Sebastian Schunke & Diego Pinera - Elusive Beauty (FDP)
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Connector/In-akustik
Sebastian Schunke, der den Ruf als Visionär des Latin Jazz hat, geht auf dem aktuellen Album musikalisch der Schönheit nach, der verborgenen Schönheit, übersetzt man den Titel des Albums. Nach Zeiten, in denen Schunke Latin Jazz und europäische Klassik sowie progressiven Jazz für sich auslotete, wollte er mit dem aktuellen Album einen Schnitt vollziehen: „Ich wollte das Klavier für mich neu erkunden und nicht limitiert sein, sozusagen grenzenlos“.
Für die Aufnahmen verzichtete er auf einen Bassisten, der eigentlich im Latin Jazz als der wichtige Pulsgeber gilt. Dafür eroberte er sich die Tiefen des Klavierregisters, stellte diese frei, ohne in Konkurrenz zum Kontrabass treten zu müssen. Noch etwas ist auffällig: die Duette mit dem Schlagzeuger Diego Pinera. Von den sieben Stücken des Albums sind vier auf Klavier und Schlagwerk fokussiert, durchaus in minimalistischer Absicht, um sich im Klangumfang und Einfärbungen zu begrenzen.
Noch eine höchst seltene Klangkombination präsentiert Schunke. Neben singenden Steel Drum, Timbales, Pauken oder unzähligen Becken ist zudem der Bassklarinettist Benjamin Weidekamp zu hören, der unter anderem mit Anthony Braxton und Gebhard Ullmann zusammenarbeitete. Außerdem hören wir noch die Bratschistin Yodfat Miron und die Cellistin Boram Lie, die jenseits gängiger Streichermuster agieren.
Mit „Rhapsodie No 3 – Alles im Fluss“ beginnt das vorliegende Album, das zudem Kompositionen wie „Her Dance“, „Einsamkeit“ und „Rhapsodie No 4 – Crazy Danzón“ beinhaltet.
Die Eröffnung erscheint von den Harmonien her düster, beinahe in ein Wagnersches Gewand eingehüllt, ehe dann hier und da diskante Register zum Tragen kommen und bei der „Rhapsodie 3 – Alles im Fluss“ für zeitweilige Aufhellungen sorgen. Nervöses Klicken und Ticken als perkussive Elemente sind obendrein wahrzunehmen. Die Basslastigkeit nimmt ihren Lauf. Es fließt, bedrohlich-brodelnd muss man anfügen. Zugleich meint man, man nähere sich einem riesigen tosenden Wasserfall, der über mehr als hundert Meter in die Tiefe schießt. Vorher sind noch Stromschnellen zu meistern. Hier und da steht ein natürliches Hindernis im Weg – im Diskant deutet Sebastian Schunke das m. E. an. Wir erleben Verstetigungen und wiederholte Akkordfolgen, aber auch Brüche, Einbrüche, schrille Signaltöne neben der Basslastigkeit. Zwischenzeitlich blitzt auch „Latin Fever“ auf; Salsaleidenschaften scheinen in einem Intermezzo nahe. Doch dann fällt die Linie der Komposition zurück in den Bassmodus gepaart mit ein wenig Free Jazz.
Der Drummer Diego Pineda eröffnet die Komposition „Einsamkeit“ mit Blechwirbeln, die von kurzen Pausen unterbrochen werden. Zaghaft erscheint das Tastenspiel von Sebastian Schunke. Es klingt so, als würden Tropfen von der Decke einer Tropfsteinhöhle hinabfallen. Kleine Klangpfützen bildet Schunke nach und nach aus, derweil Pineda die Felle seines Schlagwerks wischt. Gedrückt scheint die Stimmung. Schwere liegt in der Musik.
Auch und gerade durch ein Arrangement mit Streichern und Bassklarinette vermitteln „Back to Life Part I“ und „Back to Life Part II“ den Eindruck von Trübsal, von Verzweiflung, von Schmerz, von Not. Würde man Dokumentaraufnahmen von den Schützengräben und den westflandrischen Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs musikalisch unterlegen wollen, böten sich beide Kompositionen wohl durchaus dafür an,oder?
Dieses Changieren zwischen Basstiefen und Diskant, zwischen spitzen und selektiv gesetzten perkussiven Momenten, findet sich in der „Rhapsodie 4 – Crazy Danzón“. Verrückt scheint hier wenig, auch wenn nach und nach die Bassbehäbigkeit abgebaut wird und sich „hüpfende Klangfolgen“ einstellen. Was allerdings deutlich im Titel der Komposition zum Ausdruck gebracht wird, ist der Bezug zu einem französischen Gesellschaftstanz, der eine Vierteilung Schema AB-AC-AD-AE ausweist. In der kubanischen Form werden bekannte Melodien aus Liedern, Hymnen, Opern zitiert und dann variiert. Doch Schunke scheint sich gänzlich von einem derartigen Schema losgemacht zu haben.
Beinahe an ein Requiem scheint sich die Komposition „Der Gedanke“ anzulehnen. Musik zu Totensonntag und zum Volkstrauertag vernehmen wir, so der Eindruck. Zum Schluss hören wir dann „Her Dance“, eine Komposition, die keine überbordende Freude zum Ausdruck bringt, sondern eher Düsternis und Seelenqual beschwört, oder?
Text: © ferdinand dupuis-panther – Der Text ist nicht public commons!
Informationen
www.termidor.com
Besetzung:
Sebastian Schunke – piano, composition
www.sebastianschunke.com
Diego Pinera – drums
http://www.diegopinera.com/
Benjamin Weidekamp – bass clarinet
http://www.benjaminweidekamp.de/
Boram Lie – Cello
https://www.deutschestheater.de/ensemble/boram_lie/
Yodfat Miron - Viola