Yves Theiler Trio - We

Yves Theiler Trio - We

Y

Intakt

Der aus Zürich gebürtige Pianist Yves Theiler ist eine gewichtige Stimme im aktuellen europäischen Jazz. Die Verwurzelung in der Tradition des Jazz ist ihm ebenso wichtig wie der kreative Umgang mit freier Improvisation. Mit dem Trio – außer Yves Theiler gehören der Bassist Luca Sisera und der Schlagzeuger Lukas Mantel dazu – bewegt er sich im Spannungsfeld von geschlossener Ensemblemusik und den Herausforderungen freier Formen, die das Trio miteinander verwebt.

"Yves Theiler is part of this long lineage of musicians able to move between comfort zone and danger area. We, his third album as the leader … is a collection of adventurously mapped pieces that are as liable to attract the listener through the jaunty, lively character of the themes … „. so schreibt Kevin Le Gendre in den Liner Notes.  

Mit „Slush in Thaw“ empfängt das Trio die Hörer, die anschließend Kompositionen wie „No Rank, no Hill“, „The Thruth is, I was born in Argentina“ und „WE“ - warum in Versalien gesetzt? - hören können. Alle Kompositionen auf dem aktuellen Album stammen aus Theilers Feder! Mit „The Visit of Mr. Lev“ und schließlich „Every Year“ findet das Album seinen gelungenen Ausklang. Songhaftes gibt es bei Yves Theiler nicht. Raum für freie Entwicklung sind bei Stücken, die wie „Every Year“ auf mehr als zwölf Minuten ausgelegt sind, gewiss gegeben. Also darf man auf Ausbrüche, „Ausuferungen“, „Entgleisungen“, Formenfreude hoffen, ehe man den ersten Chorus überhaupt gehört hat, oder?

Muss man den Albumtitel „WE“ eigentlich programmatisch begreifen, auch wenn alle Kompositionen aus der Feder Yves Theilers stammen? Heißt „we“ schlicht, das rotierende Solos zu erwarten sind, dass sich ein Trio auch in Zweieinheiten aufspaltet? Also dann in medias res!

Es gibt Pianisten, die vernachlässigen die Basshand und ergehen sich im Diskant. Zu dieser Gruppe von Pianisten gehört Yves Theiler gewiss nicht. Sehr auf Energieentladung bedacht beginnt „Slush in Thaw“. Aufwirbelungen sind zu vernehmen. „Stufenschläge“ mit Pausen sind es, die den Charakter des Stücks über weite Strecken prägen. Neben Sprunghaftigkeit sind aber auch eher lineare Strukturen auszumachen. Aus thematischer Gefasstheit entwickelt Theiler ein sehr rollendes Spiel. Dabei kommen energetische Akzentuierungen und kaskadierende Passagen nicht zu kurz. Lukas Mantel sorgt für Schlagfeste und viel Beckenschwirren. Der Bass in den Händen Luca Siseras ist eher ein hintergründiger Spielpartner. Phasen von Anspannung und Entspannung lösen sich ab. Beim Zuhören fiel mir die Szene des über eine lange Treppenflucht in die Tiefe rollenden Kinderwagens aus „Panzerkreuzer Potemkin“ ein. Zartes Geraschel vereint sich mit dem solistischen Fingerspiel auf den Basssaiten, dabei thematische Elemente aufnehmend, die Yves Theiler eingeführt hatte. Teilweise gibt es von Luca Sisera auch lautmalerische Begleitungen zu seinem Saitenspiel zu hören, ehe das Stück dann wieder im „Tastenstolpern“ mündet.

Ein dramatisches Bassgestreiche und ein sonores „Eins-Zwei-Getöne“ auf dem Klavier, ein geschlagenes Energiebündel, ein Knarren und Knurren des Viersaiters sowie eine gewisse „Bassverstimmung“ – all das steht am Beginn von „No Rank, No Hill“. Danach erscheinen die Linien so, als würde ein tosender Wasserfall wie die Victoria Falls in eine musikalische Form gegossen werden. Ein Film zu Rafting im Wildwasser ließe sich durchaus mit der vorliegenden Komposition vertonen. Mal sind es kleine, mal größere Stromschnellen, mal trifft man auf ein Meer von Strudeln, die im perlenden Diskant eingefangen werden. Mal geht es im Wildwasser schneller, mal langsamer talwärts. Temporeich ist das Stück gewiss, auch durch den schlagfertigen Vortrieb, den Lukas Mantel leistet. Streckenweise ist Yves Theiler ganz und gar im  Tastenspiel gefangen, lässt links und rechts Wildwasser schäumen und aufspritzen. Mindestens in Grad 5 muss navigiert werden. Dabei lässt Yves Theiler Presswasser vor unseren Augen ebenso entstehen wie schwierig zu meisternde Schwälle.

„The Truth Is, I Was born in Argentina“: Losgelöst zeigt sich zu Anfang der Komposition Luca Sisera, dabei beinahe ein Kinderlied intonierend. Danach nimmt Yves Theiler diese sehr beschwingte Kontur auf. Im Dialog zwischen Bass und Klavier entwickelt sich das Stück weiter. Man muss an Wolkengebirge denken, an Wolkenbänke, Wolkenschlieren, Wolkenfetzen, an Cumulus und Schäfchenwolken, die uns da Yves Theiler mithilfe der 88 Tasten nahebringt. Temporär sind diese Bilder. Es geht voran, voran, voran. Bisweilen scheint es, dass es nie enden wird, dass der musikalische Faden ins Unendliche gesponnen werden kann. Außerdem werden Trommelränder  geschlagen, und Sprünge werden vollführt. Der Bass lässt sich auch auf die klanglichen Sprünge ein und dann ist Schluss.

Atemlosigkeit strahlt „WE“ von Anbeginn aus. Nur vorwärts geht es. Einhalt gibt es nicht, Rückblicke auch nicht. Man meint, man erlebe musikalisch ein Hindernisrennen in Ascot. Keine Hecke scheint zu schwer, um sie nicht meistern zu können. Voran, voran, voran – dies ist das Motto. Erst nach einem Drittel der Komposition gibt es Tempo-Verflachungen, scheinen sich Momente der Beschaulichkeit einzustellen. Sehr gelungen ist das Duett zwischen Bass und Klavier, die im Wechselspiel verwoben sind.

Der Schlusspunkt wird von „Every Year“ gebildet. Beinahe lyrisch eröffnet Yves Theiler das Stück, begleitet vom Besenspiel von Lukas Mantel und dem lautstarken Erdton des Basses. Beim Zuhören meint man, raschelndes Laub im Herbstwind zu vernehmen. Ruhe und Besinnlichkeit scheinen sich als vorherrschend im Tastenspiel wiederzufinden. Das Nahen des Winters ist zu spüren. Das Leben verlangsamt sich mehr und mehr. Die Wildheit und das Ungezwungene, die in anderen Stücken im Fokus stehen, haben bei „Every Year“ keinen Raum. Feinen Regen sehen wir bildlich vor unserem geistigen Augen, wenn Theiler seine sprudelnden Tastenkaskaden absetzt. Dieser anfänglich feine Regen verdichtet sich, auch dank des Beiwerks von Luca Sisera. Findet da nicht gerade eine Niederwildjagd statt, flitzen da nicht Hasen Haken schlagend durchs Gelände? Die Linien und Konturen, die Theiler zeichnet, sind durchaus in einem derartigen Bild zu bündeln. „Every Year“ klingt wie gesagt nach einem gewissen Gleichklang. Doch nicht bei dem Yves Theiler Trio. Da sind keine Redundanzen auszumachen. Im Gegenteil unerwartete Wendungen treten auf, auch mit klassischen Anfügungen auf den schwarzen und weißen Tasten. Luca Sicera sucht auf den Basssaiten nach der Schönheit der Melodie, bestimmt und in Umbra getönt, erdig, bodenständig, aber hier und da auch mit „Swing“. Und am Ende vergeht die Komposition leise.

Text: © ferdinand dupuis-panther – Der Text ist nicht public commons


Informationen

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