Tobias Meinhart - Berlin People
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Sunnyside Rec.
New York City ist seit Jahren der Lebensmittelpunkt des aus Deutschland stammenden Saxofonisten Tobias Meinhart. Mit dem vorliegenden Album versucht er, seine Wurzeln in seine Musik einfließen zu lassen und eine Brücke zwischen den musikalischen Traditionen der USA und denen von Deutschland zu schlagen. In der für das Projekt zusammengestellten Band findet man den nunmehr in Berlin lebenden amerikanischen Gitarristen Kurt Rosenwinkel. Zudem hat Meinhart für das aktuelle Projekt seinen langjährigen Freund, den Bassisten Tom Berkmann, mit Kurt Rosenwinkel bekannt gemacht und in seine Band geholt. Der Pianist Ludwig Hornung und der Drummer Mathias Ruppnig, beide ehemalige Studenten Rosenwinkels, vervollständigen das Ensemble.
Was wir hören ist eine sehr persönliche Musik Meinharts, die zur Biografie des Musikers in engem Bezug steht, der zwar in den USA lebt, aber auch ausgiebig in Europa konzertiert. So ist das letzte Stück des Albums Tobias Meinharts Großvater gewidmet, der Bassist war und ihn zum Jazz brachte. Die überwiegende Zahl der veröffentlichten Kompositionen stammt aus der Feder von Tobias Meinhart, der ursprünglich als Drummer begonnen hatte, dann aber zum Saxofon wechselte. Der Pianist des Quintetts hat „Früher war alles besser“ komponiert und mit „Serenity“ verneigt sich die Band vor dem Tenorsaxofonisten Joe Henderson, den man in einem Atemzug mit Miles Davis, Horace Silver, Leister Young und anderen nennen muss, wenn man von den „Legenden des Jazz“ spricht..
Nicht ganz frei von Bebop-Anlehnungen kommt “Mount Meru” daher, eine Komposition, die von dem melodischen Wechselspiel zwischen Saxofonist und Gitarrist lebt. Inspiriert wurde die Arbeit an diesem Stück durch eine Dokumentation über Bergsteiger, die sich das Besteigen dieses Giganten des Himalaya-Gebirges zum Ziel gesetzt hatten. Nachfolgend nimmt Ludwig Hornung mit “Früher War Alles Besser” einen häufig zu hörenden Satz auf, der das Vergangene verklärt. Eröffnet wird das Stück durch den Bassisten und Pianisten, die auf den Spuren des Getragenen und Lyrischen wandeln. Das Saxofon hat nichts von Marktschreierei an sich, sondern ist sanft gestimmt. Stromschnellen gleich ergießen sich die Tonfolgen, die dem Pianisten zu verdanken sind. Hier und da klingt die Komposition so, als wäre bei der Entstehung an einen Bänkelsong gedacht worden. Man könnte vielleicht auch an „Surabaya Johnny“ denken.
„It‘s not so easy“ wurde zu einer Art Band-Mantra und geht auf Tobias Meinharts Vater zurück, der diesen Satz häufig benutzte. Der Fokus liegt bei diesem mit durchaus schnellem Tempo vorgetragenen Stück auf den Saxofonpassagen, die dahinziehende Klangwolken gleichen. Ob man sich zur Musik nun Adalbert Stifters „Wolkenstudie“ (um 1840) oder William Turners Ansicht von Margate (?) vom Meer mit zartrosa Abendhimmel und Wolkenschlieren oder gar Claude Monets „Herbststimmung in Argenteuil“ mit Quellwölkchen vorstellt, ist eine Frage der Assoziation zwischen melodischen Linien und Bildhaftigkeit.
Malala Yousafzai und ihr Kampf um die Gleichberechtigung von Mädchen in Pakistan und anderswo sind Anregung für die Ballade „Malala“, mit der der Nobelpreisträgerin gedacht wird, die wie andere Frauen auch von Islamisten verfolgt und attackiert wurde, ehe sie emigrierte. Wie bereits im Eröffnungsstück des Albums muss in den melodischen Linien auch der Solopart von Kurt Rosenwinkel herausgestellt werden. Er verbreitet nachhallende und schwingende Klanggebilde, die, um ein Bild zu nutzen, einem in der Thermik auf- und niedersteigenden Segelflieger gleichen. Ähnliches gilt für die klanglichen Antworten, die Tobias Meinhart auf Kurt Rosenwinkel findet.
“Serenity” ist eine Komposition von Joe Henderson, der wie andere auch zu den „Heroen des Jazz“ zu zählen ist. Es wundert nicht, dass Tobias Meinhart einen Standard von Henderson ausgewählt hat, der ja in der Tradition des Bebop und Hard Bop steht. Denn auch Meinhart ist bei seinen Kompositionen in diesem Fahrwasser unterwegs, rotierende Solos eingeschlossen. Dazu kommen bei „Serenity“ auch die kurzen Interventionen des Drummers, wenn auch die musikalische Regie gänzlich in den Händen von Meinhart liegt.
Nach der Komposition „Berlin People“, die als Albumtitel gewählt wurde und das stets bewegte und nie ruhende Berlin einfängt, hören wir “Alfred“. Als würden nach einem heftigen Regen noch einzelne Tropfen aufs Pflaster und in Pfützen tropfen, so hört sich der Beginn des Stücks an. Angesichts der Tatsache, das das Stück einem Bassisten aus der Familie Meinharts gewidmet ist, vermisst man allerdings ein ausschweifendes Basssolo. Statt dessen gibt es nicht nur einen offenen Raum für den Bandleader selbst, sondern auch für den Pianisten Ludwig Hornung.
Text © ferdinand dupuis-panther
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