Stefan Bracaval / Pierre Anckaert - Ephémère
S
Waakvlam
Den Hörer erwartet bei diesem Album klassisch geprägte, konzertante Musik. Das wundert nicht, denn der aus Mechelen stammende und in Antwerpen lebende Stefan Bracaval ist ein in klassischer Musik ausgebildeter Flötist. Teilweise kann man bei dem Album von romantisch bzw. neoromantisch geprägter Musik sprechen, auch wenn es dank ausgefeilter Improvisationen Jazz ist, den wir erleben. Präsentiert wird das Album von einer Formation, die als intim angesehen werden muss. Beide Musiker müssen in einem Duo ständig Präsenz zeigen und das tun sie auch. Nein, um es vorwegzunehmen, die Musik nimmt nicht Flötenmusik auf, wie wir sie von Jethro Tull, Jeremy Steig oder Herbie Mann kennen, sondern folgt eigenen Mustern. Dabei ist auch das sehr akzentuierte Pianospiel von Pierre Anckaert nicht zu unterschätzen, wenn es um die Klangfärbungen und die verschiedenen musikalischen Facetten geht. Pierre Anckaert besticht durch die Leichtigkeit des Spiels ebenso wie Bracaval an seinem Instrument. Kristallines trifft dabei auf Transparenz. In der Musik liegt nichts Schweres. Statt dessen umwehen uns warme Klangwinde. Es sind zudem Klänge zu vernehmen, die sich verfeinern. Tonsilben gleichen Schwebstoffen, die sich verflüchtigen, die nur im Moment existieren, die kurzlebig sind, so wie sich das auch im gewählten Titel fürs Album widerspiegelt.
Mit dem Stück vom vergehenden Tageslicht machen die Musiker ihr aktuelles Album auf. Was Anckaert uns dabei präsentiert, hat etwas Zerbrechliches, konzentriert sich zunächst auf Diskantes. Das Klavierspiel wird im weiteren Verlauf mehr und mehr akzentuiert. Darüber setzt der Flötist seine Klangspuren, die im nächsten Moment verweht werden. Man könnte das Bild eines warmen Saharawindes wählen, um die Musik zu beschreiben, die der Flötist zum Besten gibt. Das Bild vom im Wind hin und her flatternden Papierdrachen oder eines in der Thermik segelnden Paragliders passt außerdem sehr gut zum Gehörten. „Ephémère“ hat teilweise etwas von einer Etüde. Man mag beim Hören auch an Barockmusik denken, an einen Tanz jener Epoche, ob Allemande, Courante, Sarabande oder Gigue. Zudem meint man, dass auch Herr Bach im Geiste durchaus anwesend ist, jedenfalls auf Zeit. Übrigens, beide Musiker lassen die musikalischen Linien nicht als wässerig erscheinen, sondern setzen durchaus Höhepunkte. Dabei vernehmen wir nicht nur Flötenhauch, sondern auch Flötenflirren.
Ist das Stück „Bateau Lavoir“ eine Hommage an ein Haus auf dem Montmatre, das zu einem Künstleratelier wurde? Dieses nutzte auch Picasso, aber nicht nur er, sondern auch namhafte Künstler wie Kees van Dongen, Otto Freundlich, Pablo Gargallo, Juan Gris, Max Jacob und Amedeo Modigliani. Lauscht man der Musik, so gewinnt man den Eindruck, diese würde die Kunst besingen, die in diesem Haus entstanden ist. Die Entwicklung dieser Kunst verlief wohl nicht gradlinig, folgt man dem Auf und dem Ab, das sich im musikalischen Vortrag niederschlägt. Mit weiteren Weichzeichnungen sind die beiden Musiker im Weiteren zu erleben, wenn wir nämlich „Hope“ hören. Dieses Stück vereint, so der Eindruck, die Qualität eines guten Popsongs mit verwischtem Funk und Blues, oder? „Hoffnung“ ist mitnichten ein aufgesetzter Tracktitel, sondern die Musik spiegelt das wider, auch im Solo des Pianisten, der dabei auch die Basshand nicht vernachlässigt. Hört man da nicht auch im Hintergrund Perkussives?
Zu Beginn klingt es bei „Giono“ so, als würde Eis klirrend brechen. Doch dann übernimmt der Flötist das musikalische Zepter, und wir folgen gebannt weichen Linien der Melodie. Samten und seiden klingt das, was wir hören. Ab und an meint man gar Harmonien aus Songs der Beatles herauszuhören, oder? Und was stellt uns der Pianist vor? Nocturnes oder Etüden? Balladenhaft geht es in „Opale“ zu. Auf alle Fälle ist auch dieses Stück sehr lyrisch ausgeformt wie auch andere Kompositionen, die in dieses Album Eingang gefunden haben. Rotierendes spielt der Pianist auf seinen schwarzen und weißen Tasten, vor allem in den Basslagen. Doch der „Maelstrom“ ist nicht nur das, sondern auch die Drehungen und Wendungen, die der Flötist verantwortet. Der Malstrom ist nicht nur bedrohlich, sondern scheint auch etwas Liebliches an sich zu haben. Das meint man angesichts der Flötensequenzen. Nur ungewöhnlich ist das schon, vergegenwärtigt man sich die Definition dieses Phänomens, das man als Gezeitenstrom zwischen zwei Lofoteninseln beobachten kann. Kennzeichnend sind dabei starke Wasserwirbel. Nur in Legenden gibt es fiktive gefährliche Wasserwirbel – und diese manifestieren sich im Spiel von Pierre Anckaert. Nach einem Stück über die schwarze Katze – vielfach für Unglück und Unheil stehend – folgt dann als Schlusspunkt des sehr kontemplativen Albums „Drifting Canyon“. Im Gegensatz zu anderen Stücken des Albums vernimmt man hier als instrumentale Ergänzung eine akustische Gitarre und eine Harmonika, ohne dass beide in den Modus von Country oder Folk Music verfallen.
© fdp2023
Line-up
Stefan Bracaval
flute & bassflute (tracks 6 & 9) /additional guitar (track 12)
composer (tracks 3, 4, 6, 8, 9,11)
https://www.stefanbracaval.com
Pierre Anckaert
piano / additional harmonica (track 12)
composer (tracks 1, 2, 5, 7, 10, 12)
https://www.facebook.com/pierre.anckaert.5/
Tracks
1 Dying Daylight
2 Ephémère
3 Bateau Lavoir
4 Hope
5 Giono
6 Opale
7 L'enchanteur
8 Maelstrom
9 Willow
10 Churching
11 Le Chat Noir
12 Drifting Canyon