Der Georg Kreisler kreiselte in der cuba Black Box (Münster) 27.12.2015

Die Festtage gehörten der Vergangenheit an. Die Gruppe Wellness feat. Marie Daniels lud in die Black Box nicht zum Wellnessabend ein, wie man vielleicht auf den ersten Blick meinen konnte. Nein, Hot Stone Massage, Bachblütentherapie oder Fangopackungen gehörten nicht zum Programm. Die eigenwillig vertonten Liedtexte Georg Kreislers standen im Mittelpunkt des Abends, kein traditioneller Liederabend, weiß Gott nicht. Wie aktuell und politisch hochbrisant Georg Kreislers Texte auch im heutigen gesellschaftlichen Kontext sind, konnte jeder nachvollziehen, der aufmerksam den vorgetragenen Liedern folgte.

Kreisler, in Wien geboren und in Salzburg im November 2011 verstorben, war für viele seiner Zeitgenossen eine Hassfigur. Zeit seines Lebens wehrte er sich dagegen, als Kabarettist und als Österreicher bezeichnet zu werden, denn er besaß, darauf wies er stets hin, die us-amerikanische Staatsbürgerschaft. Eine spitze Feder konnte er schwingen und zu volksliedhaft anmutenden Melodien seine bitterbösen, satirisch-ironischen Texte singen.

Das „Kapitalistenlied“, „Das neue Spiel“, „Meine Freiheit, deine Freiheit“, natürlich „Gehn wir Tauben vergiften im Park“ - Kreislers wohl bekanntestes Lied -, „Wir sind alle Terroristen“ und „Schützen wir die Polizei“ gehörten zum Repertoire von Wellness, das zu hören war. Kreislers Melodien waren präsent, auch wenn mit Kindertröte, Tortenblech, Saxofonen, Kette, Schellenbaum und Klangstäben allerlei „Klamauk“ auf der „Bühne“ präsentiert wurde. Kreisler hatte sich bei seinen Vorträgen nur eines Pianos bedient.

Besonders bei dem Stück „Neues Spiel“ liefen die Musiker von Wellness, Julius Gabriel, Florian Walter, Fabian Jung und Marie Daniels, zur Hochform auf. Fabian Jung agierte mit einem um den Kopf gebundenen Schellenbaum, mit dem er auf die kleine Trommel schlug. Julius Gabriel setzte sich zum Saxofonspiel auf den Boden und hatten seinen Kopf mit einem Putzlappen bedeckt. Florian Walter nutzte das Mundstück seines Saxofons, um Klangwolken zu erzeugen. Marie Daniels war als Vokalistin eher Beobachterin und zeigte sich am Schluss von „Neues Spiel“ in ihrem Kurzkommentar vom schönen Spiel sehr angetan.

Also Vorhang auf für Wellness und auch für einen Mann, dem unter anderem nachfolgende Zeilen eingefallen sind: „Wir sind doch alle, alle, alle Terroristen. / Es lebt in ganz Deutschland kein Demokrat. / Wir sind Terroristen gegen die Frauen, / gegen die Kinder, die uns vertrauen, / aber nicht einer gegen den Staat. ...“. Als sich im übertragenen Sinne der Vorhang in der Black box hob, war kein Musiker weit und breit zu sehen, aber die Musiker waren zu hören. Sie marschierten musizierend in die Black Box ein. Es klang ein wenig so, als würde der Spielmannszug vom Dorf vorbeschauen: Tuten, Pfeifen, Schnalzen und ein wenig Humpda-Humpda. Dann, ja dann vernahmen wir ein Duett zwischen Bariton- und Altsaxofon sowie anschließen die ersten Zeilen des „Kapitalistenlieds“. Dabei rumorte es gewaltig. Bajuwarisch angehauchte Rhythmen waren zu hören, die der Schlagzeuger auf seine Weise spielte und gegen die er zeitweilig auch rebellierte. Bariton- und Altsaxofon waren sich einig, ließen sich jedoch von Fabian Jungs Schlagwerkspiel treiben. Aus der Marschweise entwickelte sich mehr und mehr ein freies Spiel, das nach Attacke, Aufruhr, Aufstand und Alarm klang. Derweil sang Marie Daniels: „Ja, wer sagt denn, daß ich auch jemand töten muss / Wenn ich überdies zufällig wirklich schieß, / Sag mir, wer von euch das für eine Drohung hält, / Wenn die Kugel fliegt und jemand fällt. ...“.  Trillernde Saxofone, schreiende Saxofone, schnelle Beats des Schlagzeugs, ein Furioso und dann war alles vorbei.

Schwarzhumorig ging es im Programm weiter, denn als Nächstes luden uns die vier Musiker zu ihrer Form von politisch-musikalischer Gesundheitskur ein. Der Song „Wir sind alle Terroristen“ stand auf dem Programm. Begonnen wurde mit einer kurzen Improvisation, bei der Kontrabassklarinette und Tenorsaxofon schrillten, brodelten und schnalzten. Marie Daniels fügte dazu ihre eigene vokale Note hinzu. Sticks ließ Fabian Jung auf flache Blechnäpfe und seine Trommeln niederprasseln. Zum „Duett“ von Kontrabassklarinette und Tenorsaxofon steuerte Marie ein „Hrhrhr“ bei. Finger wanderten übers Blech, dank sei Fabian Jung. Ja und dann erfolgte die „Botschaft“: „Wir sind doch alle, alle, alle Terroristen. Es lebt in ganz Deutschland kein Demokrat ...“ Dank des Sprechgesangs und der dezenten instrumentalen Begleitung – teilweise verwandelten sich Saxofon und Klarinette in Atemrohre – war der Text sehr gut zu verstehen: „Die meisten schrein schon früh am Morgen: Na, was ist denn? / Warum funktioniert nichts? Ist denn keiner auf Draht? / Wir sind Terroristen gegen die Liebe, / gegen die Faulenzer, gegen die Diebe, / aber nicht einer gegen den Staat.“

Das Schlagwerk rührte sich dann kommentierend mit aller Kraft, die ein Schlagzeuger für sein Instrument nur aufbringen kann. Und weiter ging es im Text, wobei Fabian Jung in steten Abständen mal einen harten „Paukenschlag“ dazwischensetzte: „So lebst du mit dem Staat, das ist bequemer. / Du lernst die Hymne und den Badenweiler Marsch. / Du wirst Beamter, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, / gehst in Pension und denkst: Ach, leckt mich doch am Arsch. / ….“ So als ob die anderen Musiker nur auf das Stichwort „Badenweiler Marsch“ gewartet hatten, verfielen Kontrabassklarinette und Saxofon in einen Marschmodus, unterstützt dabei vom Schlagzeug. Jedenfalls wurde allen in der schwarzen Kiste mal kräftig den Marsch geblasen. Dass am Ende das Handy von Fabian Jung klingelte, war natürlich, wie alle Musiker einhellig bestätigten, Teil der Dramaturgie!

Ein Stück Ruhrgebiet kam mit dem Titel „Gelsenkirchen“ ins Münsterland. „Das gibt es bei uns nur in Gelsenkirchen, in unserer einzigen Brennstoffdemokratie ...“ war nur eine Zeile, in der sich Kreislers Ansicht zum Ruhrgebiet bündelt. Doch ehe es um die kleinen feinen Unterschiede zwischen Gelsenkirchen, Berlin und Paris ging, hieß es zu Beginn: „Was seh in der Ferne ich blitzen? Vom Kirchturm die Spitzen. Die Heimat ist nah. Was hör ich hier in der Menge?“ Dazu trötete Fabian Jung in seine Kindertröte. Julius Gabriel entlockte seinem Holzbläser tieftöniges Gebrumme und Gemurmel, während Florian Walter sich aufgeregt-nervös zu Wort meldete. Schließlich ging aufs Blech des Schlagwerks ein Schlägel nieder, immer stetiger. Im Verlauf änderte sich jedoch der musikalische Duktus. Man hatte den Eindruck, Bänkelgesang erhielte die Oberhand. Doch das war nur ein Zwischenspiel, das sich in freien Formen auflöste.

Sang das nicht Marie Daniels statt der Textzeilen auch so etwas wie Fiep und Hmhm und Dipdipdap?. Ein Kuchenblech wurde zum Teil des Spiels, in das sich Julius Gabriel am Baritonsaxofon einmischte. Klappengeräusche gehörten zum Klangbild, aber auch der einfache Luftstrom, der durchs Mundstück in das Saxofon geblasen wurde. Und so verflog die Zeit, in der wir mit Blumenkohl, Steinkohle und dreckige Kohle aus Gelsenkirchen konfrontiert wurden.

Passend zu den milden Temperaturen präsentierte uns Wellness dann ein „Frühlingsmärchen“, ehe als letztes Stück vor der Pause „Schlagt sie tot“ angesagt war. Beim Hören dieses Werks von Kreisler stockte den Zuhörern gewiss der Atem, auch wenn klar war, dass es sich um Satire handelt: „Wenn dich kleine Kinder stören, schlag sie tot, auch wenn sie dir selbst gehören, schlag sie tot ...“ Kreisler verarbeitete nicht nur in diesem Text die menschlichen Abgründe, zudem den Hass, den er selbst erlebt hatte, als die Nazis das Zepter in der Hand hielten. In seiner Satire werden Kommunisten, Tintenpisser, Negerfratzen, Libanesen und Zigeuner totgeschlagen. „mausetot frißt kein Brot“, formulierte er noch obendrein. „Komm mir nicht mit Demokraten, das sind Todeskandidaten“, reflektiert die Verlogenheit der Nachkriegsgesellschaft in Österreich wie auch anderswo. Kreisler hat diese mit scharfer Zunge aufs Korn genommen. Wellness transportierte Kreislers Worte in die Jetztzeit.

Nach einer kurzen Pause ging es mit dem musikalisch-literarischen Abend weiter. Und mit welchem Lied begann Wellness? Ja, keine Frage: Wir gehen mal Tauben vergiften im Park. Ein Kreislerabend ohne dieses Lied wäre wirklich sehr unvollkommen. „Schatz, das Wetter ist wunderschön, / Da leid ich’s net länger zu Haus! /Heute muß man ins Grüne gehn, / In den bunten Frühling hinaus! / Jeder Bursch und sein Mädel / Mit einem Freßpaketel / Sitzen heute im grünen Klee, / Schatz, ich hab eine Idee!“ Marie Daniels fiel dabei hier und da in die Rolle einer Couplet-Sängerin, und der eine oder andere Zuhörer war unter Umständen geneigt, dabei an Lotte Lenya („Lied von der Seeräuber-Jenny“) und an Claire Waldoff zu denken.Wir hörten die Tauben auf der Bühne gurren – dank an die Kontrabassklarinette –, und die Vögel pfeifen und trällern – dank an Marie Daniels und ihre Stimme. Im weiteren Vortrag war der Zuhörer nicht sicher, ob nicht gerade auch Modern Jazz ein Revival feiert. Gurr, gurr, rassel, rassel, gurr, gurr und am Ende gibt es noch einen geblasenen Taubenschiss.

Mit „Meine Freiheit, deine Freiheit“ bekamen die Zuhörer in der Black Box den Spiegel vorgehalten, eigentlich von Kreisler, aber nun von Marie Daniels: „Warum sind die Leute so träge / befreien sich nicht aus der Not ...“ Danach folgten die Lieder „Warum“, „Der Ausländer“ und „Neues Spiel“. Zum Abschluss des Abends stand „Schützen wir die Polizei“ auf dem Programm. Ohne Zugabe wollten die Zuhörer Wellness nicht abtreten lassen. Doch wie Fabian Jung gestand, gab es kein weiteres Lied von Kreisler, das Wellness im Programm hatte. Schließlich gab es dann doch noch eine Zugabe. Sie wurde mit der Bemerkung angekündigt, dass man nicht wisse, ob sie funktioniere. „Beim letzten Mal hat es nicht geklappt!“ so Julius Gabriel lakonisch. Infernalisch fiel dann der musikalische Geräuschnachtisch aus. Dann waren die Tauben vergiftet, die Kinder totgeschlagen und das neue Spiel gespielt. Gute Nacht miteinander.

Text und Fotos © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Musiker
Julius Gabriel
http://juliusgabriel.yolasite.com/

Florian Walter
http://florianwalter.yolasite.com/termine.php

Marie Daniels
http://mariedaniels.de/

Musik von Georg Kreisler
Georg Kreisler Kapitalistenlied
https://www.youtube.com/watch?v=fkaYbUcqFU8

Georg Kreisler Gelsenkirchen
https://www.youtube.com/watch?v=F3XGBJnUMIY

Georg Kreisler Tauben vergiften im Park
https://www.youtube.com/watch?v=TiH5BsVTcyg

Georg Kreisler Schlag sie tot
https://www.youtube.com/watch?v=1H0RqzfRCd4

Veranstaltungsort cuba Black Box
http://www.blackbox-muenster.de/index.php?id=programm&no_cache=1


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