Jazz made in Berlin Releases Summer 2023 #1

Jazz made in Berlin Releases Summer 2023 #1

Various

Bos Records / Blackbird Music / Toy Piano Records / Tiger Moon Records / Unit Records / Shuffle Shack Records / MP Records

Stephan-Max Wirth Experience / New Orleans Shakers / Peter Weniger Point Of Departure / Twirls / Mark Pringle / Matti Klein Soul Trio / Reifegerste Trio

Foto Berlin Schwangere Auster © fdp

 





Stephan-Max Wirth Experience
Printemps Fatal

Bos Records


Das vorliegende Album ist die musikalische Essenz der letzten drei Jahrzehnte der Band. Erstmals gibt es die Einspielungen auch auf Vinyl, um den vielen Anfragen hierzu gerecht zu werden. „Der Titel vereint das vergangene Auf und Ab: Chaos, Einschränkung, Freiheit, Neuanfang. Ein musikalischer Diamant in dem sich die Vielfalt des zeitgenössischen Jazz wiederspiegelt.“ So ist es zu lesen. Bildhaft ist dies auf dem Cover eingefangen, das das Porträt des Saxofonisten Wirth mit einem üppigen floralen und vegetabilen Kopfschmuck zeigt. Dieser erinnert dann eher an Neubeginn und Neuanfang als denn an das oben erwähnte Chaos, oder?

Nachdenklich stimmen die Worte des Saxofonisten Stephan-Max Wirth, die wir auf der Innenklappe des Covers lesen: „Musik erzählt uns mehr als tausend Worte. Ihre Tiefe wird erst erkennbar, wenn man sich in sie hineinfallen lässt. … So träume ich mich in ferne Landschaften vom Kattegat  bis in den Norden Afrikas, tags bis in den Mond, um mit meinen Freunden Jaap, Bub und Florian den Printemps Fatal zu überstehen. …“. Mit den angesprochenen Freunden sind die Mitmusiker von Wirth gemeint: der Gitarrist Jaap Berends, der Bassist Bub Boelens und der Drummer Florian Hoefnagels.

Gemeinsam meistern sie musikalisch nicht nur den „fatalen Frühling“, sondern widmen sich zudem der „Bluesmaschine“, „besingen“ die „Stars Over Kattegat“ und das „Mediterranean Lovebird“ sowie die „Extremadura“. Zum Schluss heißt es auf dem Album dann: „Two Melted Up“. 

Zu Beginn des Albums erhebt Stephan-Max Wirth seine Stimme, die überaus trägt, sonor und klar in der Tonlage. Anschließend kommen die anderen Bandmitglieder hinzu, wenn es um die „Friends“ geht, auch der Bassist, der sehr erdig gefärbte Klanglinien entfaltet. Über diese legt sich feinster Gitarrenklang und anschließend dahin gleitende Klangwolken, die dem Saxofonisten zu verdanken sind.  Beim Hören hat man eine Szene vor Augen, bei der Freunde des Nachts einen Bummel durch den Stadtdschungel von Kneipe zu Kneipe unternehmen. Irgendwie signalisiert die Melodie, dass sich die Freunde dabei einfach treiben lassen, irgendwie auch ziellos unterwegs sind. 

Gitarrist und Drummer eröffnen den Track „Printemps Fatal“. Frühlingsfarben verbreitet anschließend der Saxofonist. Zugleich verspürt man einen lauwarmen Wind des Melodiösen. Der Chorus, den Wirth anstimmt, erinnert hier und da auch an Bands, die einst überaus populär waren: Chicago, Blood, Sweat & Tears und natürlich auch an die Brecker Brothers. Lang ist es her. Bewegt in einem Hin und Her zeigt sich der Gitarrist, der vom aufbrausenden Drumming begleitet wird. Frühlingsstürme scheinen sich aufzutürmen. Beruhigend wirkt dann das teils sonore Gebläse des HHolzbläsers das sich anschließt. Doch wenn man weiter zuhört, dann drängt sich das Bild einer Windhose auf, die urplötzlich in Erscheinung tritt.  Bassschritte vereinen sich mit dem hellen Klang des Sopransaxofons, wenn es um die „Bluesmaschine“ geht. Durchaus mit Swing durchsetzt ist das Stück, bei dem man manchmal nicht gewiss ist, ob man nun eine Klarinette oder ein Saxofon hört. Eher an eine Ballade erinnert uns das leicht getragene „TimTim“.

Der Traum von fernen Ländern erfüllt sich auf dem Album zum einen mit „Stars Over Kattegat“ und zum anderen mit „Extremadura“. Nein, nicht in die dänische Südsee entführt uns die Band, sondern zum Kattegat, dem Seegebiet zwischen der schwedischen Westküste und Jütland. Ein wenig an ein Lullaby erinnert das Stück über die „Sterne über dem Kattegat“. Das mag auch an der lyrischen Tönung der Gitarrenklänge liegen sowie an der Abwesenheit des Saxofons als dominanten Klangträger. So kann man sich dem Saitenklang hingeben und dabei an eine laue Sternennacht denken sowie an rauschende Meereswellen. Auf geht es schließlich musikalisch in die Extremadura. Besingt da der Saxofonist gar die Weite dieses spanischen Landstriches? Es hat den Anschein. Beinahe zerbrechlich muten die Gitarrenpassagen an, die hintergründig zu vernehmen sind. Der Fokus liegt bei diesem Stück ganz eindeutig auf dem Tenorsaxofonisten, der sich im Verlauf des Stücks auch immer wieder zurücknimmt und auf der anderen Seiten stets auch ins Thema zurückführt. Erzählt uns Stephan-Max Wirth in dem Stück von der gleißenden Sonne, die unbarmherzig vom Himmel niederbrennt, von einem eher touristisch marginalen Landstrich, der im Vergleich zu Andalusien oder Barcelona kaum auf der touristischen Landkarte einen Platz hat? Man kann es unterstellen.

http://stephanmaxwirth.de
http://www.bosrecords.de/folder/index.html





New Orleans Shakers – Black Benny
Blackbird Music


Zurück zu den Wurzeln – so könnte man das vorliegende Album charakterisieren. Hinter dieser Einspielung verbergen sich die New Orleans Shakers, keine Geringeren als Torsten Zwingenberger (dr), Thomas l’Etienne (cl, ts, voc), Lorenz Boesche (p, voc) und Franz Blumenthal (b). Sie entführen uns in die musikalische Welt, ohne die der Jazz sich nie hätte bis heute in all seinen Facetten entwickeln können. 

Aufgemacht wird das Album mit einer Hommage an den Basstrommler Black Benny, ohne den Louis Armstrong nicht zu dem Jazztrompeter geworden wäre, der er dann wurde. Es ist eine der Kompositionen, die der Klarinettist Thomas l’Etienne zum Album beigesteuert hat. Aus dessen Feder stammen außerdem „Betsy“ und „The Sitting Bull at Rupert Bay“. Seine „Trommlerkünste“ entfaltet Torsten Zwingenberger unter anderem in seinem Solostück „Steam Train Drum Solo“, Der aus Hamburg gebürtige Drummer inszeniert mit Schnaufen und Rattern einen Dampfzug, der erst gemächlich durch die Landschaft fährt, ehe er  dann Fahrt aufnimmt und zu einem davon eilenden D-Zug mutiert.

Bereits zu Beginn des Album nimmt uns das Quartett mit  auf einen Umzug in die Straßen des French Quarter. Zugleich ist diese Musik auch die, die beim legendären Frühschoppen in der Hamburger Fabrik immer noch auf dem Programm steht. Sehr hörenswert ist das Pianosolo, das hier und da auch Anmutungen an Ragtime aufweist. Und am Schlagzeug gibt Torsten Zwingenberger das Timing vor, ab und an auch solistisch agierend. Verhalten ist das Tempo bei „Betsy“, sonor gibt sich das Saxofon in den Händen von Thomas l’Etienne. Musik für einen Tanzmarathon, bei dem am Ende die Paare nur noch in kleinen Schritten über die Tanzdielen gleiten – das könnte man sich beim Hören auch vorstellen. Zugleich wird deutlich, dass derartige Musik einst die Popmusik war und zugleich auch Tanzmusik. Fein gezupft wird der Bass von Franz Blumenthal in seinem Soloauftritt, begleitet von dem beinahe kristallinen Pianoklang. Im Weiteren perlen die Klänge gleichsam wie in einem Wasserspiel dahin rinnend.

Aufforderung zum Charleston oder Jive – dieser Gedanke kommt dem Hörer, wenn er den Klarinetten- und Pianopassagen von Fats Wallers „I’m Crazy  Bout My Babe“ folgt. Wer denn allerdings der Vokalist ist, der das Stück interpretiert ist leider nicht ersichtlich, da zwei Bandmitglieder als Vokalisten aufgeführt werden. Keine Frage in der Musik wird das umgesetzt, was in nachstehender Lyrik zum Ausdruck kommt. „I'm the world's most happy creature, Tell me, what can worry me? / I'm crazy 'bout my baby, / Baby's crazy 'bout me!“.  Nachfolgend  streifen die Musiker dann die Musik Lateinamerikas, erklingen „Receita De Samba“ und „Saudade De Bahia“. Angesichts der durchaus feurigen Rhythmik verspürt man Lust, sich auf dem Tanzboden wiederzufinden. Es muss ja nicht immer Stan Getz sein oder afrokubanische Musik, um die müden Knochen in Bewegung zu bringen, oder?

Zu den Jazzstandards gehört „Sentimental Journey“, 1944 veröffentlicht und nun auch auf der jüngsten Veröffentlichung der New Orleans Shakers zu finden. Es ist ein Stück mit starker Rhythmisierung und mit viel Swing. In der aktuellen Aufnahme ist das auch dem Pianisten und dem Saxofonisten zu verdanken, die sich in ihrem Spiel blendend ergänzen. Die Lyrik, sprich der Gesang, fehlt bei diesem Track auch nicht: „Gonna take a sentimental journey/Gonna set my heart at ease/Gonna make a sentimental journey/To renew old memories …“. Ein Wohlklang sind die Klarinettenpassagen in „The Sitting Bull At Rupert Bay“. Wie auch andere Stücke auf dem Album kann man mit Fug und Recht von „Happy Music“ sprechen.  Endlich hat auch mal die Klarinette und nicht das Saxofon im Jazz eine dominierende Position!

www.blackbird-music.de
https://zwingenberger.berlin/

Tracks

01 Black Benny (04:52) / 02 Betsy (06:30) / 03 I’m Crazy ’Bout Me (03:33) / 04 Receita De Samba (04:40) / 05 Saudade Da Bahia (04:08) / 06 Down In Honky Tonk Town (04:40) / 07 But Beautiful (05:03) / 08 All God’s Chillun Got Rhythm (03:53) / 09 Steam Train Drum Solo (03:38) / 10 Sentimental Journey (03:39) / 11 The Sitting Bull At Rupert Bay (03:45) / 12 My Monday Date (03:57) / 13 Burgundy Street Blues (04:49)





Peter Weniger Point Of Departure
Serious Fun

Toy Piano Records


Neben dem Saxofonisten Peter Weniger hören wir auf der aktuellen Einspielung Florian Ross an Keyboards, Hanno Busch an der Gitarre, Patrice Héral am Schlagzeug und  Claus Fischer am Bass. Über den Bandleader Peter Weniger lesen wir Nachstehendes: „ Peter Weniger gilt als ein authentischer Musiker, getrieben von grenzenloser Neugier. Als Bandleader lotet er vielseitig mit viel Know-How musikalische Grenzen aus und gehört mit Sicherheit zu einem aufregenden Solisten der Jazzszene. … Heute atmet der Berliner Musiker die frische Luft der kulturellen Metropole ein, übersetzt sie in sein musikalisches Verständnis und wandelt so zwischen verschiedenen Stilwelten und entwickelt daraus immer neue Freiheiten.“

Das musikalische Abenteuer „Point of Departure“ nahm 2016 seinen Anfang, als der Saxofonist Peter Weniger seine Mitmusiker Don Grusin an den Keyboards, Gitarrist Hanno Busch, Bassist Claus Fischer und David Haynes am Schlagzeug zu einer einwöchigen Aufnahme-Session nach Irland einlud. Unterdessen hat sich, so auch für die Aufnahme von „Serious Fun“ die Besetzung verändert. So lesen wir über die „Neulinge“: „Nun bringt Florian Ross seine Keys zum Vibrieren und Beben, während Patrice Héral sein rhythmisches Schlagzeug-Feuerwerk abbrennt. Beide „Neuzugänge“ setzen brillante Akzente, doch der Sound der Band bleibt: kraftvoll und vital, klar und zupackend in seiner (Jazz-)Sprache zwischen groovendem Funk und einfühlsamer Ballade.“

Alle Stücke des jüngsten Albums stammen aus der Feder von Peter Weniger. Dabei erleben wir Funk und auch Rockiges, Polyrhythmik  und Balladenhaftes. So ist das Album eine Melange, die es zu genießen gilt. Und gleich zu Beginn mischen sich Funk und Soul sowie Fusion. Dabei setzt Peter Weniger musikalische Pflöcke ein, zeichnet Schraffuren und feine Saxofonlinien, ehe es dann an Florian Ross ist sein E-Piano ins Schwirren und Zirkulieren zu bringen. Klangoszillationen vernehmen wir, nicht fern von Beimischungen von Elektronika. Dynamik und Drive ist es, was die Musik auszeichnet. Da gibt es kein belangloses Perlenspiel des Klangs. Die Akzente sind sorgsam gesetzt, ebenso die Tempowechsel, bisweilen auch das bewusste Abgleiten ins Lyrische und Balladenhafte. All das vereint sich in „Culture“, die sehr ausdifferenzierte Eröffnung des Albums. Übrigens auch der Gitarrist Hanno Busch trägt mit seinen Saiteneskapaden zum musikalischen Erlebnis bei.

Dass auch jenseits eines Klangtsunamis Musik bestechend und sehr ansprechend sein kann, unterstreicht die Band in „Mindful Child“. Bedächtig ist das Tempo; das Saxofon gleicht im Spielfluss schwebenden Schäfchenwolken. Eine besondere Klangnote fügt Florian Ross dem Stück bei. Sein E-Piano driftet zeitweilig fast in einen Wau-Wau-Modus ab. Eine sanft jaulende und zugleich gläsern-kristallin klingende Gitarre vernehmen wir, wenn „Nachos from the Stars“ serviert werden. Soul erleben wir im Weiteren. Besonders einfühlsam sind die Setzungen des Pianisten und des Saxofonisten, dessen Gebläse zu keiner Zeit überbordend daher kommt. Pling-Plong und Plong-Pling steuert Hanno Busch zur musikalischen Melange bei. Dabei löst er sich dann und ein breiter Klangfluss ist zu erleben. Schließlich stellt Peter Weniger unter Beweis, dass auch ein gehauchtes Saxofon mit seinen kleinen und großen Klangamplituden von Reiz ist.

Ohne Frage „Phantom“ scheint ganz in der Tradition der Soul Music der 1970er Jahre geerdet zu sein. Tanzbar erscheint dieser Titel, bei dem Peter Weniger durchaus tonangebend ist, ohne seine Mitmusiker an die Wand zu spielen. Oh, ja da ist auch der für Funk, Fusion und Soul typische Klang von Wau-Wau-Wau, der ans Ohr der Zuhörer drängt. Und auch der bodenständige E-Bass bekommt Raum für ein ausgedehntes Solo.

Wer kennt nicht den minzigen Frischekick von „Fischerman's Friend“. Doch es geht ja hier nicht um Pastillen, die man im Mund zergehen lässt, sondern um Musik, die im vorliegenden Falle zwischen einem langsamen Blues und einer Ballade changiert, oder? Ab und an drängt sich auch der Eindruck auf, man lausche einer Filmmusik eines Brit-Movie. Und zum Schluss betritt der „Harlekin“ die musikalische Arena. Inszeniert da nicht der Pianist den Auftritt, die plumpen und tolpatschigen Bewegungen des Clowns, dem auch das Akrobatische nicht fern ist: hier ein Salto, dort ein Flic-Flac?

http://www.peterweniger.eu

Line-up

Florian Ross, keys / Hanno Busch, guitar / Claus Fischer, bass / Patrice Héral, drums

Tracklist

1. Culture 08:15 M: Peter Weniger / 2. Mindful Child 05:49 M: Peter Weniger / 3. Nachos from the Stars 08:30 M: Peter Weniger / 4. Phantom 05:08 M: Peter Weniger / 5. Scope 06:14 M: Peter Weniger / 6. Fischerman's Friend 06:07 M: Peter Weniger / 7. Universal Mind 05:31 M: Peter Weniger / 8. Harlekin 04:27 M: Peter Weniger





Twirls - Tides & Shadows
Tiger Moon Records


Zwei CD, einmal von einem Duo präsentiert, das sich mit den Gezeiten, „Tides“ befasst, und einmal von einer Quartettbesetzung um den Saxofonisten Alexander Beierbach. Das Quartett fokussiert sich dabei musikalisch auf Schatten („Shadows“).

Vor allem mit Gezeiten und Treibholz befassen sich Alexander Beierbach und Nicolas Schulz auf der ersten CD des Albums. Zaghaft ist das Gebläse, das Alexander Beierbach bei „Tide I“ an den Tag legt. Springflut kann er damit nicht meinen, sondern eher den Beginn einer Ebbe, bei der sich das Wasser sehr allmählich zurückzieht. Lässt da der Pianist Nicolas Schulz nicht kleine Klangpriele entstehen? Allmählich kommt Schlick zum Vorschein, bilden sich Wasserrinnen, so suggeriert es der Saxofonist. Die Gezeiten in unterschiedlichen Stadien sind es wohl, die die beiden Musiker im Blick haben, denn sonst gäbe es nicht auch „Tide II“ und „Tide III“. Auch in „Tide II“ steht wohl  nicht  eine sich schnell entwickelnde Flut oder rasch ablaufendes Wasser bei Ebbe im Fokus, folgt man den fragmentierten Sequenzen des Saxofonisten. Eher meint man, verzerrte Schiffshörner zu vernehmen und sieht eher Nebelbänke vor dem geistigen Auge. Hier und da breitet sich Saxofongebläse aus, setzt der Pianist basslastige Akzente. Der Gezeitenlauf scheint von Langsamkeit bestimmt. Vorhersagbar ist er eh.

„Driftwood I“  und „Driftwood II“ erlebt der Hörer auch auf dem Album. Dabei klingt das, was wir hören fragil, scheint es so, als treibe der Wind Sand über das am Strand Angeschwemmte. Solch ein Bild lässt sich jedenfalls angesichts des Gehörten zeichnen. Zugleich meint man Strandläufer vor sich zu sehen, die auf allerlei Schwemmgut treffen, auf Kanister, Flaschen, Seile, Netzfragmente, Plankenteile, Geäst und anderes. Dabei entwickelt sich die Musik als freie Musik, als freie Improvisationen. Das Spiel des Saxofonisten lässt sich in dem Fall als nervös, aufbrausend, unruhig beschreiben. Und was hat das eigentlich mit Treibgut zu tun? Klassische Schiffsbrüche gibt es ja nicht mehr und auch keine professionellen Treibgutjäger wie sie beispielsweise auf Texel durchaus anzutreffen waren.

Nein, die zweite CD ist thematisch anders angelegt, wenn es auch eine starke musikalische Nähe zur ersten CD gibt. Das gilt auch für den Aufmacher „Another Blink“. Die Musik ist jedenfalls jenseits der melodischen Linien angelegt. Irgendwie hat man den Eindruck, dass wie auf der ersten CD Stichworte auf Stichworte treffen und dass vor allem der Saxofonist der wesentliche Stichwortgeber ist. Neben ihm ragt auch der Pianist ein wenig aus dem Quartett hervor. Doch die Dominanz von Alexander Beierbach ist nicht zu überhören. Was er spielt, klingt nach Getöse, nach Tsunami, nach Malstrom – und das ist vom Tracktitel unabhängig, so hat es den Anschein. „Schatten“ ist die CD überschrieben, also das Dunkle ist gemeint.

Das gilt dann auch für „Night“. Da scheint der Wind gespenstisch zu pfeifen, hört man dumpfes Getrommel. Symbolistische Gemälde von Fernand Khnopff realisieren sich beim Zuhören  im Kopf, Bilder vom abendlichen-nächtlichen Brügge im Nebeldunst, menschenleer.  Abschließend noch ein Wort zu „Encounter“. Ist das im Sinne von Begegnung zu verstehen? Ja, muss man sagen, wenn man die Interaktionen zwischen Pianisten und Saxofonisten Revue passieren lässt. Da werden Klangketten gebunden und gelöst. Mal knüpft der Saxofonist Glied an Glied und mal der Pianist, der allerdings ganz eigene Kettenglieder „schmiedet“. Tasteneile ist angesagt. Bassist und Drummer halten sich im Hintergrund. Hier und da gibt es einen Beckenwirbel, derweil die schwarzen und weißen Tasten sprunghaft tanzen. Auf diese Sprunghaftigkeit stellt sich der Saxofonist im Nachgang ein und bindet seine Kettenglieder zusammen. Der namensgebende Track „Schadows“ folgt schließlich als „Schlusssatz“.

www.twirls.de
www.tigermoonrecords.com

Line-up

TWIRLS DUO (CD 1)
Alexander Beierbach – Tenor- und Sopransaxophon / Nicolas Schulze – Piano

TWIRLS QUARTET (CD 2)
Alexander Beierbach – Saxophon / Nicolas Schulze – Piano / Meinrad Kneer – Kontrabass / Yorgos Dimitriadis – Schlagzeug

Tracks CD 1:
01 – Blink 05:47 / 02 – Tide I 03:15 / 03 – Tide II 10:22 / 04 – Driftwood I 05:37 / 05 – Driftwood II 06:18 / 06 – Tide III 04:55 / 07 – Sway 07:01 /08 – Encore 03:08

Tracks CD 2:
01 – Another Blink 07:01 / 02 – Buoy 04:44 / 03 – Night 05:33 / 04 – Thrust 06:17 / 05 – Hymn 06:24 / 06 – Encounter 06:51 / 07 – Shadows 06:13





Mark Pringle – Bright Dark
Unit Records


Für das genannte Album hat sich der Pianist Mark Pringle den Bassisten Felix Henkelhausen und den Drummer Philip Dornbusch an seine Seite geholt. Über das Trio lesen wir Folgendes: „Das Trio taucht mit offenen Ohren unerschrocken in Pringles Kompositionen ein, in denen es spielerisch rhythmische Vamps navigiert, zarte Klangteppiche webt und über lyrische Melodien meditiert. Dabei werden vereinzelte elektronische Elemente in einen ansonsten lebendigen akustischen Raum integriert. Mit ganz verschiedenartigen Einflüssen wie Karlheinz Stockhausen, der Berliner improvisierten und elektronischen Musikszenen, Waschsalons und lila Obst, zeichnet sich der Sound der Formation durch ein dynamisches Zusammenspiel aus – emotional, eindringlich und reflektierend.“

Wie es sich gehört, gibt es ein „Opening“, das im Kern von den Pianosetzungen bestimmt wird, begleitet von den kurz angerissenen Basssaiten, die wie musikalische Tippelschritte anmuten. Derweil scheint Mark Pringle den Klang schwingender Kirchenglocken auf seinem Tastenmöbel zu imitieren. Pringle inszeniert zugleich eine „musikalische Fluchtbewegung“, scheint die Schritte eines Entkommenden zu imitieren, der sich ab und an umschaut. Im Verlauf des Stück nimmt das Tempo zu, scheinen sich die Ereignisse zu überschlagen.

„Dryer“ könnte auch mit „Drop, drop“ betitelt sein, folgt man den Piano-Sequenzen, die anmuten, als würden schwere Regentropfen niedergehen und sich zu einem Rinnsal auf dem Gehweg vereinen. Wer von „Raum Drei“ spricht, der müsste ja auch von „Raum Eins“ und „Zwei“ reden. Doch das unterlässt das Trio. Mit ihm bewegen wir uns räumlich, scheinen in Winkel und Ecken zu schauen, scheinen in zurückgelassenen Möbeln zu stöbern. Das suggeriert das sprunghafte Pianospiel von Mark Pringle, der uns auf eine musikalische Wohnungsbesichtigung mit nimmt. Suggeriert er mit seinem Spiel vielleicht auch etwas von den einstigen Bewohnern des „Raum Drei“? Im Spiel ist auch eine gewisse Aufgeregtheit eingeschlossen, so als wisse man nicht, was der Raum zu verbergen hat.

Weiter geht es mit der „Macht Ballade“, die aber musikalisch wenig Wuchtiges und Dominantes aufweist, sondern eher ins Lyrische driftet. Da werden keine Machtworte verdeutlicht, sondern eher beschwichtigende Wortformeln in Musik umgesetzt. Hm, wie wohl „Zwetschen“ klingen, wenn Mark Pringle sie mit seinem Trio vertont? Das erfährt der Hörer des Albums auch. Dabei hat man eher die Vorstellung, das Trio habe den Wind eingefangen, der mit den Blättern des Pflaumenbaums  spielt. Da gibt es nichts Süßliches zu vernehmen. Vielmehr bespielt Mark Pringle einen präparierten Flügel, stellt musikalische Fragmente vor, sodass man als Titel auch „Brüche“ wählen könnte. So wie eine Eröffnung am Beginn des Albums steht, so dann eine „Coda“ am Ende, was Sinn macht.


https://www.markpringlemusic.com/bright-dark






Matti Klein Soul Trio Live On Tape
Shuffle Shack Records


Zu lesen ist über das Trio Nachstehendes: „Die soulige Jazz-Mischung, die Keyboarder Matti Klein mit Lars Zander an Saxofon und Bassklarinette und Drummer André Seidel, seinem Kompagnon aus „Mo’ Blow“-Zeiten, serviert, hat Sucht-Potential. Zu dritt kreieren die Musiker einen Sound, der nach viel mehr klingt als nach einem Trio. Groove-Meister Klein an den Tasten sorgt dabei selbst für die perfekte Dosis Bass. Mit der linken Hand spielt er ein Rhodes Bass-Piano Marke Eigenbau und produziert einen vollen, warmen und runden Klang, der es in sich hat. (…) Mit ihren leidenschaftlichen Reminiszenzen an die Soul-Jazz-Ära treffen die drei Musiker beim Publikum auf begeisterte Resonanz.“ (Kerstin Rickert)

Wer Mo’Blow vermisst, dem sei es gleich gesagt. In „Rocket Swing“ und „Ray“ keimt der Esprit dieser Funk-Fusion-Band wieder auf. Matti Klein war einer der Hauptakteure der genannten Band. Wunderbar ist bei „Rocket Swing“ das Solo von Matti Klein am Rhodes. Und auch bei „Ray“ ist der satte Rhodes-Sound zu erleben und dazu kommt dann der samtene Klarinettenklang, der Lars Zander zu verdanken ist. Schon bei den ersten beiden Stücken des Albums hält es nur wenige auf ihrem Sitzmöbel.

Die Musik zwingt zum Aufspringen, Herumhopsen, Sich-Bewegen, Abhotten und das Motto ist „Shake your body“, wenn es auch bei „Ray“ langsame Passagen mit gehauchtem Holzbläserintermezzo gibt, sehr lyrisch und verträumt. Dabei kommt dann Matti Klein die Rolle zu einen weichen hochflorigen Klangteppich auszurollen, über den der Saxofonist und Klarinettist seine Klangschwaden gleiten lässt. „No Particular Way“ lebt vor allem auch durch die Vokalistin Pat Appleton mit souligem Timbre. Aber auch die Basslinien und die harten Beats lassen in diesem Stück aufhorchen. Ja, da lässt das Trio Erinnerungen an die Blütezeit des Soul wachwerden, muss man auch an Diana Ross, an Gladys Knight oder The Temptations denken, also auch an Motown neben Soul.

Ja, ab und an kommt dem einen oder anderen beim Hören der Musik des Trios auch eine Band wie Booker T &  the MG in den Sinn, aber ansonsten ist die Musik eben die von Matti Klein, der auch die von Mo’Blow geprägt hat. In „Eleven Feels Like Heaven“ stellt er am Rhodes wieder einmal unter Beweis, mit welchen Klangfärbungen ein Rhodes brilliert und sich als durchaus tauglich für Soul und Blues erweist. Letzteres ist sehr deutlich aus dem Stück herauszufiltern. Eine sehr gelungene Abrundung erfährt das Album schließlich durch „Grandpa's Fairytale“.

BANDCAMP

Tracks   

1. Rocket Swing 05:13 / 2. Ray 05:50 / 3. No Particular Way (feat. Pat Appleton) 04:28 / 4. Sunsqueezed 06:56 / 5. Eleven Feels Like Heaven 05:32 / 6. Grandpa's Fairytale 06:51





Reifegerste Trio - as time goes by
MP records


Der Text zur Veröffentlichung liest sich wie folgt: „Simone Reifegerste, Berliner Sängerin mit außergewöhnlicher Stimme, gründete mit Ausnahmesaxophonist und Flötist Joe Kučera das REIFEGERSTE TRIO. 2019 stieß der neue Pianist aus Prag Vladimír Strnad hinzu. Das Reifegerste Trio interpretiert neben eigenen Stücken Soul-, Jazz- und Blues Klassiker auf eindrucksvolle und gefühlvolle Weise. Simones ausdrucksstarker Gesang, Saxophone-Joes hochsensibles Feeling auf seinem Instrument und Vladimírs facettenreiches Piano-Spiel verschmelzen zu einer unvergesslichen Mischung.“

Es gibt Stimmen, die sind einmalig und unvergesslich. Vielfach denkt man dabei an Nina Simone, Billy Holliday, Adele oder Amy Winehouse. In diesen Reigen einmaliger Stimmen muss man auch Simone Reifegerste einreihen, die durch ihre raue, aufgeraute, leicht rauchige Stimme im Gedächtnis bleibt. Bisweilen muss man bei Zuhören an Etta James denken, oder?

Mit einem Musical-Stück aus dem Jahr 1931, bekannt geworden aus dem Film Casablanca, macht das Trio das aktuelle Album auf: „As time goes by“. Zwischen gehauchtem Gesang und Sprechgesang bewegt sich die aus Berlin-Neukölln stammende Vokalistin.  Begleitet wird die Vokalistin von den weichgezeichneten, samtenen Saxofonklängen, die Joe Kučera  zu verdanken sind. Und auch der Pianist begleitet zurückgenommen den stimmlichen Vortrag. Ein Hauch von Ragtime umweht „Bad Woman“, dem zweiten eingespielten Titel auf dem Album. Dabei brillieren der Saxofonist und die Vokalistin auch in kurzen Duetts, in dem sie die Suche nach der Liebe besingen. Sehr dezent sonor setzt der Saxofonist sein Instrument ein, derweil sich der Pianist auch als versierter Rhythmiker erweist, der gekonnte Akzente setzt. Mit Gespür für Blues und Gospel interpretiert das Trio „Cry Me A River“ und die Vokalistin singt unter anderem: „Now you say you're sorry / For bein' so untrue /Well, you can cry me a river, cry me a river / I cried a river over you…“.

Zwei Kompositionen des Saxofonisten finden sich auf dem aktuellen Album, zum einen „Ethnic Picnic“ und zum anderen „Kučera´s eyes“. Das zuerst genannte Stück beginnt mit einer Einführung durch den Pianisten, der durchaus ein energieaufgeladenes Spiel mit Basslinien zeigt. Von der Stimmung her meint man Klezmer werde lebendig, wenn der Saxofonist in einen entsprechenden Modus verfällt und das Sopransaxofon (?) eher wie eine Klarinette klingt. Hier und da kommt eine Stimmung auf, die wir von „Bei mir bistu shein“ her kennen. Im zuletzt genannten Stück werden die Augen des Saxofonisten besungen, die wie Vergissmeinnicht sind. Weiter heißt es: „ … niemand soll es je wissen, weil der Kučera sie nur in der Dämmerung öffnet …“. Übrigens bei diesem Stück wird sowohl in Tschechisch (Joe Kučera) als auch in Englisch (Simone Reifegerste) gesungen. Klarinettenklang oder Sopransaxofonklang – das ist beinahe die Frage bezüglich der instrumentalen Begleitung.

Sting hat den Song bekannt gemacht und nun ist es an dem Trio um Simone Reifegerste „Fragile“  Leben einzuhauchen, ohne Sting zu kopieren und das gelingt vortrefflich. Zumal dem Stück auch durch die Saxofonpassagen ein wenig Blues eingehaucht wird. Auf dem Album fehlt auch ein Titel nicht, den einst Louis Armstrong bekannt gemacht hat: „What A Wonderful World“. Und am Ende des gelungenen Albums  hören wir dann „Who am I“, ein Stück durchaus im Geist von Fusion und elektronischer Musik.

http://www.simonereifegerste.de/Simone_Reifegerste/Reifegerste-Trio-music.html
www.joe-kucera.com
www.youtube.com/@MrSaxophoneJoe


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