Sven Faller - Night Music
S
GLM Music EC 566-2
Der Bassist Sven Faller, der auch ein Teil des Duo-Projekts Bang Bang ist, hat sich gewiss mit dieser Doppel-CD einen musikalischen Traum erfüllt. Zum einen hat er die erste CD mit Bob Degen am Piano und Guido May am Schlagzeug in der typischen Jazz-Trio-Besetzung eingespielt und sich dabei ganz nachtwandlerisch gezeigt – auch auf dem Cover des Albums – und zum anderen hat er auf der zweiten CD mit einer anderen Besetzung nicht nur „nächtliche Serenaden“ eingespielt, sondern auch eigene anekdotische und autobiografisch gefärbte Texte zwischen die einzelnen Songs eingefügt. Zudem variierte er die Instrumentierung seines Trios um Andreas Dombert an der Gitarre und Samuel Dalferth, zuständig für das Elektronische.
Im Waschzettel zur Veröffentlichung liest man Folgendes: „Sven Faller hat sich als Kontrabassist und Komponist international einen Namen gemacht. Viele Jahre lebte und arbeitete er in New York und begleitete in seiner beeindruckenden Karriere zahlreiche Künstler wie Charlie Mariano, Scott Hamilton, Bobby Watson, Chico Freeman oder Larry Coryell.“ In New York wäre er allerdings als Nachtwandler mit dem Kontrabass über der Schulter allein unterwegs sicherlich gleich verdächtig gewesen und von den Cops einkassiert worden. So kann das Coverfoto nicht in New York entstanden sein, sondern irgendwo am Stadtrand einer deutschen Stadt.
Bei Nacht sind alle Katzen grau, heißt es; zugleich lädt die Nacht auch die Nachschwärmer, die Rastlosen, die Partygänger ein, die es schätzen, dass der Bär im Kettenhemd steppt. Die Nacht hat eine eigenartige Magie zwischen Ruhe und Unruhe, jedenfalls in den meisten Städten. Irgendwie scheint es nie wirkliche Ruhe zu geben. Irgendwer ist immer unterwegs, Schichtarbeiter eh und auch die Nachteulen, die die Nacht zum Tag umdeuten.
Wieso fiel die Wahl auf genau die Musiker, mit denen Sven Faller seinen Nachttraum realisierte? „Für mich war Bobs Trio-Platte „Sequoia Song“ von 1982 genau so wichtig wie Keith Jarretts erste Trio-Aufnahmen.“ bekennt Faller. Mit dem Drummer Guido May, der unzählige Jazzgrößen von Antonio Faraò, Johnny Griffin, Diana Krall bis Pee Wee Ellis begleitet hat, ist er Anfang der 1990er musikalisch aufgewachsen. Alle drei können auf bemerkenswerte Karrieren als Sideman und Bandleader zurückblicken. So die Verlautbarung von GLM Music.
Die Kompositionen der zweiten CD entstammen der Feder des Bassisten Sven Faller. Auf der ersten CD wurden Kompositionen von Bob Degen ebenso realisiert wie solche von Rogers/Hart, Frank Loesser oder Elliott/Young. Das musikalische Potpourri reicht von „The Shining Sea“ und „Weaver Of Dreams“ über „Cascade“ sowie „Magnolia South“ bis hin zu „I´ve Never Been In Love Before“, „Vivian Elaine“ und schließlich „Westwood“. Auf der zweiten CD hören wir Titel wie „Night“ gefolgt vom Text „Die Irren“, aber auch „Night On Earth“ - gab es da nicht mal einen Film von Jim Jarmusch gleichen Namens? -, „Königin der Nacht“ und schließlich nochmals in einer etwas gekürzten Version „Westwood“.
In ruhigem Fahrwasser bewegen wir uns beim Klaviersolo Bob Degens in dem Song „The shining sea“. Die Temperatur scheint mild, das Meer sehr ruhig, sodass die Wellen sacht am Strand auslaufen. Auch wenn dann der Rest des Trios einsteigt, ändert sich an der Grundstimmung nur wenig. Man denkt bei den perlenden Pianokaskaden an einen Abend im Sommer. Ein gedanklicher Strandspaziergang bietet sich als Bild zur Musik an: Palmen rauschen im Wind. Der Mond wirft sein fahles Licht auf die Meeresoberfläche.
Nur um Nuancen anders ist der Song „Cascade“ angelegt, eine Komposition Degens, in dem das Tastenmöbel in den Händen von Bob Degen dominiert. Eine mit Getöse in die Tiefe schießende Kaskade hören wir nicht, eher kleinste Stromschnellen. Hier und da ist die Sprunghaftigkeit im Spiel Degens deutlich erkennbarer, aber im Allgemeinen eher nicht. Schließen wir unsere Augen, so können wir tanzende Papierschiffchen auf dem Wasser sehen. Gurgelndes Wasser bringt uns Sven Faller am Bass näher. Auch er bemüht sich um einen anhaltenden, teilweise auch sprunghaften Tonfluss.
Der eingeschlagene Duktus wird bei „Magnolia south“ nicht aufgegeben. Dezent wie in anderen Songs auch agiert Guido May am Schlagzeug. Da tänzeln die Sticks über die Bleche, die nur leicht ins Schwirren gebracht werden. Über allem schweben die Tonwolken der schwarzen und weißen Tasten. Wie Perlen an einer Schnur erscheinen die Passagen, die uns Bob Degen zu Gehör bringt. Dabei ist auch immer ein erster Frühlingsduft dabei.
„I've Never Been In Love Before“ wird mit Hingabe gespielt, leicht schnulzig und sentimental wirkend, ein Liebeslied voller Herzschmerz. Ist die Herzdame vielleicht „Vivian Elaine“? Nein, aber es ist eine Komposition von Bob Degen, der seinem kaskadierenden Klavierduktus treu bleibt. Vor unseren Augen erscheint beim Zuhören ein Ballsaal mit eng umschlungen tanzenden Paaren, darunter auch Vivian Elaine. Leichtigkeit liegt in der Musik, fast ein Schweben, auch eine gewisse Transparenz.
Vereint im Gesang auf die Nacht hören wir auf der zweiten CD Sven Faller und Andreas Dombert. Unterschiedlich gestimmte Nachtwandler haben wir da vor uns. Der eine ist eher tiefgründig, der andere eher in Hochstimmung. Beide sind beim nächtlichen Gang durch die fast leeren Straßen in ein intensives Gespräch vertieft. „New York war die heimliche Hauptstadt der Irren ...“, so beginnt einer der anekdotischen Texte, die Sven Faller sehr behutsam in die musikalische Struktur des Albums eingewoben hat. „ … Ich meine nicht die hektischen Wall Street Broker oder die unzähligen getriebenen Künstler auf der Suche nach dem großen Durchbruch. Nein, ich meine echte Verrückte. … Menschen, die man hierzulande in geschlossenen Einrichtungen vor der gesunden Allgemeinheit zu schützen pflegt ...“ Sven Faller hat dabei vor allem die im Sinn, die er die Nachtschicht des Wahnsinns von Manhattan nennt. Ja, das ist ironisch und auch sarkastisch, immer aber mit einem gewissen Augenzwinkern zu verstehen.
Klopfen aus dem Off, ein sich langsam nähernder Bass, eine über all dem sich erhebende Gitarre in ihrer hochstimmigen Verspieltheit – das macht „Night on Earth“ aus, ganz jenseits von Jim Jarmuschs weltumspannendem Episodenfilm. Irgendwie klingt es im weiteren Verlauf – man achte auf Samuel Dalferth – wie ein nahendes Donnergrollen. Doch das verfliegt, und die sternenklare Nacht findet sich ein. Verliebte flanieren; Nachtschwärmer suchen das Abenteuer, Broker vielleicht auch den One-Night-Stand. Es sind die Schlaflosen der Gesellschaft, die besungen werden. Dann setzt Sven Faller mit seinem Prosatext „Der Regen“ ein: „Plötzlich aufgewacht; es ist so still und dunkel, dass ich ein wenig erschrocken bin von der mysteriösen Welt meines sonst so vertrauten Schlafzimmers. Um diese Zeit hat die Nacht etwas von der unheimlichen Weite eines Meeres, das dich von allen Seiten umschließt ...“ Es ist aber auch die Zeit der Nachdenklichkeit, so Sven Faller, wenn sich die Fragen der vergangenen Tage einen Weg in den Geist bahnen. Sven Fallers Erinnerung an seine (?) „Oma“, ein weiterer Prosatext auf dem Album, stehen in Beziehung zur Nacht, denn Oma war zeit ihres Lebens eine Nachteule. „Wahrscheinlich hatte ich das von ihr geerbt.“
Mit solchen kurzweiligen Gedankenschnipseln ist das Album durchzogen, wobei ich diese starke Scheidung von Musik und Text eher irritierend empfinde. Hätte man nicht zu den Texten auch hier und da musikalische Sequenzen einflechten können? Nun gut, Sven Faller hat sich für ein anderes Konzept entschieden.
Er stellt uns musikalisch die „Königin der Nacht“ mit einer sehr beeindruckenden Kontrabasseinleitung vor, ehe dann die lieblich klingende Gitarre die Regie übernimmt. Sie klingt überaus verführerisch. Die Königin der Nacht, das muss hier eingefügt werden, ist sowohl eine Gestalt aus der Oper „Die Zauberflöte“ als auch eine nur nachts blühende Kakteenart. Wem aber ist dieser Song gewidmet? Sven Faller wüsste diese Frage zu beantworten, ganz gewiss. So aber denken wir vielleicht eher an den nächtlichen Blütenzauber, der sich da vor unseren Augen entfaltet.
Um energiegeladene Menschen geht es in „Akkus“, ehe dann der „Tango 35“ getanzt wird. Ja, das Schlagwerk in den Händen von Samuel Dalferth gibt wirklich einen Tangorhythmus vor und behält diesen auch bei, als Sven Faller seinen Tieftöner in bedingte Wallungen versetzt. Doch was wir hören, ist ein sehr, sehr verhaltener Tango, dem so recht das magische Feuer fehlt.
Lauschen wir dem Song „Westwood“ mit seinen schmeichlerischen Gitarrensequenzen, denken wir an pazifische Inselwelten, an Auslegerboote unter Segeln, an azurblaues Meer und Weite. Eine gewisse Sentimentalität kommt auf, wenn der Bass sich aufdrängt. Doch wir segeln lieber auf den lieblichen Gitarrenwolken in die Ferne.
Zum Schluss sind wir dann mit Sven Faller „Auf der Insel“, bei Lars, der nachts schreibt, mit der patriarchischen Grandeur eines Thomas Mann, an einem altenglischen Schreibtisch sitzend.
Was mir fehlt, ist ein Booklet mit den Texten zum Nachlesen, aber das liegt daran dass ich bezüglich Texten kein auditiver, sondern eher ein visueller und haptischer Typ bin, oder doch nicht?
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
GLM Music
http://www.glm.de
Musiker
Interview
http://www.svenfaller.eu/svenfaller/night_music.html