Toine Thys - Orlando
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Hypnote Records
Der Saxofonist Toine Thys stellt nunmehr sein jüngstes Projekt vor, eine belgo-fanzösische Jazzmelange mit dem virtuosen Drummer Antoine Pierre (Joshua Redman, Philip Catherine, Tom Barman/Taxi Wars) und den beiden französischen Musikern, dem Bassisten Florent Nisse (David Enhco, Yaron Herman, Michel Portal) und dem Pianisten Maxime Sanchez (Magic Malik, Chris Cheek, Flash Pig). Eingespielt wurde Musik, die Toine Thys geschrieben hat und die auf dessen Reisen durch den Balkan und nach Westafrika basieren.
Zunächst hören wir „Orlando“ als Aufmacher des Albums, nachfolgend „Low Life“ und „Bad Gang“ sowie „Gospel Simple“. Schon im Titel einen deutlichen Bezug zum Balkan weist „Roumanian Circus“ auf. Anschließend heißt es „Mandingue“ und zum Schluss vernehmen wir „La Dengue“. Muss man dabei nicht gleich an die Tropenkrankeit Denguefieber denken, auch Siebentagefieber genannt? Fieber im Blues ist nicht selten, man denke nur an Jimmie Vaughans „Dengue Woman Blues“ oder an „Fever“ von Peggy Lee. Und nun lebt auch Toine Thys sein musikalisches Fieber aus, oder?
Mit getragenen Bassnuancen des Pianisten und feinsten Saxofonphrasierungen werden wir beim Hören von „Orlando“ konfrontiert. Spielt Toine Thys Alt- oder gar Sopransaxofon? Beinahe liedhaft mutet an, was Thys thematisiert. Als Gegengewicht ist das eher getragen-schleppende Klavierspiel von Maxime Sanchez anzusehen. Da ist mehr Bodenhaftung zu erleben, Toine Thys hingegen scheint der Musik Flügel zu verleihen. Nach und nach jedoch zeigt sich der Pianist auch mehr und mehr losgelöst, scheint er in den Melodielinien den Spitzentanz einer Ballerina musikalisch einzufangen. Bei Toine Thys' Spiel muss man durchaus auch an das Liedgut von Franz Schubert wie „Die Forelle“ denken. Denn Thys gibt dem Stück „Orlando“ eine sehr fröhlich-beschwingte Note. Der Klang einer Klarinette beeinflusst die Färbung von „Low Life“. Dazu gesellt sich ein wiederkehrender Rhythmusschlag, dank an den Bassisten und den Drummer. Über dieses Rhythmusmuster ziehen die Klangwolken dahin, die Toine Thys zeichnet. Raum wird dem Bassisten gegeben, seine Klangschrittfolgen vorzustellen. Das klingt nach der melodischen Umsetzung eines durchs Leben Stapfenden. Was das allerdings mit „zwielichtig“ oder „suspektem Typ“, so die deutsche Übersetzung von „low life“, zu tun hat, bleibt durchaus eine Frage. Weichklänge durchziehen das Stück bis zum Ende. Das ist im Kern dem samtenen Klang der (Bass)klarinette zu verdanken.
Nachfolgend begegnen wir einer „Bad Gang“. Sind Gangs nicht immer finster, zwielichtig, schlecht beleumdet? Prägend für das Stück ist der Widerstreit zwischen den dahinschwebenden Saxofonpassagen und dem Pianospiel, das hier und da verspielt erscheint, vor allem aber energetisch und Akzente setzend ist. Im Solo zeigt sich der Pianist in einem Spiel, das bildhaft einem rauschenden Gebirgsbach entspricht. Da gibt es Barrieren und Mäander, die es zu umschiffen gilt. In ein ähnliches Fahrwasser wie der Pianist taucht auch der Saxofonist im weiteren Verlauf des Werks ein. So ergibt sich ein interessanter Dialog zwischen dem Melodie- und dem klassischen Harmonieinstrument. Für „Gospel Simple“ nimmt Toine Thys einen Instrumentenwechsel vor. Nun spielt er erneut Klarinette. Zugleich hat dieser Song eine Anmutung von Blues, auch wenn es um einen spirituellen Lobgesang geht. Die Stimme des Vorsängers scheint dabei Toine Thys übernommen zu haben. Und der Bassist nimmt die tiefen Stimmen des Gospelchors ein, oder?
Was kann man bei „Roumanian Circus“ erwarten? Polyrthythmik und Balkanova? Doch im Gegenteil, Thys und seine Mitmusiker lassen sich mit einer Balladenanmutung vernehmen. Was wir hören, gleicht einem epischen Klangfluss. Da finden sich keine Ausgelassenheit und kein wilder Tanz zum Hochzeitsfest. Eher hat man den Eindruck, die Musik nehme uns auf eine Bootstour ins Donaudelta mit, in die Weiten des Flusses hin zum Schwarzen Meer. Dabei passieren wir außerdem, so suggeriert es das Spiel des Pianisten, kleinere Stromschnellen. „Mandingue“ – eigentlich ein Sammelbegriff für in Westafrika vorkommende Dialekte – ist eher getragen im Tempo und ohne distinkte Beats und Bläserschwall wie bei Fela Kuti und ohne die an Reggae angelehnte Gitarrenriffs von Ali Farka Touré. Thys dringt beinahe in die Tiefen eines Baritonsaxofons ein, spielt aber augenscheinlich Tenorsaxofon, leicht groovy und hier und da auch mit einem Hauch Funk, insbesondere dank seiner Begleiter. Wilde und feurige Rhythmen jedenfalls sind nicht die Sache von Orlando. Doch Thys weiß durch sein schnurrendes Saxofonspiel zu überzeugen. Dies scheint seine westafrikanischen Exkursionen zu reflektieren. Das Stück „La Dengue“ erinnert im Duktus an ein Lamento. Da scheint außerdem ein wenig Memento mori mitzuspielen, wenn wir der Zwiesprache von Thys und Sanchez folgen. Das Tragische wird besungen, vor allem durch die von Thys gespielte Klarinette, die man sonst eher aus der Klezmermusik und dem klassischen Swing kennt.
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Informationen
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