DODICILUNE X 3
Various
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Matteo Addabbo Organ Trio / Sergio Armaroli / Trio Yugen
Matteo Addabbo Organ Trio
L'Asino che vola
Mit "L'asino che vola" legt das Matteo Addabbo Organ Trios sein neustes Album vor. Der Komponist, Pianist und Hammond-Organist Matteo Addabbo wird bei den eingespielten Stücken von Andrea Mucciarelli an der E-Gitarre und Andrea Beninati am Schlagzeug begleitet, während der Saxophonist Stefano Negri und der Trompeter Cosimo Boni bei dem Stück "A scuola da Joe" als Gäste mitwirken.
Auf dem Album findet sich eine Sammlung von neun Tracks, die zwischen 2019 und 2022 komponiert wurden. „Einige dieser Stücke sind meinen Reisegefährten gewidmet, nämlich meinen lebenslangen Freunden Muccia und Beni, die mein 'Orgeltrio' bilden: wertvolle Freunde und Musiker, die mir bei der Verwirklichung dieses Werks mit großem Enthusiasmus und großer Beteiligung geholfen und einen sehr wichtigen künstlerischen Beitrag zur Musik geleistet haben. Andere Stücke sind einigen meiner musikalischen Helden gewidmet; …“, so der Komponist und Musiker und weiter heißt es. „Ich möchte, dass der Hörer nicht nur die Musik hört, die Gefühle, Erinnerungen, Landschaften und Menschen hervorruft, sondern die Musik auch als eine Art Warnung versteht, wenn wir im Leben mit einem Moment scheinbar unüberwindlicher Schwierigkeiten konfrontiert werden.“ Schließlich appelliert der Organist auch an seine Hörer, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Ja dann gäbe es auch Momente, in denen einem Esel Flügel wachsen, sodass er fliegen kann, so wie auf dem Albumcover.
Gleich zu Beginn lässt die Band den Esel fliegen („L’asino che vola“). Dabei hat man zu Beginn den Eindruck, das der Esel erst einmal Anlauf nehmen muss, um sich aufzuschwingen. Und dann vernehmen wir ein Dahingleiten, vor allem dank des Solos des Gitarristen. Derweil legt der Organist und Bandleader einen dichten Klangteppich unter diese Saitenklänge. Dieser Teppich des Klangs steht vielleicht für die Wolken, die das fliegende Grautier durchbricht. Perlend ist danach das Spiel auf den Tasten der Hammondorgel, wohl Höhenflüge signalisierend. Kommt da nicht der Flug auch ins Stocken, wenn man auf Drummer und Organisten hört, der eine sich in rauschenden Wirbeln ergehend und der andere fragmentarische Passagen darbietend? Am Ende findet das Trio dann wieder ins Thema zurück.
Von Bläserfluss ist „A scuola da Joe“ geprägt. Die Bläser eröffnen dabei einen intensiven Dialog mit dem Organisten Matteo Addabbo, der kurze Passagen interventionistisch hören und den Fluss des Gebläses ansonsten seinen Gang gehen lässt. Ein Hinhörer ist das in das Stück eingebundene Trompetensolo von Cosimo Boni. Auch der Saxofonist Stefano Negri bekommt einen Raum der Gestaltung, ehe sich beide Bläser wieder zu einer musikalischen Zweisamkeit zusammenfinden. Die Hammondorgel ist bei all dem eigentlich so etwas wie die zweite Geige. „Se mi vedi guardami“ besticht durch das eröffnende Gitarrensolo. Saitenklang wird mit Saitenklang zu einem Feinst-Gewebe verwoben. Das, was wir hören, knüpft dabei schon an die Musik der Legenden des Gitarrenjazz an. Man denke an Joe Pass oder Pat Martino beispielsweise. Weichzeichnungen wie in einer Gouache sind es, die das Stück prägen. Da spürt man laue Sommerwinde und ein sachtes Laubrauschen, um ein Bild zu zitieren. Auch der Organist entlockt seinem Instrument dahingleitende Tonsilben, die hier und da zu kleinen Strudeln gebündelt werden.
Mit ein wenig Funk wartet „Muccia’s party“ auf. Und dann scheint es auch so, dass der „Gottvater der Hammondorgel“ Jimmy Smith ganz nahe ist. Ein wahrer Ohrenschmaus ist der „Saitengesang“ von Andrea Mucciarelli. Zudem verrät das nachfolgende Solo des Organisten den meisterlichen Umgang mit der Orgel und den Sinn für die richtigen Grooves. Mit dem „Teufelskreis“ („Circolo viziosi“) befasst sich das Orgeltrio ebenso wie mit „Carlos“, einem eher langsamen, getragenen Stück, das den Charakter einer Ballade aufweist. „Il ladro dello Swing“ („Der Dieb des Swing“) ist außerdem zu hören. Die ersten Takte gleichen der Musik eines feierlichen Einzugs von Honoratioren. Und dann swingt es, wenn der Organist in die Tasten greift. Das ist nicht überbordend und schon gar nicht Musik für einen Lindy Hop, aber für ein langsam angelegtes Swing-Tänzchen reicht es. Na, ausgetanzt? Noch nicht ganz, da mit „O la bossa o la vita“ ein Bossa auf den Swing folgt. Man höre mal die fein gesetzten Saitenklänge, die da sanft verklingen, und das dezente Drumming im Hintergrund. Schließlich heißt es am Ende des sehr hörenswerten Albums „Tempi moderni“.
© ferdinand dupuis-panther
Sergio Armaroli
Vibraphone solo in four part(s)
Vibraphonist, Perkussionist, Komponist, Lehrer und Gesamtkünstler – das ist Sergio Armaroli. Er brilliert auf der aktuellen Veröffentlichung mit einem vierstimmigen Solo. Für den einen oder anderen Hörer mag das Vibrafon – es gehört wie Schlagzeug und Marimbafon zur Familie der Schlagwerke – ein eher sprödes Instrument zu sein. Zugleich ist es im Jazz und auch in der klassischen Gegenwartsmusik eher ein „Außenseiter-Instrument“. Daran ändern auch die Vibrafonvirtuosen Lionel Hampton, Milt Jackson oder Gary Burton nichts. Selbst bei Einsatz des Pedals hat das Spiel auf den metallenen Klangstäben keinen vollen Nachhall. Kurz mit den Schlägeln angetippt entwickeln die Klangstäbe nur einen kurzwelligen Ton. Zudem klingt er nicht abgerundet, sondern eher spitz und metallisch, also eher nach Industrial Noise. Doch hier und da scheint es auch eine Ähnlichkeit zu den Tönen zu geben, die auf einer Glasharfe zu erzeugen sind. Und wer bei dem Klang an das Brechen von Eisflächen oder Eiszapfen denkt, liegt nicht gar so falsch, oder?
Nun also liegt ein Soloprojekt vor, das gänzlich auf ein Lamellophon fokussiert ist. Der Vibrafonist findet für seine Musik und Spielweise nachfolgende Worte: „ … Ich erlaube mir, mich in jeder möglichen Note zu verlieren und mich dann in einem schillernden harmonischen Feld wiederzufinden, in Bewegung: wahrscheinlich, imaginär. Ich konstruiere Sätze im Dialog mit mir selbst: andere, aber immer innerhalb des Instruments, das mich begleitet….“ Übrigens Jazz begreift Sergio Armaroli als "eine richtig experimentelle Haltung“. So sind auch die vorliegenden Aufnahmen Klangcollagen und nicht auf die Schönheit der Melodie ausgerichtet. Eher spürt man in den verschiedenen Teilen des Gesamtwerks, ein Suchen, ein Versuchen, ein Probieren, ein Verwerfen und ein Annehmen. Dabei entstehen durchaus Klangbilder, die an Stromschnellen erinnern, an Kristallines und Prismatisches, so wie wir das beispielsweise in den malerischen Arbeiten Lyonel Feiningers entdecken können.
Das, was wir hören, scheint reine Improvisation und aus dem Moment geboren. Dabei ergeben sich durchaus Linien und verbundene Kettenglieder des Klangs. Tänzerisches scheint in die Tonsilben-Bündelungen einzufließen, so auch im ersten Teil der Solopräsentation. So hat man beim Hören das Bild vor Augen, eine Primaballerina würde im Spitzentanz über die Bühne huschen oder auf einer Treppenstraße oder Stuttgarter Stiege unterwegs sein. Ein anderes Bild, das sich beim Hören aufdrängt, sind fallende Dominosteine oder auch ein Bündel von Klangstäben, die der Wind zufällig in Schwingungen bringt. Doch dem Zufall überlässt der Vibrafonist gewiss nichts, wenn er denn im Verlauf der Solostücke ein perlendes Spiel an den Tag legt, wenn er Klangkaskaden erzeugt, wenn er rasch Klangtropfen an Klangtropfen fügt oder einen Vorhang rieselnder Tonsilben schafft. Tieftöniges ist dabei eine Seltenheit. Diskantes hingegen drängt sich nachhaltig auf.
Wir werden Zeuge einer Klangarchitektur, die mit Klangsäulen experimentiert. Teilweise gibt es Anlehnungen an Sphärisches, ohne Ambient Music zu präsentieren. Der erste Teil der Solopräsentation ist im Übrigen nicht frei von redundanten Formen. Gelegentlich muss man beim Zuhören an den Klang eines fein gestimmten Glockenspiels denken. Schlägel-Turbulenzen sind ohne Frage wahrzunehmen. An ein Kirchenlied oder eine Ballade in modernistischem Gewand erinnern Teile des zweiten Solos. „Springende Klänge“ machen Teil des Vortrags aus. Kristallines Blop und Blonk dringen ans Ohr des Zuhörers. So wie das Rattern eines Zugs über die Bahnschwellen einen spezifischen Klang besitzt, so ist auch der Klang des zweiten Solos. Beim Hören fallen dem einen oder anderen u. U. Assoziationen zu einer Achterbahnfahrt ein. Momente von Geschwindigkeit scheinen mit ihm Spiel zu sein, Bewegung ohne Frage, so wie sie auch die italienischen Futuristen in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts in Bildformen brachten. Kontemplatives ist fern. Es ist im Spiel nachhaltig ein Vorwärts zu identifizieren. Beinahe nahtlos schließt sich das dritte Solo an. Dabei scheint es so, als würden Mosaike an Mosaike gesetzt. Nur Farbvariationen unterscheiden die gesetzten Fragmente. Im Verlauf des Solos muss man vermehrt an Wasserspiele mit unterschiedlich hoch schießenden Fontänen denken. Zugleich suggeriert das Klangbild, dass die Klänge kaskadierend wie Wasser von einer Terrasse auf die nächste fließt. Eher mit landwelligen Klangbildern wartet schließlich das vierte Solo auf.
© ferdinand dupuis-panther
Yugen – Tears and Light
"Tears and Light" so nennt das Trio Yugen aus Salento das jüngste Album. Das Trio besteht aus Katya Fiorentino (Klavier), Stefano Compagnone (Bass) und Maurizio De Tommasi (Schlagzeug). Zu diesem Album lesen wir im „Waschzettel“: „Die Klangpalette des im Jahr 2020 geborenen Trios entwickelt ein Spiel mit Raum und Zeit. Zyklische rhythmische und melodische Zellen vermischen sich mit weitläufigen Klangausdehnungen, aus denen eine … Konzeption der Band hervorgeht, in der jedes Instrument immer der Protagonist des Stücks ist: eine schwebende, flüchtige Klanglandschaft, manchmal intim oder abstrakt, aber immer reich und vielgestaltig.“ Bei einigen Titeln des Albums wird das Trio von Valerio Daniele (Gitarre), Giorgio Distante (Trompete) und Francesco Massaro (Elektronik) unterstützt.
Goethe sagte: "Architektur ist gefrorene Musik". „Musik ist also Architektur", so schreibt Davide Ielmini in den Liner Notes. "Dieses Trio versteht es, eine emotional divergierende, aber kompakte Sprache zu sprechen, in der es zwischen dem Kraftvollen und dem Gewagten nicht an nachdenklichen Tönen ("Sheets from afar"), aber nie an Leichtigkeit mangelt.“
Belassen wir es bei diesem Zitat und hören mal in die Musik des Trios Yugen hinein: Mit „Loose Words“ eröffnet das Album. Dabei ist die Ausrichtung zunächst getragen, ehe dann die Leichtigkeit zunimmt. Dabei plätschert die Melodie nicht dahin, sondern ist eher mit einem mäandrierenden Wasserlauf zu vergleichen, der hier und da Strudel bildet und auch über Felsen fließt. Fragmente kristalliner Klänge drängen nach und nach in den Fokus der Aufmerksamkeit, ehe dann der Melodiefluss sich verstetigt.
Bei den ersten Takten von „Sheets From Afar“ vernimmt man Sehnsucht und Wehmut, auch eine gewisse Verlorenheit in einer weiten Landschaft. Man könnte meinen, man erlebe die Vertonung einer Landschaftsmalerei der Romantik, in deren Mittelpunkt ein einsamer blattloser, knorriger Baum im Abendlicht steht. „Tears and Light“ weckt die Aufmerksamkeit des Hörers durch eine lyrische Konnotation, die auch melodische Redundanzen beinhaltet. Gewiss kann man auch Kammermusikalisches in diesem Stück entdecken. Doch auch ein wenig Ambient Music findet sich in diesem Stück. Dabei hat man den Eindruck, eine singende Säge sei mit im Spiel, obgleich man doch dem sphärischen Klang sowie dem wimmernden und jaulenden Klang einer elektrischen Gitarre lauscht. Durch das Saitenspiel verändert sich der Charakter des Stücks, das gegen Ende eine ganz feine Rocknote bekommt. Im nachfolgenden Stück „If you want“ ist es dann der Trompeter Giorgio Distante, der die Klangfärbung nachdrücklich bestimmt. Seine Klangschwaden überlagern das Spiel des Trios, das teilweise reine Rhythmusgruppe ist. Bei dem Stück „Your floor, my ceiling, its floor“ verbindet sich Dramatisches mit Sphärenklang. Feine Kaskadierungen mischen sich mit Anmutungen eines Volksliedes in „Wood“. Zugleich hat die melodiöse Linie auch etwas von Popmusik jenseits von Schmalzigkeit. Zudem kann man beim Hören auch an die Kunst des Chansons denken, dabei allerdings keine Parallelen zu Greco oder Brel ziehend. Mit „After the wait“ findet das Album seinen runden Abschluss.
© ferdinand dupuis-panther