Sommer fing Wolfgang Lackerschmid in „Summer Changes“ seine sommerliche Gedanken ein. Angelegt war das Stück als ein ruhiger Walzer mit Solos von Lackerschmid selbst und dem Trompeter der „Connection“. Lauschte man, dann meinte man, ein sanfter Hitzeschwall breite sich aus. Die Langsamkeit des Alltags schien zudem eingefangen zu werden. Selbst Bienen, Hummeln und andere Insekten schienen der sommerlichen Trägheit zu frönen, so eine Assoziation zur Musik. 

Gemeinsam mit seinem damals achtjährigen Sohn Ferdinand entstand das nachfolgende „Samba Gostoso“, nachdem die zuvor dem Sohn präsentierte Kompositionsidee auf Ablehnung gestoßen war – einfach zu kompliziert, befand der Sprössling Lackerschmids. Die Hornstimme mit „Sambaguss“ traf unter anderem auf einen Samba beschwingten Bassisten. Schließlich war auch der Blues präsent, vor allem bei dem Solo von Stefan Rademacher auf der Bassgitarre.


Klangfarbene „Schmetterlinge“ (comp Wolfgang Lackerschmid) flogen leicht und tänzerisch, aber auch mit schnellem Flügelschlag schwirrend durch den Saal, ehe dann Joni Mitchells „Both Sides Now“ erklang, und der Geist der späten 1960er und frühen 1970er Jahre heraufbeschworen wurde, als man noch nicht von Singer/Songwriters sprach, sondern bestenfalls von Liedermachern oder Folksängern. Die Vorliebe für brasilianische Klangfärbungen bündelte die „Connection“ außerdem in „Baierbaiao“, auch von Wolfgang Lackerschmid stammend.


Der Schlussapplaus war nachhaltig und anhaltend. Also musste eine Zugabe her: „The Blue Line“ (comp. Stefan Rademacher). Dabei schienen bei dem einen oder anderen auch Erinnerung an „Fever“ wachgerufen zu werden. Wäre für den Abend nicht noch eine weitere Band verpflichtet worden, Lackerschmid und seine Mitmusiker hätten  wohl unbegrenzt weiter spielen können. So aber hieß es: umbauen, aufbauen und Bühne frei für die Jazzkantine.


Jazzkantine – ein Abschluss mit Hip und Hop


Aus Braunschweig an den Main – Jazzkantine auf dem Jazzfestival Würzburg. Jazzkantine? Bekannt? Unbekannt? Dazu ein paar Worte von der Homepage der Band: „Ausgehend von einer Kernband um Produzent und Bassist Christian Eitner, Tom Bennecke (Gitarre), Andy Lindner (Drums), Stephan Grawe (Keys), Heiner Schmitz (Sax), Christian Winninghoff (Trompete) und den Rappern Cappuccino und Tachi sowie der Sängerin Nora Becker wurden immer wieder namhafte Gäste eingeladen. Xavier Naidoo, Wu-Tang Clan, Laith Al Deen, Götz Alzmann, Smudo, Toshinori Kondo, Sven Regener, Till Brönner oder Pee Wee Ellis – sie alle und viele mehr waren bereits mit den Braunschweigern gemeinsam im Studio bzw. auf der Bühne.“


Im Zusammenhang mit dem 25-jährigen Bandjubiläum tourte die vielköpfige Band Jazzkantine in neuer und erweitereter Besetzung und war eben auch in Würzburg auf der Bühne des Felix-Fechenbach-Hauses. Let‘s Jazz and Rap it – so kann man kurz beschreiben, was Jazzkantine präsentierte. Übrigens, auch „Take Five“ haben die Damen und Herren aus Braunschweig im Repertoire. Dave Brubeck allerdings würde sich die Augen reiben, wenn er hören würde, was aus seinem Jazzklassiker gemacht wurde, oder? Ergo: Es kommt im Jazz nicht darauf an, was, sondern wie du spielst!! In der Ankündigung las man zudem: „Die sechs Instrumentalisten begeistern sich für erdverbundene, handgemachte Musik – Groove kommt von Können. Drei Vokalisten hauen dazu witzige Reime raus: Captain Cappu und T-Rex im HipHop-Stil, Albert N’Sanda als richtig schöner Sänger. Sie spielten vor allem Songs von ihrer neusten Scheibe “Mit Pauken und Trompeten”.

Ja, und dann ging die Post ab, und es wurde beinahe so heiß im Saal wie am Vortage bei der Techno-Jazz-Präsentation von LBT.


Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther



Informationen

http://jazzini-wuerzburg.de

Tag 1

Axis

Line-up
Sarah Buchner (vocals)
Max Arsava (piano)
Jonas Sorgenfrei (drums)
Sebastian Wagner (tenorsax and baritonsax and bassclarinet)

Mehr:
https://www.maxarsava.com


Nighthawks

Line-up
Reiner Winterschladen (trumpet, flugelhorn)
Dal Martino (bass, keys, voc)
Thomas Alkier (drums)
Jürgen Dahmen (rhodes, keys, perc.)
Jörg Lehnardt (guitar)

Mehr:
http://www.nighthawks.eu


LBT

Line-up
Leo Betzl (piano)
Maximilian Hirning (double bass)
Sebastian Wolfgruber (drums)

Mehr:
http://leobetzltrio.de


Tag 2


Leléka

Line-up
Viktoria Leléka (vocals)
Povel Widestrand (piano)
Thomas Kolarczyk (bass)
Jakob Hegner (drums)

Mehr:
https://de-de.facebook.com/lelekaberlin/
www.leleka.de


Wolfgang Lackerschmid Connection

Line-up
Wolfgang Lackerschmid (vibraphon)
Ryan Carniaux (trumpet)
Stefan Rademacher (bass)
Guido May (drums)

Mehr:
http://www.lackerschmid.de/


Jazzkantine

Line-up
Cappuccino aka Captain Cappu (voices)
Tachion aka T-Rex (voices)
Albert N´Sanda (vocals)
Christian Eitner aka Grandmaster Chriz (bass)
Tom Bennecke aka aTOMic Bee (guitar)
Christian Winninghoff aka Win C Jones (trumpet/flugelhorn)
Heiner Schmitz aka Smith the Cat (saxophon)
Stephan Grawe aka Chief Steve (keys)
Andy Lindner aka AL Funky (drums)

Mehr:
https://www.jazzkantine.de/band/


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