The Art of Jazz: Italy – new releases (2)

The Art of Jazz: Italy – new releases (2)

Various

Aut Records / self produced

Circle 44 / Nazareno Caputo / Marco Colonna & Enzo Rocco

 


Circles 44 – Cratere
Aut Records


Die Band besteht aus dem Pianisten Massimiliano Amatruda, dem E-Gitarristen Joseph Circelli und dem Drummer Andrea Grillini. Aus der Feder des Gitarristen stammen unter anderem „Skim over“, „Brilliant cliff“ und das Schlussstück „Old chair“. Dem Gitarristen ist zudem „Cratere“ – damit wird das Album aufgemacht – zu verdanken. Der Pianist zeichnet für „Funk dress“ und „Circles“ verantwortlich.

Das Trio fand sich 2017 in Bologna zusammen und hat es sich zum Ziel gemacht, nur eigene Stücke vorzutragen, die in einer Gemeinschaftsarbeit ihre Arrangements erfahren. Die Jazzsprache der Band zeichnet sich durch besonderen Facettenreichtum aus. Eine treibende Kraft ist dabei der Gitarrist, Komponist und Lehrer Joseph Circelli, der schon in Frankreich, Belgien, Österreich, Serbien, Slowenien und den Niederlanden aufgetreten ist, zumeist in den italienischen Kulturinstituten so in Paris und Brüssel. Jazzclubs und Festivals waren weitere Auftrittsorte, so im Berliner A-Trane oder im Barga Jazz Club. Er ist Mitbegründer des Trio Circle 44. Mit der Band Omit Five gewann er den 1. Preis beim “Barga Jazz Contest 2011”, zudem gewann er den 2. Preis beim “Chicco Bettinardi Jazz Contest 2012” und beim “Porsche Live, Giovani e Jazz 2012”. 2019 erschien sein Gitarrensoloalbum „In a maze“. Der Drummer Andrea Grillini studierte zwischen 1998 und 2004 am Musical Center Ozzano dell’Emilia bei  G. Capitanio and Christian Rovatti. 2007 begannen seine intensiven Konzertauftritte u. a. mit David Murray, Ken Vandermark, Marc Ducret, Bruno Chevillon, Achille Succi, Chico Pinheiro, Don Byron, Steven Bernstein und Jonathan Finlayson. Zahlreich sind seine bisherigen Festivalauftritte wie z. B. Bologna Jazz, Piacenza Jazz, Jazz On The Corner, Venezia Jazz, Jazz a Mira, Soweto Art Festival, Chicago Improvisers Music series und Festival delle Arti (Bologna). Schließlich ist da noch der Pianist Massimiliano Amatruda, der sowohl in Rom als auch Bologna studiert hat. Amatruda ist im Übrigen ein Multiinstrumentalist, der neben dem Piano auch Akkordeon und weitere Instrumente beherrscht.

Getragen, ein wenig schwer, gemütsschwer so erscheinen die ersten Takte in „Cratere“. Dabei ist das Spiel vom solistisch agierenden Pianisten geprägt, der bisweilen auch in Etüden abzugleiten scheint. Besonders prägend für das Stück ist die starke Bassausformung. Ein eher rockig aufgelegter Gitarrist und hartes Drumming zeichnen den Beginn von „Funk Dress“ aus. Sie formen gleichsam den Prolog, ehe dann Massimiliano Amatruda mit verhaltenem Tastenspiel zu vernehmen ist. Sphärisches breitet sich zudem im Hintergrund aus, ehe der Pianist und der Gitarrist in einen Dialog eintreten. Dabei scheint es so, dass Joseph Circelli in Ebenen des Hard Rock agiert und weniger wie der Titel des Stücks nahelegt im Funk. Hier und da meint man Jeff Beck und Alvin Lee seien im Geiste dabei. „Skim Over“ wird unter anderem von Klicklauten und tropfenden Klängen bestimmt, die dem Pianisten gelingen. Neben dem stringenten Bassspiel des Pianisten schwirren sphärische Klangschwaden durch den musikalischen Raum, ist ein oszillierender Gitarrenklang auszumachen. Dabei hat man als Zuhörer den Eindruck, der Gitarrist würde in einem felsigen Klangraum agieren, sprich in einer riesigen Tropfsteinhöhle, oder? Neben Trommelrausch hört man auch „gemorste Tastenklänge“, die vergänglich und zerbrechlich klingen. Immer wieder kommt es zu den Klangspreizungen zwischen Bassstimmen und Diskant. Dafür ist Massimiliano Amatruda verantwortlich. Hinzutritt hier und da eine röhrende Gitarre als Gegengewicht gegen die perlend aufgereihten Tastenklänge.

Mit einer klassisch anmutenden Klavierpassage beginnt „Brilliant Cliff“. Diese Passage wird anschließend von Joseph Circelli aufgegriffen, ehe dem Drummer Andrea Grillini Raum zur solistischen Entfaltung eingeräumt wird. Kristallines Spiel auf dem Klavier begleitet dieses Drumming-Solo. Doch wie in anderen Stücken zuvor, spielt auch die Basshand des Pianisten eine entscheidende Rolle bei der Ausdifferenzierung des Klangs. Zur Charakterisierung des Stücks gehört auch das röhrend-schnarrende Gitarrenspiel, das zugleich an einen sich nähernden Donner und ein sich ankündigendes Unwetter denken lässt. Feinstes „Glasorgelspiel“ stellt man sich bei „Circles“ vor, wenn auch der Pianist am Klavier und nicht an der Wasserglasorgel sitzt. An zerspringende Eiszapfen muss man bisweilen beim Zuhören denken. Doch im Fortgang verschwimmt dieser Eindruck, präsentiert der Pianist dahinschmelzende Passagen, zu denen sich der Gitarrist zu einer „zweiten Stimme“ hinreißen lässt. Sirenengesang vermeint man, im weiteren auszumachen. Man muss dabei an eine „singende Säge“ denken, obgleich diese Klänge von Joseph Circelli auf der E-Gitarre beigesteuert werden. Wiederkehrend ist das Thema, das dem Pianisten geschuldet ist. So entsteht die Vorstellung eines musikalischen Kreisschlusses. Zum Finale hören wir „Old chair“. Ist da nicht dezentes Besengewische mit im Spiel, wenn wir dem Prolog des Stücks lauschen? Ein verhaltenes Wah-wah dringt aus dem Off ans Ohr des Zuhörers. Lyrisch gestimmt erscheint der Pianist in seinen Tastensetzungen. Das Bild einer hereinbrechenden Nacht und dem Ausklingen des hektischen Tages drängt sich nach und nach auf.

© ferdinand dupuis-panther




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Nazareno Caputo - Phylum
Aut Records


Der Vibrafonist und Komponist Nazareno Caputo hat sich für die aktuellen Albumaufnahmen mit dem Kontrabassisten Ferdinando Romano und dem Drummer Mattia Galeotti zusammengetan. Das Album „PHYLUM“ ist als Projekt zu begreifen, bei dem verschiedene Elemente der Musik, darunter Klangstrukturen, untersucht werden. Der Begriff „Phylum“ wird in der Zoologie und Botanik angewendet und bezieht sich auf spezifisch taxonomische Gruppen. Organismen, die einem Stamm (dt. für phylum) angehören, teilen einen gleichen Bauplan, aber zeigen unterschiedliche Formen und Gestalt. Ähnlich verhält es sich mit dem musikalischen Konzept des Trios, das sich mit dem Thema Stamm in gleich drei Variationen befasst: „Phylum I“, „Phylum II“ und „Phylum III“. Überdies gibt es ganz klassisch ein „Preludio“ und ein „Postludio“ auf dem Album zu hören. Weitere Kompositionen tragen Namen wie „Dulce“, „Abside“ und „Adam R“.

Nazareno Caputo ist ein am Conservatorio “Gesualdo da Venosa” in Potenza und am Conservatorio “Luigi Cherubini” in Florenz ausgebildeter Perkussionist. Seine Studien schloss er mit summa cum laude im Jahr 2013 ab. Zudem belegte er an der Accademia del Suono in Mailand Lehrveranstaltungen für Vibrafon. Obendrein besuchte er Kurse u. a. bei Enrico Rava,  David Friedman, Mike Mainieri und Matt Mitchell. Auftritte bei nachstehend genannten Festivals wie Musikfest der MGNM in München und Milestones Music Festival sind zu erwähnen. Ferdinando Romano absolvierte sein Studium des Kontrabasses am Conservatorio „L. Cherubini di Firenze“. 2015 beendete er sein Masterstudium am Conservatorio della Svizzera Italiana in Lugano. 2017 wurde er ausgewählt, um am InJam-Project beim Siena Jazz mit dem Posaunisten Glenn Ferris und dem Saxofonisten Logan Richardson teilzunehmen. Sein letztes eigenes Projekt namens „Totem“ beinhaltet eine Septettformation mit dem Trompeter Ralph Alessi. Mit dem Arcadia Trio entstanden die Alben “Don’t call it Justice” und ”Songs for people”, featuring Robin Eubanks. Mattia Galeotti ist ein Drummer, der an der Siena Jazz Academy studierte.. Im Rahmen des Erasmus-Programms hielt er sich 2017/2018 für Studien an der HfMT in Hamburg auf. Hier entstand die Band “Koloro”.

Im „Preludio“ begegnen sich die metallischen Klangschwingen des Vibrafons und die kurz gestrichenen Basssaiten jenseits der üblichen Tieftönigkeit. Fragmentiert scheinen die Sequenzen, denen wir folgen. Bisweilen muss man an ein Abtasten von Musikern in der freien Improvisation denken und an die Phase des Instrumentenstimmens. Sehr zurückgenommen agieren die Musiker in den ersten Takten von „Adi“. Gemeinsam scheinen sie Schritt für Schritt das Klangthema zu gestalten. Da gibt es nichts Überbordendes. Kontemplation scheint angesagt, ohne Meditatives zu präsentieren. Ab und an meint man sich an ein Windspiel zu erinnern, dessen Klänge durch den dahinwehenden Wind erzeugt werden. Redundanzen finden sich im Spiel des Bassisten, der ein kurzes Solo im ersten Teil des Stücks bestreitet. Nach und nach schleicht sich der Vibrafonist in die musikalische Inszenierung ein, agiert mit ein wenig Verve, lässt die Schlägel über die Klangstäbe huschen. Sprunghaftigkeit ist zu konstatieren, durchbrochen von kaskadierendem Spiel. Nach und nach meint man, einer klanglichen Springflut beizuwohnen.

In „Dulce“ drängt sich das Bild der steten Kaskaden auf. Zugleich meint man auch, klanglich werde der Nachgang eines Regenfalls eingefangen, bei dem dicke Tropfen vom Laub der Bäume fallen. Zugleich kann man eine Geschichte spinnen, in der Kinder voller Vergnügen von einer Pfütze in die nächste hopsen. Derweil rauscht das Regenwasser über die Regenrinnen und durch die Fallrohre, bahnt sich den Weg durch die unterirdische Kanalisation. Aber auch das Bild eines Baches, der sich zu einem Wiesenfluss und dann zu einem veritablen Strom entwickelt, drängt sich beim Hören auf. „Phylum 1“ entwickelt sich zögerlich, vorwärtstastend. Dabei konzentriert sich die musikalische Aufmerksamkeit auf den Vibrafonisten Nazareno Caputo, der Klangelement an Klangelement fügt. Auch im nachfolgenden „Phylum II“ ist das nur unmerklich anders. Getragen ist das Stück, beinahe schon einem Lamento gleichend. Im weiteren Verlauf hat man den Eindruck, man würde vielstimmigem Glockengeläut bzw. einem Glockenspiel lauschen, das einen Kirchenchoral anstimmt. Schließlich kann man noch „Phylum III“ hören, das mit einer eher behäbigen Basseinleitung eröffnet wird. Dabei drängt sich der Eindruck auf, der Bass würde in die Fußstapfen des Vibrafons treten, nur in einer tiefen Lage. Doch allein bleibt der Bassist nicht. Der Vibrafonist kreuzt den Weg des Bassisten, zeichnet Klangschraffuren und fragmentarische Linien.

© ferdinand dupuis-panther



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Marco Colonna & Enzo Rocco
Nine Improvisations for Sopranino and Guitar


Enzo Rocco ist unter anderem aufgrund seines TUBATRIOS bekannt – bestehend aus Enzo Rocco, Giancarlo Schiaffini (trombone/tuba/electronics) und Ettore Fioravanti (drums). Zudem war er Teil eines Trios mit Frédéric Monino (bass) und Bruno Tocanne (drums). Seit Jahrzehnten ist der nahe Bergamo lebende Gitarrist Begleiter von Impromusikern wie Veryan Weston und Lol Coxhill. Er arbeitete zu dessen Lebzeiten mit Peter Kowald zusammen und in Belgien mit André Goudbeek. Sieben Jahre lang war er künstlerischer Leiter des Bottesini Bassofestival. Über den Gitarristen lesen wir folgende Zeilen auf der Homepage von Amirani Records: “Jazz and irony, world music and amusement, dance and improvisation: the music of the "wacky Italian" guitarist Enzo Rocco is a mix of contemporary jazz, free improvisation and folk music from all around the world always dressed with that generous amount of sense of theatre that always make so tasty his shows”.

Der aus Rom gebürtige Marco Colonna wurde bereits im Alter von acht Jahren im Klarinettenspiel ausgebildet, später wechselte er zum Jazz und zum Tenorsaxofon. Nun erleben wir ihn allerdings am Sopranino. 1997 trat er beim Festival Rumori Mediterranei in Roccella Ionica auf. Es folgte die Zusammenarbeit mit dem Orchestra Laboratorio di Siena Jazz, dem Perkussionisten Massimo Carrano und dem Gitarristen Lutte Berg. Obendrein arbeitete er in Workshops mit Egberto Gismonti und Louis Sclavi zusammens. Er ist Mitbegründer des Improvisationsensembles I.E.M. (Improvising Experimental Machine) und organisierte Veranstaltungen von improvisierter Musik in Rom; außerdem arbeitete er seither mit Enzo Rocco und Antonello Salis, zusammen.

Für diese Improvisationen hat sich ein Saiteninstrument mit einem Saxofon der höchsten Lage zusammengetan. Entstanden sind Tracks wie „grumi“, „whistling“, „alti e bassi“, „shaded“, „en plein“ und „bianchi e neri“. Ein wenig unstet und in Redundanz verharrend klingt das Saiteninstrument, das dem exaltierten Sopranino in „grumi“ beigegeben wurde. Beim Zuhören hat man bisweilen den Eindruck, man lausche aufgeregten Vogelstimmen, wie wir sie von Rabenvögeln her kennen. Der Gitarrist Enzo Rocco, so der Eindruck, agiert in einem festen Korsett, nimmt scheinbar keine Notiz von den Entäußerungen des Bläsers. Wesentlich melodischer agieren beiden Musiker in dem nachfolgenden „whistling“. Dabei klingt der Sopranino-Saxofonist Marco Colonna so, als würde er ein mittelalterliches Liedchen anstimmen und zum Tanze bei Hof bitten. Wiederholende Schemata sind die Sache des Gitarristen Rocco, derweil sich Marco Colonna  bei „ridondanze“ klanglich Weckrufen hingibt, so als würde vor Jahrhunderten ein Postillon in sein Horn blasen oder ein Stadtausrufer die Bürger mit den neusten Nachrichten versorgen. Pfeiftöne in den höchsten Lagen sind bei „alti e bassi“ auszumachen. Dabei haben die hohen Töne wenig Volumen und Nachklang, scheinen kurz auf und vergehen im nächsten Moment Schritt für Schritt. Teilweise ist Enzo Rocco für die tiefen Klangfärbungen zuständig, wechselt aber auch in das hohe Stimmgewirr, das aber im Kern dem Saxofonisten vorbehalten ist. Aufregung oder Chaos – was wird denn bei „132 bpm“ vermittelt? Schnelles, nervöses Saitenspiel trifft auf Saxofonpassagen, die sich in hektischem Gepiepse und hoher Kopfstimme verlieren. Getrieben scheint das Spiel der Duopartner. Dabei muss man konstatieren, dass sich der Saxofonist an längeren Klangschlingen versucht, während der Gitarrist der Rhythmisierung im Eiltempo verfallen ist. Durch die Begrenzung auf ein Duo und zwei so gegensätzliche Instrumente wie Gitarre und Saxofon ist das Klangspektrum eingeschränkt, was man spätestens bei „minimale“ zur Kenntnis nehmen muss. Es ist ein stetes Miteinander, was sich aber eigentlich als Nebeneinander entpuppt. Jeder der beiden Musiker scheint in einer eigenen Umlaufbahn und nur ab und an gibt es Berührungs- und Bezugspunkte, oder? Jedenfalls scheint es kein unmittelbares Aufgreifen von Ideen des einen durch den anderen zu geben. Überwiegend ist ein nervöses Spiel in den meisten Improvisationen zu konstatieren, sieht man einmal von „en plein“ ab. Lange, hohe Klanglinien sind teilweise auszumachen, so als würden zwei Wasserglasorgelspieler sich zu einem Duett treffen. Ein wenig erinnert diese Improvisation an Industrial Noise Music und an Atonales. Mit „bianchi e neri“ präsentiert vor allem Rocco durchaus melodische Schummerungen und Schraffuren, über die der Saxofonist seine Klangfäden spinnt.

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https://marcocolonna.bandcamp.com/track/sopranino-sax-20nov2020
https://marcocolonna.bandcamp.com/album/nine-improvisations-for-sopranino-and-guitar-2


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