Bart Maris und Gäste, 5.9.2018

Ein „freier Mittwoch“ im Hot Club Gent


Wer noch nie zuvor im Hot Club Gent war, der wird sich verwundert die Augen reiben. Schon der Weg zum Club ist ein kleines Abenteuer, geht es doch durch eine „Passage“, die links und rechts von einem Gerüstverbau gestützt wird. Man hat den Eindruck, man bewege sich in einem Streb unter Tage, ehe man den Innenhof des Clubs erreicht. Mit Rücksicht auf die Nachbarn werden die dort geschwätzig verweilenden Gäste gebeten, die Unterhaltung nach 22 Uhr zu dämpfen. Recht zahlreich waren die Gäste gekommen, die aus der Vielzahl der angebotenen Biere ihre Wahl getroffen hatten, ob Omer oder Duchesse de Bourgogne. Im Club selbst war die Zahl der Konzertbesucher recht überschaubar. Leer war es nicht gerade, obgleich Bart Maris dies zu Konzertbeginn bemerkte und sogleich zu spielen anfing, damit nicht noch weitere Gäste den Ort verließen.


Übrigens spricht es für mich Bände, wenn ein Schild über der Bühne zur absoluten Ruhe während des Konzerts auffordert. Die Geschwätzigen waren eh bei lauen Sommertemperaturen im Innenhof geblieben.

Zu den Gästen, die Bart Maris ganz spontan und wenige Stunden vor dem Konzert eingeladen hatte, gehörte der Gitarrist Mathias Van de Wiele, den Kennern der belgischen Jazzszene von Wheels und Lamar her bekannt, und Fulco Ottervanger, der nicht nur Genter Stadtkomponist ist, sondern mit De Beren Gieren die hiesige Jazzszene aufmischt – Avantgarde pur, aber auch hier und da mit klassischen musikalischen Durchmischungen. Denn auf Klassik steht der Pianist Ottervanger, der an diesem Abend nicht nur die tiefen Register des Tastenmöbels bediente, sondern auch für Effekte zuständig war.


Mathias Van de Wiele hatte seine E-Gitarre zu Hause gelassen und spielte neben der akustischen Gitarre noch Tenorhorn, ein Instrument, das eher in klassischen Brass-Bands gebräuchlich ist. Bart Maris war mit der Trompete zu hören, obwohl er sich anfänglich um den Aufbau des Drumsets kümmerte, aber gleich abwinkte und meinte, er werde am heutigen Abend nicht die Rollen tauschen.


Akustisches und „Unverstärktes“ brachte das Dreigespann zu Gehör. Auf Mikros und Aufsteckmikros konnte angesichts der räumlichen Überschaubarkeit des Clubs eh verzichtet werden. Auffallend war, dass es während des Konzerts ein Kommen und Gehen gab, sei es dass die einen von draußen nach drinnen kamen, um ein Bier zu bestellen, sei es, dass die, die im Club saßen, nun doch bei sich Aufnahmedefizite realisierten und gingen.

Es drängte sich der Eindruck auf, dass einige augenscheinlich den Begriff Improvisation nicht verstanden und sich auch nicht vorher mit der Musik von Bart Maris befasst hatten. Die die gingen, hätten eigentlich wissen können, was an einem „freien Jazzabend“ passiert: Musik aus dem Augenblick heraus!


Zur unruhigen, teils nervösen, scharfzüngigen, aufputschenden Musik gesellte sich die Unruhe des Publikums, das die Stühle scharren ließen. Hier und da hörte man auch als nicht willkommene Begleitmusik das Klappern von Gläsern. Auch die Stille, die gefordert war, um die komplexe Musik des Trios zu begreifen, schien den einen oder anderen Anwesenden zu überfordern. Höchste Konzentration war während des Konzerts gefordert, wollte man nicht den roten Faden verlieren.

Die instrumentale Zusammensetzung war schon etwas Besonderes: Es fehlte der Bass, und auch die Rhythmusmaschine wurde von niemandem bedient. Für Basslinien sorgte ab und an Fulco Ottervanger am Piano. Das Rhythmische übernahm gelegentlich Mathias Van de Wiele an der akustischen Gitarre, auf deren Saiten er auch in einigen Phasen die Hand niederschlagen ließ.


Effekte, die an den Klang eines Harmoniums denken ließen, füllten den Clubraum. Kurzzeitig war Sakrales präsent. Fein gesponnene Saitenklänge präsentierte uns Mathias Van de Wiele, derweil Bart Maris mit der Trompete wisperte, flüsterte, zischte, lispelte. Windturbulenzen waren dank Maris zu vernehmen. Wabernde Nebelschwaden schienen sich zu lichten und zu verdichten. Klangbilder wurden gezeichnet, die an Wolkenbilder denken ließen, vor allem an Cirruswolken. Nebelhörner meinte man zu vernehmen, als Mathias Van de Wiele zum Tenorhorn griff.

Nur kurz flackerte ein melodiöses Lichtlein auf. Eher provokant war das, was aus dem Moment heraus entstand. Ob man nun das Stück 0.0.0.0.0.  oder anders nennt, spielte keine Rolle. Die spontan entwickelte Musik, die klangliche Antizipation, der Fluss des Klangs waren entscheidend. In Wellen bestehend aus Gischtkronen und Wellentälern entwickelte sich die musikalische Varianz. Oft dachte man, das Ende sei erreicht, ehe dann Bart Maris doch eine weitere Fortsetzung setzte.


Gerade bei der zweiten Improvisation an diesem Abend entstand beim Berichterstatter der Eindruck, dass aus der Quelle ein Rinnsal, aus diesem ein Bach, aus diesem ein Flüsslein, ein Strom und schließlich ein Malstrom erwuchs. Getöse und Tosen waren Teil des musikalischen Vortrags, in dem es außerdem reizvolle Reden und Gegenreden zwischen den Beteiligten gab.

Den Abschluss des Konzerts bildete ein Stück, das sehr starke Züge von Blues verriet. Man hatte in einigen Momenten den Eindruck, Muddy Waters oder John Lee Hooker hätte kurz vorbeigeschaut. Doch diese Momentaufnahmen verflogen sehr schnell, insbesondere als Bart Maris seine  spitzzüngige und derb gestimmte Trompete erklingen ließ, gedämpft und ungedämpft.

Text und Fotos © ferdinand dupuis-panther – Text und Fotos sind nicht Public Commons


Informationen

Bart Maris
https://www.jazzhalo.be/interviews/brave-new-maria-een-hommage-aan-maria-nys/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/g/glits-getting-lost-in-tiny-spaces-f-dupuis-panther/

M. Van de Wiele
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/m/moker-ladder/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/m/moker-overstroomd/

Fulco Ottervanger
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/d/de-beren-gieren-the-detour-fish/
https://persruimte.stad.gent/139807-fulco-ottervanger-is-de-nieuwe-stadscomponist-van-de-stad-gent-voor-de-periode-2017-2019






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