Jazz made in Brazil #1
Various
AAM Music / alessa records
Antonio Adolfo / Eloá Gonçalves
Antonio Adolfo BruMa - Celebrating Milton Nascimento
AAM Music
Der Pianist Antonio Adolfo ist einer der Stars des Latin Jazz. Er schrieb unter anderem Songs, die von Nara Leão, Marisa Gata Mansa, Ângela Rô Rô, Dóris Monteiro, O Grupo, Wilson Simonal, Geraldo Vespar, Leci Brandão, Emílio Santiago, Beth Carvalho und Sérgio Mendes & Brasil '66 populär gemacht wurden. Ihm ist auch die Gründung des unabhängigen Labels Artezanal zu verdanken. Gleiches gilt für Aufnahmen von Kompositionen wichtiger, aber vergessener Komponisten der brasilianischen Belle Epoque wie Chiquinha Gonzaga und João Pernambuco.
Mit seinem Septett, das er um einige Gastmusiker erweitert hat, verneigt er sich im vorliegenden Album vor Milton Nascimento, einer der wichtigen Persönlichkeiten der Música Popular Brasileira. Insgesamt neun Titel hat die Band eingespielt, angefangen bei „FE CEGA, FACA AMOLADA“ (engl. Blind Faith, Sharp Knife) über „NADA SERA COMO ANTES“ (engl. Nothing Will Be As It Was), „OUTUBRO“ (October) und „CANÇÃO DO SAL“ (Salt Song) bis zu „ENCONTROS E DESPEDIDAS“ (Encounters and Farewells), „CAXANGA“ und schließlich „TRISTESSE“ (Sadness). Dabei arrangierte Adolfo die Musik Nascimentos und machte sie zu seiner eigenen.
Unsere Vorstellung brasilianischer Musik wird vielfach von Einspielungen von Astrud Gilberto, Gilberto Gil, Toots Thielemans, Stan Getz, Baden Powell, bisweilen auch von Egberto Gismonti und Hermeto Pascoal sowie Nana Vasconcelos geprägt. Zudem verbinden wir brasilianischen Jazz weitgehend mit Bossa Nova. Wie aber klingt die Musik, die Adolfo arrangiert hat und bei der ein starker Bläsereinfluss vorliegt?
Gleich zu Beginn wird deutlich, dass von eingängigem Bossa oder gar Salsa nicht die Rede sein kann. Herausragend sind das eingebettete Saxofonsolo und die Mischung aus Bläsersetting und dem E-Gitarren-Solo bei „Fe Cega, Faca Amolada“. Nicht zu überhören ist der Big-Band-Klang im Arrangement von „Nada Sera Como Antes“. Zeitweilig mag man an die Big-Band-Ära von Basie und Ellington denken, ab und an auch an die Tanzkapellen der 40er und 50er Jahre, die zum Ballroom Dancing aufspielten. Aus dem Bläsersetting wird in diesem Stück ein schnurrendes, sehr bewegtes Saxofonsolo herausgeformt. Und auch der Bandleader hat seinen solistischen Auftritt am Tasteninstrument, mit und ohne Tremolos. Im Hintergrund agiert dazu hier und da die vereinigte Bläserschaft. Und der Posaunist des Ensembles darf sich gleichfalls in den Vordergrund spielen, durchaus mit einer gewissen Behäbigkeit.
Der „Oktober“ kommt mit schweren Schritten daher, was vor allem dem Pianisten Antonio Adolfo und dem Besenspiel des Drummers Rafael Barata geschuldet ist. Irgendwie scheint schon der schwere Nebel spürbar, besonders dann, wenn sich Posaunist und Trompeter zu Wort melden. Ihr Spiel ist nicht überschäumend, sondern getragen-lyrisch. Beim erneuten Solo Adolfos meint man gar, das Herbstlaub fallen zu sehen.
Deutlich an Tempo zugelegt wurde bei „Canção Do Sal“, einem Stück mit einer feinen Prise Bossa. Auch hier gibt es innerhalb des Septetts Raum für Solos, so auch für einen der beiden Saxofonisten der Band. Ein wenig balladenhaft und der leichten Muse zugetan mutet hingegen „Encontros E Despedidas“ an. Dann ist auch Marcello Martins auf seiner Altflöte bei einem Solo zu hören. Samten ist der Klang, der sich gegen die Macht der Hornisten und Holzbläser absetzt und einem Vogelschilpen gleich seine Melodielinien formt. Auf diese nimmt danach Adolfo in seinem Pianosolo Bezug, das durchaus einen frühlingshaften Aufbruch vermittelt. Mit „Tristesse“ (Sadness) wird der Schlusspunkt der Hommage an Milton Nascimento gesetzt: Flötist und Pianist vereinen sich in ihrem „Trauergesang“. Hier und da hat man bei den Passagen, die Adolfo ausformt, den Eindruck einer Anlehnung an Chopin, oder? Dieser Höreindruck wird allerdings durch das Gitarrensolo von Leo Amuedo aufgehoben. Dieses ist in den Linien leicht und dahinschwebend, mit allerlei Umspielungen gespickt und eher nach Hoffnung und Freude als nach Schmerz und Verbitterung klingend.
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Line-up
Antonio Adolfo piano
Jesse Sadoc trumpet and flugelhorn
Marcelo Martins alto flute, tenor sax
Danilo Sinna alto sax
Rafael Rocha trombone
Jorge Helder double bass
Rafael Barata drums and percussion
Claudio Spiewak electric guitar (1,2,4,6), acoustic guitar (3,4,5,9), percussion (4)
Lula Galvao guitar (7,8)
Leo Amuedo guitar (9)
Dada Costa percussion (1,2,6,7,8)
Eloá Gonçalves Trio – Casa
alessa records
“I think everyone has a way of feeling “at home”. That could be a place, someone’s company, a smell or a taste. For most of my life making music has been what makes me feel that way. It’s through music that I’ve had the opportunity to meet people, places, discover new flavours, smells, colours and to know myself, not only as a musician but as a human being.I hope that you, just like me, through the music you’ll listen to here, also feel at home.” (Eloá Gonçalves) Mit diesen Gedanken im Kopf nähern wir uns dem Debütalbum der brasilianischen, zurzeit noch in Graz lebenden und studierenden Pianistin und Komponistin, die sich für die Veröffentlichung den Drummer Luis Oliveira und den Bassisten Tobias Steinrück an ihre Seite geholt hat. Acht der aufgenommenen Stücke entstammen der Feder Eloá Gonçalves'. „Desenredo” wurde für das aktuelle Album arrangiert, ist jedoch eine Komposition des brasilianischen Komponisten Dori Caymmi. Bei drei der neun Albumtracks sind sehr talentierte Musiker der Jazzszene Graz beteiligt: Jaka Arh (Slovenia/ tenor saxophone); Karel Eriksson (Sweden /trombone); Laura Zöschg (Italy / vocal) und Mathilde Vendramin (France / cello).
„Ainda Sem Titulo“ eröffnet das Album, gefolgt von einem traditionellen brasilianischen Choro namens „Choro De Pai E Mae“ und „Desenredo“ sowie „Elo“ - angelehnt an den ungarischen Komponisten Béla Bartók. Zu hören sind zudem „Graz“ und „Nostalgia“, ehe das Album mit „Valsa Do Inicio“ abgerundet wird.
Die anfänglichen Takte von „Ainda Sem Titulo“ scheinen sich im Kanon von Grieg und Chopin zu bewegen. Auch die Vorstellung des Etüdenhaften drängt sich nachhaltig auf. Das ändert sich jedoch, sobald der schwedische Posaunist Karel Eriksson das musikalische Wort ergreift, gefolgt von einem Basssolo von Tobias Steinrück. Irgendwie wohnt dem Stück etwas Melancholisches bei. Das wird nur hier und da von einer Leichtigkeit durchbrochen, die die perlenden Passagen verheißen, die man dank der Pianistin hört. In der weiteren Inszenierung drängt sich Dramatik auf, auch beim erneuten Agieren von Eriksson. Ein Choro ist eine Art Fusionmusik, die im späten 19. Jahrhundert in der Gegend von Rio entstand. Es handelt sich um eine Vermischung europäischer Musik wie Polka und Walzer mit der afrikanischen Musik der Sklaven. „Choro De Pai E Mae“ erwartet den Zuhörer: Hören wir zu Beginn nicht Vogelstimmen? Danach ergießt sich ein zarter Tastenklang über den Zuhörer. Zugleich setzt auch ein glockenheller Gesang ein, der zwischen Sakralem und Arienhaftem changiert. Begleitet wird dieser Gesang vom sonoren Celloklang. Ab und an meint man, einen Klagegesang herauszuhören, wenn auch nicht so schwermütig wie in einem Fado. Beschwingt sind die nachfolgenden Klaviersequenzen, die sich in tonalen Kaskadierungen verlieren.
„Desenredo“ wird durch die brasilianische Pianistin eröffnet. Einem Flussschwall und kleinen Wildwassern gleicht das, was wir hören. Dabei hat die Komposition durchaus etwas von Liedhaftigkeit. Dabei denke man nicht nur an Franz Schubert, oder? Mit gewisser Basslastigkeit und klassischer Attitüde kommt „Graz“ daher. Dabei muss man ab und an auch an die Musik der Romantik denken. Was fängt das Trio eigentlich ein? Graz im Herbst oder gar im Winter, wenn Ruhe die Stadt einhüllt und der urbane Alltagstrubel zum Stillstand gebracht wird? Man könnte es beim Zuhören beinahe meinen. Dabei ist die starke Anbindung an klassische Musik durchaus überraschend, hat man doch bei einer brasilianischen Musikerin eher Bossa und Latin Jazz im Sinn.
In ähnlichem musikalischen Fahrwasser wie „Graz“ bewegt sich auch „Nostalgia“. Dabei meint man, der Musik des Nordens, vertreten durch Grieg und Sibelius, näher zu sein als der leichten melodischen Setzungen von Romantik und Neoromantik. Schließlich gibt es noch einen Walzer als krönenden Abschluss: „Valsa Do Inicio“ ist allerdings weit entfernt von Strauß'scher Ausgelassenheit und mit Verlaub auch Banalität. Beim Hören des letzten Stücks des Albums meint man, man sei in einem vornehmen Salon des frühen 20. Jahrhunderts eingeladen und exzellente Hausmusik würde geboten. Wenn man denn überhaupt beschwingte Walzerdrehungen aus der Komposition herauslesen kann, so dann sehr verhaltene und langsame Drehungen.
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Line up:
Eloá Gonçalves piano/composition
Luis Oliveira drums
Tobias Steinrück bass