Trotz des schlechten, regnerischen Wetters strömten die Bielefelder in die Oetker-Halle. Jeder von ihnen hatte die Qual der Wahl. Die einen zog es zum Bi-Bop. Dabei handelt es sich um die Big Band der Musik- und Kunstschule (MuKu). Fünf Mal konnte diese Band den NRW-Landeswettbewerb „Jugend jazzt“ für sich entscheiden. Andere bevorzugten Ron Diva und seinen Soul im Herzen sowie seinem Groove im Handgelenk. Die Analogue Birds überzeugten durch außergewöhnliche Klangwelten und treibende Beats auf höchstem Niveau. Im musikalischen Mittelpunkt stand dabei das Didgeridoo, das aus einem ausgehöhlten Eukalyptusast geschaffene Blasinstrument der australischen Ureinwohner. Doch auch viele Besucher zog es in das Foyer links, zum Jazz vom Feinsten, angefangen beim Specht-Wächter-Duo über die 40-minütige Improvisation des Duos Matthias Muche und Matthias Schubert bis hin zu Fluz.
Muche und Schubert spielen schon seit zehn Jahren im Kölner Multiple Joy[ce] Orchestra zusammen, das die Möglichkeiten der Kombination von Komposition und Improvisation in einem großen Ensemble erforscht. Schließlich stand dann mit Fluz ein weiteres Duo im Fokus. Am Violoncello war Nele Immer und am Tastenmöbel Nils Rabente zu hören, konzertant und kammermusikalisch zugleich.
Diese Veranstaltung, die nun schon seit Jahren Tradition ist, ist für den Fortbestand der Kultur- und Jugendarbeit des Bunkers Ulmenwall bitter notwendig. Ohne das am zweiten Weihnachtsfeiertag eingespielte Geld, könnte so manches Jugendprojekt nicht finanziert, so einige Konzerte nicht gestemmt werden. Manchmal, so Frank Ay vom Bunker Ulmenwall, wünschte er sich auch während des Jahres so viele Zuhörer wie allein im Foyer links der Oetker-Halle oder wie im Proberaum anwesend waren. Doch es ist leider nur selten der Fall, dass der mit 140 Sitzplätzen zu bestuhlende Bunker wirklich ausverkauft ist, auch wenn es ein herausragendes Jazzprogramm unterschiedlicher Stillrichtung im Angebot gibt. Hingehen lohnt sich auf alle Fälle!
Von Haden bis Mancini
Zehn Saiten, zwei Musiker – das sind Ansgar Specht (E-Gitarre) und Michael Wächter (Kontrabass). Sie boten den Zuhörern – schnell waren die 40 Stühle besetzt, viele standen und saßen zu Füßen der Musiker – eine Auslese von Straight-ahead Jazz. Michael Wächter, in der Klassik ebenso zuhause wie im Jazz, und Ansgar Specht mit Charlie Haden ebenso auf Du und Du wie mit John Coltrane. Zu hören waren „My Spanish Love Song“ (Charlie Haden), „Estate“ (Bruno Martino), „Sea Yourney“ (Chick Corea), „Giant Steps“ (John Coltrane) – diesen Song kommentierte Ansgar Specht mit den Worten „Five minutes of stress“ – und schließlich „The Days of Wine and Roses“ (Henry Mancini).
Es war mucksmäuschenstill im Raum. Konzentriert hörten die Anwesenden zu. Stets kamen mehr Zuhörer hinzu. Der Beifall nach jedem Song war durchaus überwältigend. Bereits auf seinem letzten Album „Some Favourite Songs“ hat der in Harsewinkel beheimatete Gitarrist seine Vorlieben für melodischen Jazz und für durchaus leise Töne deutlich gemacht. Auch für das Matinee-Konzert hatten sich die beiden Musiker „Standards“ ausgesucht, die nicht zum „normalen Kanon“ zählen. Lyrisch-narrativ gestalteten beide die jeweiligen Songs. Dabei vermisste wohl keiner der Anwesenden die besonderen „Klangschichtungen“ des Saxofonisten John Coltrane auf seinem fünften Studioalbum mit dem Titel „Giant Steps“. Bei Hadens „My Spanish Love Song“ zeigte Michael Wächter, welche Sprachgewalt auch ein semiakustischer Bass besitzt, trotz eines reduzierten Resonanzkörpers. „The Days of Wine and Roses“ (Henry Mancini) ist im Original durch einen ausgefeilten Orchestersound bestimmt, zumal beim Soundtrack zum gleichnamigen Film mit Jack Lemmon und Lee Remick. Doch die beiden Musiker reduzierten das Opus auf die zehn Saiten, die ihnen zur Verfügung standen. Dabei vermisste man weder die teilweise süßlichen Streicher noch das getragen-perlende Pianospiel.
Trotz eines anhaltenden Schlussbeifalls gab es keine Zugabe, denn Matthias Muche und Matthias Schubert warteten bereits auf ihren Auftritt, wobei die Posaune auf das Tenorsaxofon traf, frei gespielt, ohne außer Puste zu geraten.
Zweimal Atemrohr zwischen Klangwelten und Geräuschverwirbelungen
Dass man sich auf einen programmatischen Schnitt und einen Kontrast zum vorherigen Duo einstellen musste, machten bereits die ersten Klangschritte der beiden Blasmusiker deutlich, hier die eher tieftönig, voll klingende Posaune, die dank Lippenschwingungen ein breites Spektrum von Klangfarben hervorbringt, dort die Erfindung des aus Dinant stammenden Herrn Sax, bei dem es auf das Rohrblatt und den S-Bogen ebenso ankommt wie auf die richtige Lippen- und Zahnstellung.
Dass eine Improvisation einem Zwiegespräch gleichen kann, einem Für und Wider, dass auch reine, tiefe Atemzüge und ausströmende Atemluft sowie Schnalzlaute zur Improvisation gehören, zeigten beide in Köln beheimateten Musiker auf atemberaubende Weise. Keine Frage, ein solches Spiel verlangt auch Körperarbeit, ein Wechsel von Spiel- und Standbein, ein tiefes Abbeugen und ein Aufbäumen, eine muskuläre Anspannung, eine besondere Atemtechnik, um nicht atemlos zu werden. Atemlosigkeit ist nur etwas für Helene Fischer, aber nicht für gestandene Jazzmusiker und Impro-Künstler!
Während das Spiel von Matthias Schubert eher eine nervöse Konnotation besaß, schien Matthias Muche in Gelassenheit zu ruhen. Schubert übernahm wohl die Rolle des Aufmüpfigen, derweil Muche auf Ausgleich und Bedächtigkeit bedacht war. Quicklebendig waren beide Musiker, der eine eher brummig, der andere eher im aufgeregten Stakkato sich verfangend. Tieftönige Wallungen trafen auf ein gehetztes Dodädodädo und kurzes Schnalzen sowie ein stark wahrnehmbares Ein- und Ausatmen. Dieses verstetigte sich und klang dann ein wenig nach dem Geräusch einer Dampflok. Schilpen und Pfeifen waren zu vernehmen, ohne dass gefiederte Freunde anwesend waren. Der Sound einer Tritonmuschel drang an die Ohren der Anwesenden. Nebelhornklänge breiteten sich aus und verflogen im Raum. Sphärisches war kurzzeitig gegenwärtig. Die Posaune wurde von Matthias Muche auch mal ohne Mundstück geblasen, und Matthias Schubert setzte auch hier und da die Lippen nicht aufs Blättchen, sondern pustete das Blättchen des Saxofons nur an. Zu hören war dann der Atemstrom, der am Rohrblättchen entlang strich. Lang gezogene spitze Töne trafen auf die Untertöne der Posaune. Ein wenig Walgesang vermeinte man, nachhaltig zu vernehmen. Tonale Brüche und Brücken waren Teil des Konzepts. Das Tempo und der Lautschwall veränderten sich, nahmen zu. Dann dachte man, die Klimax werde angesteuert. Doch das war eine Fehleinschätzung. Stattdessen setzten die beiden Musiker ihre Worte und Gegenworte, waren auch leiser in ihrer „Tonart“. Doch irgendwann war dann der Schlusspunkt erreicht, fast genau nach 40 Minuten.
Während der Improvisationsphasen fragte sich der eine oder andere Zuhörer durchaus berechtigt: „Ist das nun Geräuschinferno, Musik, Jazz oder was?“ Beinahe frenetisch war der Beifall, aber eine Zugabe gab es nicht. Kein Wunder, wer die beiden Musiker in ihrem körperbetonten Spiel beobachtet hatte, wusste, dass zu einer solchen Improvisation eine gewisse Kondition gehört und die Atemluft auch nicht grenzenlos vorhanden ist.
Nachfolgend erlebten die Zuhörer – darunter viele, die der Generation 25 angehörten – erneut einen „Stilbruch“. Keine Klang-Ekstase wurde geboten, sondern eher Liedhaftes, beinahe Volksliedhaftes. Dem Berichterstatter kam beim Zuhören die „Winterreise“ von Schubert in den Sinn – abwegig oder auch nicht.
Romantischer Klangrausch
Ein Heimspiel folgte für das Duo Fluz, das gerade sein Debütalbum herausgebracht hat, aufgenommen im Bunker Ulmenwall. Seit 2011 musiziert das in Bielefeld gegründete Duo, bestehend aus dem Pianisten Nils Rabente und der Cellistin Nele Immer, zusammen. Beide ließen bei der Matinee ruhige, romantische Kompositionen erklingen. Kontemplation pur war allgegenwärtig. Beide Instrumentalisten gingen sensibel aufeinander ein, auch mal leise verklingend und nur selten aufbrausend. Songhaftigkeit im Sinne von Singer/Songwriter charakterisiert m. E. wohl am besten die Stücke wie „things have changed“ oder „when it rains“, die auch auf dem selbst produzierten Debütalbum zu hören sind.
Beide Musiker legten bereits bei den ersten Takten ihres Vortrags eine klassische Attitüde an den Tag. Perlende Klangkaskaden trafen auf das gestrichene Cello. Landschaftsbilder von Friedrich und Carus traten als Assoziationen auf, einsame Landschaften mit und ohne Ruinen, Baumsolitären oder der „Mann im Nebel“. Zarte Windzüge und spärlich tropfender Regen schienen musikalisch eingefangen worden zu sein, als der Song „things have changed“ zu hören war. Nachfolgend waren wir bei einem „Tanz wie ein Blatt“ („danse comme une feuille“) zugegen. Ja, fürwahr einen Tanzrhythmus konnte man durchaus wahrnehmen, zugleich auch eine Art mittelalterlichen Minnesang, ohne gesungenes Wort allerdings. „Allez“ hatte durchaus Aufforderungscharakter, auch wenn nicht so flott und spritzig, wie erwartet. Man musste eher an einen Barden von Burg Waldeck denken, an Zeiten, als das verschüttete deutsche Volkslied in den 1960er Jahren eine Renaissance erlebte. Etüdenhaft schien hingegen die Komposition „Ameise“ ausgerichtet, wobei das Cello sehr basslastig daherkam. An eine Flaute und dümpelnde Boote im Meer musste man denken, lauschte man dem Vortrag des Duos. Zum Schluss ließen die beiden Musiker im übertragenen Sinne feinen musikalischen Nieselregen auf die Anwesenden niedergehen und mit „retrospektive“ beendeten sie ihren Vortrag, der zwischen den Stücken mit herzlichem Beifall bedacht wurde.
Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther.
Informationen
Bunker Ulmenwall
Programm
http://bunker-ulmenwall.org/category/programm/
Musiker
Ansgar Specht
http://www.ansgarspecht.de/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/a/ansgar-specht-some-favourite-songs/
http://www.jazzhalo.be/interviews/ansgar-specht-im-gespraech-mit-dem-gitarristen-musikalischer-vater-fuer-das-projekt-woodpeggs-organ-lab-und-dem-koelner-pianisten-und-organisten-max-blumentrath/
Matthias Schubert
http://jazzpages.com/MatthiasSchubert/index_e.htm
Matthias Muche
http://www.matthiasmuche.com/
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