20. Jazztage Emsdetten #3

Nicht nur geballte Saxofon-Euphorie: Linntett



Nach drei Tagen fällt der Vorhang der Jazztage, aber nach den Jazztagen ist bekanntlich vor den Jazztagen, also … Doch zuvor machten noch Linntett und die Herren von The Toughest Tenors ihre Aufwartung und versprühten die Allgewalt der Windmaschinen, die ein gewisser Herr Sax aus dem belgischen Dinant einst erfunden und konstruiert hatte.


Linntett – nicht nur tief gestimmte Frauenpower aus Nürnberg


Die Nürnberger Baritonsaxofonistin Kira Linn führte ein Sextett an, das ganz und gar auf die Holzbläser des Herrn Sax vertraute, um ihre Klangwelten zu entfalten. Dass dabei auch Anlehnungen an die Tutti einer Big Band eine nicht unwesentliche Rolle spielten, sei an dieser Stelle mal vorab angemerkt. Vorgestellt wurde die neuste Veröffentlichung des Sextetts, die sich mit Naturbildern beschäftigt. In der bei Jazzhalo erschienenen Albumkritik heißt es u. a.:

„Dabei ist auf dem Album unüberhörbar, dass Kira Linn nicht nur feurig-energetische Pianosequenzen schätzt, sondern auch satt gesetzte Saxofonläufe. Diese klingen gelegentlich so „vollmundig“, als habe man eine Big Band vor sich. Das hängt gewiss auch mit den Arrangements zusammen. Allerdings muss man anfügen, dass nicht allein den Saxofonen die Aufmerksamkeit gilt, sondern Kira Linn auch für andere Instrumentalisten Raum schafft. So gibt es veritable Schlagzeuginterventionen zu hören und auch der Pianist kann sich in seinem dynamischen Spiel voll entfalten. Doch zu dieser Aussage gesellt sich ein “Aber”: In den Klangfarben dominieren schon die Saxofone, die sich eher durch marktschreierisches Gebaren in den Vordergrund schieben als durch Sanftmütigkeit, auch wenn diese wie bei „Haze“ durchaus vorhanden ist.“

Zu dem Sextett, das Kira Linn zusammengestellt hat, gehören: Nino Wenger (Altsaxofon / Flöte), Christopher Kunz (Tenor- /Sopransaxofon), Kira Linn (Baritonsaxofon / Bassklarinette), Lukas Keller (Kontrabass), Lukas Großmann (Klavier) und Johannes Koch (Schlagzeug).


Auf Kleinteiligkeit kam es auch an

Um es vorwegzunehmen: Das Sextett trat nicht als monolithischer Block in Erscheinung, sondern löste sich in Solos, Duos und Trios auf. Die Rhythmusgruppe hatte dabei ebenso ihre Momente, sich vordergründig zu zeigen, als auch das Dreigespann mit seinen Saxofonen. Die Möglichkeiten der Spielkombinationen schienen dabei überschaubar, aber auch reizvoll.


Ein Weckruf zu Beginn


Wer zu Konertbeginn etwas schläfrig war, weil er schon zwei Tage auf den Jazztagen mit vielerlei Musik verbracht hatte, der wurde von Linnette geweckt: „Wake up“ hieß der erste Titel, den die Nürnberger Band präsentierte.

Tastenakzente paarten sich mit vereinten Windmaschinen. Anmutungen von Big-Band-Klangbildern waren zu vernehmen. Dabei röhrte, grummelte und brodelte das Baritonsaxofon weniger als erwartet. Eher die Tenorlagen bediente Kira Linn in ihrem Spiel. In ihrem dialogischen Ansatz setzten sich Altsaxofon und Tenorsaxofon in Szene. So eine Art Vorgesang und Nachgesang hatten sich die Saxofonisten einfallen lassen. Dabei waren sie stets der Melodie verpflichtet. Das Tieftönige blieb dabei eine Ausschweifung. Eher unauffällig agierte derweil der Schlagzeuger, stets mit dem richtigen Timing unterwegs. Vor allem das Wechselspiel zwischen großem Becken und Snare war sein Metier.

Ein dahinrinnender Tastenfluss drang ans Ohr der Zuhörer. Zugleich aber schienen die Saxofonisten einen Weckruf zu imitieren, zumindest aber beharrlich Signale auszusenden.


Der Klang einer Big Band für den Großvater

Im Anschluss an den Weckruf stellte Kira Linn eine Komposition vor, die sie ihrem Großvater, einem ausgesprochenen Big-Band-Freund gewidmet hat. Kein Wunder also, dass die typischen Setzungen einer Big Band zu hören waren, wenn auch statt fünf nur drei Saxofonisten auf der Bühne agierten, von den fehlenden Posaunisten und Trompetern mal abgesehen.


Galoppierende Rhythmen waren zu vernehmen. Zugleich swingte es, keine Frage. Ein stetes Auf und Ab signalisierte der Tenorsaxofonist nicht nur in seinem Spiel, sondern auch in seinen Körperbewegungen. Tempoverschärfungen waren Teil des Konzepts. Immer erregter schien das Tenorsaxofon zu werden. Man wartete auf den ultimativen Ausbruch ähnlich eines Vulkans. Doch zugleich lag über all dem auch ein beruhigender Swing, der die Erdung symbolisierte. Im Verlauf des Stücks konnte man davon sprechen, dass ein Saxofontrio einer Rhythmusgruppe begegnet. Die Sechserformation wurde fragmentiert. Bei der Rhythmusgruppe stand übrigens mal nicht so sehr der Pianist, sondern der Bassist im Fokus, auch wenn er auf der Bühne ganz und gar den Hintergrund belegte. „Rampensäue“ sind Bassisten zumeist eh nicht, sondern her introvertierte Saitenzupfer.


Ferne oder Sehnsucht?

Sehr konzertant und in der Erwartung, gleich höre man einen Kanon, ging es mit der nächsten Komposition weiter, die sich wie andere auch an diesem Abend mit Naturbildern befasste. Der Zuhörer konnten den Eindruck haben, Romantisches bzw. Neoromantisches zu hören. Mit Feingefühl agierte der Schlagzeuger zu den sanften und beinahe gläsernen Flötentönen, die der Altsaxofonist vortrug, der unterdessen sein Instrument gewechselt hatte. Große Gefühlswelten offenbarten sich, auch dank des Pianisten. „Far“ - so nennt Kira Linn diesen Titel, der aber aus meiner Sicht weniger das Fernweh und die Ferne behandelte als eher Sehnsüchte. Aber vielleicht sind diese eben auch fern.


Die musikalische Umsetzung eines Hagelsturms schlug sich für die Bandleaderin von Linnette in ihrer Komposition „White“ nieder, die im Anschluss zu hören war. Die Linien und Konturen des Stücks schienen mir dabei weniger an Hagel als an Platzregen oder Schneegestöber zu erinnern. Insbesondere bei dem Schlagzeugsolo musste man wohl an einen sommerlichen Platzregen mit dicken niederplatschenden Tropfen denken. Fliegende Wischerblätter an der Frontscheibe des Autos kamen als Bild in den Kopf, vertiefte man sich in den Saxofon-Satz.


Raum für alle

Stets gab es Raum für alle Musiker sich zu entfalten. Das ist ja Jazz: Freiheit, auch Freiheit im Spiel und keine Verengungen. Dies galt auch für „Fly away“, ein Stück, das auch durch den weichen Ton der Bassklarinette mitbestimmt wurde. Zudem war es faszinierend mitzuerleben, wie verschiedene Duos geformt wurden und den Spielmodus bestimmten, so Flöte und Sopransaxofon.


Gänzlich aus dem Big-Band-Schema fiel das Stück „Hill“, wenn ich die Ansage richtig verstanden habe. Dabei zeigte sich der Sopransaxofonist Christopher Kunz als Musiker, der mit voller Energie und beinahe ekstatisch agierte.

Mit einem ruhigen, sehr ruhigen Stück verabschiedete sich Linntett: „Slow Motion“ hieß es, ehe nach sehr kurzer Umbaupause die fünf Herren von The Toughest Tenors, die Bühne betraten.


Text und Photos: © ferdinand dupuis-panther / Inhalt, sprich Text und Bilder, sind nicht public commons!


Informationen

https://www.kiralinn.com/bands/linntett-1/

Review
http://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/l/linntett-kira-linn-nature-fdp/


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