Sam Sadigursky: FOLLOW THE STICK

Sam Sadigursky: FOLLOW THE STICK

S

Brooklyn Jazz Underground Records, BJUR 056

Der Klarinettist Sam Sadigursky – erspielt auch Bassklarinette (sic!) - hat sich für das aktuelle Album mit folgenden Musikern zusammengetan: Chris Dingman [vibes, marimba], Bobby Avey [piano] und Jordan Perlson [drums, percussion]. Als Gäste sind Jason Palmer [trumpet, 2, 5, 9, 13] und Ljova [viola, 7] zu hören.

Mit dem schnellen Geld („Fast Money“) und einer Perlenkette („String of Pearls“) werden wir zunächst konfrontiert, ehe wir zum Tanzen aufgefordert werden: „To the Dance“. Die politische Losung vom „Gürtel enger schnallen“ nimmt Sam Sadigursky in ganz eigener Weise in „Austerity Measures“ musikalisch auf. Schließlich klingt das aktuelle Album mit mathematischer Musik („Math Music“) aus.

Nachfolgend ein O-Ton des Bandleaders zu seinem aktuellen Bandprojekt: “Dieses Album ist gewissermaßen das Produkt einer natürlichen Entwicklung – in technischer wie auch in kreativer Hinsicht. Schon als Kind habe ich Klarinette gespielt. Mein Vater ist ein klassisch ausgebildeter Klarinettist und Akkordeonspieler aus der Sowjetunion, der heute meist Klezmer und osteuropäische Volksmusik spielt. Und zu mir hat er einmal gesagt, einer seiner Träume sei, Jazzklarinette zu erlernen, weil er diese Musik
schon immer geliebt habe … Mich hat dieses Instrument dann vor ungefähr fünf Jahren so richtig gepackt – seitdem gebe ich fast meine gesamten Energien dort hinein und sie ist meine Stimme als Instrumentalist.
Darüber hinaus entdecke ich auch heute noch immer die unglaublichsten Folk-Traditionen, die von der Klarinette bestimmt werden - ein Rätsel, dass sie bis heute so unbeachtet sind.“

Signalisieren Drums und Pianokaskaden bei „Fast Money“ nicht den immerwährenden Geldfluss und, die globalen Geldströme oder auch, das Zählen der Münzen in einer Geldzählmaschine? Man könnte es mit einiger Vorstellungskraft durchaus so deuten. Danach singt die Klarinette im zeitweiligen Duett mit dem Vibrafon das Hohelied des Geldes, ehe dann der rasante Geldstrom akustisch an unserem Ohr vorbeizieht. Zeitweilig hat man aber auch das Bild sogenannter einarmiger Banditen vor Augen, die mit allerlei bunten Bildchen und akustischen Reizen Menschen dazu verführen, ihr Geld auszugeben. In einigen Passagen meint man gar, Sam Sadigursky verwandle sich in einen Rattenfänger, der seine Schäfchen mit dem verführerischen Klang seines Holzbläsers umgarnt. Ist es am Ende der Weg in den Ruin?

Mit energischem Duktus agiert der Pianist Bobby Avey nach der Intro, die dem Vibrafonisten Chris Dingman vorbehalten ist. Doch dann spielt sich deutlich Sam Sadigursky in den Vordergrund. Oh, hat sich Sam Sadigursky nachfolgend an Harmonien von Glenn Miller bedient? Der Eindruck drängt sich meines Erachtens streckenweise auf, auch wenn immer wieder die Phrasierungen der Klarinette diesen Eindruck durchbrechen. Schließlich gibt es einen leichten Bruch in der Hörfarbe, wenn Jason Palmer mit seinem Trompetensolo den Klangraum übernimmt. Eine Klangkaskade folgt auf die nächste und dann, ja dann, scheint wieder Glenn Miller sehr nahe. Der Song ist mir im Ohr, aber welcher war es denn noch gleich – das ist die Frage?

Sehr bedächtig-lyrisch kommt der Song „3+2“ daher. Vor unserem geistigen Auge drehen sich Paare auf dem Parkett des Tanzbodens. Walzer oder was? Wange schmiegt sich an Wange. Das ändert sich erst, als Sam Sadigursky seine Klarinette ein wenig jubilieren lässt und dann Chris Dingman die metallischen Klangstäbe zum Schwingen bringt. Dann hat man eher die Vorstellung, man sitze an einer Brunnenanlage und schaue dem Wasserspiel zu. Fontänen, kleine wie große, schießen in den Himmel. Wassertropfen fallen auf die Wasseroberfläche und verursachen ringförmige Wellen. Schließlich kehren wir dann doch wieder in den Tanzsaal zurück, wenn Sam Sadigursky das musikalische Zepter in die Hand nimmt. Das geschieht sehr sensibel und hat gar nichts mit der „Allmacht“ des Dirigierstocks zu tun, der als Bild im Albumtitel eine Rolle spielt. Als „Stick“ wird jedoch nicht nur der Dirigierstock bezeichnet, sondern auch die Klarinette mit der eher negativen Begrifflichkeit „Lakritzstange“ - von der Farbe des Instruments her durchaus naheliegend. Hören wir, was der Bandleader dazu zu sagen hat: „Ich mag diesen Doppelsinn, den sehr rauen, fast schon groben Klang dieser Begriffsnutzung wirklich sehr. Ihre Direktheit und ihre kuriose Andeutung einer diktatorischen Struktur, wenn es um den Bezug zum Dirigenten geht. Das alles steht im krassen Gegensatz zum „wirklichen Musikmachen” in einer Band – so wie wir es erleben. Und gerade d a r u m heißt diese Band jetzt so: Follow The Stick Band!”

In einem sehr fein abgestimmten Duett von Klarinette und Trompete, in das dann die anderen Instrumente einfallen, liegt der Charme von „Do the Dance“. Dabei scheint es eine Art Refrain zu geben, der Aufforderungscharakter hat: „Do the Dance“. Versucht sich da nicht auch der Schlagzeuger als eineArt Tap-Dance-Imitator? Nicht zu überhören ist die Klarinette, die aufquellende Klangwolken vor sich herschiebt. Diese füllt nachfolgend die Trompete mit ihren eher spitzen Klangformen. Anschließend geht es fast ekstatisch zu, so als würde sich ein Tanz auf dem Vulkan abzeichnen.

Hohe weiße Tasten werden angeschlagen. Eine Basslinie wird dazugespielt. Das ist der Auftakt zu den „tödlichen Sünden“ („Deadly Sins“). Die Entwicklung des Songs liegt in den ersten Takten ganz und gar in den Händen von Bobby Avey. Danach entwickelte sich eher eine Art Tänzlein, das von Sam Sadigursky angeführt wird. Nie hört man dabei auch nur einen Ansatz von Klezmer. Auch die Swing-Klarinette eines Benny Goodman ist sehr, sehr fern. Bisweilen meint man, eher ein Sopransaxofon zu vernehmen, insbesondere bei den sehr hohen Passagen.

Schließlich gibt es dann am Ende noch „Math Music“ als musikalische „Zugabe“. Ich hörte eine Art Kinderreim wie „1+1, 2+2, 3+3“ oder „1, 2, Polizei ...3, 4, Offizier, 5, 6, alte Hex, 7, 8, gute Nacht, 9, 10, Kapitän, 11, 12, einige Wolf, drinn steckt eine Maus, die muss 'naus.“ - allerdings mit sehr vielen Verfremdungen und Abschweifungen. Fazit: ein musikalisch abwechslungsreiches Album, das nicht in einem tonalen Einheitsmodus versinkt, sondern stets neue Türen öffnet, wenn andere verschlossen werden.

© ferdinand dupuis-panther

Informationen

Label
Brooklyn Jazz Underground Records
http://www.bjurecords.com

Musiker
http://www.samsadigursky.com


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