Bach war auch mit im Spiel: Arkady Shilkloper und Vadim Neselovskyi im Haus Siekmann

Sendenhorst, 29-12-2019




Zum Jahresabschluss gab es im Haus Siekmann ein Konzert der Weltklasse zu erleben. Das Konzert war restlos ausverkauft. Nicht zum ersten Mal war der aus Odessa gebürtige und nunmehr in Brooklyn lebende Pianist Vadim Neselovskyi in Sendenhorst als Gast zu hören. Mit dem aus Moskau gebürtigen Hornisten Arkady Shilkloper spielt Vadim Neselovskyi seit fünf Jahren zusammen. Dabei schafft dieses kongeniale Duo eine Symbiose von klassischen Klangsträngen mit teilweiser freier Improvisation.

Ein Duo ist ein sehr fragiles Gebilde. Gefordert sind die Musiker in jeder Sekunde. Auch während der Solopartien ist Aufmerksamkeit geboten. Ein Abtauchen in einen großen Verbund von Musikern ist nicht möglich. Das Verweben der Klangfarben muss stimmen. Gegensätze müssen gewollt provoziert werden. Das gelang den beiden Musikern beim sehr konzertant ausgelegten Vortrag vortrefflich.

Beide Musiker stellten beim Konzert  unter Beweis, dass Musik und insbesondere Jazz keine Grenzen und Begrenzungen kennt. Im politischen Gefüge ist das leider gänzlich anders. Da werden Gegensätze heraufbeschworen. Man denke dabei an den auch kriegerisch ausgetragenen, aktuellen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Doch Politik ist eben nicht Musik. Und zum Glück gibt es die Musik, die sich über politische Differenzen erheben kann.


Außergewöhnlich ist die Besetzung des Duos, das ohne Kontrabass und Schlagwerk auskommt. Auf eine Rhythmusgruppe verzichten die beiden Musiker ganz bewusst. Wer dem Verlauf des Konzertes aufmerksam folgte, konnte allerdings feststellen, dass Vadim Neselovskyi durchaus den rhythmischen Part übernahm. Gemeinsam war aber beiden Musikern die Suche nach der Schönheit der Melodie, ob mit Alphorn, Flügelhorn oder Waldhorn. Bis auf das Flügelhorn sind diese Hörner eher der klassischen Musik zuzurechnen. Im Jazz sind sie eine Rarität. Gewiss, es gibt das Kapok Trio aus den Niederlanden mit der Besetzung E-Gitarre, Schlagzeug und Waldhorn und auch der Pianist David Helbock mit dem Trio Random Control integriert nicht nur das Euphonium und eine Zugtrompete in die Besetzung, sondern auch ein Alphorn.

Letzteres erscheint ein wenig als zirzensische Beigabe, aber weder bei Random Control noch bei dem ukrainisch-russischen Duo ist das der Fall. Dass die Musik von Vadim Neselovskyi auch durch die klassische Ausbildung des Pianisten geprägt ist, sei an dieser Stelle angemerkt. Doch neben den durchaus gesetzten, notierten Linien finden sich auch freie Passagen, in denen sich beide Musiker entäußern können, um dann in die thematische Gebundenheit zurückzufinden.

Im Konzert wurde eine Melange aus den beiden bisherigen Alben des Duos geboten. Zu hören waren unter anderem „Last Snow“ und „Alpine Sketch“ aus dem 2014 erschienenen Album „Krai“. Aus dem letzten Album, dass die fünfjährige Zusammenarbeit „zelebriert“, stammten unter anderem „Get Up And Go“ sowie „Song For Vera“, aber auch „Intrada“ und „Almost December“. Präsentiert wurde auch eine Hommage an Vadims verstorbenen Vater, durchaus als Lamento angelegt und in die Nähe eines Requiems gerückt. Schließlich bot Vadim Neselovskyi mit einem Solostück auch einen kurzen Einblick in ein neues musikalisches Projekt, das von der Schönheit Odessas erzählt. Ohne den Blues zu bekommen, verabschiedete sich das Duo mit dem „Orange Blues“ (comp. A. Shilkloper) von seinem Publikum, das nicht nur beim lang andauernden Schlussapplaus zeigte, wie sehr der Vortrag angekommen war. Immer wieder gab es auch herzlichen Zwischenapplaus.


Doch nun zum Konzert: War da nicht ein verhaltener Glockenschlag zu vernehmen? Fing Vadim Neselovskyi bei den ersten Takten mit seinem diskanten Fingerspiel nicht transparente Regentropfen ein, die nach und nach niedergingen? Lyrisch war das Spiel des nun in Brooklyn beheimateten Pianisten am Grand Piano. Romantische Beigaben wurden dezent untergemischt. Das Waldhorn war zu vernehmen, dem Klang einer Posaune durchaus nahe, aber eben nicht so brummig aufgelegt. Während der Pianist das Bild von einem säuselnden, dahinfließenden Bächlein musikalisch heraufbeschwor, inszenierte der Hornist feingliedrige Klangwölkchen, die dahinschwebten. Leichtigkeit und Langsamkeit vereinten sich. Hier und da konnte man sich verfärbtes Laub vorstellen, durch das die Sonne ihre Strahlen gen Erde sendet. Zwischen den melodischen Linien des Waldhorns platzierte der Pianist rhythmisches Tastenspiel. Nach und nach aber löste sich das lyrische Narrativ, wandelte sich in freies Spiel, um dann doch wieder ins Thema zu finden. Basslinien trafen auf „Glasperlenspiel“. Und noch etwas ließ aufhorchen: Vadim Neselovskyis Gesang, gleichsam eine Zweitstimme zu den Konturen des Waldhorns, das vollmundig in Erscheinung trat.

Im Stil von beinah höfisch zu nennender Klangfülle ging es weiter. Aufbruch und Umbruch verhießen die beiden Musiker im Nachgang durch sehr dramatische Klangsetzungen. Dabei verharrte Vadim Neselovskyi für Momente in starken Rhythmisierungen. Doch zugleich vernahm man kristallin anmutende Passagen, die an das Eisbrechen am Ende des Winters erinnerten. Kurzzeitig beschwor Arkady Shilkloper einen Orkan herauf, ehe dann die Ruhe nach dem Sturm folgte. Flugturbulenzen von sich sammelnden Zugvögeln sah man im Weiteren vor dem geistigen Auge, folgte man dem Hornisten in seinem fein ziselierten Spiel. Zwischen Basshand und Diskant wechselnd, zeichnete Vadim Neselovskyi eine Art tonalen Malstrom. Windgesäusel kam auf, als der Moskauer Hornist das Waldhorn durch das Flügelhorn ersetzte.


Drei Stücke verschmolzen zum Konzertbeginn zu einer harmonischen Einheit, nämlich „Song for Vera“, „Get Up & Go“ und „Last Snow“. Eher getragen kam nachfolgend die Hommage an Vadim Neselovskyis verstorbenen Vater daher, im Duktus an Grieg und Sibelius erinnernd. Herbst-, wenn nicht gar Winterstimmung wurde eingefangen. Nebelschwere legte sich über die Zuhörer. Stille und nur Stille schien die Musik in pastösen Klangfarbsetzungen zu malen.

Dass und in welcher Art und Weise der geöffnete Korpus eines Flügels als Resonanzboden genutzt werden kann, unterstrichen die Musiker bei „Intrada“, als Arkady Shilkloper zeitweilig den Trichter des Waldhorns in den geöffneten Flügel richtete. Ein feiner Nachhall war wahrzunehmen, und man meinte, es werde das Bild von im Nebel gefangenen Schiffen gezeichnet, die sich mit Nebelhörnern wechselseitig vor Gefahren warnen.  Bisweilen schien man einem melodischen Parforceritt zu folgen.

Vor der Pause gab es dann auch das Alphorn zu hören. Nein, Heidis Welt der Berge wurde nicht zelebriert, wenn auch nach und nach eine musikalische Skizze der alpinen Landschaft entstand, fernab von süßlicher Idylle. Vom Klang des Waldhorns war der des Alphorns kaum zu unterscheiden, wenn auch eine stärkere Basslastigkeit erkennbar war. Zudem ließ sich der Hornist Arkady Shilkloper auch zu einer kurzen Exkursion in Sachen Beatbox hinreißen, derweil Vadim Neselovskyi beinahe in eine rollende Klangbewegung verfiel.


Sehr klassisch aufgelegt war der Beginn des zweiten Sets. Zu hören war eine Fantasie zu einem Bachschen Thema, ehe Vadim Neselovskyi in seinem Solovortrag aus seinem neuen Projekt zu Odessa das Stück „Odessa Hauptbahnhof“ vorstellte, eine Premiere und Teil eines Projektes, das 2020/21 vollendet werden wird. Es ist eine Art „Hohelied“ auf die durch Architektur des 19. Jahrhunderts geprägte Hafenstadt am Schwarzen Meer. Übrigens, Sergej Eisenstein hat die Potemkinsche Treppe in seinem Revolutionsfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ verewigt. Über diese ließ der russische Filmschöpfer einen Kinderwagen Stufe für Stufe herrenlos hinabrasen. Auch dieser Aspekt von Odessa, so verriet der Pianist, wird in dem neuen musikalischen Projekt verarbeitet.

Mit 17 Jahren musste Vadim Neselovskyi seine Heimat verlassen, kam nach Unna und dann nach Dortmund, eher er, der klassisch ausgebildet war, am Berklee College of Music Jazz studierte. In Erinnerung an Kinder- und Jugendtage erzählt er nun die Geschichte einer Stadt mit französischem Flair. Dabei erinnerten Passagen des Stücks an slawische Tänze und an Großstadtwahn. Ein wenig musste man an die „Sinfonie der Großstadt“ denken, einen Film über das Berlin der 1920er Jahre. Hier und da blitzten auch Anlehnung an französische Chansons auf, die durch Gilbert Bécaud und Charles Aznavour unvergessen gemacht worden sind. Anschließend entführte uns Arkady Shilkloper nach Moldawien und in die Welt der krummen Takte und Polyrhythmik. Zwei und vier sind gut für Marschmusik, eins, zwei und drei für den Walzer, aber die Tänze des Balkans leben von 7, 9. 11 und manchmal auch 5, so Arkady Shilkloper  in seiner Kommentierung zum Stück. Nein, das berühmte „Take 5“ von Dave Brubeck hat der russische Hornist nun nicht neu vertont, sondern er spielte „Take 7“ und kam dabei am Ende auch ein wenig außer Atem. Die Dynamik des Tanzes forderte halt ihren Preis.


In Gedenken an eine Ikone des Jazz, den Vibrafonisten Gary Burton, der schon lange nicht mehr die Schlägel auf die Klangstäbe niederfahren lässt, entstand aus der Feder Vadim Neselovskyis „Prelude for Vibes“. Dabei hatte man den Eindruck, der ukrainische Pianist würde in seinem Tastenspiel den Fußspuren Burtons folgen. Mit „Almost December“ endete dann der Konzertabend. Doch das Publikum forderte ein Encore. Das gab es dann auch. „Orange Blues“ rundete den Abend ab und noch einmal spielte Arkady Shilkloper das mächtige Alphorn. Und dann war das herausragende Konzerte auch wirklich zu Ende.

Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther


Informationen

Arkady Shilkloper

https://www.jaro.de/de/kuenstler/arkady-shilkloper/
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Vadim Neselovskyi

https://de-de.facebook.com/vadimneselovskyi
https://www.deutschlandfunk.de/vadim-neselovskyi-pianist-aus-der-ukraine-meine-musik-ist.2886.de.html?dram:article_id=407798
http://www.vadimneselovskyi.com/html/about.php


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