Tom Green Septet: Skyline
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Spark Records
Man nehme, so beginnen Rezepte, manchmal auch Rezepte für gute Jazzgerichte: Also man nehme Tom Green an der Posaune, der auch die Kompositionen der Debüt-CD besorgte, Sam Miles: (Tenorsaxophone), James Davison (Trumpet/Flugelhorn), Matthew Herd (Alto/Soprano Saxophones), Sam James (Piano), Misha Mullov-Abbado (Double Bass) und Scott Chapman (Drums) und schon ist eine stimmgewaltige Formation geschaffen. Mit Verve spielen die Mannen um Tom Green so, als wären sie eine komplette Big Band.
Hören wir zunächst, was Tom Green selbst über sein Album verrät: "I have always been fascinated by light, colour, balance and harmony, both in nature and in music. On Skyline many of the tracks are inspired by the interaction between natural landscapes and light in some way (“Winter Halo”, “Mirage”, “Arctic Sun”). I have attempted to use improvisation as a compositional tool to help tell the story of each tune, rather than using traditional head – solo – head structures. The huge advantage of composing for jazz musicians is that you can use improvisation as a means to take the compositions to a different place, … The range of colours and textures I can get out of those four horns is very exciting to work with as a composer, because I have at my disposal the core instruments found in a larger ensemble.”
Mit „Sticks and Stones“ eröffnet das Album, wobei wir bei den Anfangstakten an klassische Filmmusik denken. Allerdings löst sich dieser Eindruck in Luft auf, hören wir weiter zu. Schließen wir die Augen, so können wir uns vorstellen, die Musik untermale eine Zugfahrt quer durch Kanada oder aber durch Australien. Dabei setzen dann die Bläser die Akzente, die mit den verschiedenen Landschaftsformationen gleichzusetzen sind, die wir durchfahren.
Keine Frage Saxofone, Trompete und Posaune prägen das Klangbild des Septetts. Der Trompeter James Davidson ist mit einem ausgefeilten Solo im ersten Stück des Albums zu hören, ehe der komplette Bläsersatz mit Macht nach vorne drängt, um dann in aller Kürze wieder aus dem Klangfeld zu verschwinden und Tom Green Raum für sein Posaunensolo zu geben. Bei all dem rollt unser Zug über Stock und Stein, mal schneller und mal langsamer, mal durch Wald, mal durch die Steppe. Wilde Pferde meint man wahrzunehmen, die neben dem Zug im Galopp vorbeipreschen, derweil der Zug weiter Fahrt aufnimmt. Insbesondere wenn das Schlagzeug sehr aufdringlich wird, verstärkt sich dieser Eindruck. Bestens geeignet scheint die Komposition auch, um einen fiktiven Film wie „Irland von oben“ oder „Schottland von oben“ akustisch zu begleiten.
Tom Green entführt die Zuhörer auch in die Welt des Science fiction, denn was kann mit „Equilibrium“ anderes als der gleichnamige amerikanische Film von 2002 gemeint sein? Oder bedeutet der Titel etwa Gleichgewicht und Balance? Bedächtig und getragen erscheint die Melodie, die die Bläser gemeinsam anstimmen. Beinahe schon konzertant mutet an, was wir zu hören bekommen. Die Klangwellen der Posaune und Saxofone nehmen einen Wellenschlag auf, ehe dann auch ein wenig Broadway ans Ohr des Zuhörers dringt. Einsamkeit und Weite verheißt die Trompete in ihren Phrasierungen. Zugleich können wir uns zum ausgebreiteten Klangteppich bildlich vorstellen, wir würden dem Lauf der Sonne zuschauen, bis sie denn völlig verschwindet und totale Dunkelheit eintritt.
Geschichten erzählt der englische Posaunist Tom Green, das hat er selbst in seinem Statement ausgeführt. Die Frage ist nur, welche Geschichten wir hören oder hören wollen. Völlig unerwartet verfallen einige Bläser im letzten Teil des Stücks “Equilibrium“ in beinahe kakophones Geschrei und melodramatischen Gesang, so als ob sie uns mitteilen wollten, alles sei verloren. Doch Tom Green, für den die Improvisationen ein genuiner Bestandteil seiner Kompositionen sind, führt uns stets zurück ins Melodische. Also Wohlklang ist stets garantiert.
Unternehmen wir mal mit Tom Green einen Abstecher in die Arktis: Bass und Schlagzeug eröffnen das Stück „Artic Sun“, ehe das Klavier sich mit hohen Tönen einmischt. Dann, erheben die Bläser ihre Stimmen. Auf deren Klangteppich steigen wir und gleiten dahin. Die Reise gen arktischer Sonne ist eine Reise, die auf Langsamkeit fußt. Menschenleere Weite fängt die Posaune mit ihren Phrasierungen ein. Man könnte sich dazu auch vorstellen, man habe den fliegenden Klangteppich für einen Flugdrachen eingetauscht, der über das ewige Eis dahingleitet. Dabei ist in den Harmonien und in der Melodie ein Einschlag von Bebop und Cool Jazz nicht zu überhören.
Mit „Mirage“ (frz. Fata Morgana) tauchen wir mit dem Septett wieder in eine andere Region der Erde ein, oder?. Ob wir da wohl den Jungen treffen werden, der auf dem Albumcover einen Drachen über den farbenfrohen Bergen steigen lässt? Ob wir wohl eine akustische Fata Morgana in der Sahara erleben werden? Mit sattem Trompetenklang beginnt dieser Song. Getragen und bedächtig kommt das Stück daher, ohne markantes Vibrieren und Flirren, was man angesichts des Titels wohl erwartet hätte. Auch die Saxofone verhalten sich keineswegs nassforsch, sondern behalten den vorgegeben Modus des Bedächtigen bei. Ohne Frage scheint bei dieser Komposition von Green auch das durch, was die afroamerikanische Orchestermusik eines Count Basie oder Duke Ellington in der Geschichte des Jazz ausmacht. Ohne deren Musik gäbe es halt keinen Jazz der Gegenwart. Ob man sich an sie anlehnt oder nicht, ist eine Frage der musikalischen Vorlieben.
Was hat „Skylark“ von Tom Green wohl mit Ella Fitzgerals „Skylark“ zu tun? Was wohl mit nachstehenden Verszeilen: Skylark / Have you anything to say to me? / Won't you tell me where my love can be? / Is there a meadow in the mist / Where someone's waiting to be kissed? ...“? Die Antwort ist einfach: sehr viel, denn Tom Green hat die Komposition von Hoagy Carmichael für seine Kapelle mit starkem Bläserduktus arrangiert. Dabei hat er auf das allzu Schmalzige des Songs über eine Feldlerche verzichtet. Keine Frage, in diesem Stück klingt das Septett sehr nach Big Band pur, und das wiederum muss man mögen.
Zum Schluss hören wir „Winter Halo“ und sind ganz gespannt, wie er wohl klingen mag, wenn das Bild eines Mondrings in Töne umgesetzt wird. Nein, eine Klarinette seufzt da nicht. Es muss also das Sopransaxofon sein, das vom Piano begleitet wird. Zerbrechlich klingt, was dieser Holzbläser zu Gehör bringt. Beim Zuhören könnte man an einen klirrend-kalten Morgen denken, an eine Schlittenfahrt mit einem Ren durch die verschneite Landschaft oder an das Erwachen eines kleinen Dorfes, das unter der Schneelast ächzt.
Die Musik, die Tom Green uns präsentiert, ist gefällig, bisweilen konzertant und stets auch mit dem Blick auf die Melodie geschrieben. Dasssich dazu ein nicht von jedem gutierter Big Band Sound einschleicht, scheint nicht zwangsläufig, aber von Tom Green so intendiert. Wer Musik im Kontext der Jazzorchester der 1940er, 1950er und 1960er Jahre schätzt, der wird m. E. hier und da Bezüge herstellen können, ohne dass Tom Green irgendwelche Jazzorchester schlicht adaptiert.
© ferdinand dupuis-panther
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