Stephanie Wagner Quinsch: Shapes & Colours
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Personality Records PR 21
Schaut man sich das Cover des Albums an, so könnte man meinen, ein Bauhausschüler aus dem Vorkurs bei Itten oder Moholy-Nagy hätte den Entwurf abgeliefert. Zugleich muss man auch an die abstrakten Arbeiten von Wassily Kandinsky denken, wenn es um Formen und Farben geht. Von diesem Künstler stammt das nachstehende Zitat: „Ein Bild muss klingen und von einem inneren Glühen durchtränkt sein.“ Gibt es also eine Entsprechung zwischen dem Glühen der Farben und Klangfarben? Synästhesie scheint dabei nicht unbedingt eine Bedingung zu sein. Aber ja, es gibt die Verschränkung von unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen wie Farben und Töne, wobei jeweils eine Farbe für einen bestimmten Ton oder Klang steht.
Das vorliegende Album ist insoweit eine Besonderheit, als hier das Lead-Instrument die Flöte ist, ein Instrument, das im Jazz überaus selten ist. Wir hören auf dem Album neben der Flötistin Stephanie Wagner am Tenor- und Sopransaxofon Steffen Weber, am Klavier und Fender Rhodes Steffen Stütz, am Kontrabass Udo Brenner und schließlich am Schlagzeug Jens Biehl.
Stephanie Wagner studierte klassische und Jazz-Querflöte an der Musikhochschule Mainz und dem Berklee College of Music in Boston (USA). Ausgezeichnet wurde die Flötistin mit dem Jazzpreis der Stadt Worms als herausragende Instrumentalistin. Unter anderem tourte sie auch mit den ‚Söhnen Mannheims’ und spielte in Klassik-, Punk- und Salsa-Formationen mit. Auch als Pädagogin ist sie unterwegs, gibt deutschlandweit Workshops für Jazzflöte und veröffentlichte im Jahr 2015 ihre Schule ‚Play Jazzflute-now!’ beim Schott-Verlag.
Beim vorliegenden Album fliegen wir musikalisch zunächst hoch – siehe „Flying High“ –, folgen einem hüpfenden „Kangaroo“ und hören dann den Titelsong des Albums. Wir erfahren „Von fremden Ländern und Menschen“ und am Ende ergreift uns der Blues: „All That Blues“.
Teilweise bewegt sich der Pianist der Band im Diskant, ehe dann der zarte Klang der Flöte in dessen Spiel einfällt, wenn die Band zum „Höhenflug“ („Flying High“) ansetzt. Für die anfängliche Tieftönigkeit sorgt Udo Brenner, der die tiefen Saiten nur so schwirren lässt. Lauscht man den ersten Passagen, so muss man an den Flug im Segelflugzeug denken, das scheinbar schwerelos in der Thermik dahingleitet. Wolkenschlieren ziehen vorbei, und der Wind säuselt leise. Letztere Assoziation ist gewiss auch dem Klangspektrum der Flöte geschuldet, die ab und an auch eine einprägsame Hochtönigkeit zur Schau stellt. Das Steigen und das Absinken eines Flugs fängt Stephanie Wagner sehr nachhaltig und überzeugend ein. Sehr quirlig zeigt sich der Saxofonist Steffen Weber, dessen Sequenzen gewagte Flugmanöver musikalisch umsetzen, Loops eingeschlossen.
Vom Charakter gänzlich anders ist die Komposition „Kangaroo“ gestrickt. Da präsentiert uns die Band ein von Pausen unterbrochenes Spiel der Bläser, das sich so anhört, als würde wahrlich ein Känguru hin- und herspringen, allerdings zwischenzeitlich auch an Ort und Stelle verharren. Nachfolgend geht es dann musikalisch eher rasant zu, sodass man bisweilen an in Panik geratene Wildpferde denken muss. Es geht über Stock und Stein, so zumindest ist das Bild im Kopf, das während des Zuhörens entsteht. Es fehlt also an dem typischen Sprungmuster eines Kängurus. Beim Solo des Saxofonisten ist die Vorstellung von einem roten oder grauen australischen Beuteltier völlig verschwunden. Oder doch nicht? Wer schon mal Felsenkängurus gesehen hat, der weiß, wie wieselflink sich diese in felsigem Terrain bewegen. Wo bleibt eigentlich das Boxen mit den Vorderläufen, wenn sich zwei Rivalen das Terrain streitig machen?
Was wird mit dem Flirren und dem Wimmern der Flöte eigentlich eingefangen? Neben dem Flötenspiel vernimmt man auch die rhythmisierte Stimme der Flötistin. Beides zusammen erweckt dann wieder den Eindruck von agilen Beuteltieren in den ariden Teilen Australiens.
Dem Schlagwerk widmen wir uns als Zuhörer zu Beginn von „Shapes & Colours“. Doch allein bleibt Jens Biehl nicht lange, denn nach und nach steigen alle Bandmitglieder ins musikalische Geschehen ein. Sehr tragend ist dabei die Rolle der Bandleaderin, die es versteht, ihre Flöte durchaus in den Vordergrund des Geschehens zu stellen, unterstützt zeitweilig von Steffen Weber am Saxofon. Man hat dabei nicht den Eindruck, die aktuell im Jazz wenig vertretene Flöte hätte aufgrund ihres geringen „Resonanzraums“ keine Chance, zur Prägnanz einer Komposition beizutragen. Farbig ist das Stück auf alle Fälle, auch durch die Art des Ansatzes, mit dem Stephanie Wagner zu Werke geht. Dabei nutzt sie ihr Instrument auch als Stimm-Atem-Rohr, erzeugt Laute des Zischens und Schnalzens.
„Salsa Torcida“ bringt uns südamerikanische Gelöstheit und eine gehörige Portion feuriger Rhythmik näher. Die musikalischen Zügel liegen eindeutig in den Händen von Stephanie Wagner, die ihre Flöte auch mal schnurren und flirren lässt. Allerdings tragen auch alle anderen Bandmitglieder ihr Scherflein zur Abrundung der Salsa bei. Dabei darf auch das perkussive Element nicht fehlen, das Jens Biehl meisterlich beherrscht.
Abschließend noch ein Wort zu „All that Blues“. Bei dieser Komposition von Stephanie Wagner vermisst man keinesfalls eine E-Gitarre. Besonders gelungen ist das Duett zwischen der Bandleaderin und Steffen Weber. Im Hintergrund agiert Steffen Stütz am Fender Rhodes, ehe ihm Raum für ein Solo geboten wird. Ihn löst dann Stephanie Wagner ab, ganz bluesig.
Fazit: Endlich ist mal wieder die Flöte das Lead-Instrument in einer Jazz-Combo. Beinahe vergessen sind die Tage von Jeremy Steig, Paul Horn und Chris Hinze. Man darf hoffen, dass dieses Album von weiteren gefolgt wird.
© text ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Personality Records
http://www.siffling-productions.com/per/
Stephanie Wagner
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