Sandro Sáez Trio – No Perspective
S
hey!blau Records
Von keinem Geringeren als dem us-amerikanischen Jazzpianisten Richie Beirach stammen die nachfolgenden Zeilen: „Sandro Sáez is an excellent creative individual jazz composer! He already has his own style of writing, this is a big thing! He clearly has his own way of using the contemporary jazz vocabulary, and it's not just limited to his writing. Also he has developed his own style of playing and improvising within the jazz language. His piano technique is very good, he sounds like he can play whatever he hears. He seems to have a very comprehensive ability for creativity in his solos."
Und über diesen besagten Sandro Sáez lesen wir obendrein: “Er durfte in seinen jungen Jahren schon mit international bekannten Künstlern wie Ben van Gelder, Doug Weiss, Randy Brecker und Kit Downes Konzerte spielen und Alben einspielen. … Er durfte schon an internationalen Touren in Deutschland, Dänemark, Schweden, Litauen, Estland, Lettland und Polen teilnehmen mit den Projekten „Nordsnø Ensemble und „The Collective Abroad“, in denen er überwiegend als Sideman tätig ist.“ Nun legt er sein Debütalbum als Bandleader vor.
„No Perspective“ macht den Anfang auf dem Album. Der Erzählfluss mäandriert zwischen dramatischem und lyrischem Modus. Wir hören einen dramatischen Anfang, der an Deichbrüche und Wassermassen denken lässt, also auch an Momente des Zerfalls, ehe dann eher lyrisch ausgerichtete Passagen das musikalische Geschehen bestimmen. Entführt uns Sáez mit „Osrams Chimneys“ auf einen Stadtbummel zur Berliner Industriegeschichte? Ausladend ist das Tastenspiel des Pianisten. Neusachliche Stadtansichten von Grosz und anderen scheinen im Hintergrund aufzublitzen. Hier und da wandelt sich das Stück in Richtung auf Melodramatik für Bruchteile von Momenten. Dachte Sáez beim Komponieren des Stücks an Vertonung von Berlin-Bildern aus den 1920er Jahren? Vielleicht? Auch in diesem Stück nimmt man Dramatik, eine brodelnde Dramatik wahr. Unter Umständen werden dabei die modernen Arbeitswelten, wie sie einst die Maschinenglasfabrik Osram verkörperte, eingefangen. Über Jahrzehnte hieß es bei Osram: „Feuer, Sand und Quarz“. Rund um die Uhr wurden in diesem Unternehmen Glasrohre für verschiedene Leuchten gezogen. Die Produktion erfolgt heute sowohl in den denkmalgeschützten Glaswerken von Architekt Waldemar Pattri als auch in den zahlreichen Erweiterungsbauten aus den 1970er-Jahren. Und der Höreindruck ist der moderner Zeiten der Industriekultur, Begleitmusik zum Prozess aus Glas Leuchten zu formen. Bilder von Chaplins „Modern Times“ drängen sich zudem auf, oder?
Mit „Sorry For my Language“ setzt das Trio seine musikalische Exkursion fort, dabei lyrisch ausgeformt und mit einem deutlichen Anteil des Bassisten Niklas Lukassen am musikalischen Geschehen. Daneben dringen kristalline Klänge, aber nicht nur diese ans Ohr des Hörers. Fokussiert ist der Hörer in diesem Stück, in dem sich der Pianist auch dem Diskant zuwendet, eben auf den Tastenspieler des Trios. Stets scheint das Trio in seinem Spiel auf eine dramatische Inszenierung mit einem Höhepunkt ausgerichtet. Auch in „Deep Down – When will it be“ kann man aus dem musikalischen Geschehen eine Konfrontation von Dramatik und Lyrik herausfiltern. Energiegeladene Setzungen vermischen sich mit Kaskadierungen. Alles scheint im steten Fluss und dabei nicht aufzuhalten, so signalisiert es Sáez in seinen Klaviersequenzen; dabei in dem temporeichen Spiel unterstützt von seinen Mitspielern, darunter Nathan Ott am Schlagwerk. Man achte mal auf dessen sehr behutsamem Spiel an Toms und Becken. Ott entwickelt dabei auch eine Art Klangfluss der eigenen Art. Im Weiteren plätschert die Musik nicht dahin, sondern ist beseelt von klanglichen Wendungen. Leise Töne, die vergehen, sind auch zu hören, ebenso wie „verhaltenes Crescendo“. Fäden des Klangs werden gesponnen, fallen gelassen und wieder aufgenommen.
In „Bundy’s Bug“ gibt es Klangumsetzungen, die dem rotierenden Wasserfluss eines Wehrs entsprechen. Und dann erleben wir außerdem klassische Jazzpassagen, wie wir sie von diversen Standards des American Songbooks kennen. Dabei swingt die Musik ohne Frage. Bezieht sich „House of Cards“ auf eine Netflix-Serie? Wir müssen darüber spekulieren, denn auf dem Albumcover findet sich keine Erläuterung. Zudem gibt es kein Booklet-Text, der uns aufklären könnte. Thematische Wiederholungen, kurze Klangsilben, stehen am Anfang und verstetigen sich. Man könnte im Verlauf von Galoppsequenzen reden, aus dem „Klangtrab“ heraus entwickelt. Der Schlussakkord wird mit „Evil Gentlemen“ gesetzt.
© f. dupuis-panther
Besetzung
Sandro Sáez (Klavier/Komposition)
Nathan Ott (Schlagzeug)
Jazz'halo interview
Niklas Lukassen (Bass)