Vid Jamnik Quartet: "LAST MINUTE"
V
alessa records, ALR 1025
„Last Minute“ klingt nach einem Schnäppchen, nach einer Entscheidung in letzter Minute, nach Zeitdruck – war das die Intention des jungen Vibrafonisten Vid Jamnik, der uns mit seinem Album eine Zeitreise in die Geschichte des Jazz beschert, angefangen bei „Black Nile“ über „Emily“ bis hin zu „8/4 Beat“ und „Polkadots and Moonbeams“? Ja, Standards bestimmen das Album, sieht man einmal von zwei Eigenkompositionen Jamniks und einer Komposition des Gitarristen des Jamnik 4tets ab.
Standards in neuem Gewand?
Wer Standards in neuem Gewand mag, der sollte zugreifen und das Album käuflich erwerben. Für Liebhaber von Jazz, die auf „Summertime“ oder „Stella by Starlight“ stehen – nein diese Titel hat Vid Jamnik nicht neu verpackt eingespielt – ist das Album genau die richtige Wahl. Doch ist das Album nicht allzu sehr Mainstream Jazz? Sogleich sei dann auch die Frage erlaubt, ob man das heute noch veröffentlichen sollte.
Sehr durchschaubar sind die Schemata, in denen sich die Arrangements bewegen. Stets leben die Titel von dem nachhaltigen Wechselspiel zwischen Vibrafon und Gitarre, manchmal auch der Trompete. Das ergibt sehr interessante Harmoniebilder, aber erwartet man nicht heute auch ausgelasseneres freies Spiel und einen Hauch von Neuer Musik in der Auseinandersetzung mit Standards? Keine Frage, was Vid Jamnik und seine Combo nebst Gästen wie denTrompeter und Flügelhornisten Jim Rotondi abliefern, ist Jazz vom Feinsten, aber aus meiner Sicht zu sehr rückwärts gewandt. Ich räume ein, dass ich sicherlich vorgeprägt bin, von beispielsweise Camatta Monk und David Helbock und Random/Control, die sich auch mit Jazzstandards, aber auf eine sehr viel innovativere Weise als Vid Jamnik beschäftigt haben. Beide Gruppen waren live auf dem Internationalen Jazzfestival Münster 2015 zu hören. Sie eröffneten in zwar unterschiedlicher, aber in einer durchaus von Freigeist getriebenen Weise den neuen Zugang zu Jazzstandards, in diesem Fall zu Thelonious Monk.
Black Nile und anderes
Vid Jamnik, so der Eindruck, bleibt zu sehr am Vorbild haften. Die Themen des Originals sind sehr offensichtlich ins eigene Arrangement eingebunden, so auch bei Wayne Shorters „Black Nile“. Gerade bei diesem Song drängt sich der Eindruck auf, das Vid Jamnik 4tet wolle ihn zu einer Art Ohrwurm umbauen. Die Solos entfernen sich nur minimal und sehr zaghaft vom Thema. Warum bloß? Sicherlich sucht man als Vibrafonist Songs, die dem Instrument auf den Leib geschrieben wurden. So verwundert es nicht, dass „Delaunay's Dilema“ auf dem aktuellen Album zu finden ist. Es ist ein Stück, dass das Modern Jazz Quartett mit Milt Jackson (vib) und John Lewis (piano) ursprünglich eingespielt hat. Gewiss das Thema ist sehr eingängig und einschmeichelnd. Ohrenschmaus vom Feinsten könnte man plakativ formulieren. Das ist auch das, was Vid Jamnik mit seinem Spiel intendiert hat, so muss man unterstellen. Vids Phrasierungen auf dem stets auch immer ein wenig metallisch klingenden Vibrafon werden mit akzentuierten Gitarrenakkorden begleitet, dank sei Steve Hebar. Auch in diesem Stück tritt das Schema des Arrangements sehr offen zutage: Vibrafon-Gitarre-Vibrafon …. Diese Form des Arrangements lässt dabei völlig außen vor, dass ja noch mehr Instrumente sich zu Wort melden könnten, so der Bass von Luka Herman Gaiser oder das Schlagzeug von Bernd Reiter, ohne nun gleich wieder in ein überaus geplantes Spielschema zu verfallen.
Emily und Mary Ann
Nach dem bekannten Stück „Emily“, einer Komposition von Johnny Mandel, präsentiert uns die Band den Ray-Charles-Song „Mary Ann“. Wenn man schon in fremden Teichen fischt, warum hat sich die Band nicht wie John Scofield an „Hit the Road, Jack“ versucht? Zu den aus meiner Sicht sehr schematischen und deshalb auch vorhersehbaren Arrangements gehört, dass der Bandleader derjenige ist, der die Einleitung der Songs spielt, so auch in dem eher bedächtigen Song „Emily“. Bass und Schlagzeug halten sich dabei auffällig im Hintergrund. Hervorzuheben ist bei dem Song von Ray Charles, dass nun endlich der Trompeter Jim Rotondi seinen Auftritt mit schnellen Sequenzen hat. Am Piano setzt Rob Bargad die prägnanten Basslinien. Nach dem längeren Solo von Rotondi ist es dann wieder an Vid Jamnik, das Zepter zu übernehmen und die vorherigen Klangpassagen von Rotondi zu kommentieren. Das ist gefällig, aber eben nicht allzu spektakulär. Übrigens, der typische Ray-Charles-Modus ist nicht herauszuhören. Schade, oder?
Auch die Eigenkompositionen heben sich in den Klangfarben nicht wesentlich von den arrangierten Standards ab. Es fehlt dabei die Dramatik und ein Moment der Überraschung, das aufhorchen lässt. Bisweilen ist die Art des Spiels sehr linear wie bei Cool Jazz. Obertöne und Rausreißer fehlen fast gänzlich. Wie gesagt, die präsentierten Ohrschmeichler treffen sicherlich auf ein dankbares Publikum. Das gilt auch für den Song von Bruno Martino namens „Estate“, bei dem die Sängerin Nicole Herzog uns in die Welt von Gilberto Gil , Astrud Gilberto und Baden Powell entführt. Brasilien scheint ganz nahe zu sein. So ist jedenfalls der Höreindruck. Mit „Love Letters“ von Victor Young klingt die Hörreise aus, die uns das Vid Jamnik 4tet beschert hat. Es ist zu hoffen, dass bei zukünftigen Projekten der Anteil der Eigenkompositionen überwiegt und sich das 4tet auch zutraut, sich von dem Mainstream zu lösen.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
www.alessarecords.at
Musiker
Vid Jamnik
www.vidjamnik.com