Thomas Bracht feat. Nils Wogram & Sven Decker: unterwegs
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Portabile Music Trier
Vom gefragten Sideman zum Bandleader – so könnte man kurz und knapp den Werdegang des Komponisten und Pianisten Thomas Bracht umreißen.
Unterstützt wurde er bei diesem Schritt durch seine Familie, aber durch seine langjährigen Bandkollegen und Freunde aber auch durch neue musikalische Mitstreiter. Einer dieser Mitstreiter ist der in der Schweiz lebende, aus Braunschweig stammende, international gefeierte Ausnahmeposaunist Nils Wogram. Ebenfalls mit von der Partie sind der Kölner Saxofonist Sven Decker, Stephan Matheus an der Trompete, Tobias Fritzen am Bass, der New Yorker Perkussionist Jerome Goldschmidt, Konrad Matheus am Schlagzeug, Leana Sealy (Gesang) und Thomas Bracht selbst am Piano, Clavinet, Synthesizer und den Samples.
Der ECHO-Preisträger Nils Wogram verleiht der Produktion ihre unverwechselbare Klangfarbe. Der in Köln beheimatete Saxofonist Sven Decker, aus der modernen Essener Schule kommend, gilt als einer der innovativen jungen Wilden auf dem nationalen und internationalen Jazzparkett. Die besondere Besetzung mit Percussions und Schlagzeug hebt die einzigartige Klangwelt der Veröffentlichung nur hervor.
Die Inspiration für Brachts Kompositionen kommen oftmals von seiner Familie. „Der Song 'Maria' ist entstanden nach einem Motiv meiner 3-jährigen Tochter. Sie hat die Melodie auf dem Klavier fantasiert, den ersten Takt habe ich ihr praktisch „gestohlen“, und daraus entstand der gesamte Titel“, schwelgt Thomas Bracht stolz in Erinnerung.
Mit „Freedom Nature Dance“ macht das Album auf, mit „The Hour of the wolf“ beschließt Thomas Bracht den musikalischen Reigen, der gleichfalls Werke wie „Hip Elena Hop“, „Unterwegs“ und „ Road to Maneuli“ umfasst.
Mit elektronischen Effekten eröffnet „Freedom Nature Dance“. Dabei kann man schon an House und Techno denken, insbesondere angesichts der nicht nur rhythmischen Redundanzen. Über diesen schweben die dumpfen Klangwolken, die die Bläser erzeugen, darunter Sven Decker am Tenorsaxofon und Nils Wogram an der Posaune. Das Stück klingt frisch und gleicht einer Aufforderung zum Tanzen: „Shake your bones“. Neben den hämmernden Rhythmen finden sich aber auch Teile mit sehr lyrischen Passagen, die von Nils Wograms Spiel auf der Posaune bestimmt werden. Sven Decker hingegen gelingt es, sein Saxofon ins kreative Schwingen zu versetzen. Während bei diesem Stück ein Septett zu Werke geht, beschränkt sich Thomas Bracht bei „Hip Elena Hop“ auf ein Trio, zu dem Tobias Fritzen am Bass und Konrad Matheus am Drums gehören. Bracht selbst ist am E-Piano und Synthesizer zu erleben. Pop trifft Funk – so könnte man den Stil bezeichnen, in dem das Stück gehalten ist. Sehr prägnant sind dabei E-Piano und Synthesizer. Der Rhythmus scheint eher an Rockmusik angelegt, so auch das Schlagzeugspiel von Konrad Matheus. Beim Hören musste der Rezensent auch an Fusion und den späten Miles Davis denken, auch wenn keine Trompete als Klangvariante eingeführt wurde. Tanzbar erscheint mir auch diese Nummer, im Jazz auch im Jazzrock ja eher eine Seltenheit, nicht jedoch bei Thomas Bracht.
Orientalische Klangteppiche breiten sich nachfolgend beim Song „Unterwegs“ aus. Der östliche Diwan wird greifbar. Assoziationen an Bauchtanz kommen auf. Zugleich entwickelt sich „Unterwegs“ sehr rockig. Vielleicht kann man von Anleihen an Ethno-Pop reden, wollte man diese Komposition von Thomas Bracht in eine Schublade stecken. Zur Mitte des Stücks hin hört man eine lieblich anmutende Passage, die Sven Decker verantwortet. Doch nachfolgend geraten wir als Hörer wieder in orientalische Gefilde, gelangen in die Welt von Serail und Tokapi, von Basar und Diwan, wenn auch stets mit Verfremdungsmomenten. Herausgehoben ist dabei schon Sven Decker am Tenorsaxofon wahrzunehmen, und dazu webt Thomas Bracht einen dichten Klangteppich an seinem Synthesizer.
Eine musikalische Fahrt mit dem „Karussell“ erleben wir nachfolgend, wenn wiederum Bracht mit einem Septett den Pfad des Jazzrocks beschreitet. Dabei erlebt man Thomas Bracht auch an der Orgel. Ach waren das noch Zeiten, möchte der Rezensent sentimental anfügen, als in der Rockmusik die Orgel nicht verpönt war. Man denke an The Nice und auch an Brian Auger and The Trinity. Zugleich wecken die drei Bläser, Stephan Matheus an der Trompete, Sven Decker am Tenorsaxofon und Nils Wogram an der Posaune Erinnerung an so spektakuläre Ensembles wie Blood, Sweat & Tears oder Chicago. Man könnte von einer sehr gelungenen Melange sprechen, bei der verschiedene Strömungen von Jazz und Rock eine wichtige Rolle spielen.
Zum Schluss bewegen wir uns in den Stunden zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang, im Englischen nennt man diese Periode „The Hour of the Wolf“. Zugleich ist dies auch ein Film unter der Regie von Ingmar Bergman, in dem es unter anderem um das Ehepaar Johan Borg (Max von Sydow) und Alma Borg (Liv Ullmann) geht. Alma ist schwanger. Aufgrund einer Sinnkrise haben sich beide auf eine einsame Insel begeben. Die Inszenierung des Films folgt im Handlungsstrang surrealen Mustern und dem Genre des Horrorfilms. Man müsste den Schwarz-Weiß-Film wohl gesehen haben, um eine stringente oder weniger stringente Beziehung zwischen Brachts Komposition und der Filmhandlung ausmachen zu können. Aufgrund des Gesangs von Leana Sealy gerät man schnell zum Urteil, es handele sich bei der „Stunde des Wolfs“ um eine Art Pop-Ballade gepaart mit einer Prise Singer/Songwriter. Mir erscheint dieser Titel weit weg von Jazz und Jazzrock. Gewiss aber spricht gerade dieser Song einen Hörerkreis an, der sonst mit Jazz nicht viel am Hut hat. Ähnliches muss man m. E. auch zu anderen Songs anfügen, die durchaus mit Elementen von House und Techno spielen. Gewinnt man vielleicht so die Generation U30 für den Jazz der Gegenwart?
Text © ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
http://www.portabile.de/
Musiker
Thomas Bracht
http://www.thomasbracht.de