Kulturort Depot, Parzelle Dortmund, 13.4.2024
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Schon einmal von der Straße der Industriekultur gehört? Nein, sie führt entlang der wichtigsten und sehenswerten Zeugnisse der Industriekultur durch das Ruhrgebiet. Der heutige Kulturort Depot im Norden Dortmunds ist Teil dieser Industriekultur und zugleich auch Spielort für Jazz und Artverwandtes. Organisiert werden Konzert-Veranstaltungen durch den Parzelle e.V. , der neben einem Kino, einem Theater, Ateliers und einem Restaurant im ehemaligen Straßenbahndepot beheimatet ist.
Die Ursprünge der Straßenbahn in Dortmund
Kurz ein Exkursion zur Geschichte des Depots und der Dortmunder Straßenbahn eingeschoben, bevor die Konzertbesprechung folgt: Im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es bereits Straßenbahnen in Dortmund, erst von Pferden gezogen, dann im Dampflokbetrieb und schließlich als sogenannte Elektrische. 1906 übernahm die Stadt den Betrieb der Straßenbahn. Ein Jahr später wurde der Betriebshof mit Büros an der Immermanstraße erbaut. Neben Wagenhallen wurde eine Hauptwerkstatt errichtet. Seit Jahrzehnten sind die Straßenbahnen aus dem Depot Immermannstraße verschwunden, wenn auch nicht vollständig, da in der großen Halle mit Haupteingang zum Kulturort eine alte Straßenbahn an die ursprüngliche Nutzung erinnert.
CD-Release-Konzert
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Aus Anlass des Erscheinens ihres Albums „how long is now“ spielten Tobias Delius (Tenorsaxophon, Klarinette), Jasper Stadhouders (Gitarre), Antonio Borghini (Kontrabass) und Christian Marien (Schlagzeug) auf. Und im Vorwege des Konzerts lasen wir unter anderem folgende Zeilen: „Musik hat die Kraft, im Kleinen zu finden, wonach wir im Großen suchen: frei sein, den Moment so nehmen wie er ist und wissen: Nur gemeinsam kommen wir an diesen ersehnten, anderen Ort. Frei nach Ornette Coleman: „Beauty is a rare thing“.“ Angesichts dieses Bezugs zu einem der Granden des Jazz durfte man auf den Auftritt des Quartetts um den aus dem Münsterland gebürtigen Schlagzeuger Christian Marien gespannt sein. Dieses Konzert wurde ermöglicht durch den Programmpreis Applaus, mit dem der Parzelle Verein e.V. im Herbst 2023 ausgezeichnet wurde.
Liner Notes als Orientierung
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Wenn auch Kompositionen auf dem Programm standen, so ging es darum, diese immer neu zu erfinden, dabei auch immer aufs Neue Improvisationen vorzustellen und den Fokus auf diese zu richten. Mit anderen Worten: „… Mit den Elementen des Jazz auf so klare Weise zu spielen, sie zu brechen und dabei so viel Spaß zu haben, die Komplexität einzufangen und sie so natürlich erscheinen zu lassen – das ist, als würde man aus einem Flugzeug fallen und gleichzeitig versuchen zu tanzen.” So ein Auszug aus den Liner Notes, verfasst von Clayton Thomas. Und Christian Marien betonte zu Beginn des Konzerts, dass es genau darum ginge, Wege im Hier und Jetzt zu finden, den Moment mit Klängen zu füllen und die anwesenden Zuhörer mitzunehmen. Ansonsten verzichtete der Schlagzeuger Marien weitgehend auf Zwischentexte oder Verweise auf die Titel der Stücke.
Klangkontinuum in der Parzelle
Dadurch ergab sich ein Klangkontinuum mit Pausen zwar, aber eben ein steter Fluss, eine stete Interaktion zwischen den Musikern. Ob nun in der Eröffnung “40 Love/Goldrausch“ gespielt wurde, gefolgt von „The Lobster“ und „Lilly/Doppelhertz“ schien nebensächlich. Auch wenn man schon gerne erfahren hätte, ob das Live-Konzert der Dramaturgie mit Eigenleben folgte oder aber das Arrangement der CD umgesetzt wurde. Das galt auch für weitere Tracks wie „The Landing“ und „28-4/Pattersson Blues“ und schlussendlich „Deesse“. Wie gesagt, eine mitreißende Dynamik durchzog das Konzert, da gab es nie Flachgewässer, sondern Meerestosen mit Schaumkronen, Eruptives und Explosives, Lavaströme, hier und da melodiöse Schraffuren und Farbfelder, bisweilen auch Songhaftes, das jedoch nicht belanglos-gefällig daherkam.
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Zu Beginn traf der Saxofonist mit seinem gesamten Stimmvolumen auf das Besengewische von Christian Marien, der zudem eine Hand als Dämpfer auf das fest gespannte Fell der Snare gelegt hatte. Streichende Finger auf den Gitarrensaiten führten zu einem gewissen Klangschwall, der begleitet wurde durch das „Saitenklappern“, das dem Bassisten geschuldet war. Kurzwellensignale mit Störeinfällen breiteten sich kurz aus. Zerbrechlich und hochtönig klang das, was der Bassist zum Arrangement der Klänge beitrug, als er jenseits des Stegs die vier Saiten seines Basses anzupfte. Perkussives lag in den Händen des Gitarristen, der nicht nur zu Beginn sein Instrument mit Fingern, aber auch mit einem Stück Bewährungseisen und einem unbearbeiteten „Schieferkeil“ bearbeitete. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Bisweilen meinte man, Jasper Stadthouders verwandele sich in einen bildhauernden Künstler, der an seinem Instrument feilte, um es in eine andere Form zu bringen. Mit langem Bogenstrich brachte Antonio Borghini die dunklen Saiten zum Schwirren.
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Was wir im Weiteren hörten, vor allem dabei der Saxofonist als federführender Instrumentalist, ließ sich mit bewegt, aufgewühlt, schräg gebürstet umschreiben. Aber neben dem Eruptiven ließ der Saxofonist auch ein „Gleichwort“ erklingen. Zweier- und Dreiersprünge steuerte der Gitarrist bei. Dass auch der Korpus der einzelnen Teile des Drumsets für Resonanzen gut ist, unterstrich Christian Marien, unter anderem mit Schlägen auf den Korpus der Toms. Besenschläge muteten im Übrigen wie Peitschenhiebe an. Über drei Bünde ließ der Gitarrist derweil seine Finger spielen. Dabei riss er kurz eine Melodie an, die er aber nicht weiterentwickelte, sondern abbrach. Röhrend äußerte sich der Saxofonist zu diesem „Melodiespiel“.
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Manchmal schienen die Mitglieder des Quartetts auf unterschiedlichen Umlaufbahnen unterwegs zu sein, um dann im nächsten Moment auf die eines der anderen Mitspieler einzuschwenken. Samtenes drang an unsere Ohren, als Tobias Delius zur Klarinette griff und melodische Verschleifungen präsentierte. Es gab aber auch Aufschreie und „Nachschreie“ sowie ein hintergründiges Taktaktaktak zu rhythmisch strukturierten Gitarrenpassagen und klopfenden Fingern auf dem Basskorpus.
Nachfolgend eröffnete Christian Marien als „Taktgeber“ den Klangfluss, trommelte auf Snare und Tom. Der Bassist suchte und fand darauf seine Antwort. Was wir hörten glich schnellen, sich entfernenden Schritten auf dem Pflaster. „Tanzendes Blech“ erlebten wir und ein Grummeln und Röhren des Saxofonisten. Im Folgenden meinte man, die vier Musiker im Bühnenraum würden eine würzige Klangsuppe zum Köcheln bringen. Jeder trug dazu seine Zutaten bei.
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Auf- und Abschwünge der Klanglinien erlebten wir, dank an Tobias Delius. Eine dramatische Inszenierung nahm ihren Lauf. Die Musiker steuerten einen Höhepunkt an, der sich nachfolgend auffächerte und wie ein Geysir im Nachgang versiegte. Klangsplitter reihen sich aneinander. Flageolett vernahm man und ebenso den Klang von Snare, Hi-Hat und großem Blech, über die die Sticks in den Händen Mariens tanzten. Auch ein Drumming-Solo wurde zum Besten gegeben. Live durchaus nicht unüblich. Das klang nach Action Painting in Grau und Weiß. Auch in einem Duett zu erleben waren der Saxofonist und der Gitarrist; dabei schienen beide ihre jeweiligen Sequenzen aufzuspüren und diese zu modulieren. Oh, da wurde dann auch Mariens Oberschenkel Teil des Perkussiven, erlebte man das Klatschen der Hände auf dem Schenkel. Nach einem „Klarinettensäuseln“ erlebten wir den Bassisten als Solisten. Wechselsprünge waren auszumachen, bildhaft das Springen von Kindern über mehrere Treppenstufen. Und zum Schluss des Tracks wurde es gar lyrisch.
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Obwohl Stadhouders keine Dobro und auch kein Banjo unter seinen Fingern hatte, so klang es in doch nach diesen Instrumenten, als das nächste Stück seinen Anfang nahm. Dass der Steg des Basses keine Barriere fürs Bespielen der Saiten ist, unterstrich der Bassist im Weiteren. Irgendwie gewann man beim Folgenden den Eindruck, da werde auch ein wenig Rap ohne Gesang zelebriert, folgte man den weiteren Klangwellen. Jedenfalls schien der Gitarrist das anzudeuten. Und dann tanzte auch ein Löffel über die Saiten. Bedächtig und leise äußerte sich dazu der Saxofonist. Tropfende Trommelschläge und den Klang einer Schlitztrommel hörten wir oder meinten zumindest, dies zu hören.
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Das war nur die Ouvertüre und das Hauptstück schien der zweite Set. Da zog ein Ozeanriese mit Getute an uns vorbei, dank an Tobias Delius. Rockige Anmutungen waren dem Gitarristen zu verdanken, ohne dass es nun reinen Jazz Rock zu hören gab. Der Bass knarrte und knarzte, so als sollte eine knarrende Tür imitiert werden. Besengefege war wahrzunehmen. Langatmige Bassschritte waren Teil der Dramaturgie, ebenso wie das „Raspeln“ auf den Gitarrensaiten. Die rechte Hand des Gitarristen führte einen Metallstab über die Saiten, gelegentlich ersetzt durch ein Schieferstein. Hier und da meinte man, eine Drehorgel klanglich zu hören. Gestrichene Atemluft wurde durch das Saxofon geblasen. Dam-Taktak, Damdam-Taketake – so äußerte sich der Schlagzeuger. Über diesem rhythmischen Schema breitete der Saxofonist seine Klangwelt aus.
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Wie im ersten Konzertteil war das Quartett kein Monolith, sondern spaltete sich während des zweiten Teil des Konzertabends auf, bildeten sich Paarungen. Und gegen Ende des Konzerts gab es nicht nur Fragmente des Melodiösen, sondern durchaus auch Liedhaftens jenseits eines Lullaby. Der Schlussapplaus war nachhaltig, sodass es noch ein Encore gab, ehe man in die laue Nacht hinausging, immer noch ein eindrucksvolles Klangerlebnis im Kopf
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Venue
https://www.parzelledortmund.de
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Musiker
Tobias Delius - Tenorsaxophon, Klarinette
Antonio Borghini - Kontrabass
Jasper Stadhouders - Gitarre
Christian Marien - Schlagzeug
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