Jazz made in Finland #1
Various
Polygamy Records / Eclipse Music / We Jazz Records
Tuomo / Sigurdur Rögnvaldsson / Ilmiliekki Quartet
Tuomo - Quarantine Music 1
Polygamy Records
„Quarantine Music 1“ ist die erste musikalische Produktion aus Tuomos gleichnamigem Projekt. Auch dieser finnische Musiker musste wie andere seine Livekonzerte wegen der Pandemie auf Eis legen. Stattdessen ging es ins eigene Studio und ans Komponieren neuer Musik. So entstand eine Art musikalisches Tagebuch der Pandemie und des Einflusses auf ein Musikerleben. Unterdessen sind 24 Kompositionen entstanden, die auf Bandcamp veröffentlich wurden.
Für das aktuelle digitale Album „Quarantine Music 1“ wählte der Sänger und Pianist Tuomo Prättälä Songs aus, deren Texte sich mit den Facetten der Pandemie befassen, so u. a. "Antibody" mit seinen sehr nachdrücklichen Synthesizer-Schraffuren. Zudem hören wir in Anlehnung an R&B "Monday Afternoon" und auch "Did You Forget To Be Afraid Today?"sowie "Cute Baristas 2020". „Ominous“ ist ein Zwischenspiel nach „Monday Afternoon“. „Invisible ist der vorletzte Track vor "Did You Forget To Be Afraid Today?"
Tuomo Prättälä, der sein Album auf dem eigenen Label veröffentlicht, ist nicht nur in Finnland als Pianist in Bands wie Ilmiliekki Quartet sondern auch vom Verneri Pohjola Quartet her bekannt.
Einem tonalen Kometen-Schauer gleicht das Klangspektrum, das wir zu Beginn bei „Antibody“ hören. Neben Basslagen vernehmen wir auch kristalline Klangkaskaden, dank sei dem eingesetzten Synthesizer. Darüber hinaus changiert der Track zwischen Elektro-Popmusik – man denke an ELO und auch an Alan Parson – und Singer/Songwriter, wenn Tuomo stimmlich agiert. Dabei wird er durch wellige Klangschlieren begleitet. Zudem ist ein redundanter Beat und Bass Teil des Stimm-Gemäldes.
Sphärisches vermischt mit Techno-Beats machen teilweise „Monday Afternoon“ aus, mal abgesehen vom Songhaften, das dem Gesang Tuomos geschuldet ist. Dabei hat der Zuhörer hier und da den Eindruck, man höre eine Melange von Bryan Adams mit Culture Club. Purer Hip-Hop präsentiert uns der finnische Sänger mit „Cute Baristas“.Er wird bei diesem Stück stimmlich von Tommy Lindgren unterstützt, und beide scheinen im Fahrwasser von Branford Marsalis Buckshot Lefonque, aber auch aktueller Hip-Hopper aus den USA zu schwimmen. Und so hören wir neben der Sucht nach Koffein unter anderem auch „Fuck Covid-19“ als Textbotschaft. „Invisible“ besticht mit einer beinahe balladenhaften Ausformung. Dabei vernimmt man an feinsten Gitarrenriffs ausgerichtete Synth-Passagen, oder? Und schließlich heißt es: „Did You Forget To Be Afraid Today?“ Sehr perkussive Post-Disko-Musik scheint uns zu umfangen. Rhythmischer Synth-Klang und Scratching-Attitüden sind als Klangmodule sehr präsent. Insgesamt ist dieses vorgelegte Album weniger dem Genre Jazz als vielmehr dem Genre Hip-Hop und Pop zuzurechnen, aber die Grenzen sind in der aktuellen Musik ja durchaus fließend.
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Information
Line-up
Tuomo Prättälä, vocals & all instruments
Jarmo Saari, guitar (1.)
Tommy Lindgren, vocals (4.)
Aarne Riikonen, percussion (6.)
https://en.wikipedia.org/wiki/Tuomo_Prättälä
Sigurdur Rögnvaldsson - Harmonic Tremor
Eclipse Music
Sigurdur Rögnvaldsson ist ein aus Island stammender, aber in Helsinki lebender Gitarrist. Er studierte an der Akademie für Musik und Drama in Göteborg und graduierte mit einem Bachelorabschluss in Improvisation. Zudem erwarb er einen Masterabschluss in Jazz an der Königlichen Musikakademie in Stockholm.
Die Charakterisierung seiner Musik ist nicht einfach, da sich Einflüsse von Jazz und Rock bei ihm vermischen. Bisweilen scheint es Anwandlungen zu geben , die an John McLaughlin, aber auch an Dire Straits und Alan Parson denken lassen. Ohne Effekte kommt seine Musik hier und da nicht aus. Nachstehend eine Einschätzung von Anthony Shaw in „All about Jazz“: “But here is a musician who has listened to a lot of metal music, and is now creating compositions at times lyrical, but which frequently burst with intense interaction, rhythm and also humor. It makes for intriguing and above all lively music.” Für sein Album „Harmonic Tremor“ hat er eine Duoformation gewählt: Sigurdur Rögnvaldsson, der alle Kompositionen geschrieben hat, spielt dabei Baritongitarre und Tatu Rönkkö Schlagwerkmaschine.
Nach dem „Prolog“ folgen Tracks wie „Intimidation“, „Awakening“, „Upheaval“ und „Calm Before The Storm“. Mit „Eruption“ und „Harmonic Tremor“ schließt das Album ab.
Beinahe wie auf einer Maultrommel gespielt klingt der Prolog, dabei von feinsten Schwingungen durchsetzt, die den Saiten entlockt wurden. Zugleich scheinen wir von Sigurdur Rögnvaldsson in Klangwelten entführt zu wenden, wie wir sie von Mark Knopfler in „Local Hero“ kennen. Klangstarke Kaskade über klangstarke Kaskade ergießt sich bei dem Stück „Intimidation“. Wüsste man es nicht besser, so würde man meinen der isländisch-finnische Gitarrist würde eine westafrikanische Kora anstimmen.
Klangsprünge vernehmen wir bei „Awakening“, beinahe dialogisch arrangiert zwischen rechtem und linken Stereokanal. Man hat den Eindruck, der Musiker präsentiere zwei gegenläufige Positionen zum Thema „Erwachen“. Bisweilen meint man, die feinen morgendlichen Sonnenstrahlen seien von Sigurdur Rögnvaldsson eingefangen worden. Zudem spinnt er sehr durchscheinende Gitarrenklangfäden, einem Spinnennetz gleichend, das im Sonnenlicht schimmert. Wie klingt wohl „Upheaval“, für Wandel und Aufbruch stehend, übersetzt man den englischen Begriff. Erstmals ist dann auch die Schlagwerkmaschine zu hören, die neben den redundanten tiefen Linien zu vernehmen ist, abgesehen von bluesig-rockig dahinschwebenden Passagen, die Weite und Schwerelosigkeit suggerieren. Von Eruption, Aufbruch und Umbruch ist nichts zu vernehmen. Nachfolgend lauschen wir der „Ruhe vor dem Sturm“ („Calm Before The Storm“). Dies ist eine sehr lyrisch ausgerichtete Komposition. Zum Schluss noch ein Wort zu „Harmonic Tremor“: Dabei sind dann ein wenig Metal und Hard-Rock mit im Spiel.
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Informationen
http://www.sigurdurrognvaldsson.com/bands.html
https://eclipsemusicrecordlabel.bandcamp.com/album/harmonic-tremor
Ilmiliekki Quartet - Land Of Real Men
We Jazz Records
Ilmiliekki Quartet ist eine Band mit den besten finnischen Jazzmusikern, die 2002 ins Leben gerufen wurde. Die Formation besteht aus dem Trompeter Verneri Pohjola, dem Pianisten Tuomo Prättälä, Bassisten Antti Lötjönen (u. a. The Five Corners Quintet, Timo Lassy Band, 3TM, etc.) und dem Drummer Olavi Louhivuori (u. a. Tomasz Stanko's quintet und Oddarrang). "Land Of Real Men" ist ein Meilenstein in der Diskographie der einzelnen Musiker. Ohne Zweifel gehört das Ilmiliekki Quartet zu den Bands des Gegenwartsjazz mit skandinavischen Verwurzelungen.
„O Superman“ heißt der Eröffnungstitel des Albums, gefolgt von „Singharat Soi 1“, „Afterimage“ sowie „Twisted Thistle“ und „Il Maleki“. „Land Of Real Men“ und „Lonely Lonely“ hören wir zum Abschluss des Albums. Die Hymne für Supermann wird nicht nur von den nachhaltigen rhythmischen Akzenten geprägt, sondern auch von Pohjolas teilweise elegischem Trompetenklang. Das hat durchaus etwas von gewisser getragener Schwere, ohne tief in Melancholie zu versinken. Zugleich zeigt sich der Trompeter auch als ein Meister des Rhythmischen parallel zu den Interventionen des Pianisten und Drummers. Im Verlauf des Stücks vernimmt man auch etwas von einem frühlingshaften Aufbruch, von lyrischer Unbeschwertheit und von freiem Spiel, in dem sich Trompeter und Pianist dialogisch vereinen. Und auch Momente eines Triumphes präsentiert uns das Quartett unter Federführung von Veneri Pohjola, der sich auch auf zarte Klangwinde versteht. „Singharat Soi 1“ klingt ein wenig nach dem indischen Subkontinent. Doch die musikalische Ausformung hat nichts mit Sitarklang, Ragas oder Karnataka College of Percussion zu tun. Vollmundig ist der Trompeter am Werk, und der Bassist nimmt sich seinen Klangraum. Nervosität ist auszumachen, Aufbruch und Umbruch ebenso. Dramatische Szenen wechseln sich mit lyrischen Passagen ab. Tastenflüsse sind zu vernehmen, und alles scheint dahinzurinnen, dank sei Tuomo Prättälä. Dieser wird in seinem teilweise klassisch ausgeformten Spiel von einem sensiblen Drumming begleitet. Bei „Afterimage“ hat man den Eindruck, dass ein präparierter Flügel die Kompositionsschraffuren bestimmt, ehe dann Verneri Pohjola ins Geschehen kurz eingreift. Getragen erscheint das Stück, beinahe wie ein Lamento oder Requiem. Bisweilen meint man, an einen Psalm erinnert zu werden. Dem Bass gehört zu Beginn von „Twisted Thistle“ die alleinige Aufmerksamkeit. Feine Saitenspiele dringen ans Ohr des Zuhörers. Ein Schwirren und Brausen folgt der gedämpften Einleitung. Beim Spiel von Verneri Pohjola vermeint man, einen warmen Wind auf der Haut zu spüren. Flirrende Hitze über dem finnischen Seenland ist ein weiteres Bild, das sich aufdrängt. Und dann gilt wieder dem Bassisten die ungeteilte Aufmerksamkeit. Der weiche Bassklang muss jedoch nachfolgend den spitzen und schnarrenden Trompetenklängen Pohjolas weichen. Dieser geht nach und nach in klangliche Weichzeichnungen über.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zu „Land Of Real Men“: Beschwingt und mit eingängiger Melodie wartet die Komposition auf. Ein wenig wird man beim Zuhören an das Album „Pekka“ von Verneri Pohjola erinnert. Mit diesem verneigt sich der finnische Trompeter vor seinem Vater, der Rockjazzlegende Pekka Pohjola.
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