The Art of Trio - New Releases from Belgium
Various
Die Rede soll von „Souletude“, von „The Miracles of the only one thing“ und von „Primal Existence“ sein – drei Neuerscheinungen, die nicht unterschiedlicher sein könnten, zugleich aber auch aktuelle Spielauffassungen des Jazz der Gegenwart widerspiegeln.
„Souletude“ wurde von Mathias Van de Wiele (guitar, alto horn), Manolo Cabras (bass, electronics) und Jakob Warmenbol (drums, percussion) eingespielt. Es ist Musik mit Seele, rockige, rotzige, freche und vorlaute Musik, wenn auch es auch kein Soul im traditionellen Sinne ist. Dass man beim Anblick des Covers an Einsamkeit und nicht an Seligkeit denkt, liegt auf der Hand. Durch die Windschutzscheibe eines Autos schauen wir auf eine menschenleere Straße, die sich so durch den finnischen oder schwedischen Norden schlängelt. Hatten die drei Musiker also doch auch „In my solitude“ irgendwie mit im Gepäck, als sie sich zu den Aufnahmen des Albums trafen?
Aufgemacht wird das Album mit „Keep On Rollin’“, gefolgt von „Souletude“. Wir erfahren, warum die Luft hier dünn ist – „The Air Is Thin Around Here“ – und lassen uns nachfolgend ein wenig treiben – „Drifting“. Mit dem „Bekenntnis“, man sei stets Clown („A Clown Forever“), beschließt das Trio um den Genter Gitarristen Mathias Van de Wiele das vorliegende Album. Unaufhaltsam erscheinen Wheels. Die Weite wird gesucht. Der harte Rhythmus des Lebens ist stets präsent, auch bei „Keep On Rollin'“. Man hat beim Hören den Eindruck, es gehe sprichwörtlich über Stock und Stein. Mathias Van de Wiele lässt dafür seine Gitarre wimmern, kreischen, schreien, röhren. So vermittelt er uns eben die Querfeldeinfahrt musikalisch.
Viel weicher gestimmt ist dagegen die Gitarrensequenz in „Souletude“. Beinahe schon balladenhaft mutet die Komposition an. Bei Zuhören denkt man vielleicht an eine laue Mittsommernacht, wenn die Nacht zum Tag wird. Nur vereinzelt ziehen einige Wölkchen dahin. Kontemplation ist beim Zuhören angesagt. Man muss sich nur fallen lassen, wenn uns die teils weich gezeichneten Gitarrenriffs umgarnen. „Krik-Krak“ gleicht musikalisch eher einem Auf und Ab. Man meint, hier werde das Bild eines Fliehenden gezeichnet, der nur hier und da mal eine Pause einhält und verharrt. Manolo Cabras weiß im Übrigen durch ein bewegtes Bass-Solo zu überzeugen, das sich in dem Kontext von Suchen und Verharren bewegt. Doch wie in anderen Songs auch ist das Freche und Aufmüpfige präsent. So denkt man bisweilen auch an Krawall, Rabatz und Aufruhr, wenn man den Linien des Trios folgt. „Drifting“ eröffnet mit einer Art „atmosphärischen Störungen aus dem Off“. Teilweise klingt es nach dem Ruf der Sirenen oder der Kommunikation von Delfinen. Zu diesen elektronischen Effekten gesellt sich dann die von Van de Wiele gezupfte Gitarre. Was wir hören gleicht, um im Bild zu bleiben, einem warmen Wind, der aus der Sahara nach Europa herüberweht.
Schließlich noch ein Wort zu „A Clown Forever“: Hören wir da nicht nur eine jaulende Gitarre, sondern auch ein scharfes Tick-Tick des Drummers? Was erzählen uns die Musiker eigentlich? Entführen sie uns vielleicht nur in eine Welt sphärischer Klänge? Das möge jeder für sich entscheiden.
© ferdinand dupuis-panther
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Wundersames wissen Keiji Haino (guitar, voice, flute, percussion), Jozef Dumoulin (Fender Rhodes & effects) sowie Teun Verbruggen (drums & electronics) zu erzählen, die ihr Album bei SubRosa verlegt haben. Zwei belgische Musiker begegnen einem Musiker aus Fernost, der ein Grenzgänger zwischen Free Jazz, Rock, Neuer Musik und freier Improvisation ist. Auf dem Plattencover sieht man eine verschneite Landschaft, in die in einer Art Collage eine tibetanische Tröte und eine Lotosblume eingebettet wurden. Am Himmel ziehen drei schwarze Vögel vorbei, die Miniaturbombern mit tödlicher Fracht gleichen. Zugleich erblicken wir schwarze Tropfen, die vom Himmel fallen. Sind es vielleicht doch Bomben?
Aufgemacht wird das Album mit „Non-Dark Destinations“, ehe es ins „Hotel Chaika“ geht und es am Ende „Tonight“ heißt. Gleich beim ersten Stück werden wir mit elektronischen Effekten und einem blechernen Schwirren konfrontiert. Das Höllenfeuer scheint zu brennen. Spannung liegt zum Greifen nahe und entlädt sich. Man denkt an das Zischen, wenn flüssiger Stahl sich aus der Thomasbirne ergießt. Es brodelt, pocht, sirrt und röhrt. Gurren ist zu vernehmen, und man hat eher den Eindruck von Geräuschmusik. Zur Blütezeit von Stahl und Kohle mag es so in den Stahlwerken geklungen haben. Zwischenzeitlich hat man auch den Eindruck, man würde neben Flugzeugen stehen, deren Motoren in der Startvorbereitung auf Touren gebracht werden. „Non-Dark Destinations“ heißt zwar der Titel der Komposition, aber auch „Inferno“, „Vulkaneruption“ oder „Höllenschlund“ wäre passend gewesen.
Zu Beginn der Komposition „Hotel Chaika“ klingt es nach schrillem Vogelgezwitscher. Dann drängt sich das Rollen einer Dampfwalze als Hörbild auf. Elektronische Störgeräusche machen sich nachfolgend breit. Es pfeift, faucht und zischt. Nicht zu überhören sind ein Poltern und ein donnerndes Getöse. Schriller Sirenengesang dringt an unsere Ohren. Die Hörknöchelchen werden aufs äußerte gereizt. Zwischen Gothic und Rammstein changiert der Vokalbeitrag von Keiji Heino, den wir im Verlauf des Stücks auch noch hören. Wird da in eine tibetanische Tröte geblasen, wenn „Tonight“ erklingt, oder ist es nicht vielmehr eine flirrende Flöte, deren Klang, über einem elektronisch erzeugten Brummen liegt? Zeitweilig ist dieser Schlussakkord des Albums durchaus mit einer melodischen Linie verknüpft. Über weite Strecken wird die vibrierende Flöte nur von wenigen Schlägen auf das eine oder andere Becken und von Rasseln begleitet, ehe dann Jozef Dumoulin sein Fender Rhodes aktiviert. Dominierend bleiben aber Hainos sirrende Flötentöne.
© ferdinand dupuis-panther
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Schließlich ist da noch Mamutrio. Dieses Trio, dessen Name irgendwie an ein ausgestorbenes Mammut erinnert, bilden Lieven Cambré (alto sax), Piet Verbist (bass) und Jesse Dockx (drums). In dieser Besetzung spielen die drei Jazzer seit etwa zwei Jahren zusammen. Insbesondere durch den Verzicht auf das klassische Harmonieinstrument, den Flügel, bekommt die Musik des Trios eine ganz besondere Frische. Eine ausgedehnte Dünenlandschaft – es könnte sich auch um Teile der sandigen Sahara handeln – unter einem Himmel mit Cirruswolken ziert das Cover von „Primal Existence“: Zu übersetzen ist dieser Albumtitel mit „Urexistenz“.
Die Mehrzahl der Kompositionen wie „Ballast“, „Temperamental“ und „My Love You“ stammen aus der Feder von Piet Verbist. „To Remember“ komponierte Jesse Dockx und Stücke wie „Triads“ oder „Night Shift“ steuerte Lieven Cambré zum Album bei. Auch ein Standard von Richard Rogers fand Platz auf dem Album: „You are too beautiful“.Für meinen Begriff folgt Mamutrio mit seinem Album den Spuren von Post-Modern-Jazz mit einer feinen Würzmischung aus Bebop und Cool Jazz. Doch das mögen andere, auch anders sehen. Die Liner-Notes stammen von Dre Pallemaerts. In diesen werden nicht nur die einzelen Kompositionen vorgestellt, sonder Dre Pallemaertsvergleicht das Trio mit denen von Lee Konitz, Ornette Coleman und Dave Holland. So gewinnt der Leser der Zeilen einen Eindruck davon, was ihn musikalisch erwartet.
Im Gegensatz zu den oben besprochenen Alben von Wheels und Keiji Haino, Jozef Dumoulin und Teun Verbruggen steht die fein gefärbte Melodielinie im Fokus. Dazu trägt auch Lieven Cambré bei, der seinem Altsaxofon zartes Leben einhaucht, ohne das es röhrt oder röchelt. Es sind überaus sanfte Töne, die wir zum Beispiel bei „Temperamental“ wahrnehmen. Was Cambré an den Tag legt, ist ein durchaus gezügeltes Temperament. Da gibt es halt keinen wilden Ausbruch. Besen streifen übers Fell, Bleche schwirren, Tempo wird langsam aufgebaut. Spannung scheint in der Luft zu liegen, wenn es „To Remember“ heißt. Lieven Cambré erhebt auch in diesem Stück sehr prägnant seine Stimme. Sie klingt so, als stünde ein lauer Frühlingstag vor der Tür. Der Winter ist vorbei. Das Leben draußen nimmt Fahrt auf, so wie auch das Stück. In diesem gibt es auch Raum für ein Solo von Piet Verbist, der mit behutsamem Schlagwerkspiel begleitet wird, ehe uns dann Lieven Cambré in ein feines Tongespinst einfängt.
Sehr beschwingt geht es bei „Night Shift“ zu. Es hat den Eindruck, dass die Nachtschwärmer ausgelassen durch die Straßen ziehen, in Bars und Klubs einfallen und dort Sechse gerade sein lassen. Erwähnenswert bei diesem Song sind u. a. die ausgefeilten Solos von Jesse Dockx, die in die quirligen Saxofonpassagen von Lieven Cambré eingebettet sind. Das hat dann schon ein wenig Bebop-Anmutungen. Der Standard „You are too beautiful“ beginnt mit einer freien Bass-Einleitung rund ums Thema, ehe dann das eigentliche Thema in den Fokus rückt. In einem ähnlichen Duktus wie andere Aufnahmen des Albums ist schließlich auch „My Love You“ angelegt. Dabei handelt es sich um eine Paraphrasierung des Standards „I Love You“, bei der sich Piet Verbist an seinem Tieftöner solistisch in den Vordergrund spielen darf, mit aller vorhandenen Fingerfertigkeit.
© ferdinand dupuis-panther
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