Simon Kanzler's Talking Hands: Dialogue
S
Unit records, UTR 4579
„Dialogue“ ist das zweite Album von Simon Kanzler und Band. Dabei trägt das Album genau den Titel eines Albums, das vor genau 50 Jahren von Kranzlers Instrumentalkollegen Bobby Hutcherson veröffentlich wurde. Daraus darf man allerdings keine stilistische Nähe zum Blue Note-Pionier ableiten. Das Vibrafon ist bei beiden Musikern, Hutcherson wie Kranzler, nur ein Element eines Ganzen. Das ist die Gemeinsamkeit.
Kranzlers Kompositionen wären nichts ohne den Saxofonisten Otis Sandsjö, den Posaunisten Geoffroy De Masure sowie die beiden Mitstreiter seines ersten Talking-Hands-Albums Igor Spallati am Bass und Tilo Weber am Schlagzeug. Minimal Music und Neue Musik sowie Elektronik und Gegenwartsjazz treffen bei Kranzler und Konsorten aufeinander. Deutlich wird bei diesem Album, dass es eben kein Vibrafon-Album mit Bandumgebung ist. Vielfach gibt das Vibrafon die Grundierung bei, ab und an ist auch mal ein kurzes Solo zu hören. Keineswegs steht jedoch das Vibrafon wie bei Milt Jackson, Gary Burton oder Lionel Hampton im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens. „Dialog“ heißt für Kranzler Vermittlung zwischen Gegensätzen, zwischen Klangfarben und Klangbrüchen.
Gleich dreimal befasst sich das Quintett um Simon Kranzler mit dem Thema Zoom und zweimal mit „very slow“, also mit dem Nahblick und der Langsamkeit. Dabei hat man den Eindruck, die Musiker kommen bei „Zoom I“ aus dem Off. Saxofon und Posaune dominieren die Komposition „x-1“. Geht es dabei etwa um höhere Mathematik? Möglich wäre es. Oder zielt das auf die Stimmlagen ab, die zu hören sind? Jedenfalls gibt sich der Vibrafonist in seinem Spiel meist hintergründig. Dabei sind ihm die Phrasierungen des Saxofons und der Posaune eine gewisse Orientierung. Ostinato ist angesagt, wenn die Schlägel die Metalle zum Schwingen bringen. Solistisch brilliert in dieser Komposition von Simon Kranzler das Saxofon. In „Perception of Time“ ist es an der Posaune, die Hörfarbe zu dominieren. Schlagwerk, Bass und Vibrafon begnügen sich mit der Rolle eines schmückenden Beiwerks. Neben der Posaune bemüht sich auch das Saxofon um die Wahrnehmung der Zeit und man denkt dabei hier und da an das Schlagen einer Turmuhr und das nervöse Ticken eines Sekundenzeigers.
Namensgebend für das Album ist das Stück „Dialogue“. Fürwahr, es gibt Dialoge, zunächst zwischen Saxofon und Posaune, dann zwischen Bass und Vibrafon, ehe sich dann ein Vierergespräch entwickelt. Jedenfalls flammt ein solches Gespräch für einen Moment auf. Rede und Gegenrede liegt dann wieder in den Händen des Posaunisten und Saxofonisten, folgen wir dem Stück in seinem Verlauf. Man denkt auch an eine Arbeit von Joseph Beuys, in der ein Jasager auf einen Neinsager stößt. Es handelt sich um eine audioskulpturale Arbeit im Besitz der Berliner Neuen Nationalgalerie mit dem Titel „Ja Ja Ja Ne Ne Ne“.
Hören wir nach diesem Dialog noch in „Raindrops“ hinein und lauschen, ob es wirklich bei Kranzler und Konsorten regnet. Ja, dicke Tropfen fallen – dank sei dem Vibrafonspiel von Simon Kranzler. Danach jedoch entwickelt sich eher strichweise Regen, beachtet man die Phrasierungen von Posaune und Saxofon. Bedächtigkeit ist vorherrschend, so als wäre das Leben aus dem hektischen Alltagsmodus gefallen. Der Bass lässt dann im weiteren Verlauf der Komposition dicke Tropfen auf den Asphalt platschen, während die Wolken weiterziehen und der Wind auffrischt – so jedenfalls könnte ein Bild aussehen, dass tonal vom Saxofon gezeichnet wird.
© ferdinand dupuis-panther
Informationen
Label
Unit Records
www.unitrecords.com
Musiker
Simon Kranzler
http://www.simonkanzler.de/