Sam Anning - Across A Field As Vast As One
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earshift music
Der in Melbourne beheimatete Bassist und Komponist Sam Anning legt mit dem aktuellen Album sein drittes als Bandleader vor. Der mit dem National Jazz Award ausgezeichnete Musiker hat für die Einspielung eine australische „All-Star-Band“ zusammengestellte. Zu dieser gehören der Trompeter Mat Jodrell, die Saxophonisten Julien Wilson und Carl Mackey, die Pianistin Andrea Keller und der Drummer Danny Fischer.
„Across A Field As Vast As One“ enthält acht Komposition Annings, in denen sich das Leben in New York City – hier schloss Anning an der Manhattan School of Music sein Studium mit dem Masters of Music ab – , die einmalige Landschaft Australiens und auch jüngste politische Ereignisse widerspiegeln. Zu verstehen ist das Album außerdem als Hommage an den Mentor Annings, den australischen Drummer Allan Browne. Anning fasst mit folgenden Worten Brownes Einfluss auf ihn zusammen: “Music is far too important to take seriously.”
Zu seiner Band erläuterte Anning. “I love playing with this group of players. - I’ve been working with these musicians for almost 16 years, and they are some of my favourite people in the world. The album is an exhibition of music that has been somewhere in my periphery for a number of years.
Some pieces have taken shape over long periods of revision, such as Talking Wall, and others were composed quickly, close to the initial source of inspiration, such as Sweethearts.”
Wer nun denkt, ein Bassist würde sich die eigene Musik ausschließlich auf den Leib schneidern, muss sich beim Hören des Albums eines Besseren belehren lassen. Es sind vor allem die Bläser die als dominante Klangverfärbungen auszumachen sind. Hier und da perlt das Tastenspiel dahin. Auch in „Sweethearts“ ist das nicht anders, wenn auch Anning mit nachhaltigem Bassspiel wahrzunehmen ist, das sich jedoch nie in den Vordergrund drängt, sieht man von der kurzen Einleitung ab.
Wie wir den Linear Notes entnehmen können, wurde „Sutrin“ durch ‘Le Mystéres des Voix Bulgares’ beeinflusst. Mit einer sehr lyrischen Piano-Eröffnung macht der Song auf, ehe dann der Weichklang der Bläser hinzugesetzt wird. Sanften Luftströmen gleichen die Linien, die wir vernehmen, auch die, die der Trompeter Mat Jodrell anstimmt. Diesem ist auch ein Solo vorbehalten, das zwischen Frühlingsduft und Sommerfrische anzusiedeln ist. Als Bild ist vielleicht noch ein Bergaufstieg denkbar, um dem Himmel nahe zu sein und auch die tief liegenden Wolken hinter sich zu lassen. Eine Verbindung zu dem mehrstimmigen Gesang vom Balkan ist aus meiner Sicht jedoch nicht auszumachen.
„Across a field as vast as one“ schrieb Anning kurz nach dem Tod seines Freundes und Mentors Allan Browne. Der Titel entstammt einem Gedicht, das Anning in New York schrieb, während sein Freund daheim in Melbourne seinen letzten Atemzug tat. Darin heißt es unter anderem: „Now is real/ An invisible torturer/Tearing at the brittle edge of/my consciousness/Keep me aware and awake/So I can feel/The walls destruct and peel/ Yet I cannot escape / One heartbeat ...“. Aber auch: „ … Flat natural shimmer/ Across a field as vast as one/Your name is to be spoken/slowly And carefully...“. Mit getragenen Tastenklängen wird das Stück eröffnet. Darüber legen sich Klangmatten des Saxofons, ehe samten die Trompete als weiterer klanglicher Farbtupfer dazugegeben wird. Obgleich eine Hommage an den verstorbenen Freund zu hören ist, ist es kein Requiem, dem wir lauschen. Auch an ein Totenlied muss man beim Zuhören nicht unbedingt denken, aber durchaus an einen Abschied verbunden mit Melancholie.
„Lake“ hat seinen Ursprung in der vulkanischen Landschaft Südaustraliens, wo ähnlich wie in der Eifel ein Maar, nämlich der Blue Lake bei Mount Gambier entstanden ist. Anning dazu: „I find volcanic lakes fascinating, that
something so serene is a result of something so violent.“ Klangfolgen entwickeln sich, wiederholen sich, verlieren sich gleichsam im Nichts. Becken wirbeln lautstark. Irgendwie scheint alles fließend. Gleichfluss statt Aufbäumen und Entladung ist das Motto. Die Begleitung von Andrea Keller auf den weißen und schwarzen Tasten scheint dem wandernden Zeiger einer Turmuhr zu gleichen. Man wartet förmlich auf den kommenden Paukenschlag, sprich auf den finalen Glockenschlag um 12 Uhr. Doch der bleibt aus.
Das Weltgeschehen fand Eingang in „Talking Wall“, inspiriert durch eine Mauer in Tripolis (Libyen) die als „Nachrichtentauschbörse“ diente, mittels Graffiti. Der Abschuss des Flugzeugs MH17 floss in die Komposition „Sunflowers“ ein. Andrea Keller drückt dem Stück anfänglich ihren Stempel auf und wählte aus der Klangpalette Hellrot und Hellgelb. Durchaus lyrisch wird der Song dann nach und nach entwickelt, spinnen uns die Bläser in einen Kokon ein, spüren wir laue Luftströme vorbeiziehen. Tragisches scheint allerdings fern zu sein, auch wenn der Anlass für diese Komposition mehr als tragisch zu nennen ist. Eher muss man beim Zuhören an einen Nachruf denken, bei dem Opfernamen bedächtig verlesen werden.
Selbst ein Gespräch mit einem 75jährigen Berliner Taxifahrer war für Anning Anlass für eine Komposition: „Telos“. Dabei drehte es sich im Gespräch um Fortschritt und Konservativismus, sehr anspruchsvoll für eine Zufallsbegegnung im Taxi! Lauscht man dem „Song“, denkt man eher an den vielschichtigen, fordernden urbanen Alltag mit Staus und Stress. Und auf welches Ziel, so die Übersetzung des griechischen Begriffs Telos, steuern wir zu?
Text © ferdinand dupuis-panther – Der Text ist nicht public commons!
Informationen
www.samanningmusic.com
https://www.youtube.com/watch?v=h9XT-nVxFwE
www.earshift.com