WE JAZZ RECORDS X4
Various
WE JAZZ RECORDS
Rosanna & Zelia / Lukas Traxel / Antti Lötjönen / Valtteri Laurell Nonet
Rosanna & Zelia – Baiao da Luna
Musikalische Weichklänge zwischen Rio und Manaus drängen sich auf, wenn das brasilianische Gesangsduo Rosanna und Zelia zu hören ist. Doch die beiden haben selbstverständlich Begleiter, insbesondere wenn ein brasilianischer Reggae erklingt. Dann werden Gitarren durch Perkussion, Bass sowie Drums ergänzt. Bei allen drei Songs auf der digitalen Wiederveröffentlichung von Aufnahmen von 1990 spürt man den Geist von Astrud Gilberto und Gil Gilberto. Dabei überzeugen die beiden Sängerinnen durch Stimmsicherheit und ihr distinktes Timbre sowie durch Scat Vocals. Und beim Reggae lassen sie fast Jimmy Cliff oder Bob Marley vergessen, diese Ikonen des karibischen Reggae.
Die vorliegende EP ist gleichsam eine Hommage an die beiden Sängerinnen Rosanna Guimarães Tavares und Zélia Nogueira da Fonseca. Sie zogen 1988 von Minas Gerais (Brasilien) nach Europa, veröffentlichten zwischen 1993 und 2004 fünf Alben in Deutschland, bevor Rosanna 2006 an Krebs starb. Zélia setzt ihre Karriere in Deutschland fort, tourt aktiv und veröffentlicht weiterhin Alben. Finnland war übrigens für beide eine Art Zwischenstation auf ihrer Erkundung von Europa. Daher ist auch die Wieder-Veröffentlichung bei dem finnischen Label We Jazz Records keine Überraschung.
Info
Tracks:
1. Baiao Da Luna
2. Tonto Luar
3. Extra (Brazilian Reggae)
Line-up:
Zelia: Vocals, Guitar
Rosanna: Vocals, Guitar, Tambourine, Caxixi, Triangle
Petri Välimäki: Bass (A1)
Harri Ala-Kojola: Drums (A1)
Jukka Ojaniemi: Percussion (A1)
Seppo Myllymäki: Percussion (AA)
Lukas Traxel - One-Eyed Daruma
Zu hören sind auf diesem Debütalbum acht Kompositionen des Schweizer Bassisten Lukas Traxel. Rhythmisch durch und durch getränkt sind diese Kompositionen, dank an das umtriebige und teilweise nervös, gegen den Strich gebürstet erscheinende Schlagwerk des Drummers Moritz Baumgärtner.
Über das Album äußert sich Traxel wie folgt: „Der Prozess des Komponierens dieser Musik, während wir uns mit dem Verlust eines geliebten Menschen auseinandersetzten, führte zunächst zu einer Schreibblockade. Die Noten wollten einfach nicht aus meinem Stift fließen, bis ich eine mysteriös aussehende Figur in der rechten oberen Ecke meines Klaviers bemerkte. Es war ein Daruma, eine augenlose Figur, die in der japanischen Tradition Glück und Wohlstand bringt. Dem Mythos zufolge muss das erste Auge auf die Figur gezeichnet werden, wenn man einen Wunsch äußert. Das zweite Auge kann erst hinzugefügt werden, wenn der Wunsch in Erfüllung geht. Mein daruma soll einäugig bleiben, da mein Wunsch, der eng mit meinem inzwischen verstorbenen Vater verbunden und verwoben ist, nicht in Erfüllung gehen soll. Das Gefühl der Unerfülltheit und Unvollkommenheit des Lebens zieht sich wie ein roter Faden durch dieses Album, bis hin zum Titel.“
Auffallend ist bei allen Stücken, dass der Saxofonist Otis Sandsjö ein Gespür für die feinen Linien an den Tag legt, die man mit einem Saxofon auch erzeugen kann. Sein Spiel ist dynamisch, vorwärtstreibend, in aufsteigenden und herabfallenden Linien gebunden und über den Trommelrausch gelegt, den der Drummer zelebriert. Repetitives ist beim Hören auch wahrzunehmen, unter anderem bei „The Call“. Bisweilen meint man der Rufer rufe vergeblich, denn niemand scheint die Botschaft aufzunehmen. So muss sie stets aufs Neue in die Welt „hinausposaunt“ werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Durchaus Beschwingtes, das sich mit ungebundenen Formen kreuzt, vernehmen wir als Hörer außerdem, vor allem, wenn man dem Stück „Die Wahrscheinlichkeit“ folgt. Gelegentlich hat man den Eindruck, man folge einem „Hörspiel“ zu einem Stummfilm, der einen Sturm auf hoher See und einen Schiffbruch eingefangen hat. Weniger „feurig“ und aufgewühlt als „Die Wahrscheinlichkeit“ kommt „Empty Seat“ daher. Da schwirren die Bleche, tönt der Bass behäbig, wird der Holzbläser auch zu einer Art Windmaschine und zeigt sich eher behutsam-tastend in den Klanglinien. Helles Beckenschwirren und Glöckchenschellen und ein sonores, teilweise widerhallendes Saxofon erleben wir bei „Origami“. Der Gebläseklang entwickelt sich nach und nach langwellig und ab und an mit spitzen Amplituden. Hört man da nicht auch eine Annäherung an den Gesang von Singschwänen? Mit dem namensgebenden Titel für das Album endet die musikalische Exkursion des Trios.
Info
Tracks:
1. First Timer
2. The Call
3. Die Wahrscheinlichkeit
4. Empty Seat
5. Origami
6. Nasty People
7. Transience
8. One-Eyed Daruma
Line-up:
Otis Sandsjö: tenor saxophone
Lukas Traxel: double bass
Moritz Baumgärtner: drums
Antti Lötjönen – Circus Citadel
Der aus Kuopio gebürtige Bassist Antti Lötjönen legt mit dem Album „Circus Citadel“ seine jüngste Veröffentlichung vor. In der Begleitung des Bassisten hören wir einen starken „Bläsersatz“ mit den Saxofonisten Mikko Innanen und Jussi Kannaste sowie dem Trompeter Verneri Pohjola.
Der Bassist äußert sich wie folgt zu seinem Album: “These compositions vary in terms of form and density, with each player having enough room to re-invent and expand on the music within the pieces. I wrote this music over a relatively brief time span. This, I think, is something you can also hear on the album, as the temporal closeness of the ideas brings with it a certain kind of unity. The world we live in sometimes feels like an absurd circus, from which you need to get away from to get new ideas and energy. Everyone needs their citadel, whatever it may be. This pairing of the two words Circus/Citadel is inspired by a poem by the Romanian-born German-language poet Paul Celan (1920–1970).”
Orchestrales zwischen Big Band und kirchlichem Posaunenchor nehmen wir beim Hören ab und an wahr, unter anderem bei „Circus/Citadel Pt.1“. Zudem hat man den Eindruck, es gäbe auch Anleihen bei Weill und Eisler, sofern es die Harmonien und den Duktus betrifft. Der Bandleader und Bassist Antti Lötjönen ist mit galoppierenden Saiten-Setzungen präsent. Doch diese werden vom „fein-gespinstigen Gebläse“ überlagert, auch von dem „Stakkato“ des Baritonsaxofonisten Mikko Innanen.
Ein wenig nach Musik der Adderley Brothers in neuem Gewand hört sich „Circus/Citadel Pt. II“ an. Und auch dabei vernimmt man ein aufrührerisches Baritonsaxofon, das auf putzmuntere andere Bläser trifft. Sie vereinen sich gelegentlich zu Zirkusmusik, die man als Begleitmusik von Pferdedressuren in der Manege kennt. Schließlich gibt es noch „Circus/Citadel Pt. III“. Bei diesem Stück sind wir wieder in der Welt der großen Jazzorchester und deren Fortschreibung in die Jetztzeit. Prägnant ist der Bassist zu vernehmen. Über dessen Linien türmen sich Bläserturbulenzen und wilde Eskapaden, die von Unordnung erzählen.
Es scheint aber auch so, als würden die Bläser Klangbausteine aufeinander schichten, die dann irgendwann aus dem Gleichgewicht geraten, um wie in einem Puzzle Stein für Stein erneut zueinander finden. „Defenestration“ überzeugt durch ein sehr temporeiches Spiel, an dem auch der Bassist maßgeblichen Anteil hat. Er interveniert immer wieder zwischen den „Bläsersätzen“. Diese lassen durchaus an Modern Jazz erinnern. Aus der vereinten Bläsermacht schält sich dann auch das eine oder andere sonor oder röhrend erscheinende Saxofonsolo heraus, stets untermalt von schweren Bassschritten. Derweil erscheint ein solches Solo so wie eine dahin schwebende, sich auflösende Wolkenbank, leicht und der Erdanziehung trotzend. Der Bass jedoch betont das Bodenständige, das Fundamentale. An die „Suite“ zu Beginn des Albums knüpft hingegen „(for) Better People“ an. Dabei kann der Hörer hier und da auch Assoziationen zu den Bandas auf Malta haben, oder? Zugleich sind Anlehnungen an Free Jazz auszumachen, sind offene Formen durchaus charakteristisch. Vorstellungen von klanglichen Verwirbelungen, die in einen Orkan münden, drängen sich beim Hören auf. Hier und da muss man auch an den Duktus von Marching Bands beim Mardi Gras denken. Übrigens, bei all der Musik lasse man auch sein Auge auf dem Cover mit seinen Skizzen und Morphen ruhen.
Info
Tracks:
1. Circus/Citadel Pt. I
2. Circus/Citadel Pt. II
3. Circus/Citadel Pt. III
4. Ode to the Undone
5. Defenestration
6. (for) Better People
7. It Goes On.
Line-up:
Antti Lötjönen: double bass
Mikko Innanen: alto saxophone, baritone saxophone
Jussi Kannaste: tenor saxophone
Verneri Pohjola: trumpet
Joonas Riippa: drums
Valtteri Laurell Nonet
Tigers Are Better Looking
Das Nonett um den Gitarristen Valtteri Laurelll legt nunmehr ein Debütalbum vor. Unter den Mitmusikern dieses Bläser orientierten Nonetts ist der finnische Klarinettist Antti Sarpila besonders hervorzuheben.
Das aus sechs teilweise swingenden Kompositionen bestehende Album wurde auch durch die Veröffentlichungen des britisch-karibischen Autors Jean Rhys (1890–1979) inspiriert, so ist in einem Pressetext zum Album zu lesen. Der Bandleader räumt im Übrigen ein, dass er unter anderem von der Musik Gerry Mulligans, von Miles Davis' "Water Babies" und Charles Mingus wesentlich beeinflusst worden sind.
Unüberhörbar ist der Big-Band-Klang des Nonetts, vor allem, wenn Jukka Eskola, Petri Puolitaival, Jussi Kannaste, Antti Rissanen und Ville Vannemaa ihre Blasinstrumente unterschiedlicher Klangnuancen und -färbungen erklingen lassen. Ohne Frage ist, dass der Klarinettist über dem vereinten Klang der übrigen Bläser seine feinen Klangschleifen zeichnet. Er lässt dabei die Tonsilben schweben, dahingleiten, verwehen.
Nachhaltig im Gedächtnis bleibt aber auch der Trompeter Jukka Eskola in „At the Villa d’Or“. Das hat etwas von Leichtigkeit, von Transparenz. Dies gilt auch für die Passagen, die der Altsaxofonist Petri Puolitaival solistisch zu Gehör bringt. Getragen und auch von Wehmut umweht, so erscheint „Wide Sargasso Sea“, wenn der Klarinettist die Stimme erhebt. Abgelöst wird er von den übrigen Bläsern, darunter auch dem Baritonsaxofonisten, dessen tiefe Stimme einen prägnanten Kontrast zur der der Klarinette bildet.
In dem Stück ist auch der Gitarrist Valtteri Laurell Pöyhönen für einige Momente deutlich präsent. Doch das Klangbild wird nicht nur in diesem Stück vom Klarinettisten sowie den übrigen Bläsern bestimmt. In seinen wenigen solistischen Passagen vermittelt der Gitarrist das Bild von tanzenden Papierdrachen in der Thermik. Unaufgeregt und sehr lyrisch ausgereift ist das Spiel von Valtteri Laurell Pöyhönen.
Noch ein Wort zu „Let Them Call It Jazz“: Nein, Aker Bilk oder Benny Goodman sind es nicht, die da Klarinette spielen, sondern Antti Sarpila sorgt für eine Mischung aus Swing, Ballade und nordischer Melancholie. Hier und da muss man auch an Sydney Bechets „Petit Fleur“ denken, oder? Und am Ende gibt es dann Swing pur, wenn „Temps perdi“ erklingt.
Info
Tracks:
1. Tigers Are Better Looking
2. At the Villa d'Or
3. Wide Sargasso Sea
4. Let Them Call It Jazz
5. Till September Petronella
6. Temps Perdi
Line-up:
Valtteri Laurell Pöyhönen: electric guitar
Antti Sarpila: clarinet
Jukka Eskola: trumpet, flugelhorn
Petri Puolitaival: alto sax, flute
Jussi Kannaste: tenor sax
Antti Rissanen: trombone
Ville Vannemaa: baritone sax
Ville Herrala: double bass
Jaska Lukkarinen: drums
© ferdinand dupuis-panther, 2023