Wie an jedem der vorangegangenen Abende wurde auch der Finaltag kurzweilig von Dennis Renken und Patrick Hengst eingeleitet. Diesmal war das Haus bis auf den letzten Platz gefüllt. Lag es an Louis Sclavis und Vincent Courtois, die den Abend beschlossen? Möglicherweise.
Beinahe unbemerkt von den Abendgästen hatte am Nachmittag bereits ein Kinderkonzert stattgefunden, das KNU! bestritt. Ein solches Konzert ist ein hervorragendes Angebot, um auch den Nachwuchs an Jazz und improvisierte Musik heranzuführen. Ein solches Segment gehört einfach auch zu einem guten Jazzfestival, das unterdessen erwachsen geworden ist.
So nun hieß es endlich Bühne frei für Pep Ventura. Wie? Was? Wer? Und wieso nicht Nino Ventura? Dazu müsste man Patrick Hengst (drums), Niko Meinhold (piano) und Christian Uğurel (sax) befragen. Bei ihrem Auftritt sagten sie dazu kein Sterbenswörtchen. Auch zu den einzelnen Kompositionen und dessen Urheber schwieg sich die Gruppe weitgehendst aus. Augenscheinlich sollte nur die Musik für Pep Ventura sprechen. Nun gut!
Ohne Bass
Ja, wo ist denn der Mann am Bass? Er fehlte, als das Dreigestirn von Pep Ventura die Bühne betrat. Nein, eigentlich fehlte er doch nicht, ließ man die Klangsequenzen an sich vorbeiziehen, für die die drei Musiker standen, dabei Patrick Hengst am Schlagwerk eher zurückhaltend mit Sticks und Besen, Niko Meinhold an den Tasten sehr energiegeladen und Christian Uğurel in behutsamer Feinabstimmung seines Holzbläsers.
Zu Beginn des Konzerts wurden nicht die weißen und schwarzen Tasten angeschlagen, sondern mit einem Stöckchen aggressiv über die Saiten des geöffneten Flügels gestrichen. Dann waren die Finger von Niko Meinhold im Spiel, als die Saiten direkt im Flügelkorpus zum Klingen gebracht wurden. Ein Glöckchen schellte, ohne das letzte Stündlein einzuläuten. Stöckchen flogen in den Korpus des Tasteninstruments. Kurztönig zeigte sich kommentierend das Saxofon, das sich auch zu einer Vierklangform hinreißen ließ. Derweil agierte Patrick Hengst an seinem Schlagwerk mit feinem Strich. Man vernahm später auch einen trillernden Flügel und ein heftiges Agieren des Schlagzeugers, der für einen Moment seine Gelassenheit aufgab. Als Saxofon und Klavier so richtig in Schwung kamen, vermeinte man, mit einem Stück klassischer Musik konfrontiert zu sein. Wurde da gar ein Sommertag an einem lauschigen finnischen See oder einem norwegischen Fjord musikalisch eingefangen?
Die anschließend präsentierte Komposition erschien wie ein Nachäffen und eine Folge von Nachplappern. Schrille Töne gab es obendrein, die Gänsehaut provozierten, dank sei einem Stick, der langsam über das Messing fuhr. Dass ein Saxofon säuseln kann, unterstrich Christian Uğurel, derweil Niko Meinhold uns seinen verspielten Flügel vorstellte. Auf die höchsten Töne, die kurz und auch ein wenig schräg klangen, verstand sich der Pianist außerdem, der von Patrick Hengst mit streichenden Schneebesen begleitet wurde. Oh, was war das denn? Pfiff da nicht der Pianist eine muntere Melodie zu seinem Fingerspiel? Abschließend konnte man sich ganz und gar einem flauschig gestrickten Klangteppich hingeben.
Nur zweimal griff Patrick Hengst zum Ansagemikrofon. Zum einen meinte er, dass er sich alle Titel nicht merken könne und daher nichts darüber zu sagen habe, zum anderen als er, wenn ich es richtig verstanden habe, die Komposition „Feldmännisch“ ankündigte.
Irgendwoher gab es ein Knistern, derweil sich die Klarinette, gespielt von Christian Uğurel, sanftmütig zeigte. Das Stück klang so, als wollte man ein geschicktes Versteckspiel und ein Heranpirschen musikalisch umsetzen. Zum Schluss präsentierte dann Pep Ventura den „Punksong“, der auf der jüngsten CD-Veröffentlichung der Band – bei Wismart erschienen – zu finden ist. Energiegeladen ging es zur Sache. Es gab kein Zaudern, sondern Rabatz. Da wurde draufgehauen, ehe ein ruhiger Abschnitt als kurze Verschnaufpause eingeschoben wurde. Abschließend hatte man jedoch den Eindruck von Aufruhr. Pogo war angesagt, und dann war es mal gut.
Jazz oder Singer/Songwriter – das ist eine Frage
„Lea W. Freys Musik hat hohes Suchtpotenzial. Während tradierte Popsong-Strukturen darauf abzielen, die Aufmerksamkeit in kurzer Zeit vertikal auf eine Klimax zu lenken, entwickelt die Band Songs in ihrer horizontalen Dimension.“ So war es in der Vorankündigung zu lesen.
Außer einer kurzen Bandvorstellung gab es von Lea W. Frey keine Hinweise auf den Kontext der Kompositionen. Warum eigentlich nicht? Das lyrische Moment überwog bei allen präsentierten Songs, die m.E. sehr ähnlich angelegt waren. Hier und da wimmerte eine Gitarre, gab es sphärische Klangpassagen, hörte man Gezirpe und Vibrieren. Mit behänden Fingern bediente Bernhard Meyer seinen Bass und ließ nicht nur tiefe Töne durch das Theater hallen. Sowohl für den Bassisten als auch für den Gitarristen Peter Meyer schienen diverse Effekte ganz wesentlich für die Entwicklung der Songs zu sein. Auffallend war die Körperhaltung der beiden Gitarristen, die sich weitgehend auf ihre Gitarren und die „elektronischen Zauberstäbe“ zu ihren Füßen konzentrierten.
Kaum mal gab es Blickkontakte und non-verbale Kommunikation zwischen den Bandmitgliedern. Das war bei Pep Ventura ganz anders. Kopfnicken, versteckte Blick, ein gegenseitiges Zuwenden machte Teil der musikalischen Präsentation aus. Gehört nicht genau das, also das physische Interagieren der Musiker, zum Jazz dazu, der ja im Moment entsteht?
Bei der Band von Lea W. Frey drängte sich der Eindruck auf, dass alle Songs, die präsentiert wurden, nahezu durchgetaktet waren. Ja, es gab die Solos der beiden Gitarristen, und auch der Schlagzeuger Andi Habert begeisterte durch gelegentliches wildes und entfesseltes Spiel. Doch das schienen nur arrangierte Intermezzos, die dann wieder in eine ausgefeilte Songpräsentation übergingen. Irgendwie fehlte es an Zipp und Zapp, an Unvorhergesehenem und an Unerhörtem. Es schien, als folgten die vorgetragenen Songs einem Schema.
Gefällig als Urteil über die Kompositionen der Bandleaderin klingt vielleicht zu hart, aber irgendwie fehlte es m. E. an dem, was Jazz ausmacht, dem Spontanen, dem Aufregenden, Anregenden, dem Aufgewühlten, dem Dramatischen und zugleich auch Lyrischen. Packende Dialoge gab es selten, und wenn, dann waren diese nicht so prägnant, wie mir schien. Am Ende war die Frage zu stellen: „Ist das Jazz oder was?“ Dem überwiegenden Teil des Publikums, so muss man den Beifall werten, hatte es allerdings sehr gut gefallen.
Zwischenruf: Vokales ist nicht immer gleich
Schlägt man eine Brücke zwischen den drei auf dem Festival vertretenen Vokalistinnen, so waren deutliche Unterschiede auszumachen. Filippa Gojo verstand es, ihre Songs mit Scat Vocal aufzufrischen und auch überraschend klingen zu lassen. Eva Pfitzenmaier verband sehr gekonnt, wenn auch sehr auf das „technische Zauberkästlein“ zurückgreifend, ihren Gesang mit Samplings und ihrem durchaus schrillen und wuchtigen Spiel auf den Keyboards. Doch dem Berichterstatter blieb Eva Pfitzenmaiers musikalische Präsentation dennoch weitgehend fremd, wie bereits in der vorherigen Konzertbesprechung ausgeführt. Es wäre vielleicht anders, wenn wie in der cuba Black Box der Auftritt der in Bergen lebenden Musiker unter dem Etikett „Hörspiel“ firmiert hätte.
Es muss unbedingt hervorgehoben werden, dass sowohl Filippa Gojo als auch Eve Pfitzenmaier den verbalen Dialog mit dem Publikum gezielt suchten, ohne allzu plaudernd zu erscheinen, Lea W. Frey verzichtete darauf. Das ist zu bedauern, denn man hätte doch gerne über die eine oder andere ihrer Kompositionen ein paar Worte gehört, so wie das Filippa Gojo bei ihrem Song „My Water“ getan hat. Reden über die eigene Musik ist dieser doch nicht abträglich, oder?
Ein Cello traf auf eine Bassklarinette
Das große Finale und wirklich hochkarätig war dann der Auftritt des französischen Duos Louis Sclavis und Vincent Courtois. Sie präsentierten überwiegend Kompositionen aus der Feder von Louis Sclavis, angefangen bei „La Divinazione Moderna“ über „Procession“, „Three children“ sowie „Petite valse“ und schließlich „Le Temps d'aprés“. Das Konzert fand statt, obgleich Louis Sclavis an einer Erkältung litt. Bei meinem Gespräch mit ihm vor dem Konzert meinte er, die Luft würde für einen Set schon reichen. Und so war es denn auch. Ein beinahe einstündiges Konzert endete mit Standing Ovations, erstmals während des dreitägigen Festivals!
Beide Musiker spielten durch, ohne auch nur ein einziges Wort über die Kompositionen zu verlieren. Melodisch-lyrisch war das gemeinsame Spiel, aber auch spontan erscheinend und nie wirklich vorhersagbar, auch wenn beide ihre Blicke hin und wieder auf die Noten warfen, die vor ihnen auf den Pulten lagen.
Gestisch begann das Cello, das auch ein wenig nach einem Bass klang. Dazu gesellte sich dann Louis Sclavis mit dunkel-samten klingendem Klarinettensound. Dieser entwickelte sich zu einem frühlingshaften Grün, sprich es klang nach Ende des Winters und ersten Sonnenstrahlen, was Sclavis uns darbot. Stets hatte man den Eindruck, dass das Streben nach der Melodie beide Musiker antrieb. Mal hörte man ein Schmachten des Cellos, mal ein dumpfes Klagen der Klarinette. Dann traf da auch Getragenes auf Aufmüpfiges. Hochtönige Seufzerpassagen des Cellos wurden von Basslinien der Klarinette begleitet.
Nachfolgend entstand der Eindruck, man lausche einer italienischen Serenade. Erst gemeinsam beginnend und dann sich voneinander lösend – das war die Struktur des musikalischen Vortrags. Courtois ließ sein Cello stellenweise zu einer Geige mutieren. Wie er mir im Gespräch vor dem Konzert verriet, ist es genau das, was ihn am Cellospiel so reize: Man könne das Cello so spielen wie eine Geige oder auch einen Bass und schließlich eine Gitarre. Zumindest komme er mit seiner Spielweise des Cellos ganz in die Nähe dieser anderen Saiteninstrumente. Das Cello sei für ihn, Courtois, eine Art Werkzeug, multifunktional natürlich.
Genau der Wechsel in den Klangfarben des Cellos war überaus interessant. Nie kam Langeweile auf. Immer war Frische im Spiel, konnte man sich auf das Brechen von Erwartungen gefasst machen. „Muscle Memory“ spielte bei den beiden Weltklassejazzern keine Rolle, so der Eindruck. Ganz im Gegenteil: Es gab auch ein wenig Bluesanleihe, und hier und da klang Louis Sclavis Spiel auch so, als würde er ein Saxofon anstimmen.
Courtois ließ im Verlauf des Konzerts beim Streichen mit dem Bogen auch kurze Momente englischer Renaissancemusik aufscheinen, derweil sich Louis Sclavis seinem ausgelassen wirkenden Spiel hingab. Beinahe Etüdenhaftes gab es zudem zu hören. Auch Chorgesang und Choralartiges meinte man, im weiteren Fortgang des Konzerts geboten zu bekommen. In diesem Kontext wäre dann der Begriff kammermusikalisch u. U. angebracht.
Brillant war ein Solo von Vincent Courtois, der sein Saiteninstrument zupfte und fernöstliche Musikwelten auf die Bühne zauberte, um im nächsten Augenblick Gitarrenriffs zu Gehör zu bringen. Es gab neben dem Zupf-Zupf auch ein Klick und Klack sowie ein Schnalzen zu hören.
Beinahe Sphärisches hörte man bei „Three children“ und auch ein Tipptapptapp, so als würden Kinder auf leisen Sohlen durchs Haus laufen. Wahrnehmbar waren bei Courtois Spiel einige rockige Elemente. Auch die Bassklarinette von Louis Sclavis gab sich als Rockröhre zu erkennen.
Zum Walzer baten uns die beiden Musiker auch noch und dabei drängten sich auch Erinnerungen an den Jazz des Hot Club de France auf, jedenfalls fragmentarisch. Nach einer Zugabe fiel dann der Vorhang für die 20. Ausgabe des JOE Festivals.
Man darf auf das 21. Festival gespannt sein, ob dann wieder am Donnerstag eröffnet wird und, wenn ja, mit wie vielen Bands, das steht noch in den Sternen. Fazit: ein hochkarätiges Festival, zu dem alle beigetragen haben, die freiwilligen Helfer hinter den Kulissen, aber auch Ulf, der an den Reglern stets für den guten, ausgewogenen Klang sorgte.
Text und Photos: © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Pep Ventura
https://myspace.com/pepventura/music/songs
http://www.pepventura.de/Kontakt_files/Pep%20Ventura%20Info%20English.pdf
http://www.pepventura.de
Musik
http://www.pepventura.de/Musik.html
Niko Meinhold
http://www.nikomeinhold.de/
Christian Uğurel
http://www.ugurel.de/en/
Lea W. Frey Band
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Vincent Courtois
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