Adam Bałdych und Helge Lien Trio im Konzert, 19. April 2018

„Verbrüderung“ auf Burg Vischering (Lüdinghausen)



Entgegen der Ankündigung hörte man am Bass des Helge Lien Trios nicht den ansonsten zum Trio gehörenden Frode Berg, sondern den dänischen Bassisten Thomas Rasmussen. Zudem begleiteten den mit Auszeichnungen überhäuften polnischen Geigenvirtuosen Adam Bałdych die aus Norwegen stammenden Musiker Helge Lien (Piano) und Per Oddvar Johansen (Drums).

Der Konzertsaal in der Vorburg der Wasserburg Vischering war bis zum letzten Platz besetzt. Das sehr aufmerksame Publikum quittierte die herausragende Leistung des Quartetts mit häufigem Zwischenbeifall nach jeweiligen Soloeinlagen. Nahezu frenetisch war dann der Applaus nach dem Konzert. Keine Frage, die Anwesenden forderten eine Zugabe, die es selbstverständlich gab. Doch trotz des erneut auflammenden Beifalls blieb es bei diesem Encore, denn für die Musiker stand am nächsten Tag eine frühe Abreise gen Bremen an.


Volksmusik, Klassik und Jazz?

Im Vorfeld des Konzerts des norwegisch-polnisch-dänischen Quartetts konnte man bei „Focus online“ folgende Zeilen lesen: "Polnische Volksmusik, Klassik und Jazz jeder Couleur finden bei ihm zusammen, dargeboten mit einer großen technischen Bandbreite, bei der sich klassischer Strich mit wirbelnder Improvisation und wuchtiger Rock-Dynamik verbindet.“ Das weckte gewisse Erwartungen bei der konzertanten Vorstellung von Kompositionen, die überwiegend der Feder von Adam Bałdych entstammten. Dabei stand für polnischen Geiger das jüngste Album namens „Brothers“ im Mittelpunkt, gewiss auch als Hommage an den jüngst verstorbenen Bruder zu verstehen.


Dass Bałdych und das Helge Lien Trio überhaupt in der „Provinz“ gastierten, war dem Kreis Coesfeld und zudem der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Lüdinghausen zu verdanken, die nicht zum ersten Mal miteinander ein Konzert veranstalteten.

Wer an Jazz und Geige denkt, der denkt an Stéphane Grappelli, der wie kein anderer die beschwingte, swingende Seite des Saiteninstruments zur Geltung brachte, der denkt aber auch an Didier Lockwood und an Jean Luc Ponty, die eher dem Fusion Jazz zugerechnet werden können. Dass es mit der Band The Flock in den späten 1960er und 1970er Jahren auch eine Rockband gab, die die Geige in den Fokus rückte, sei an dieser Stelle angefügt. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich gewiss auch die Erwartungen der Anwesenden, so sie denn noch nicht die letzten Veröffentlichungen „Bridges“ und „Brothers“ – beide bei ACT erschienen – kannten.


Elegisches im Fokus

Streicher verbindet der Berichterstatter mit Elegischem, mit tragenden Melodielinien, mit schwermütigen Harmonien. Wie in einer sich selbst bestätigenden Prophezeiung ergab es sich, dass das Konzert mit dem „Klagelied“ begann. Dabei kam der Geige die entscheidende Rolle zu, Wehmut einzufangen. Ohne Frage vermischte sich im Verlauf des Stücks Elegisches mit Avantgardistischem. Wie ein Bach, der vom Eis befreit ist, klang das Tastenspiel von Helge Lien: gurgelnd, perlend, rinnend, dahinfließend. Insgesamt vermittelte die Komposition den Eindruck eines Klangfarbenspiels in Pastelltönen. Auch Per Oddvar Johansen fügte sich in dieses zarte Farbenspiel ein, wählte statt der Sticks Besen aus, die über Snare und Tom strichen.


Im weiteren Fortgang vermeinte man Meeresrauschen wahrzunehmen, zudem auch Donnerhall und Magmafluss, als das Tempo verschärft wurde und sich auch das Geigenspiel von Adam Bałdych als explosiv und aufgeladen erwies. Das Eruptive entlud sich nachfolgend in melodiösen Stromschnellen, ehe zum Kernthema zurückgefunden wurde, das ein wenig an ein Requiem erinnerte.

Gefolgt wurde das Eröffnungsstück von einer Komposition, die auf dem Album „Bridges“ zu finden ist: „Polesie“. Dabei handelt es sich, so Adam Bałdych, um eine Gegend in Ostpolen, aus der seine Großeltern stammen. So sei dieses Stück auch eine musikalische Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln.


Ganz in der Tieftönigkeit ging Helge Lien in seinem Spielansatz auf, gepaart mit dem zurückhaltenden Besenstrich von Per Oddvar Johansen. Getragenes entlockte Adam Bałdych seinem Saiteninstrument. Pulsierendes traf im weiteren Fortgang auf Wellenformationen. Windintervalle schienen sich auszubreiten. Energetisch ging Per Oddvar Johansen zu Werke. Dabei klang es so, als träfen hohe Wellen an die Gestade und an schier aufragende Felswände. Zug um Zug setzten sich die leisen Töne dann doch wieder durch. Diese leisen Tongebungen durchbrach Thomas Rasmussen hier und da mit einem Fingertrommeln auf den Basssaiten.


Liebe und Schattenspiel

Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ging es beim nächsten Song um „Love“: Der moderne Nachbau einer „Renaissance-Geige“ – der Korpus eher einer Minigitarre gleichend – wurde von Adam Bałdych gezupft und nicht gestrichen. Folgte man den Linien und Konturen, dann meinte man bisweilen, eine Laute oder auch einen Bass zu hören, die sich in den Vordergrund drängten. Der Eindruck höfischer Musik ließ sich nicht wegschieben. Dieser Musik bei Hofe schien Volksliedhaftes untergemischt worden zu sein. Glöckchen klingelten, derweil Helge Lien einen fruchtbaren Klanghumus vor uns ausbreitete. Erdigkeit strahlte auch das Spiel des Bassisten Thomas Rasmussen aus.


Bei dem Titel „Up“ bevorzugte Adam Bałdych gleichfalls das Finger- statt des Bogenspiels. Hafenartig könnte man den Ansatz nennen, mit dem ein Vergehen und Aufflammen eingefangen wurde. Zum Ansatz von Helge Lien gehörte es, mit einer Hand in den Korpus des Flügels zu greifen und so die angeschlagenen Töne zu dämpfen und zu modulieren, derweil Per Oddvar Johansen seine Finger über Blech und Fell wandern ließ. Doch auch Marschrhythmik erlebten wir. Übrigens: Rockiges breitete sich bei diesem Stück außerdem aus, ohne in klassische Jazz-Rock- oder Fusion-Schemen zu verfallen.

Auch nach der Pause behielten die Musiker ihren Duktus bei, mischten Lyrisches und Balladenhaftes mit Ansätzen von Rockigem. Stets schien das Narrative von Bedeutung, auch bei „Shadows“, einem Song, bei dem man weniger an Schattenspiele und Schattenwelten dachte, sondern eher an das Erwachen einer Stadt mit ihren Frühaufstehern und ihren übrig gebliebenen Nachtschwärmern, die im Morgengrauen den Weg nach Hause finden. Rollenden Glasperlen glich das, was Helge Lien uns präsentierte. Hochtönig-rau gab sich hingegen die Geige.

Auf ein Duett ließen sich Adam Bałdych und Helge Lien beim nachfolgenden Song ein, der in der Melodie und Harmonie stark an Lars Danielssons Kompositionen für „Liberetto II“ erinnerte. Musikalische Ausflüge ins Balkangebirge und die ungarische Steppe waren vorhanden, also keine nordischen Fjell-Touren. Hörte man nicht auch irischen Reel? Oder wurde gar der Hardanger-Fiddel ein Loblied gesungen?

Dass man auch den Korpus einer Geige in einen Perkussionskörper verwandeln kann, unterstrich der aus Polen stammende Geiger ganz nachhaltig, der sich im Ubrigen bei diesem Stück mehr und mehr auch als „Teufelsgeiger“ entpuppte, und die Klangpalette des Quartetts ganz nachhaltig bestimmte – bis zum letzten Akkord.

Der Abend hätte sicherlich noch bis zur blauen Stunde seine Fortsetzung nehmen können, aber nach einem Encore war dann auch Schluss, stürmischer Beifall hin oder her.


Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther / Text und Fotos sind weder public domains noch public commons!


Informationen

Deutsch-Polnische Gesellschaft Lüdinghausen
http://www.dpg-luedinghausen.de/


Burg Vischering

https://www.facebook.com/WasserburgVischering/

Kreis Coesfeld
http://www.kreis-coesfeld.de/bildung-freizeit-kultur/veranstaltungen-im-kreis.html
http://www.kreis-coesfeld.de/bildung-freizeit-kultur/kultur.html

Helge Lien
http://helgelientrio.com/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/h/helge-lien-trio-badgers-and-other-beings/

Per Oddvar Johansen
http://peroddvar.no/peroddvar/me-2.html
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Adam Bałdych
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