Annette Mayes Vinograd Express im cuba Black Box (Münster), 11. März 2017

Vorhang auf für den Expresszug, in dem Annette Maye (Klarinetten), Udo Moll (Trompete), Oliver Lutz (E-Bass) und Max Andrzejewski (Schlagzeug) als Zugbegleiter anwesend waren. Auf dem Programm des Abends stand “Remembering Masada - John Zorn Sounds and more“. Im Vorfeld des Konzerts konnte man folgende Zeilen lesen: „Der „Vinograd Express“ schlängelt sich durch Täler, passiert karges Gebirge, gibt den Blick auf die Festung Masada frei und beamt sich im nächsten Moment in das hektische Straßengewirr von New York City. Lokführer ist die Modalität, Zugbegleiter sind die Improvisation und das Experiment.“


Mit ihrem neuen Band-Projekt “Vinograd Express“ hat sich die Klarinettistin Annette Maye das Masada Songbook des New Yorker Avantgarde-Komponisten John Zorn vorgenommen, variantenreich und die Themen Zorns aufnehmend sowie stets dabei frei interpretierend. Dabei nahm die Band während des Konzerts überwiegend Zorns Material als Grundlage ihres Spiels auf und formte es in ganz eigener Weise. „30 % Tonmaterial und 70% Improvisation“ in diesem Sinne kommentierte die Kölner Klarinettistin das, was zu hören war. Dass sich die Musiker des Quartetts als Grenzgänger begreifen und dabei, so Udo Moll, auch den Eklektizismus eines John Zorns kommentieren und paraphrasieren, konnten an diesem Abend nicht allein ausgewiesene Kenner der Musik von John Zorn in der sehr gut besuchten Black Box erleben.


Im Vorgespräch mit Annette Maye und Udo Moll konnte ich in Erfahrung bringen, dass Zorns eigene Auseinandersetzung mit Jüdischsein und Judentum keine Rolle für die Beschäftigung von Vinograd Express mit Zorn spielt. Zudem scheinen auch die von Zorn gewählten Titel der Kompositionen nicht leicht zu dechiffrieren. Vielleicht ist das auch gar nicht Zorns Intention. Bezüge zum Alten Testament mögen vorhanden sein, teilweise auch zum Ritus der Hebräer. Vor allem aber geht es, so Udo Moll, bei der Musik von Zorn um die Melange von Free Jazz eines Ornette Coleman mit traditioneller jüdischer Musik, aber auch mit Rock unterschiedlicher Ausformung.


Zorn selbst, so sei an dieser Stelle angefügt, war einst durchaus auch dem Surf Rock zugetan, vor allem aber geht es ihm bis heute darum, verkrustete Strukturen aufzubrechen und damit auch mit Klezmer als der (!) jüdischen Musik aufzuräumen.

Ob 200 oder mehr Songs für Masada entstanden sind, sei mal dahingestellt. Dass sich Zorn für sein kompositorisches Werk auf die Festung Masada bezieht, die von den Zeloten gegen römische Angriffe verteidigt wurden, scheint nicht Zufall zu sein. In der jüdischen Geschichte gilt das Ereignis aus dem Jüdisch-Römischen Krieg zum einen als Aufstand der Unterdrückten gegen die Unterdrücker und zum anderen als Warnung vor Extremismus und mangelnder Kompromissbereitschaft. Nun gut, lassen wir das einmal dahingestellt, denn Zorn war zwar während des Konzerts musikalisch präsent, aber nicht in Person, sodass die Auseinandersetzung mit Zorn nur mittelbar möglich war.

Zu hören waren Kompositionen wie „Kisofim“, „Kochat“ und „Chayah“ - letztere Kompositionen wurden mit einer Art Interlude verknüpft -, aber auch „Ihre Launen“ (comp. A. Maye) und „Lilin“ erklangen in der Black Box.


Bereits zu Beginn des Konzerts konnte man sich im musikalischen Kontext nicht des Eindrucks einer gewissen Dominanz der Trompete erwehren. Unterschwellig schwirrend war die Bassklarinette unterwegs, derweil man ein stetes Auf und Ab eines musikalischen Diskurses erlebte. Es schien durchaus auch Ansätze von Zwist zu geben, von Debatte, von Kommunikation im besten Sinne. Dazu gab auch der Drummer seine Kommentare ab. Auffällig war dabei, dass das Drum-Kit aus sehr wenigen Blechen bestand, sodass eher der Tanz der Sticks auf Tom und Snare angesagt war. Über die rhythmischen Verwirbelungen erhob sich eine beinahe entfesselte Trompete, die auch mit Knurren und Schnurren auf sich aufmerksam machte, dank an Udo Moll. Tempo wurde aufgebaut, der Spannungsbogen erhöht, doch auch Talsohlen wurden durchschritten. Lyrische Momente verschaffte uns Annette Maye mit ihrer Bassklarinette.

Dass die Trompete auch Sprachrohr im übertragenen Sinne sein kann, das unterstrich Udo Moll ohne Frage. Man meinte dabei gar ein Quietschen, Gurgeln, Wispern und Flüstern zu vernehmen, derweil sich die Klarinette in ihren Klangformen denen eines Nebelhorns zu nähern schien. Gab es da nicht auch Anmutungen eines Lamentos? War da nicht nur Rabatz, Aufruhr, Aufstand und Auflehnung musikalisch zu spüren, sondern auch streckenweise Schwermütigkeit? Ach, gab es nicht auch Aufforderungen zu einem Tänzchen fern von klassischem Klezmer?

Bereits nach dem ersten Stück wurde deutlich, dass hier nicht die Musik des Masada 4tetts nachgespielt wurde, sondern lediglich fixe Themen, manche Linien und Grooves für die eigenständige Spielentwicklung aufgegriffen wurden.


Zu Beginn des Zorn Stücks „Meholalot“ schienen Klangfetzen der Klarinette im Raum präsent. Man konnte Schnalzen wahrnehmen und ein Tick-Tick des Schlagwerks, ehe vibrierende Trompetenwellen mit Getöse über die Köpfe der Anwesenden hinwegfegten. Eine Spielzeugdose wurde von Max Andrzejewski über das Fell der Snare gezogen, derweil Annette Maye eine weiche Melodielinie auf der B-Klarinette spielte. Bruchstücke von Klezmer schienen Teil des Vortrags. Vor allem aber konnte man das Dialogische Schritt für Schritt erleben, auch mit Dissonanzen, aber immer die gleiche Sprache sprechend und suchend. Zwischenzeitlich ging es dann auch durchaus ekstatisch zu, aus dem Thema herausgeboren, nicht aufgesetzt, sondern durchaus organisch entwickelt.

Die Musiker von Vinograd Express verstanden es, zwischen laut und leise zu variieren, damit auch Spannungen zu wecken und diese zu lösen. Der Bassist Oliver Lutz nutzte Zwischenpassagen für einen gezielten Einsatz von Effekten, die nach Rauschen und Getöse klangen. Rotzig und wenig brummig zeigte sich der E-Bass, den Oliver Lutz eben nicht am oberen Hals spielte, sondern weitgehend am unteren Hals, im „Diskant“ des Basses. Aufgrund der Spieltechnik schein Jazz Rock auch präsent zu sein. Das galt auch für das Wechselspiel von Trompete und Klarinette.


Basslastig war der Beginn von „Kochot“. Schleppend war das Tempo gepaart mit einer gewissen Melancholie in der Stimme der Klarinette. Gab es da nicht auch Zitatbruchstücke aus Kompositionen von Weill und Eisler? Zufall oder die Annahmen eines irregeführten Berichterstatters?

Dramaturgische Wechsel waren Teil des Vortrags. Schrille Blechklänge, mit einem Bogen, der am Blech entlang strich, waren vernehmbar, sirenenhaft im Klang. Klanghölzer tanzten über das Schlagwerk. Bass-Schemen drängten sich auf, dabei Bassklarinette und E-Bass sich vereinend, schon bereits Teil von „Chajan“, eine Zorn-Komposition, die geschickt mit „Kochot“ verbunden worden war.

Noch ein abschließendes Wort zu „Ihre Launen“. Nein, das Quartett trat zunächst nicht gemeinschaftlich in Erscheinung. Lediglich der Drummer Max Andrzejewski war auf der Bühne zu sehen. Das war durchaus ein unerwarteter Paukenschlag. Danach klang auch das Schlagwerkspiel hier und da, gefangen zwischen Klick-Klick und Drrdrr. Die in Wallungen gebrachte Basstrommel zeigte eine Nähe zum Erkennungston der BBC während des Zweiten Weltkriegs. Dong-Dong und ein helles Klong drang an die Ohren der Zuhörer. Schellen konnte man klanglich entziffern und auch ein Klonggg sowie Rattatataratta. Sticks tanzten über Tom und Snare, ehe sie sich in eine Art Rockmodus fallen ließen, das Zeichen für die übrigen Musiker nun auch ins Geschehen einzugreifen. Dabei begegneten sich der fließende Klarinettenklang und das Trompeten-Stakato. Redundanzen füllten den Raum. Galoppaden und Stampede von Klängen gingen von der Trompete aus, die die Klarinette am Schlepptau mitzog. Sphärenklänge kamen auf; Atemströme breiteten sich aus. Urplötzlich ging die Post ab, war man Ohrenzeuge einer Entladung – und dann war auch unvorhergesehenerweise der Schlusspunkt erreicht.


Mit einer Zugabe endete der denkwürdige Abend, der die musikalischen Grenzgänge erlebbar gemacht hatte, ohne dabei verkopft zu erscheinen. Wer nicht gekommen war, der hatte wahrhaftig etwas verpasst! Jazz auf höchstem Niveau findet eben nicht nur alle zwei Jahre beim Internationalen Jazzfestival statt, sondern ist integraler Bestandteil des Angebots der Black Box im cuba.

Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Annette Maye
http://www.annettemaye.com

http://www.fisfuez.de
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/e/ensemble-fisfuez-plus-gianluigi-trovesi-papillons/

http://www.multiphonics-festival.com

Udo Moll
http://www.udomoll.de


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