The Great Harry Hillman – Live at Donau115
T
self produced
Was lesen wir zur vorliegenden Veröffentlichung? Nun diese Einschätzung: „Wenn eine Platte als «filmisch» bezeichnet wird, hat sie in der Regel etwas Mitreißendes und Episches an sich. «Filmisch» passt denn auch zu „Live at Donau115“, der vierten Veröffentlichung des Schweizer Post-Jazz-Quartetts The Great Harry Hillman – aber nicht im Stile «Leinwand-Blockbuster». Eher erinnert die Performance an Inhalte des Programmkinos, wo ausgewählte experimentelle Underground-Filme im Fokus stehen. Hier also wird die Sprache des Films – oder eben der Musik – abstrahiert, dekonstruiert und als das gewürdigt, was sie ist; ganz ohne verkalkte, funktionale Blaupausen, die lediglich den Bedürfnissen der üblichen Erzählstrukturen dienen würden, sondern mit Innovation, Entdeckungsfreude und Wagnis.“
„In unserer elfjährigen Geschichte haben wir eine eigene Art und Weise des Interagierens in einer Live-Situation entwickelt. Eine Setlist gibt es nicht mehr – stattdessen improvisieren wir die Reihenfolge der Stücke und die Übergänge dazwischen.“, so lässt die Band The Great Harry Hillman verlauten. Und an anderer Stelle heißt es: „Wir proben regelmäßig mit Skizzen und Fragmenten. Daraus entstehen Stücke, welche ein für uns eindeutiges Wesen besitzen. Auf der Bühne geben wir diesen Kompositionen die Freiheit zurück, und sie können jeden Abend ihren Zustand ändern, ohne ihre Identität zu verlieren.“
Die Tracktitel wie „Der Vogel“, „Eidechsen Sie“ oder „Cruise Tom Cruise“ führen zu Stirnrunzeln, zum Versuch in den Titeln Sinnhaftigkeit auszumachen, auch wenn bei dieser Art von Post-Jazz, so die offizielle Genrebezeichnung des Albums, wahrscheinlich die Tracktitel nur Schall und Rauch sind, aus einer Laune geboren. Vielleicht hätte es auch Doppelkreuz mit Nummerierungen getan, oder? Nun gut, es gibt diese Titel. Lauschen wir also, was sich dahinter musikalisch verbirgt.
Und noch etwas Wer ist eigentlich der Great Harry Hillman? Dazu müsste man die Schweizer Band befragen. Wenn sich der Bandname auf den us-amerikanischen Hürdenläufer gleichen Namens bezieht, der1904 an den Olympischen Spielen in St. Louis drei Goldmedaillen gewann, dann fragt man sich immer noch, wieso eine Schweizer Band sich nicht nach Schweizer Medailliengewinnern benannt hat. Die Frage bleibt an dieser Stelle offen.
Aufmacher des Albums mit seinen sieben Tracks ist der Track „Der Vogel“. Schnurrender Klarinettenklang, der sich ins Röhren verwandelt, ins Kehlige, ins Schwirrende trifft dabei auf Klangwelliges und auf Schlagwerkrauschen. Irgendwie liegt auch Sirenengesang dabei in der Luft, heult eine Gitarre, zerfließen Saitenklänge, braust das Saiteninstrument auf, verflüchtigt sich in scheinbar Kristallinem. Zarte Saxofon-Sequenzen vernehmen wir obendrein, oder? Metallisches dringt ans Ohr des Hörers. Eine sandfarbene Bassmelange wird präsentiert. Geräuschmusik oder was?– das fragt man sich beim weiteren Hören. Nervöses hochtöniges Bläserschnattern wird zelebriert. Harte Beats begleiten dies. Und welcher Vogel wird da besungen?
Verhaltenes basslastiges Pling-Plong trifft bei „Cruise Tom Cruise“ auf „Möwengeschrei“ und Saitenwohlklang, der an azurblaues Meer und goldenen Sandstrand denken lässt. Segel flattern im Wind, warmer Saharawind umweht den Hörer. Alles scheint im Fluss und dabei sich durchaus an Rockmusik von Jeff Beck, Alvin Lee und anderen R&B-Barden anzuschließen . So kann man meinen. Klangvolle Brandung nehmen wir wahr, auch dank der Saxofonlinien. „Lost“ ist ein weiterer Track des vorliegenden Albums. Dabei beginnt dieser Track eher verhalten, erscheint als ein fernes Klanggebilde. Irgendwie hat man das Bild vor Augen, inmitten dichter Nebelbänke erheben sich nach und nach Klangsequenzen. Alles scheint einer Langsamkeit ausgesetzt. Bläserklänge gleiten dahin, beinahe schwerelos. Und wenn man dann auch an die filmischen Settings denkt, die wohl dem Album innewohnen – siehe oben -, dann hat man „Wo die Gondeln Trauer tragen“ vor Augen, oder auch nicht.
Noch ein Wort zu „Eidechsen Sie“. Mischen sich da nicht urbane Geräusche mit Maschinenweltklang? Hört man nicht ein rhythmisches metallisches Schlagen und schrille Signalklänge? Ohne Frage bestimmen auch in diesem Track der Gitarrist und der Bläser die Tonschichtungen und Färbungen. Man könnte davon sprechen, dass beide eine klangliche Aquarellierung mit stumpfen Erdfarben vornehmen, die durch helle Drippings aufgelockert werden. Die Welt der Rockmusik aus den 1980er Jahren eröffnet sich dem Hörer in „Stellar“ – mit Klangmacht, aber auch mit zarten Gitarrenklängen, die ein wenig an Fleetwood Mac erinnern. Den Schlussakkord der Live-Einspielung bildet schließlich „Taube, Taube“.
© ferdinand dupuis-panther
David Koch guitar
Samuel Huwyler bass
Dominik Mahnig drums
Nils Fischer bassclarinet, sopransax