Susanne Lundeng - Hold dæ på vingan
S
Heilo
Das Album «Hold dæ på vingan» («Stay on your wings») unterstreicht, dass und wie Susanne Lundeng traditionelle musikalische Grenzen überschreitet. Sie gilt als eine der wichtigsten Vertreter der norwegischen Volksmusik, umgibt sich aber bei dem vorliegenden Album mit Musikern, die auch im Jazz unterwegs sind. Lundeng ist nicht nur eine brillante Geigerin, sondern versteht es, auch stimmlich und mit ihren eigenen Texten zu überzeugen. Kein Wunder, dass sie für ihr vorletztes Album “Det va nære på” (“That was close”) ausgezeichnet wurde. Die Jury urteilte über das Album mit selbst geschriebenen Texte: „An innovative, banality-free treasure that is based on the big, as well as the simple questions, with playful and explorative language”.
Im Mittelpunkt von Lundengs Musik steht die Geige, auch wenn sie mit dem Gitarristen Nils-Olav Johansen und dem schwedischen Perkussionisten Erik Nylander gemeinsam auf der Bühne steht oder an einem Album arbeitet. Dabei entsteht eine Symbiose aus traditioneller Weltmusik, nordnorwegischen Volksweisen und Jazz. Bisweilen meint man, man sei auf dem Balkan statt im Norden von Norwegen.
Susanne Lundeng wurde mehrfach ausgezeichnet so auch mit dem Spellemann (Norwegian Grammy’s Award) für die Herausgabe von 100 nordnorwegischen Volksweisen. Ihr Mitspieler Nils-Olav Johansen ist ein in Norwegen bekannter Jazzgitarrist und Vokalist. Er ist Professor für Jazzgitarre der Jazzabteilung der NTNU (Trondheim). Im schwedischen Norberg wurde der Perkussionist des Trios Erik Nylander geboren. Er war in der Vergangenheit an Projekten des über Norwegens Grenzen hinaus bekannten Trondheim Jazz Orchestra beteiligt. Zudem spielt er in Formationen wie Honest John, Nymo/Zetterberg/Nylander, Monoswezi, Ape Club, Bjørn Alterhaug Quintet, Erlend Slettevoll Trio und Steamdome.
„Hold dæ på vingan“ steht am Beginn des Albums, gefolgt von „Det å ei“, „Så skjedde det igjen“ sowie „Ser du dæ tebake“ - ein Stück, das aufgrund der Harmonien und Melodielinien teilweise an das Karnataka College of Percussion denken lässt. Zu hören sind zudem Songs wie „Svalgang“ (dt. Galerie), „Hymne fra Norlandia“, „Det berre vil sæ ikke i dag“ und schließlich „Hav“ (dt. Meer).
Angesichts der Tatsache, dass heutzutage scharfe Grenzen der Genres nicht mehr existieren, ist es müßig, Lundeng nun als Singer/Songwriter, Vertreterin des Folksongs oder als klassische Geigerin zu bezeichnen. In ihrer Musik ist sie wohl eher dem Begriff Weltmusik zuzuordnen. Dabei hat man bisweilen den Eindruck, dass ihre Musik sich in Harmonien nordafrikanischer Musik ebenso versteigt wie in anatolische Kunstmusik, auch wenn in ihrem Trio kein Guembri- oder Ud-Spieler zu finden ist. Insbesondere bei den perkussiven Momenten in „Det berre vil sæ ikke i dag“ scheint türkische Kunstmusik und irischer Reel sehr nahe, soweit es die rhythmischen Einsprengungen betrifft.
Was Erik Nylander als Perkussionist zur musikalischen Gestaltung beiträgt, lässt an Rahmentrommel oder Damburka denken. Bei den Passagen, die Lundeng auf der Geige spielt, vermischen sich Anmutungen an Fado, türkische Folklore und die Klanggewalt einer Kirchenorgel eines Doms. Zudem muss man auch das romantische Liedgut deutscher Prägung denken. Insgesamt drängt sich die Vorstellung auf, man würde einem kompletten Streichersatz eines Orchesters lauschen. Dass Lundeng nicht nur den richtigen Geigenstrich, sondern auch das Saitenzupfen beherrscht, unterstreicht die Violonistin in diesem Stück.
„Det å ei“ überzeugt durch die weichen Linien der Gitarreneinleitung, die nahtlos in Lundengs Gesang übergeht. Dabei entwickelt sich die Melodielinie so, als würde Lundeng ein Lullaby anstimmen. Und am Ende kommt beim Klang der Violine Melancholie auf. Man denkt obendrein an Sehnsüchte und Träumereien zugleich. „Så skjedde det igjen“ zeichnet sich durch eine nachhaltige Dramatisierung der musikalischen Flächen aus. Dabei bestimmt Lundengs Violinenspiel das musikalische Geschehen. Es klingt so, als würde man sich zum Tanzen einfinden, als würde ein Vortänzer im Mittelpunkt stehen und nur auf die Eröffnung des Rundtanzes warten. Und das geschieht im Verlauf des Stücks, so meint es vielleicht ein Außenstehender, der auch nicht in der Lage ist, den norwegischen Titel des Songs zu übersetzen.
„Svalgang“ umfängt den Zuhörer anfänglich mit beinahe sakralen Anmutungen. Beim weiteren Zuhören allerdings dachte der Rezensent an die Einspielungen von Lucian Ban, einem in den USA lebenden, aber aus Rumänien stammenden Pianisten, der sich mit rumänischen Volksweisen befasst hat, und auch an Dumitrio, das sich in einem Album namens „Proverb“ mit rumänischen Sprichwörtern musikalisch auseinandersetzte. Kirchenorgel oder nicht? Das fragt man sich zu Beginn bei „Hymne fra Norlandia“. Doch dann entwickelt Lundeng ihre lyrische Erzählkunst und entführt uns zu den Fjorden und Hochebenen.
Bei „Hav“ (dt. Meer) würde man wohl musikalische Entsprechungen zur aufgewühlten See erwarten. Lundgen jedoch scheint mit ihrem Geigenstrich eher die Windstille über dem Meer im Sinn zu haben. Schellen sind als Beigaben zu vernehmen. Basslagen verdanken wir dem Gitarristen des Trios. Hört man bei den Perkussionen nicht auch die Wellen gegen die Klippen klatschen? Auch das Auf und Ab des Seegangs floss in das Stück ein. Man höre dabei auf die dramatischen Setzungen, die Lundeng zu Gehör bringt. Zugleich aber befremdet die Musik insoweit, als sie in Fragmenten auch in der ungarischen Steppe oder im Rila-Gebirge auf dem Balkan entstanden sein könnte - Schellenklang hin oder her! Mit viel Fantasie allerdings ließen sich aus der Musik Sirengesänge herausfiltern und damit wäre wir dann wieder beim maritimen Thema des Stücks.
© fdp
Informationen
Line-up
Susanne Lundeng: fiddle, vocals
Nils-Olav Johansen: guitar & vocals
Erik Nylander: percussion
http://www.susannelundeng.no
https://en.wikipedia.org/wiki/Susanne_Lundeng