Nach einem zweitätigen Workshop war es dann für die überwiegend jungen Musiker soweit: Das, was erarbeitet worden war, wurde vorgestellt, angefangen bei „Mercy Mercy“ über „Watermelon Man“ und „Buyo“ sowie „Blue Skies“ und „Gentle Rain“ bis hin zu „Under The Sea“ und „Up Where We Belong“, letzteres Stück als Zugabe. Die Sitzplätze in der Antoniusschule in Beckum reichten nicht für alle, die gekommen waren, sicherlich überwiegend Eltern, Tanten, Onkel und Geschwister, sprich die Familien derer, die sich da mit ihren erarbeiteten Leistungen zeigten. Unterschiedlich waren die Besetzungen, teilweise auch außergewöhnlich, denn eine Geige im Jazz wie bei der Beckumer Jazzband und bei Jazzify ist schon recht selten geworden. Die Tage von Didier Lockwood oder Michael Urbaniak liegen halt in der Vergangenheit. Bei diesen Musikern war die Geige auch das Leadinstrument, anders als bei den genannten Combos, die sich während des Workshops gebildet hatten.
Das Jazzforum Beckum existiert seit nunmehr zwölf Jahren. Spiritus Rector dieser Veranstaltung ist der Münsteraner Trompeter Christian Kappe, der auch an der Kreismusikschule in Beckum unterrichtet. Maßgebliche Unterstützung für ein solches Projekt leistet in finanzieller Hinsicht die ortsansässige Volksbank. Kein Wunder also, dass sie auch per Werbebanner deutlich in der Aula der Kreismusikschule präsent war.
Vier Projekte wurden vorgestellt. Sie hätten nicht unterschiedlicher sein können, auch bezüglich des Niveaus. Hier und da gab es noch Unsicherheiten, war die Nervosität zu spüren, sodass nicht jeder Trompeten- und Flötenton saß oder jede Bassphrasierung flüssig von der Hand ging. Das war aber auch abhängig von den Vorkenntnissen der Workshopteilnehmer und deren kurzer oder längerer Spielpraxis.
Song for Beckum
Den Auftakt machte die Beckumer Jazzband, die sich neben einer klassischen Rhythmusgruppe mit einem Geiger, einem Trompeter, einer Flötistin und einem E-Gitarristen in Szene zu setzen verstand. Insbesondere der E-Gitarrist schien schon länger dabei zu sein, gelangen ihm doch recht leicht durchweg schöne Paraphrasierungen.
Überraschend war die Spieltechnik der sehr jungen E-Bassistin aus Stadtlohn, die mit gleichsam stoischer Ruhe, aber souverän ihren Part ausfüllte. Dass das Thema von „Mercy Mercy“ nicht stets so frisch und flott wie bei Cannonball Adderley daherkam, für den Joe Zawinul diesen souligen Song geschrieben hatte, war nicht unbedingt ein Beinbruch. Wir erlebten ja die nächste, wenn nicht gar die übernächste Generation des Jazz und die braucht halt Zeit zur Reife. Auch der nachfolgende Titel mit einem starken Bass-Intro – gespielt wurde „Human“ von Rag 'n Bone Man, – hatte eine soulige, wenn nicht gar eine funky Note. In diesem Stück konnte sich auch die Flötistin solistisch von ihrer besten Seite zeigen. Dazu gesellte sich eine sanft gestimmte Geige, die eher nach Singer/Songwriter und nach den Harmonieschemen von „Eleanor Rigby“ klang. Zum Schluss hieß es dann „Song for Beckum“, geschrieben vom Musikschullehrer Klaus Gunnemann, der auch die Combo zusammengestellt hatte und zudem an den Congas zu hören war. Auch dies ein sehr facettenreicher Song, in dem auch das Balladenhafte nicht fehlte.
Jazzify aus Drensteinfurt
Unter Leitung des Pianisten Burkhard Jasper, der sonst unter anderem mit Christian Kappe im Trio Cru Sauvage zu hören ist, stand das Ensemble Jazzify, das seinen Konzertauftritt ebenfalls mit einem Standard, nämlich „Watermelon Man“ (Herbie Hancock), eröffnete. Sehr stark agierten die drei Altsaxofonisten in diesem Stück. Ein bisschen Swing, ein bisschen New Orleans und Bebop, das erlebten die Zuhörer bei „The Preacher“, komponiert von Horace Silver.
Wer die Blasmusik von LaBrassBanda schätzt, ganz abseits vom Humpda-Humpda, der kam bei „Buyo“ auf seine Kosten. Lucky Chops heißt die Band, eine New Yorker All Brass Band, die Urheber des Songs ist. Allerdings tritt diese Band mit Sousafonisten und Tubisten auf. Beide fehlten bei Jazzify, aber das machten die drei Reeds, die zu hören waren, voll und ganz wett. Unterschwellig hatte man beim Zuhören den Eindruck einen Ska-Rhythmus zu hören, und eigentlich schrie der Song auch nach „Shake your bones, Man!“ Am Ende hieß es dann „Rückfahrt“, ohne dass diese Komposition von Burkhard Jasper als Aufforderung zu begreifen war, wie er in seiner Ansage schelmisch anmerkte.
Blues Skies aus vielen Kehlen
Vocals im Jazz sind ja fest in weiblichen Händen, schaut man sich an, wer was an den diversen Hochschulen für Musik in diesem Land studiert. Auch international scheint Jazzgesang selten von Männern gepflegt zu werden. Michael Schiefel oder Andreas Schaerer sind da Ausnahmen und auch in ihren jeweiligen Ansätzen nicht mit klassischem Jazzgesang vergleichbar, auch nicht mit Scat. So war es denn eine Überraschung, dass im Jazzchor, der sich aus den Workshops entwickelt hatte, zahlreiche junge Männer mitwirkten, überwiegend Tenöre mit leichten Bassanwandlungen.
Chor hieß an diesem Abend A capella in bester Manier und absolut tonsicher. Die Männerstimmen agierten dabei zeitweilig bassig, rhythmisch, instrumental. Unter Leitung von Lara Languth wurden drei Songs, die erarbeitet wurden, vorgetragen. Aufgemacht wurde mit einer Richard Rogers Melodie „My Favourite Things“. Nachfolgend hörten die Anwesenden einen weiteren Standard, „Blue Skies“ von Irving Berlin.
Zum Ende folgte dann eine Hommage an The Doors, ohne Jim Morrison auf der Bühne – und das war gut so. Vorgestellt wurde „Riders on the Storm“, wobei der Solist den Song mit Kopfstimme vortrug, also in Abgrenzung zum dunkel gefärbten Sprechgesang von Jim Morrison. Teilweise erinnerte der Gesang an den von Jimmy Somerville. Auch dies war eher unerwartet. Im Vorspiel zum Solo hörte man ein Melodisches „Dododotutut“, stets der sehr eingängigen, welligen Melodielinie folgend. Für viele wurden beim Zuhören vermutlich Erinnerungen an die eigenen Vorlieben für etwas anders gestrickte Rockmusik und die späten 1960er Jahre geweckt, als Zeilen wie „There's a killer on the road / His brain is squirmin' like a toad / Take a long holiday /Let your children play / If ya give this man a ride ...“ zu hören waren.
Doch noch ein paar Zeilen zu den beiden anderen Songs, die eine ähnliche Struktur für den Vortrag erhielten. Das lyrische Moment wurde stets durch einen rhythmischen Teil begleitet. So wurde der Eindruck erweckt Schlagwerk und Bass seinen auch zugegen.
Vielstimmigkeit war angesagt, auch bei dem aus dem Musical „Betsy“ stammenden Song „Blue Skies“, den auch die berühmte Ella Fitzgerald – diese mit sehr ausgewiesenem und ausgereiftem Scat – im Repertoire hatte. Nein, eine rauchige weibliche Stimme schälte sich aus dem Chor nicht heraus. Aber es ging ja auch darum einen eigenen Zugang zur Irving-Komposition zu finden und das gelang ganz gewiss. Ähnliches galt auch für „My Favorite Things“. Bekannt ist dieser Song, der 1959 geschrieben wurde, aus dem Musical und dem Film „The Sound of Music“, ein Klassiker unter den Jazzstandards.
A Big Bang mit der Big Band der Kreismusikschule
Bei Big Band denkt man an die von Glenn Miller, Woody Herman, Tommy Dorsey, Count Basie, Duke Ellington und anderen Heroen des Jazz. Dass man aber Arrangements auch ohne den klassischen Big-Band-Klang schreiben kann, davon überzeugten uns Christian Kappe und seine Musiker. Es standen auch keine Titel der oben genannten Musiker und auch nicht des Trompeters Thad Jones auf dem Programm. Aufgemacht wurde mit „Gentle Rain“ (Luiz Bonfa) und mit „Chameleon“ von Herbie Hancock wurde das sehr abwechslungsreiche Konzert, in dem viele Solos beeindruckten, abgeschlossen.
Sanfter Regen im Bossa nova-Modus ging zunächst auf die Zuhörer nieder. Dabei überzeugten das Hornsolo und außerdem das feine „Trompetengeriesel“. Die Ventilposaune gab sich dabei nicht grimmig und brummelnd, sondern eher rotzig-frech und machte Teil des sehr rhythmisch angelegten Arrangements aus. Die Bläser waren in dem Ensemble eh die dominierende Kraft und prägten die Hörfarben durchgehend. Neben zwei Baritonsaxofonen gab es fünf Altsaxofone, drei Tenorsaxofone und acht Trompeten. Dazu kam ein Piano, zwei Gitarren, ein E-Bass und Schlagwerk – also Big Bang im besten Sinne. Auf den Nieselregen aus Südamerika - der Komponist von „Gentle Rain“ ist Luiz Bonfa - folgten „Message from Westlake“ und „I Watched Her Walk Away“ (Russ Freeman).
Bei „How High The Moon“ wurde aus der Altsaxofonistin Melanie eine Sängerin mit sehr schönem Timbre, ohne dabei Ella Fitzgerald und deren Adaption des Songs zu kopieren. Hatten wir anfänglich einen langsamen Bossanova gehört, so bescherte uns die Band mit „Under the Sea“ einen Calypso. Karibisches Feeling war an diesem verregneten Märztag in Beckum zu spüren, gleichsam ein wahrer Stimmungsaufheller, bei dem auch Christian Kappe am Dirigentenpult nicht stillstehen konnte. Der Song entstammt dem 1989 entstandenen Animationsfilm „Die kleine Meerjungfrau“. Nochmals gab es im Laufe des Abends mit „Chameleon“ eine Komposition von Herbie Hancock zu hören, der auf dem Album „Head Hunters“ (1973) eine mehr als 15-minütige Version dieses Songs eingespielt hat. Fusion mit starker Soul- und Funkwürze drang an unsere Ohren. Im Original auch und gerade durch einen vollen Bläsersatz geprägt. Daran mangelte es der Big Band nun ganz und gar nicht.
Zum Abschluss betrat nochmals der Jazzchor die Bühne, um gemeinsam mit der Big Band „Up Where We Belong“ zum Besten zu geben. Dabei handelt es sich um einen mit einem Grammy geadelten Song, den die rauchige Rockröhre Joe Cocker bekannt gemacht hat. Das war dann auch ein gelungener Abschluss des Abends, der verdeutlichte, dass Jazz lebt und fortbestehen wird, solange es Nachwuchsförderung gibt, abseits all der inszenierten Castingshows im Bereich Pop.
Nur wünschte man sich hier und da entsprechende Aufmerksamkeit für Jazz, der ja bis heute aus dem kulturellen Leben nicht wegzudenken ist. Das ist aber in vielen Fällen nur dem Engagement von Jazzmusikern zu verdanken, die u. a. kostenfreie Konzertreihen wie „Jazz for the People“ in Essen organisieren oder aber eben auch Workshops wie in Beckum anbieten. Übrigens, auch im nächsten Jahr wird es wieder ein Jazzforum Beckum geben. Man darf gespannt sein.
Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther
Information:
Interview Christian Kappe:
http://www.jazzhalo.be/interviews/christian-kappe-im-gespraech-mit-dem-trompeter-und-fluegelhornisten/
Christian Kappe und Cru Sauvage CD review:
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/c/christian-kappe-und-cru-sauvage-volume-i/
Interview Michael Schiefel:
http://www.jazzhalo.be/interviews/michael-schiefel-im-gespraech-mit-dem-aus-dem-muensterland-stammenden-und-in-berlin-lebenden-vokalisten/
Einige Original-Klangbeispiele
Mercy Mercy
Blue Skies
Gentle Rain
Interview mit Herbie Hancock über Watermelon Man
How High The Moon
In case you LIKE us, please click here:
Hotel-Brasserie
Markt 2 - 8820 TORHOUT
Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse
Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée
Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant
Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon
Pedro Soler
(08/06/1938 – 03/08/2024)
foto © Jacky Lepage
Special thanks to our photographers:
Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte
Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper
Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Jeroen Goddemaer
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein
Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre
Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten
Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden
Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner
and to our writers:
Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Chris Joris
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst