The Gradischnig / Raible Quintet: "SEARCHIN' FOR HOPE"
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alessa records, ALR 1042
In diesen Tagen, in denen noch immer die Bürgerkriege im Nahen Osten toben, in denen Europa im Fadenkreuz von „Gotteskriegern“ steht und unablässig Menschen an der Festung Europa scheitern, scheint der Titel des Albums überaus aktuell und passend: Die Suche nach Hoffnung.
Doch fernab eines solchen aktuellen Bezuges geht es eigentlich um die Musik von Elmo Hope, einem Musiker der Bebop-Ära, der in einem Atemzug mit Thelonious Monk und Bud Powell zu nennen ist. Mit beiden war der 1923 in New York geborene Pianist befreundet. Seine Kompositionen werden oft mit denen von Monk verglichen, was auch in der aktuellen Einspielung hier und da durchscheint.
Musiker aus Österreich, England, Griechenland und Deutschland fanden sich zusammen, um die Musik Hopes wieder aufleben zu lassen, eine Musik, die beschwingt daherkommt und viel Drive mitbringt. Das multinationale Quintett besteht aus dem Tenorsaxofonisten Herwig Gradischnig , dem Pianisten Claus Raible, dem Trompeter Steven Fishwick, dem Drummer Matt Home und dem Bassisten Giorgos Antoniou.
Mit einem Ausflug ins marokkanische Marrakesch beginnen wir eine Reise auf den Spuren Elmo Hopes, die mit „Into the Orbit“ und „Roll on“ endet. Wie so viele afroamerikanische Musiker seiner Generation war Hope den Drogen verfallen. Zeitweilig hatte er daher ein Auftrittsverbot. Während seiner durchaus als erfolgreich zu charakterisierenden Jahre in New York spielte er gemeinsam mit dem Trompeter Clifford Brown und dem Saxofonisten John Coltrane, um nur zwei der Jazzgiganten der 1950er Jahre zu nennen. Nach seiner Verurteilung wegen seiner Heroinsucht verließ Hope New York einige Jahre und ging nach Los Angeles. In diese Zeit fällt auch eine Tour mit dem ebenfalls drogenabhängigen Trompeter Chet Baker. Im Juni 1961, nun wieder in New York beheimatet, spielte Hope beim Jones' Quintett, an seiner Seite der Trompeter Freddie Hubbard. Die ersten Gigs verdankte die Band Hopes altem Freund, Monk. Das gilt auch für die Aufnahmen bei Riverside Records, die folgten. Alben wie „High Hope“ oder „Homecoming“ sind bis heute die musikalischen Meilensteine, die Hope im Jazz gesetzt hat. Aufgrund von Komplikationen beim Entzug mit Methadon verstarb Hope sehr jung. Er wurde nur 43 Jahre alt.
Mit markanten Trommelschlägen beginnt das Stück „Stars over Marakesh“. Diese halten auch an, wenn Bass und Piano sich zum Schlagzeug gesellen. Sobald die Bläser ertönen, hat man den Eindruck, man sei in einer Kasbah oder Medina unterwegs. Orientalischer Hauch aus 1001 Nacht umhüllt uns – und das für Minuten. Sieht man da nicht auch eine Bauchtänzerin unter dem funkelnden Sternenhimmel? Besingt da nicht die Trompete in den Händen von Steven Fishwick die am Firmament vorbeiziehenden Sterne, mal mehr oder weniger glitzernd? Im Hintergrund setzt Claus Raible durchaus in Anlehnung an Monk seine eigenen Akzente. Ein leichter Wind aus der Sahara liegt über Marrakesch, so scheint es. Im Gegensatz zur eher leicht rotzig klingenden Trompete verbreitet Herwig Gradischnig samten anmutende Klänge. Irgendwie scheint er uns die Sterne deuten zu wollen, mit einem „Sieh mal hier und sieh mal dort.“ Sobald Claus Raible sein Tastenmöbel zum Schwingen bringt, glaubt man am Ende, Sternschnuppen fallen vom Himmel.
In Himmelsphären entführt uns auch „Race for the space“. Beim Zuhören denkt man vielleicht im ersten Moment nicht an die Eroberung des Weltraums, aber an Radrennfahrer, die in atemberaubendem Tempo über Serpentinen ins Tal rollen, dabei nicht mehr im Sattel sitzend und weit über den Lenker gebeugt. Überaus dynamisch erweist sich das Spiel Steven Fishwicks, der den Vorwärtsdrall mit den richtigen Tonhöhen vorträgt. Nicht minder energetisch agiert Claus Raible bei seinem Solo. Überschallgeschwindigkeit können beide nicht erreichen, jedoch mit ihren Tempi das Rennen ums All durchaus adäquat einfangen.
„Exploring the future“ ist eine Komposition von Hope, die mit einem Monkschen Duktus beginnt, ehe dann die Bläser die Klangfärbung übernehmen. Man hat beim Zuhören die Vorstellung, die Zukunft werde rosig. Kein Hauch von Melancholie ist zu spüren, keine sentimentalen Momente drängen sich auf. Eher meint man, die blaue Stunde sei nahe, wenn Herwig Gradischnig mit seinem Saxofonsolo an der Reihe ist. Mit neugierigen Schritten – so suggeriert es Claus Raible bei seinem Pianointermezzo – erforschen wir die Zukunft.
Mit „Into the Orbit“ geht es schon wieder ins Weltall. Die 1950er Jahre waren nicht nur die Zeit des Wettrüstens zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion, sondern auch die Zeit, als es galt, das Weltall zu erobern und seine technologische Überlegenheit unter Beweis zu stellen. Am 4. Oktober 1957 hatte die Sowjetunion ihren ersten Satelliten ins All geschickt. Das war der Anlass für den sogenannten "Sputnik-Schock" in Amerika. Wären wir damals nicht mitten im sogenannten Kalten Krieg gewesen, in dem sich der Osten und der Westen feindlich gegenüberstanden, dann wäre dieses Ereignis sicherlich zu vernachlässigen gewesen. So aber signalisierte die Überlegenheit der Sowjetunion zugleich eine Gefährdung der amerikanischen Sicherheit. Auf diesem Hintergrund erscheint Hopes Komposition sehr aktuell, auch wenn ihr musikalisch alles Sphärische fehlt.
Der Schlussakkord wird mit „Roll on“ gesetzt. Dabei erwartet man vielleicht einen rollenden Bass. Der fehlt zwar, aber das ändert nichts an der pulsierenden Energie, die bei der Interpretation von Gradischnig und Co. freigesetzt wird.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
alessa records
http://www.alessarecords.at
Musiker
Herwig Gradischnig - Claus Raible 5tet
http://www.clausraible.com/
http://www.clausraible.com/videos.php
https://www.youtube.com/watch?v=LaLD7H20avk