Jazz made in Germany #1
Various
various
Fette Hupe / Felix Hoffmann / Yaroslav Likhachev 4tet / Potsa Lotsa XL / Gall-Schimpelsberger / Luise Volkmann
Fette Hupe - Modern Tradition
Berthold Records
„Wir wollten ein traditionelles Setup zum Einsatz bringen, so ähnlich, wie es Duke Ellington in den 1960er Jahren verwendet hat. Mithilfe eines analogen Mischpults zum Beispiel und speziellen Mikrofonen, um einen ‘älteren‘ Sound zu erzeugen. Die Stücke selbst sind modern – daher auch der Albumtitel „Modern Tradition“, erklärt Jörn Marcussen-Wulff, der in dem seit 2009 bestehenden Ensemble nicht nur als Dirigent, sondern auch als Komponist und Arrangeur vieler Stücke tätig ist.
Das Cover des Albums nimmt mit seinen geometrischen Formen Bezug auf konkrete Kunst und den Konstruktivismus, also einen Teil der Moderne des 20. Jahrhunderts. Und das scheint ja zum Albumtitel zu passen. Die Kompositionen stammen überwiegend aus den Federn von Marcussen-Wulff und dem Pianisten Eike Wulfmeier: Getragen und gemütsschwer sind zwei Adjektive, die „Bob's Sunday“ teilweise gut umreißen. Irgendwie hat man beim Solo des Pianisten Eike Wulfmeyer den Eindruck, ein lässig-entspannter Sonntag gehe dahin, will sagen, der Eindruck drängt sich auf, die Zeit plätschere dahin. Es gibt auch musikalisch keine großen Aufreger. Ein wenig musste der Rezensent wegen des Duktus an „In my solitude“ denken. Der langsam-verhaltenen Jazzliturgie ist „Beyond Speaking“ zuzurechnen. Dabei sind die Bläser tonangebend, auch solistisch, wenn eines der Saxofone säuselt und mit seinen Melodielinien dem Ohr des Hörers schmeichelt. Ein wenig Novemberschwere wohnt dem Stück bei, auch wenn es aufreizende „Weckrufe“ eines Trompeters zu erleben gibt. Nach diesem Intermezzo scheint Fette Hupe, musikalisch einen frühen Winterschlaf heraufzubeschwören und der Langsamkeit des Seins das Wort zu reden. Wie anders ist da „Raubein Romantik“ mit seiner dynamischen Rhythmik und den lauthals dröhnenden Posaunen und Saxofonen angelegt. Das ist im Gegensatz zu den beiden vorherigen Stücken mit einem frischen Herbststurm zu vergleichen, der genauso so rasch, wie er kam, auch wieder abflaut. Letzte stürmische Wellen fängt einer der Trompeter in seinem Solo dezidiert ein, ehe dann die nächste Ruhe vor dem Sturm zelebriert wird, so der Eindruck.
Bei „Outburst“ sollte man angesichts des Titels doch ein Feuerwerk der Klänge erwarten? Doch eher episch ausgereift kommt das Stück daher. Dafür sorgen im Wechselspiel der Pianist der Big Band und der Flügelhornist, die nach ihren jeweiligen Soli ins Gesamtensemble eintauchen. Kaskadierendes Tastenintermezzo ist zu vernehmen, aber dieses verheißt nicht unbedingt einen expressiven Klangausbruch. Nach und nach jedoch baut sich eine Art „Windhose des Klang“ auf, wenn sich das vereinte Ensemble im zweiten Teil des Stücks zu Wort meldet. An Kompositionen von Bob Brookmeyer wie „Ding Dong Ding“ oder „Boom Boom“ lehnt sich „Bling Bling“ an: Rauschende Bleche aus dem Off stehen am Anfang der Klangpräsentation; Bläser stimmen sich nach und nach vollmundig ein. Synkopierte Rhythmik ist auszumachen, dazu ein basslastig gefärbtes Tastenspiel. Auf der Gruppe der Bläser taucht ein Saxofon auf, das den Ton angibt, nur für Momente allerdings. Klassischer Big-Band-Klang umhüllt den Hörer im Fortgang des Stücks. Auf ein distinktes Bling Bling ähnlich wie in den Setzungen von Thelonious Monk wartet der Hörer allerdings vergebens.
© fdp
Line-up
Saxofone: Nils Brederlow, Paul Engelmann, Lars Stoermer, Coco Guerra, Felix Petry;
Trompeten: Benny Brown, Gary Winters, Daniel Zeinoun, Axel Beineke;
Posaunen: Uwe Granitza, Felix Eilers, Hans Wendt, Robert Hedemann;
Klaus Spencker (git), Eike Wulfmeier (p), Clara Däubler (b), Timo Warnecke (dr);
Dirigent Jörn Marcussen-Wulff
Felix Hauptmann Trio – Talk
Klaeng Records
Nunmehr liegt das Debütalbum des Pianisten Felix Hauptmann vor. Zu hören sind neun eigene Kompositionen, die im Saarländischen Rundfunk aufgenommen wurden. Das Trio umfasst neben dem Bandleader den Bassisten Reza Askari und den Drummer Fabian Arends. Bei drei Titeln wird das Trio um Christian Weidner am Altsaxofon erweitert. Nicht so ganz klar ist der Bezug zwischen Covergestaltung und dem Albumtitel. Die Kohlezeichnung lässt einen Wolf, Hund oder Fuchs erahnen. Doch so richtig eindeutig lässt sich die zoomorphe Gestalt nicht zuordnen, oder?
Wer „Albatros“ von Fleetwood Mac kennt, der kennt die Musik, die die Weite und den Fernblick einfängt. In ähnlicher Weise, wenn auch mit anderen Mitteln, sprich mit elektronischen Effekten und dem satten Klang eines Sythesizers, fängt "TALK" ein unbegrenzt erscheinendes Universum ein. Schwirrende und schnarrende Klangflächen sowie ein konstantes Brummen sind zu hören. Lang- und Kurzwellensender scheinen präsent, ehe sich dann der langlautige Klang eines Keyboards aufdrängt. Das hat durchaus Anmutungen an psychodelische Musik, oder? Feinlinige Saxofonsequenzen eröffnen in Begleitung von dezenten Tastensetzungen die Komposition "TULIP". Fragil erscheint das, was wir hören, insbesondere die nachfolgenden Passagen, die Felix Hauptmann zu Gehör bringt. Dabei wird er von sensiblen Trommelschlägen und hintergründigem Basszupfen unterstützt.
Hier und da wähnt man, dass klassische Zitate als Teil des musikalischen, sehr verhaltenen Vortrags eine Rolle spielen. Aufbrausende Passagen folgen, wenn Christian Weidner im übertragenen Sinne zum Halali bläst. Nach den Stücken "PINBALL" und "HAUNTING" wird es mit "TEARDROPS" tränenreich, so lässt es zunächst der Titel des Stücks vermuten. Doch die Musik lässt gänzlich andere Assoziationen entstehen. Ein Hauch von Romantik erlebt der Hörer. Liedhaftes ist auszumachen, sodass freie Assoziationen zu Schumann und Schubert aufkeimen. Das Tropfende, das sich auch im Titel des Stücks wiederfindet, wird musikalisch umgesetzt, wenn Felix Hauptmann in die Tasten greift, vielmehr aber noch beim Solo von Reza Askari. Dabei muss man dann eher an feine Regentropfen denken, die auf Blätter niederplatschen, als an Tränen.
Zu hören sind außerdem "LOOK" und „WALKER“, eine musikalische Geschichte über einen Wanderer mit teilweise schwerem Gang und weitem Schritt. Ihn treibt es mal hierhin und mal dorthin, durchaus dann auch leichtfüßig unterwegs – so der Höreindruck. Schließlich sind wir musikalisch in "CALABRIA" unterwegs. Dumpfe Rhythmen sind anfänglich zu vernehmen. Danach bringt uns Felix Hauptmann zarte Schrittfolgen nahe. Nein, Passacaglia oder Tarantella im klassischen Sinne stehen nicht auf dem Programm der italienischen Exkursion, auch wenn der Beginn darauf hindeuten mag. Eher von Melancholie und Deutungsschwere geprägt ist das, was uns das Quartett präsentiert.
© fdp
https://felixhauptmann.wordpress.com/trio/
Yaroslav Likhachev 4tet – Crumbling
JHM
Der in Russland geborene und nunmehr in Köln lebende Komponist und Saxofonist Yaroslav Likhachev stellt seine jüngste Veröffentlichung vor. Momentan ist er außerdem mit dem Masterstudiengang im Fach Jazz-Improvising Artist an der Folkwang Universität der Künste bei Prof. Matthias Nadolny und Robert Landfermann beschäftigt.
Zum Quartett des Saxofonisten gehören der Pianist Yannis Anft, der Bassist Conrad Noll und der Drummer Moritz Baranczyk. Alle Kompositionen auf dem Album stammen aus der Feder von Likhachev. Beim Coverbild muss man einerseits an den sogenannten Rohrschachtest denken, an Tintenklecksbilder, die in der psychologischen Anamnese eine Rolle spielen, anderseits aber auch an die Tuschezeichnung einer Tänzerin, wie wir sie von den Arbeiten Edgar Degas her kennen. Doch die Frage bleibt, wie das mit dem Albumtitel korrespondiert. „Crumblig“ bedeutet ja „zerbröseln, bröseln“. Wenn man dies weiter fasst, könnte man von Fragmentieren, Auseinanderfallen u. ä. sprechen.
„November Tune“ wird mit dumpf-tropfenden Basssetzungen und flächigen Pianoklängen eingeläutet, so als würde musikalisch das impressionistische Gemälde eines verregneten und verhagelten Novembertages gemalt. Doch es gibt im Grau des Novembers Lichtblicke, wenn nämlich der Bandleader Yaroslav Likhachev seinem Holzblasinstrument eine Stimme gibt. Dann scheinen sich die Wolkenbänder aufzulösen und die Sonne fahl zu scheinen. Zugleich verdeutlicht das Tempo, dass die Langsamkeit der winterlichen Monate angebrochen ist und es nur kurze Momente des Ausbruchs und Aufbruchs gibt. Ja, die gibt es, vor allem dank des Saxofonisten. Und was hat das mit „Crumbling“ zu tun? Dass sich der Pianist und der Saxofonist sowie der Bassist in den Einfärbungen des Stücks abwechseln, kann es ja nicht meinen, oder? Mit Plong und Pling eröffnet der Pianist „The Fifth Mode“, ohne dass das Stück in einen Monk-Modus verfällt. Nur kurz ist der Pianist allein auf weiter Flur. Danach nimmt sich der Saxofonist das Wort, schnurrt, schnarrt, schreit, kreischt. In Wellenbewegungen wird die Klanglinie gezeichnet.
Sprudelnde Klangströme sind die Sache des Pianisten, der sich auf ein Wechselspiel mit dem Saxofonisten einlässt. Getragen und mit feinen Saxofonschattierungen versehen ist „Ballad For Eli“. Hier und da sind melancholische Momente auszumachen, so als handele es sich um einen Abschied ohne Wiedersehen. „Crumbling“ vermittelt den Eindruck von brechendem Eis und zerbrechenden Eiszapfen. Kristalline Klänge sind deutlich zu vernehmen, zugleich aber auch ein tiefer Donnerhall. Danach vereinen sich Pianist und Saxofonist im Unwettergetöse, wenn dieses Bild erlaubt ist. Zerfall im Sinne des Titels ist aber nicht auszumachen, eher bedingtes Chaos, Unruhe, Aufruhr. Im Gegensatz zu anderen Stücken drückt dies wohl den Geist von freier Improvisation am stärksten aus. Die Formen scheinen sich zu öffnen, ebenso das Quartett in seinem Klangagieren. Nach „He Must Go, And He Goes“ folgt „Sicilian Flower“. Zum Schluss erleben wir dann „Traceless Rails, Traceless Waters“: Lyrische Klavierklänge treffen in diesem Stück auf eine Art Möwengeschrei, so könnte man es sich vorstellen. Außerdem denkt man beim Hören daran, dass die an der Küste sacht auslaufenden Meereswellen durch sanfte Sequenzen eingefangen werden.
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Potsa Lotsa XL - Silk Songs For Space Dogs
Leo Records
Die Band Potsa Lotsa ist „das Baby“ von Silke Eberhard. Sie muss man wohl für die Jazzszene in Europa nicht mehr unbedingt lang und breit vorstellen. Doch an dieser Stelle sei zumindest auf die Zusammenarbeit der Saxofonistin mit profilierten Jazzgrößen wie Dave Liebman, Gerry Hemingway, Ulrich Gumpert, Terri Lyne Carrington und schließlich Aki Takase hingewiesen. Silke Eberhard hat sich intensiv mit den Kompositionen von Eric Dolphy befasst, die auch in ein musikalisches Projekt eingeflossen sind, und dann gibt es eben noch Potsa Lotsa mit der Musik von Silke Eberhard. Kritiker ziehen bei diesem Projekt Vergleiche zur Ulrich Gumperts Workshop Band und zum Willem Breuker Kollektief, Meilensteine des Free Jazz und der improvisierten Musik. Ein O-Ton von Silke Eberhard verdeutlicht, was es mit Potsa Lotsa auf sich hat: „Wir spielen diese Musik im Hier und Jetzt. … Ich bin keine Afroamerikanerin der 1960er Jahre, sondern im Schwabenland geboren und inzwischen in Berlin gelandet. Wir erzählen andere Geschichten, gehen von Dingen aus, die heute passieren. Aber ich mag den Bezug auf die Vergangenheit.“
Wer sich auch immer hinter Max Bialystock verbirgt, jedenfalls wird das Album mit dem Titel „Max Bialystock“ aufgemacht. Vielstimmig sind die Bläser, die sich in einem Disput verstrickt haben, so der anfängliche Eindruck des Stücks. Wie eine aufgeregte Kranichgruppe, die ihren Rastplatz erreicht hat, so ein anderes plastisches Bild, klingt das, was wir im Weiteren hören. Im Verlauf vereinen sich die einzelnen Klangstränge nun zu einem melodischen Ganzen, beinahe in der Tradition einer Big Band. Stimmen wie die des Saxofons lösen sich aus dem Ganzen und wandeln auf eigenen verwegenen Pfaden, sensibel begleitet von der Rhythmusgruppe und dann von den anderen Bläsern. Stellenweise hat das Stück auch Swing, besonders wenn sich der Vibrafonist ins Geschehen einmischt und dem rotzigen Saxofonklang partiell Paroli bietet. Doch das gelingt nur bedingt.
Wie ein Papierdrachen in der Thermik so bewegen sich die Klangstränge in „Crossing Colours“. Orchestrales stößt auf Solistisches, so auch beim Solo des Trompeters Nikolaus Neuser, der nachhaltig Klangbögen baut, derweil der Pianist Antonis Anissegos kristallklare Klangquellen erschließt. Das Orchestrale wird von den Bläsern bestimmt, auch von dem dunklen Timbre des Posaunisten Gerhard Gschlößl. Für kurzzeitige Trommelwirbel sorgt Kay Lübke. So ergeben sich interessante Kontraste. „Skeletons and Silhouettes“ lebt unter anderem von dem Zwiegespräch zwischen Vibrafonisten und Pianisten. Und im weiteren Verlauf drängen sich der Klarinettist und der Posaunist auf. Und auch ein Cello macht seine Aufwartung – im Jazz durchaus ungewöhnlich. Bisweilen denkt man, die Komposition könnte von Kurt Weill stammen. „Ecstasy on your feet“ lässt vom Titel her Turbulenzen erwarten, die sich im Arrangement allerdings nur bedingt wiederfinden lassen. Auch von Rausch und Trance ist in dem Stück nichts zu spüren, oder?Abschließend noch ein Wort zu „Song in Orange“: Orchestraler Vollklang umfängt den Zuhörer. Anschließend ist es dann an dem Vibrafonisten Taiko Saito tanzende Linien zu zeichnen, weniger in den Fußspuren von Lionel Hampton als wohl eher von Gary Burton. In einer Großformation wie Potsa Lotsa ist dies gewiss ein Hinhörer. Gleiches gilt im Übrigen auch für das Posaunensolo, das aufwühlend ist und einer Windhose gleichend daherkommt.
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Line-up
Silke Eberhard (alto saxophone) / Jürgen Kupke (clarinet)
Patrick Braun (tenor saxophone, clarinet) / Nikolaus Neuser (trumpet)
Gerhard Gschlößl (trombone) / Johannes Fink (cello)
Taiko Saito (vibes) / Antonis Anissegos (piano)
Igor Spallati (bass) / Kay Lübke (drums)
https://silkeeberhard.com/potsa-lotsa/
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Gall/Schimpelsberger – Myriad
GLM
Chris Gall und Bernhard Schimpelsberger beherrschen die Kunst des Dialogischen, gerade weil sie in einem sehr fragilen Gebilde agieren. In jedem Moment müssen der Pianist Chris Gall und der Perkussionist Bernhard Schimpelsberger hellwach sein. Unaufmerksamkeit verzeiht ein Duo nicht. Mit der aktuellen Einspielung laden die beiden Musiker ihre Zuhörer zu einer Kulturreise ein, die die unterschiedlichen musikalischen Prägungen des Duos streift.
Chris Gall wurzelt eher in der europäischen Klassik und in der Hinwendung zur westlichen Improvisationsmusik, wie sie überwiegend im Jazz genutzt wird. Bernhard Schimpelsberger hat sich hingegen intensiv mit indischer Musik beschäftigt und mit den sehr komplexen, tradierten Rhythmusstrukturen fernöstlicher Musik. Unterschiedlich könnten die Ausrichtungen nicht sein. „Die Kompositionen dienen uns hier als Kompass auf diesen Klangreisen“, erläutert Bernhard Schimpelsberger. „Wir folgen ihnen, dazwischen gibt es aber auch immer sehr viel Platz für Improvisation. Auch hier bietet das Duo eine wundervolle Freiheit.“.
Interessant ist auch der Prozess, der zum Album führte. So berichtet Chris Gall Folgendes „Vor unserem Studiotermin im Bayerischen Rundfunk, haben wir uns dann schließlich zwei Wochen im Proberaum eingesperrt, alles ausprobiert und die Puzzleteile zusammengesetzt. Die meisten Stücke sind auf diese Weise komplett neu entstanden und fast alle extra für unser Duo komponiert worden“. Nein, wir täuschen uns nicht, bei „Myriad“ piepen, zwitschern, tschilpen Vögel. Ob es exotische Vögel sind, wissen wir nicht bestimmt. Nach der Eröffnung des Stücks schweigen die gefiederten Freunde, und Chris Gall lässt uns an seinem perlenden Klavierspiel teilhaben. Da sprudelt und rinnt der Klangfluss. Begleitet wird dies von den rhythmischen Setzungen mittels Cajon und Udu, oder? Und dann hört man auch wieder ein Trällern kurz vor Ende des Stücks.
Fallen da nicht bei „Segeriyua“ dicke Tropfen? Jedenfalls vernehmen wir ein tiefes Plong-Plong. Gleichsam im Fahrwasser einer Etüde, so hat es den Eindruck, nimmt uns dann Chris Gall auf die weitere musikalische Reise mit. Und auch das ist zu hören: Gedämpfte Klaviersaiten schwingen zu einem dumpfen Rhythmus. Kleine Schellen schwirren zu diskanter Verspieltheit schließlich auch noch. Doch alles mündet am Ende in einen melodischen Strom, begleitet von verhaltenem Blechschwirren. „Pinhole Observer“ heißt die nächste Komposition auf dem Album: Mit balladenhafter Attitüde wartet dieses Stück auf. Dabei vernehmen wir rollende Klangmotive, die Chris Gall präsentiert, unterstützt von einem gleichlaufenden Schlagwerk unter der Regie von Bernhard Schimpelsberger. Nach und nach bekommt man dann den Eindruck des Meditativen, vor allem dank der sehr behutsam eingesetzten Perkussion und der kristallinen Strudel.
Nach einem „Interlude I“ ist „Song of June“ an der Reihe: Schon bei den ersten Takten fühlt man sich an die Romantik und deren Kompositionen erinnert. Nun gut, die perkussiven Elemente sind eine Verfremdung, aber der Kern ist schon auf die Musik des 19. Jahrhunderts ausgerichtet, will sagen, Schumann und Chopin scheinen sehr nahe. Nach „Interlude II“ folgt „In a Landscape“ und „Poem on a Typewriter“. Das Tastenstakkato erinnert wirklich an das Tastenklappern einer mechanischen Schreibmaschine. Aber, wo bleibt das Klingeln, wenn der Wagen zurückgeschoben wird? Energiegeladenes Tastenspiel ist auszumachen, aber auch sehr lyrisch gesetzte Passagen. Man hat den Eindruck, das Gedicht habe dramatische und weniger dramatische Verse. Und am Ende gibt es auch noch eine Vokalbeigabe in der Machart des Karnataka College of Percusssion. Ganz zum Schluss gibt es den exotischen Klang von Kalimba zu erleben, wenn „New Life“ auf dem Programm steht.
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Luise Volkmann Autochrom – RGB
Nwog records
Zwei Frauen, ein Mann vereint im Freigeist – das ist das Trio um Luise Volkmann, das sich an musikalischer Symbiose versucht. Der Albumtitel geht auf eine von den Gebrüdern Lumière am Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Technik der Fotografie zurück: „Autochrome“ basiert darauf, dass aus der Rasterung der drei Farben Rot, Blau und Grün alle anderen Farben abgeleitet werden und so komplexe Farbfotos erstellt werden können.
Neben der Saxofonistin Luise Isabel Volkmann hören wir im Farbspiel die Bassistin Athina Kontou und den Schlagzeuger Max Santner. Luise Isabel Volkmann kommt aus Bielefeld, lebte kurz in Berlin und lang in Paris, um über Kopenhagen und Leipzig in Köln zu landen. Athina Kontou hat griechische Wurzeln, wuchs in Frankfurt am Main sowie in Athen auf und lebt heute in Leipzig. Max Santner stammt aus Österreich und hat seine Sticks in Berlin ausgepackt.
Und alle drei sind nun vereint, um eine „musikalische Farberzählung“ vorzustellen. Topografisches, Biografisches und Persönliches, so las man es in der Vorankündigung des Albums, verdichten sich auf „RGB“ zu einer feinkörnigen Momentaufnahme, in der sich jeder einzelne Aspekt im Gesamtbild auflöst. O-Ton Luise Volkmann: „Berlin, Leipzig und Köln sind wichtige Stationen in meinem Leben.. „Meine musikalische Entwicklung in Deutschland hat sich zu großen Teilen in diesen drei Städten abgespielt. Die meisten Künstler, mit denen ich in Deutschland zusammenarbeite, leben in Berlin, Leipzig und Köln. Meine Musik ist immer sehr autobiografisch. Ich versuche an dem dranzubleiben, was mich bewegt. Nicht zuletzt ist auch die Wahl der Musiker, mit denen man spielt, autobiografisch. Das sind immer Leute, mit denen man künstlerisch und persönlich einen Weg zurückgelegt hat und die das bedienen können, worum es einem in der Musik geht.“
Die Erzählungen des Trios sind nicht die aus 1001 Nacht, sondern beginnen bei „ Blauer Rost“ und „Jadetänzer“, ehe „Nr 2“ und „Kalim Kalim“ an der Reihe sind. Letzteres klingt ja beinahe wie Simsalabim. Wir hören „Pfeifen lernen in Kopenhagen“ und begegnen musikalisch „Blauen Giraffen“. Bei „Blauem Rost“ ist es an der Bassistin das Stück zu eröffnen, mit tiefgründigen, tieferdigen Klangfärbungen. Dazu hört man das sachte Fegen über Trommelfelle und ein Klappern der Klappen eines Saxofons; Mechanik als Klangquelle. Was Luise Volkmann dann an Feintönigkeit an den Tag legt, erinnert streckenweise an den Klang einer Querflöte. In den „Chorus“ des Saxofons fallen dann die beiden Mitmusiker ein, auch und wenn gerade mehr Geräusch als Klang auszumachen ist. Gegen Ende des Stücks sind jedoch melodiöse Linien auszumachen. Nur, was ist eigentlich blauer Rost? Hohes Röhren und ein tänzerischer Bass sowie kurze Drummings führen uns bei dem Werk „Jadetänzer“ ein. Dazu hören wir dann auch lang gezogene Saxofonsequenzen, kehlig und dumpf. Das Melodische ist hin und wieder nur ein Intermezzo und wird vom Perkussiven überlagert. Sieht man vor dem geistigen Auge auch schnelle tänzerische Drehungen und Sprünge? Nummer 1 gibt es nicht, aber „Nr. 2“ neben „Punkte“.
Doch wir konzentrieren uns auf „Nr. 2“ und den anfänglichen Klang von „Autogehupe“ und Gebimmel. Urbaner Irrsinn in der Rush Hour – oder was? Luise Volkmann begibt sich im Verlauf des Stücks in einen verschlungenen Klangfluss, begleitet vom Glöckchenklang und tiefem Saitenschwingen. Im Zuge der weiteren Entwicklung scheint die Saxofonistin sich mehr und mehr zu entäußern und entfesselt aufzuspielen. Schnarren trifft außerdem auf Bläsergeschrei und mechanische Klappenschläge. Atemluft dringt in der Eröffnung von „Kalim Kalim“ ans Ohr des Hörers. Wird da nicht auch eine Bambusflöte spitz angespielt? Nein, der flötenähnliche Klang und das Atemgesäusel entspringen dem Saxofon. Nach und nach verschmilzt „Atonales“ mit dem Tonalen; sprich: Geräusche treffen auf melodische Klangbilder. Trommelschläge folgen auf Trommelschläge als Entree von „Pfeifen lernen in Kopenhagen“. Schnalzen, Quieken und allgemeines Saxofongebläse sind zu vernehmen, aber kein Pfeifen. Doch Moment, das erleben wir noch, zunächst ein leicht schiefes Pfeifen, so als müsste der Pfeifer noch üben. Das wird im Verlauf harmonischer, ehe Trommelkaskaden auf den Hörer niedergehen. Und danach stoßen wir auf „Blaue Giraffen“, ehe mit „Eine Eidechse zwischen drei und viertausend Euro“ das Album abgeschlossen wird.
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