Stefan Karl Schmid – Pyjama
S
Tangible Music
Helgi Schmid schreibt auf der Homepage des deutsch-isländischen Saxofonisten Stefan Karl Schmid: „PYJAMA heißt es also, das neue Album von Stefan Karl Schmid. Und man braucht nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, dass es auch in einem solchen komponiert wurde - vielleicht sogar aufgenommen? Statt hektisch morgens unter die Dusche zu springen, um akkurat in die Welt hinaus zu hetzen, wird erstmal leger der „Morgenmantel“ über die Schulter geworfen. Mit Kaffee in der Hand im eigenen Muff von der Traumwelt in die Welt der Musik geflüchtet!“
Die Welt – oszillierend zwischen der Fantasie der vergangenen Nacht und dem bevorstehenden Tag – bricht sich in „Pyjama“, ist Ausdruck des Tagesanbruchs.Nach einer Nacht scheinen die Gedanken noch frisch, nicht vom Tagesalltag verstellt, sodass Kompositionen wie „CNG“, „After my sleeping“, „Amigo“, „Ornette“ oder „Sleepwalking“ ihren Weg aufs Notenpapier finden. Und zum Schluss heißt es dann: „Point of view“. Übrigens, im Booklet erläutert Schmid die Beweggründe für die einzelnen Kompositionen und deren Inhalte. Selten genug geschieht das bei aktuellen Veröffentlichungen, die zumeist auf ein Booklet gänzlich verzichten. Die Musik soll für sich sprechen, scheint das Credo. Schmid macht hier dankenswerterweise eine rühmliche Ausnahme!
Dabei geht es Schmid um die Vereinigung orchestraler Fülle mit feinen Improvisationen. Daher stand am Anfang der kompositorischen Überlegungen die Frage der Instrumentierung und dann die Auswahl der Musiker.“Wichtig war mir, dass sie gut zusammen klingen und ausgewiesene Satzspieler sind, andererseits aber auch prägnante Solisten.“, so Schmid in einem weiteren O-Ton.
„Rise and shine(for Ylva) vermittelt mit seiner Pianoeinführung – am Klavier ist Pablo Held zu hören – etwas „Märchenhaftes“, das in der europäischen Klassik fußt. Anschließend nimmt sich das Orchestrale den Raum und das Harmonieinstrument Klavier tritt in den Schatten. Nein, nicht ungehemmter Aufbruch wird vermittelt, sondern ein achtsames Aufspüren, ein Abtasten, ein Suchen. In der musikalischen Inszenierung versteht es Schmid, die einzelnen Charaktere seines Oktetts herauszustellen, als Ersten die Posaunistin Shannon Barnett. Sie erhebt ihre Stimme, die wahrlich nicht die Ausgeburt von Leichtigkeit ist, sondern sich eher um Bodenhaftung kümmert. Das unterscheidet sie von Schmid selbst, der Tenorsaxofon spielt und klangliche Kondensstreifen malt, die sich auflösen. Da ist wirklich Dynamik ohne Rückversicherung im Spiel, also ganz das Gegenteil zu den Posaunenparts. Auf alle Fälle gelingt im ersten Stück der Einspielung bereits das Wechselspiel zwischen Soli und Tutti.
Noch den Schlaf in den Augen, die Bewegungen verlangsamt – daran muss man bei den ersten Takten von „After Sleeping“ denken.Weiche Klangdrehungen vernehmen wir nachfolgend. Auch die Bassposaune mischt sich ein, derweil die Bläser gemeinsam für Wohlklang sorgen. Getragen ist das, was wir hören. Ob dann Heidi Bayer oder Bastian Stein mit ihren Trompeten zu hören sind, wissen wir nicht, weil die solistischen Einlagen im Booklet nicht aufgeführt sind. Was wir hören, klingt tagträumerisch und noch nicht völlig ausgeschlafen. David Helm scheint mit seinem Bassgezupfe das Bild eines unsicheren, in den ersten Morgenstunden durch die Wohnung Schlurfenden einzufangen. Im Tutti wird ein weiteres Mal die morgendliche Frühe beschworen. Alles verharrt noch im Langsammodus.
Posaune oder Bassposaune – das fragt man sich beim Beginn von „Amigo“. Eine starke Rhythmisierung des Stücks ist nicht zu verkennen. Ansonsten lebt die Komposition weitgehend von der Färbung des Saxofons, deren Klangflächen über kaskadierendem Schlagwerk ausgebreitet sind. Erwartungen an rotierende Soli werden auch in diesem Stück nicht erfüllt. Es ist auch nicht so, dass man alleine die Rhythmusgruppe hört und dann als Gegenrede Trompeten, Saxofon und Posaune. Stattdessen gibt es Raum für Pablo Held, David Helm und Thomas Sauerborn als Rhythmusgruppe, um die melodischen Linien zu bestimmen. Doch alsbald greifen dann auch wieder die Bläser ein und ergänzen die Klangpalette.
Für „Ornette“, für den sich Schmid in den letzten Jahren musikalisch erwärmen konnte, nutzte Schmid als Komponist einige musikalische Schnipsel eines Solokonzert Ornette Colemans bei den Jazztagen Berlin im Jahr 1971. Dabei ließ Schmid die Rhythmusgruppe schweigen und interagierte mit den Bläsern, wobei er sich selbstgleichsam als musikalische Leitfigur einbringt. Seinen isländischen Hintergrund lässt der Saxofonist Stefan Karl Schmid in „Snillingur“ (isländisch für Genius) durchschimmern. Keine Frage, der Fokus liegt in diesem Stück durchaus auf Schmid und seinem Saxofonspiel, ohne allerdings die Spielräume für seine Mitspieler gänzlich zu verengen. Man höre nur mal aufmerksam auf das Trompetensolo.
Dass es in der Musik um Sichtweisen und Standpunkte geht, unterstreicht der Bandleader, Komponist und Arrangeur Stefan Karl Schmid mit dem Abschlusstrack: „Point of View“. Gedämpfter Trompetenklang eröffnet das Schlussstück. Beim Zuhören kommt das Bild eines regnerischen Novembertages auf. Eine gewisse frühe Winterschläfrigkeit klingt an. Dicke Nebelschwaden ziehen vorüber; Graupel fallen hernieder. Langsamkeit gewinnt an Boden, so verheißt es die (Bass)-Posaune, oder? Und auch die anderen Bläser verfallen bis zum Schlusstakt in einen winterlichen Duktus.
text © ferdinand dupuis-panther 2020
Informationen
http://www.stefankarlschmid.net/pyjama
www.tangible-music.net
Besetzung
Stefan Karl Schmid Tenorsaxophon
Heidi Bayer, Bastian Stein Trompete
Shannon Barnett Posaune
Mattis Cederberg Bassposaune
Pablo Held Piano
David Helm Bass
Thomas Sauerborn Schlagzeug