17. Jan. 2020 Bielefeld
Das einzige „Basssaxofon-Quartett des Universums“ gab sich am Freitagabend die Ehre. Es spielten mit ihren tiefgründigen und tieftönigen Holzbläsern die im Folgenden genannten Musiker auf: Wollie Kaiser (Köln/Saarbrücken), Andreas Kaling (Bielefeld), Jan Klare (Münster) und Dirk Raulf (Köln), der ursprünglich aus dem ostwestfälischen Lippstadt kommt.
Einige Pressestimmen vorab: „Grandiose Blechverschwendung“ titelte die FAZ etwas abwegig in einer Besprechung eines Konzerts in der Alten Oper Frankfurt, und der Berichterstatter der Frankfurter Rundschau hörte „eine raffinierte Form des Anarchischen“. Erschienen sind unterdessen von diesem „Blechblasquartett“ fünf Alben, zuletzt: „The Dark Side of Deep Schrott Vol.3 – Drones & Spirals“.
Heavy Metal Music stand im Bunker auf dem Programm, aber nicht in der Art, wie sie die Wacken-Gemeinde liebt. Ja, es war im Kern Blasmusik, aber eben jenseits von Humpdahumpda. Eigentlich bedarf die Musik des Quartetts einer Raumfülle, wie man sie in einer Tropfsteingrotte oder in unterirdischen Wasserreservoirs findet. Nun gut, auch ein gotisches Kreuzgewölbe wäre ein idealer Resonanzkörper. Doch all das bietet der Tiefbunker am Ulmenwall eben nicht. Eher trocken ist die Akustik, auch wenn der Bunker an diesem Konzertabend beinahe bis auf den letzten Platz gefüllt war.
Das begrenzte Raumprogramm machte wohl auch die kreisförmige Aufstellung der Musiker notwendig. Sie bildeten so eine abgeschlossene Einheit, zumeist dem Publikum den Rücken zuwendend. Das tieftönige Wechselspiel stand im Fokus. Alle vier Musiker schienen so auf sich und die Mitspieler auch räumlich fokussiert. Hätte man nicht auch in einem Halbkreis spielen können, also in einer eher offenen Form gegenüber dem Publikum?
Inhaltlich-musikalisch stand sowohl die Präsentation der jüngsten CD-Veröffentlichung auf der Tagesordnung wie auch ein Jahresrückblick auf das Jahr 1969, dem Jahr des Woodstock-Festivals. Doch nicht die musikalische Rückbesinnung auf Sex and Drugs and Rock 'n Roll stand am Konzertbeginn, sondern ein Lamento namens „Epitaph for Stanko“, eine Hommage an den auch als „Edgar Allan Poe der Trompete“ bezeichneten, 2018 verstorbenen polnischen Trompeter Tomas Stańko. Musikalisch wurde Getragenheit zelebriert, Düsternis und Abendstimmung heraufbeschworen. Hier und da schien auch ein Choral durch, wurde nicht allein Tieftönigkeit entfaltet. Lyrische Zwischenspiele waren zu vernehmen. Doch der getragene Trauerzug war schon allgegenwärtig. Hätte man nicht die vier Basssaxofone im Blick gehabt, so hätte man beim Klangbild auch an Waldhörner und Alphörner denken können. Passend war die Musik zum gegenwärtigen trüben Winterwetter, das Schwermütigkeit heraufbeschwor, wie eben auch der musikalische Vortrag. Da war nichts von der entfesselten Lebenslust der 1960er Jahre zu spüren, denen sich das Quartett in seinem Rückblick auch widmen wollte.
Den Zeitgeist der Generation Woodstock ließ das Ensemble mit der Komposition von Peter Green von Fleetwood Mac aufleben. Neben dem thematischen Arrangement für vier Tiefsttöner war Wollie Kaiser sprechgesanglich mit Teilen des Songtextes im Original und in deutscher Übersetzung zu hören. In der musikalischen Interpretation orientierten sich die vier Musiker am Original, was hohen Wiedererkennungswert bedeutete, mal vom Klappengezappel und der hörbaren zirkulierenden Atmung abgesehen. Das Gebläse war rockig und sehr lebendig, welch Kontrast zum Eingangsstück.
In einem Arrangement von Jan Klare wurde Yes mit ihrem ersten Album wiederbelebt, orchestral im Kern und mit solistischen Einwürfen aufgelockert. Hier und da war „Yesterday And Today“ einer Ballade sehr ähnlich. Wer das sehr lyrische Original kennt, der wurde durch zeitweilige feine Tönungen des Ensembles jenseits von Bassrauschen daran erinnert.
An die Mondlandung vor mehr als 50 Jahren im Rahmen der Mission der Apollo 11und das Schicksal des Astronauten, der im Raumschiff verbleiben musste, erinnerte „Lunar“. Während alle Welt über Neil Armstrong und Buzz Aldrin sprach, geriet der dritte Astronaut in völlige Vergessenheit. Monotones Bassgesurre und -gebrumme drangen an die Ohren der Anwesenden, die musikalisch auf eine Umlaufbahn mitgenommen wurden. Unisono und im Wechselspiel der vier Musiker war dies wahrzunehmen. Ab und an wurden aber die Tiefstlagen verlassen, wechselten die Musiker auch ins Bariton, wenn nicht gar ins tiefe Tenor, oder? Insgesamt überwog musikalisch aber die Vorstellung eines röhrenden Malstroms. Donnerhall und stürzende sowie rollende Wassermassen konnte man sich zur Musik vorstellen.
50 Jahre Woodstock feierte man 2019. Eine solche Feier kann ohne Jimi Hendrix und „Purple Haze“ nicht auskommen. Nein, Jimis schnoddriger Sprechgesang war nicht Teil des Vortrags von Deep Schrott und dennoch konnte jeder, der im Bunker war, eine Zeitreise ins Jahr 1969 unternehmen. Dafür sorgten schon die Konturen und Linien, die das Ensemble musikalisch entwickelte. Stets war das Thema erkennbar und nicht von freien Improvisationen stark überlagert.
Im Lauf des Abend wurde nochmals wie zu Beginn eines Musikerkollegen gedacht: Jóhann Jóhannsson, ein isländischer hoch ausgezeichneter Filmmusikkomponist, 1969 geboren und 2018 an einem tödlichen Medikamenten-Kokain-Cocktail verstorben. Keiner aus der Generation 27 wie Janis Joplin oder Jimi Hendrix, aber ... Für einige Augenblicke wurden die Anwesenden der Welt von Rock around the clock tonight entrissen. Ein Requiem erklang. Die Tieftöner ließen dazu in dunklen Tönen eine “Grabrede” erklingen. Make love not war, das Motto von den späten 1960er Jahren war in weite Ferne gerückt.
Zu Beginn des zweiten Konzertteils meinte man ein Ensemble von Maultrommlern zu vernehmen, auch wenn Basssaxophone zum Schnarren, Schwirren, Gurren, Brausen und Rauschen gebracht wurden. Noch so ein “Meilenstein” im Jahr 2019 war der 20. März 1969, die Vermählung von John Lennon und Yoko Ono.. Lennon besang dieses Ereignis im letzten Nummer-Eins-Hit der Beatles: "The Ballad of John and Yoko". Nun spielte Deep Schrott nicht diesen Hit, sondern ein “Medley” aus “Strawberry Fields forever” und “Come together”.
Danach ein Wechsel im Duktus und in der Zeitenfolgen, als ein Stück des englischen Komponisten Gustav Holst erklang, ein Satz aus einer mehrteiligen Suite namens “The Planets”. Daraus stand “Saturn” auf dem Programm. Doch was hat eine Komposition, die zwischen 1914 und 1916 entstand, eigentlich mit 1969 zu tun? Sirenengesang schien aus der Ferne wahrnehmbar. Sphärisches drang an unsere Ohren, bildlich durch dichte Nebelschwaden dringend. Gab es nicht auch analoge Loops zu vernehmen?
Im Verlauf des Konzerts wurde an die Musik von Scott Walker ebenso gedacht wie an die von King Crimson. Zum Schluss gab es als Zugabe noch den “Simple Song” zu hören. So endete mit ein wenig “Bassklamauck” ein Abend, der nicht nur ausgelassenen Rock mit Gebläsesturm präsentierte.
Text und Fotos © ferdinand dupuis-panther
Informationen
www.deepschrott.de
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/d/deep-schrott-the-dark-side-of-deep-schrott-vol-2/
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