Samuel Blaser/Marc Ducret - Audio Rebel
S
Blaser Music
In den Liner Notes zur Veröffentlichung des Duo-Albums „Audio Rebel“ lesen wir: „Audio Rebel, the digital imprint’s first release, is an artifact of Blaser’s first Brazilian tour. In 2013 he and French guitarist Marc Ducret were invited to play at Sesc São Paulo, a cultural center that serves the nation’s biggest city, and scheduled two other gigs around it. This recording is taken from the third, which took place at the intimate studio and concert space, Audio Rebel, in Rio De Janeiro. It reveals the essence of a partnership that began in 2009, appropriately enough, with a duo concert, and has been further documented by three CDs on Hat Hut Records.“
Der Titel des Albums klingt ambitioniert, klingt nach Aufruhr, Aufschrei, Kampf, nach Rebellion, nach akustischer Rebellion zumindest, geführt von einem Blechbläser und einem Saitenvirtuosen. Vereint sind dabei der französische Gitarrist Marc Ducret und der aus der französischsprachigen Schweiz gebürtige Posaunist Samuel Blaser. Dieser wurde in La Chaux-de-Fonds geboren, nicht gerade ein Hotspot der aktuellen Schweizer Jazzszene. Bekannt unter Jazzern wurde die Stadt jedoch durch die Tatsache, das sie Heimat für die us-amerikanischen Musiker Sidney Bechet und Kenny Clarke sowie den Schweizer Posaunisten Raymond Droz war. Blaser, der augenblicklich in Berlin lebt, verbrachte auch eine ganz wesentliche Zeit in New York City. Von Kindesbeinen an nahm Blaser Posaunenunterricht. Darüber sagt der Musiker: “Couldn't go past third position and had to have a trolley to carry trombone because it was too heavy." Mit 14 Jahren besuchte er das städtische Konservatorium und graduierte sieben Jahre später. Zu den zahlreichen Auszeichnungen seither gehörte im Jahr 2000 der Benny Golson Prize. Zudem gewann er nach dem Studium in den USA den J.J. Johnson Prize, den Public Prize und wurde 2006 beim Fribourg Jazz Festival als Jury's Favorite Player ausgezeichnet.
Marc Ducret ist Gitarrist und Komponist. Dabei ist er als Gitarrist ein Autodidakt. In seiner künstlerischen Karriere arbeitete er mit Tim Berne sowie Daniel Humair, Michel Portal, Joachim Kühn, Henri Texier, Dave Friedman, Andy Emler, Adam Nussbaum, Didier Lockwood und anderen Musikern der gegenwärtigen Jazzzunft zusammen. Zudem war er Mitglied vom Orchestre National de Jazz. Unter seinen Veröffentlichung sind beispielsweise Nachstehende zu nennen: 2015 „Equal crossing“ mit Régis Huby, 2013 „Extension des Feux“ mit Journal Intime, 2012 „As The Sea“ (Hat Hut Records) 2011 und „Boundless“ (Hat Hut Records) mit Samuel Blaser.
Tieftöniges, teils nervöses Gebläse nehmen wir in „Audio Rebel“ wahr. Auch ein Wah-Wah ist auszumachen. Dazu werden scharfkantige Akzente durch den Gitarristen gesetzt. Linear ausdifferenziertes „Gebläse“ trifft anschließend auf rhythmisiertes Saitenflirren. Auch verhaltene Passagen finden sich im Eröffnungsstück des Albums. Verhallende Signalklänge gepaart mit Wah-Wah und Bassgemurmel dringen zudem ans Ohr des Zuhörers. Kristallines vermengt sich mit Überschlägen und trifft auf einen kehligen Brustton. Im weiteren Verlauf nimmt das Stück eine durchaus temporeiche Dramatisierung. Ein Vorwärtsdrall steht hinfort im Fokus. Darin vereinen sich beide Musiker, jeder in seinen Klanglagen. Dialogisches ist deutlich erkennbar. Verschleifungen und Verknotungen präsentieren Blaser und Ducret obendrein. Letzterer ist auch mit einem gewissen Saitenstakkato unterwegs, derweil sich Blaser in gehauchten Luftströmen verliert. Danach holt er „klangfarbene“ Wellenbänder zum Vorschein, lässt seinen Blechbläser auch mal in höheren Lagen schwelgen, verlässt also die Komfortzone von Bariton und Bass. Dazu reißt Ducret Saiten an, die im Klang wie eine bespielte Wasserglasorgel klingen.
Nein, Salsa und Bossa spielen bei „Rio“ keine Rolle. Defragmentierte Saitenklänge stehen zumindest zu Beginn im Vordergrund. Im Hintergrund vernimmt man, so glaubt man, dunkeltönige Nebelhörner, die übers Wasser schallen, nicht anderes als das erdfarbene Posaunengebläse von Blaser. Als Kontrapunkt lässt Ducret die Gitarre in höchsten Tönen langatmig wimmern und heulen. Zwischendrin hat man den Eindruck, die Gitarre würde einem Sinusgenerator Konkurrenz machen. Oszillierend sind die Sequenzen, die Ducret spielt. Dabei gibt es durchaus eine Nähe zur Musik von Hendrix und anderen Musikern der Rockszene der 1970er Jahre, oder? Ducret versteht sich dabei auch durchaus auf das Melodiöse. Zweistimmigkeit ist in gewisser Weise angesagt. Mit vollem Klangschwall setzt Blaser anschließend das Stück fort und drängt Ducret in die Begleitstimme. Beim Zuhören hat man den Eindruck, musikalisch werde eine suchende Bewegung umgesetzt. Irgendwie scheint der Weg vorbestimmt und doch unbekannt, der klanglich zu begehen ist. Wer schon mal das Lichten von Bodennebel beobachtet hat, findet darin das angemessene Bild für die Höreindrücke.
Durchaus auch auf urbanen Blues fokussiert ist das nachfolgende Stück „L'ampleur des dégâts“. Bei den Bläserpassagen muss man hier und da an die Musik der Brecker Brothers, aber auch an Chicago und Earth, Wind and Fire denken, sprich an das Genre Rock Jazz denken. Bisweilen hört man vermeintlich keine Posaune, sondern eine vibrierende Trompete. Für die rhythmischen Beigaben sorgt in Ermanglung eines Drumsets der Gitarrist Marc Ducret. Doch auch die melodischen Schraffuren werden im Weiteren vom Gitarristen gezeichnet. Ausgiebig sind die Saltos der Phrasierungen, derweil das monoton erscheinende Thema von Blaser angestimmt wird. Schließlich ahmt Ducret auch ein Berimbau nach, oder?
Nahtlos ist der Übergang zu „La voie grise“. Bei den ersten Takten überwiegt das Songhafte, wenn nicht gar das an Popmusik Angelehnte. Zugleich klingt die Musik auch wie ein traditioneller irischer Folksong, oder? Nach „São Paolo“ und „Cabo Frio“ heißt es abschließend „l’Ombra di Verdi“ und man fragt sich, wo und ob denn Verdi mit seinen bekannten Kompositionen durchscheint. Man denkt bei den Passagen von Blaser eher an Waldhorn-Gesang und an Händel, oder? Verspielt umgarnt der Gitarrist die dunklen Tönungen von Blaser, der sich klanglich in Herbstfarben ergeht. Auch ein wenig R&B dringt an unser Ohr, Dank an Marc Ducret. Am Ende verlieren sich die Klänge schlussendlich im Off.
© ferdinand dupuis-panther
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