Jazz made in Great Britain #1
Various
Trost / Edition Records
Sad Man / John Butcher et al / AuB
Sad Man - Indigenous Mix 3
Hinter der aktuellen Einspielung verbergen sich die schillernden Facetten des Musikers und Künstlers Andrew Spackman, mit dem man in Geräuschmusik, freie Improvisation, alternativen Rock, Industrial Rock, elektronische Musik und sogenannten Dark Jazz eintaucht. Zu hören ist einer der profiliertesten Köpfe der englischen elektronischen Musik, der uns mit 12 Tracks „Indigenous Mix 3“ vorstellt. Auf der aktuellen Einspielung finden sich Stücke wie „Teleprompter“, „Carbonated“, „Bus Swerve“, „Marakesh“, „Kalafornia“, „Nine“ und „The Physician“.
Der Klang einer Schlitztrommel ist zu vernehmen. Oder stammt der Klang vielleicht doch von einem Udu, einem tönernen Perkussionsinstrument? Ein Vokalteppich ist „Teleprompter“ zudem beigegeben. Darüber hinaus erleben wir verzerrte Stimmen und hohe Tschilp-Laute. Eine Melange aus tonalen Flächen dringt ans Ohr des Hörers, der schließlich auch schwingende Klangstäbe hört. „Dreiklänge“ eines Keyboards vereinen sich mit tropfigen Lautmalereien, bei denen man auch an die Farbklecksaktionen Jackson Pollocks denken mag. Technoschwaden verzweigen sich mit House und Sprachglyphen, die an traditionellen mehrstimmigen Ethnogesang erinnern. Ähnliches gilt auch für „Carbonated“ mit einem stampfenden Rhythmus zum verwischten Gesang. Schwirrende Klanghölzer eines Marimbafons werden eingespielt, so der erste Eindruck. Zudem vernehmen wir sirenenhaften Gesang und ein waberndes Keyboard, ehe uns Gerassel und sonore Stimmen einfangen. Bei „Marakesh“ scheinen sich tibetische Tröten und afrikanische Kalimba zu begegnen. Nordafrikanische Instrumente wie Guembri und Oud sind jedenfalls nicht auszumachen. Ist da nicht auch eine Basstrommel mit im Rhythmusspiel, ehe dann der kaum zu identifizierende Gesang aus dem Nichts auftaucht? Sinusfrequenzen sirren durch den Raum.
Xylofon, Gamelan oder Glockenspiel – das ist die Frage bei „Bus Swerve“, ein Stück mit nervösem Stakkato-Rhythmus, der sich durchaus an westafrikanische Musik anlehnt. Sphärisches wird gewebt, derweil ein markanter Stampfrhythmus fortgesetzt wird. Oh, da scheint auch noch eine Maultrommel aktiviert zu werden, bevor das Tastenspiel auf einem Rhodes zu vernehmen ist. Hang Drum oder nicht – ist nachfolgend die Frage.
Eine bunte Perkussions-Melange vom Feinsten wird uns bei „Kalafornia“ serviert. Liebhaber von House und Goa Parties, Raver schlechthin, dürften ihre wahre Freunde an der Musik haben, die das Rhythmische derart seziert und freistellt, wie das bei Sad Man der Fall ist. Im Übrigen bringt uns Andrew Spackman bei diesem Stück auch Jazz Rock und ein paar „Flötentöne“ näher. Zum Schluss begegnen wir einem Mediziner „The Physician“. Nachhaltig erscheint das Schwingen von Blechen. Sirren ist auszumachen. Gestörte Radiowellen scheinen der Klangmischung hinzugefügt worden zu sein. Rhythmisiertes Zischen trifft auf diskante und basstönige Wiederholungen. Das erscheint dann beinahe als klangliche Möbius-Schleife.
© fdp
https://pureportal.coventry.ac.uk/en/persons/andrew-spackman
LAST DREAM OF THE MORNING - Crucial Anatoomy
Trost
Live wurden von John Butcher (tenor & soprano saxophones), John Edwards (double bass) und Mark Sanders (percussion) im Café Oto „Free of Ghosts“, „Curling Vine“ und „Spike Oil“ eingespielt. Dabei changiert die Musik zwischen freier Improvisation und der Musik von Sun Ra und dessen Orchester, auch wenn nur eine Trio-Besetzung im vorliegenden Fall das musikalische Geschehen determiniert.
Rhythmuswellen vereinen sich mit einem surrenden Saxofon, das sich gleichfalls auf einem welligen Klangpfad bewegt. Dunkel getönte Saiten schwirren dumpf im Hintergrund. Schnarrend und keckernd entäußert sich der Saxofonist. Klangvollen Windzyklen gleicht das, was wir hören. Umtriebig geben sich die drei Musiker. Hört man da nicht auch Schnalzen und Schmatzen sowie ein Knarren und ein hochfrequent schwingendes Blech? „Free of Ghosts“ lautet der Name des Stücks, das sich fürwahr frei entwickelt. Dabei schweigt John Butcher bisweilen und überlässt seinen beiden Mitmusikern das Bestellen des musikalischen Feldes. Sehr kurze Momente der Stille sind Teil der musikalischen Inszenierung. Dabei tritt auch ein brabbelndes und sabbelndes Saxofon in Erscheinung, kreischen die Bleche, die im nächsten Moment in raschelnde Schwingen versetzt werden. Weitgehend „monologisch“ erlebt man das Saxofon über weite Strecken, derweil Bassist und Perkussionist für rhythmisches Durchwirken sorgen. Aufregung signalisiert John Butcher phasenweise auf seinem Holzbläser, und er erscheint wie der Rufer in der Wüste.
„Curling Vine“ lebt unter anderem von dem gestrichenen Bass von John Edwards und dem kurz angebundenen Rhythmusspiel von Mark Sanders. Das Saxofon scheint sich Kranichgekrächze, Gänsegeschnatter und Schwanengesang hinzugeben, wennJohn Butcher es zum Klingen bringt. Zwischendrin vernimmt man auch den an einen Peitschenschlag erinnernden Ruf des australischen Bellbirds, oder? Triller werden eingeblendet, ohne dass das Schlagwerk ruht. Werden da für die Perkussion nicht auch Holzkästlein genutzt, die zum Fallen gebracht werden? Rauschende Bleche sind allgegenwärtig. Im tonalen Gleichschritt bewegen sich Bass und Holzbläser für eine Weile. Es kommen auch trabende Rhythmen auf, und ein lang schwirrender Bass nimmt das Wort, sich sehr eintönig gebend. Beinahe in eine Art Jodeln verfällt anschließend John Butcher. Lauscht man länger, dann meint man , eine Hardangerfiddle zu hören, sprich Volksliedkunst aus Westnorwegen. Doch dieser Eindruck ist nicht anhaltend, weil das Trio stets für die Fragmentierungen und Atomisierung von Klangpassagen sorgt.
Zum Schluss dann geht es um „Spike Oil“. Fräsen, Sägen und Bohrer sind, so ein Bild im Kopf, hier und da lautstark zu vernehmen. Rotationen großer Maschinen werden eingefangen, vor allem von John Butcher. Große Triebräder mit Transmissionsriemen scheinen fortwährend zu laufen. Doch dieses Klanggemälde wird im nächsten Moment übertüncht, wenn sich der Bassist zu einem lang gestrichenen Saitenspiel versteigt und das Saxofon gleichsam zu einer Schiffssirene mutiert. Doch das sind nur kurze musikalische Spotlights, auf die weitere klangliche Blitzlichter folgen. Dabei bestimmt John Butcher weitgehend die schräge und melierte Klangfarbe und seine Mitmusiker eher das industrielle Inferno.
© fdp
https://www.trost.at/last-dream-of-the-morning-crucial-anatomy.html
http://www.johnbutcher.org.uk/Dream3.html
AuB
Edition Records
Was hier vorliegt, ist das Debütalbum von AuB. Hinter diesem Bandnamen verbergen sich die Tenorsaxofonisten Tom Barford und Alex Hitchcock sowie der Bassist Fergus Ireland und der Drummer James Maddren. Zum Album äußert sich Tom Barford wie folgt: „I’ve always admired Alex’s playing and writing so to join forces for this next venture is a real treat. And of course, it’s always incredibly inspiring to play with Ferg Ireland and James Maddren.” Auch Alex Hitchcock ist von dem Projekt sehr angetan: “I have so much fun playing in this band, continually being inspired and surprised by Tom, James, and Ferg. I’m looking forward to deepening my musical relationship with Tom under the guidance of Edition Records, and to exploring the new sounds and textures we can find through adventurous collaborative writing.”
„Not Jazz“ macht den Anfang des Albums, das aber auch Stücke wie „Valencia“, „Rufio“, „Ice Man“ und „Groundhog Tuesday“ umfasst. Gleichsam mit einem Paukenschlag beginnt das Album, ehe dann die beiden Holzbläser gemeinsam zu hören sind. Doch das Unisono wird alsbald aufgelöst, und beide Saxofonisten wandeln auf verschlungenen Pfaden, nähern sich und entfernen sich voneinander. „Not Jazz“ ist dabei das wohl eher ironisierende Credo, auch beim Solo des Bassisten. Dass dabei auch ein orchestraler Teppich ausgerollt wird, sei an dieser Stelle zudem angemerkt. Doch sehr überzeugend sind die Saxofonschraffuren und -schummerungen, die wir hören. Getragen ist der Beginn von „Valencia“. Dabei ist der Hörer geneigt, an ein Klagelied oder eine Art Serenade zu denken, das von einem der Saxofonisten angestimmt wird. In den nachfolgenden Melodienlinien schwingt etwas Sehnsüchtiges mit. Valencianische Lebensfreude und Festlichkeit sind jedenfalls nicht Teil des Arrangements. Vollmundig sind die beiden Saxofonisten in „Glitch“ unterwegs. Dabei ist auch eine orchestrale Schwelgerei Teil des Arrangements.
Leichtfüßig ist bei „Rufio“ der Bassist unterwegs, dem über eine gewisse Zeit die ungeteilte aufmerksam gehört, ehe dann die Saxofonisten in das unmittelbare Blickfeld geraten und sich in einen Dialog einlassen. Für die dunkle Tönung des Stücks ist weiterhin der Bassist zuständig, während die Saxofonisten eine musikalische Doppelhelix erschaffen. Beim Zuhören gewinnt man den Eindruck, dass beide den lauen Frühlingswind und das erste Blattgrün besingen. Im Hintergrund versteht sich der Drummer auf allerlei Blechwirbel. Gegen Ende vernimmt man dann durch Loops erzeugte Saxofonpassagen, die in wenigen Momenten an Musik von Mike Oldfield denken lässt. Ein nervöses Saxofon vereint sich bei „Ice Man“ mit einem zweiten Saxofon, das sich auf melodische Schlaufen und Schleifen versteht. In diese verspielten Verknüpfungen stimmt auch der Bassist in seinem Solo ein. Vom Rhythmus her vernimmt man durchaus rockige Elemente und außerdem im weiteren Fortgang des Stücks ein eher rotzig gestimmtes Saxofon. Ansonsten sind die Saxofonpassagen eher melodisch schmeichlerisch, abgerundet, ohne Kanten und Ecken. Fließende, schmelzende Linien – im Kontrast zum Titel – können wir auch bei den Duetten der beiden Saxofonisten erleben. Als eine Form von „Kanon“ ist „Dual Reality“ angelegt. Dabei scheinen klassische Anmutungen nicht zu kurz zu kommen. Im letzten Stück des Albums namens „Groundhog Tuesday“ winden sich die beiden Saxofonisten in ihrem Spiel gleichsam spiralförmig umeinander, umgarnen sich, geben sich wechselseitig Stichworte, lösen sich schließlich aus dem Umgriff und driften auseinander. Es hat den Eindruck, dass offene und geschlossene Formen das Spiel von AuB ausmachen.
© fdp