Sven Decker‘s Juli 4tet - Lost in Poll
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Green Deer Music
An einem Julitag lernten sich die nachstehend genannten Musiker beim Aufräumen des Proberaums kennen, daher wohl auch der Bandname. Auf der aktuellen Aufnahme sind Heidi Bayer (Trumpet, Flugelhorn), Conrad Noll (Double Bass), Jo Beyer (Drums) und Sven Decker (Tenorsaxophone, Clarinet, Bass Clarinet, Comp.) zu hören.
In der Blütezeit von Vinyl wurde sehr viel Wert auf die künstlerische Gestaltung des Covers gelegt. Es gab ja auch Raum dafür. Auf einer CD-Hülle ein künstlerisches Konzept umzusetzen ist schwierig, aber nicht gänzlich abwegig. So hat Heidi Bayer mit einem Aquarellgemälde das Cover gestaltet, ganz im Sinne des Informel. Wer da eine Landschaft sehen mag, mag das tun. Wer da eher an Wolkenbilder denkt, mag auch das tun. Vielleicht könnte man das Motiv auch einfach Farbmeer nennen. Auf alle Fälle aber ist das Cover im Meer der mehr oder minder banalen Bandfotos, die Covers von CD zieren, ein echter Hingucker.
Zu hören sind Kompositionen wie „Blues from the Hill“ und „Dialects“ sowie „Restless“und „7.30 am“. Zudem nahm die Band Songs wie „Ratzefummel“, „Lost in Poll“ und schließlich „Flavours“ auf.
Gleich zu Beginn des Albums scheinen wir eine Zeitreise zu unternehmen, tauchen wir von den Klangfärbungen her in die Welt von Cannonball Adderley und Miles Davis ein, werden wir mitgerissen von den verschiedenen, fein miteinander verwobenen Solos, ob nun Sven Decker auf der Bassklarinette oder Heidi Bayer auf der gedämpften Trompete zu hören ist. Bebop und Modern Jazz revisited scheinen im Jetzt wiederbelebt zu werden. Da sind dann auch Swing und Drive mit ihm Spiel, ganz im Sinne von Jazz 2.0! Der Blues überkommt uns also nicht, auch wenn der Song den Titel „Blues from the Hill“ trägt. Eher drängt sich der Eindruck eines wilden Jammens auf.
Olala, was hören wir denn da? Einen Bolero? Na, nicht der von Ravel, aber das rhythmische Gerüst von „Dialects“ scheint über weite Strecken an einen Bolero angelehnt. Doch nach und nach gerät dieses rhythmische Gerüst ins Schwanken, und man muss hier und da auch an die Musik der Bandas von La Valletta denken. Auch diese Assoziation bleibt nur für einen Moment bestehen. Besonders der Kontrast zwischen der weichen Klarinette und der eher spitz klingenden Trompete nistet sich im Gedächtnis nachhaltig ein. Dabei entwickelt die Klarinette, die Sven Decker spielt, formelhafte Beschwörungsmuster, muss man hier und da auch an Schlangenbeschwörungen auf dem Nachtmarkt von Fez denken oder eben auch nicht. Das ist alles eine Frage der Fantasie.
Wie man musikalisch „Ruhelosigkeit“ umsetzen kann, müssen sich die Musiker und vor allem Sven Decker als Komponist gefragt haben, als „Restless“ entstand. Ein Hauch von Ballade dringt an unsere Ohren, vor allem aber eine Melange von Trompeten- und Saxofonklang, Klang-Makramee vom Feinsten. Während des Basssolos hat man den Eindruck, die Zeit würde kriechen und nicht fortschreiten. Von Ruhelosigkeit ist dabei nichts zu spüren.
Ist im Hintergrund gar eine Melodica zu vernehmen? Im Fluss sind dann erneut die beiden Bläser des Ensembles, unaufgeregt und in ruhigem Fahrwasser agierend. Man könnte das Bild von in den Wellen schaukelnden Jollen haben, an Impressionen mit Ruderern denken, die Gustave Caillebotte in ganz eigener Weise auf die Leinwand gebannt hat.
Hervorgehoben werden muss, dass das Album durchaus auch dramatische Inszenierungen kennt, so „Red Cheeks“, eine flotte Nummer, ein wenig auf Krawall und Rabatz gebürstet. Welch ein Kontrast ist dazu „7:30 am“, beinahe als ein Lamento ausgeformt, getragen und auch bisweilen von einer gewissen Bitterkeit durchzogen, trotz eines sehr erfrischenden Trompetensolos, unter dem die tiefstimmigen Schraffuren der Bassklarinette wahrzunehmen sind.
Zum Schluss noch ein Wort zum namensgebenden Titel für dieses sehr abwechslungsreiche Album: „Lost in Poll“. Mit diesem Stück scheint Sven Decker uns wieder in die Welt von Bebop reloaded, gewürzt mit ein wenig Free Jazz, zu entführen. Somit scheint sich dann auch ein Kreislauf zu schließen. Ob das die Intention war, kann nur vermutet werden.
Text © ferdinand dupuis-panther – Der Text ist nicht public commons!
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