Stefan Werni/Thorsten Töpp – Whale

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Tonkunst Manufaktur
Der E-Bassist, Kontrabassist und Komponist Stefan Werni aus Recklinghausen hat zwar das Tonwerk noch eingespielt und abgemischt, ist aber ganz unerwartet im Juni 2024 verstorben, also vor dem Erscheinen des Tonträgers.
Werni war nicht nur in der Jazz-Szene im Ruhrgebiet bekannt, sondern darüberhinaus. Als Musiker konzertierte er neben zahlreichen weiteren mit Sheila Jordan, Sabine Kühlich, Bill Elgart, Klaus Osterloh, Tony Scott, Charlie Mariano, Alex Conti, Manish Pingle, Theo Jörgensmann, Gerd Dudek, Deepsankar Bhattacharjee, Ack van Rooyen und Lee Konitz, u. a. bei den Leipziger Jazztagen, dem Jazzfestival Viersen, dem Jazzclub Unterfahrt München, dem Jazzkeller Frankfurt, im Olympiapark Atlanta/USA, in der Townhall Akkon/Israel und beim Jazzfestival Maastricht. Er war ein sehr geschätzter Sideman und war zudem auch mit seinem jüngsten Projekt, dem Europa 4tet, auf zahlreichen Bühnen zu hören.
Die vorliegenden Aufnahmen entstanden gemeinsam mit Thorsten Töpp. Töpp ist Komponist, Gitarrist, Improvisator, Hörspielautor, Theatermusiker und Veranstalter. Sein Kompositionsstudium erfolgte bei Heiner Goebbels und Wolfgang Rihm. Bislang entstanden acht Produktionen im Rahmen der Duisburger Akzente, aber auch Theatermusiken u. a. für das Schlosstheater Moers und das Theater an der Ruhr. Zu den Musikern, mit denen Töpp zusammengearbeitet hat, gehören unter anderem Stefan Werni, Vincent Royer, Korhan Erel, Liz Allbee und Josephine Bode. Töpp war Mitveranstalter beim TraumzeitFestival 2009-2011, beim Platzhirsch-Festival Duisburg seit 2013 sowie moers festival 2017 - 2022.
Was nun vorliegt sind weitgehend Improvisationen, die zwischen 2010 und 2024 aufgezeichnet wurden. Neben Stefan Werni und Thorsten Töpp sind Ludwig Schmidt (electric cello, electronics) bei „Rock Whale“ und Vincent Royer (viola) bei FarWhale zu hören. Auch wenn das Album nach dem plötzlichen Ableben von Stefan Werni erschienen ist, würde ich nicht von einem musikalischen Testament des Bassisten sprechen. Als die Aufnahmen entstanden, dachte wohl keiner der Beteiligten daran, dass das Leben auch schnell sein Finale findet.
Die Titel der Stücke evozieren die Vorstellung von Wal-Kommunikation, lassen auch an New Age denken, oder? Doch lassen wir uns mal jenseits solcher Assoziationen auf den musikalischen Fluss ein. „Whale I“ ist das Eröffnungsstück des Albums, auf dessen Cover man tatsächlich einen riesigen Meeressäuger entdeckt, inmitten einer blauschwarzen Tiefsee. Dunkles Rauschen und Brummen sowie Röcheln dringt an unsere Ohren. Windklang scheint auch beigemischt worden zu sein. Der Schwall des dunklen Rauschens wächst im weiteren Verlauf an. Hört man da nicht eine Art Oboen-Gebläse nebst kaskadierendem Wasser? Effekte flammen auf und vergehen. Hier und da muss man an Orkan-Winde denken, die an Wellblechdächern und an Stromleitungen zerren. Schriller Gitarrenklang blitzt kurz auf und vergeht im Off. Geräuschfluten schwappen durch den Klangraum. Hört man einen gestrichenen Bass? Derweil reizen Frequenzverschiebungen unseren Hörnerv. Bisweilen denkt man auch an Walgesänge, kehlig und begleitet von zartem Orgelklang, so der Höreindruck. Gitarrensaiten schwirren mit Tiefgang. Wüsste man es nicht besser, dann glaubte man Streicher wären an dem „Hörspiel“ beteiligt. Teilweise sind kristalline Klänge vorhanden sowie wimmernde und hochfrequente Laute. Und dann gibt es auch einen Ansatz von Melodielinien, die jedoch vom elektronischen Klanggemisch überlagert werden. Verzerrtes Glockengeläut und Saiten-Schwirren – oder was? Würde man nicht den Titel des Stücks kennen, so meinte man flackernde Nordlichter würden musikalisch begleitet werden, auch durch Bassklänge und elektronischen „Zikadengesang“.
Brodelndes ist auszumachen. Sphärenklang wird zugemischt. „Tinnitus-Provokationen“ sind vorhanden. Doch dann auch durchaus anmutige Klangfolgen auf der E-Gitarre. Ein Klangfluss ist das Resultat mit bewussten Saiten-Setzungen. Dialogisches gibt es zu entdecken, wenn man den Effekten folgt, derweil im Vordergrund ein Zwei-Ton-Schritt wiederholt anklingt. „Klangverwehungen“ nehmen wir wahr, die in ein Klangrauschen übergehen. Schräg-schrill sind manche Klangeinsprengungen. Nein, New Age ist gewiss anders. Und von Meditativem ist überhaupt nichts zu spüren. Man fühlt sich eher gefordert, klanglich provoziert bis zum letzten verhallenden Ton.
„Whale II“ entwickelt sich aus dem Off. Gebläse und rauschender Klang ist wahrzunehmen. Synth-Collagen scheinen im Fokus zu stehen. Klangliche Wellenlinien und Oszillierendes ist präsent. Ab und an interveniert der Gitarrist und setzt klangliche Akzente. Hochfrequentes durchzieht das Stück. Dabei denkt man an EWI oder einen modulierten Bläser wie ein Sopransaxofon. Doch diese Instrumente sind nicht die von Töpp und Werni gespielten. Ab und an muss man auch an Vogelstimmen denken, die in engen Frequenzverläufen aufgezeichnet wurden. Wispern nimmt man wahr und glockenhelle Klangmuster. Es knarzt und knarrt auch ein wenig. Klänge verwehen in Schwaden. Verantwortlich ist dafür der Gitarrist, der auch große Klangbögen kreiert. Deutlich wird, dass es bei dem vorliegenden Stück mittels Effekten mehr gibt als die Kompositionen von Jean-Michel André Jarre, oder?
Im Verlauf erleben wir klangliche Wildwasser und Kaskaden, die stetig hinabstürzen. Wie auch das erste Stücke ist das zweite eine vielschichtige Klangcollage. Dabei gleicht sie den Bildpunkten, die die Luministen einsetzten, um Lichteffekte festzuhalten. Klangtrab und Klang-Getrappel werden erzeugt, ein stetes Auf und Ab. Und gegen Ende hat man den Eindruck Klarinetten- oder Oboenklang ausmachen zu können, neben einem distinkten Röhren und hohen tonalen Ausschlägen.
Ähnlich „ausufernd“ im Klang und der Klangfächerung ist „Whale III“. Dabei scheint die Palette der elektronischen Effekte unerschöpflich. Sehr rockig kommt „RockWhale“ daher. Im weiteren Verlauf drängt sich der Eindruck auf, man höre eine Maultrommel und vielfältiges Geläut sowie die Musik von Beck, Lee und anderen „Legenden“ des Rocks. Wauwau und Gurgellaute sowie ein Gitarreninferno ist das, was das Stück zudem ausmacht. Mit „FarWhale“ – das hat Klangähnlichkeit mit „Farwell“ (Abschied) - endet das Album mit seinen klanglichen Farbexplosionen, die überzeugend sind.
© ferdinand dupuis-panther
Info
https://www.tonkunstmanufaktur.de/
Musicians
Stefan Werni - electric bass, electronics, double bass
Thorsten Töpp - electric guitar, electronics
Tracks
1 Whale I 16:36
2 Whale II 16:50
3 Whale III 21:44
4 RockWhale 06:44
5 FarWhale 01:25