SAH! - Past Present Future

SAH! - Past Present Future

S

Losen Records

In der Innenklappe der CD erinnert sich der Bassist Frederik Sahlander an den Entstehungsprozess des Albums, das bereits 2014 an der Universität von Agder aufgenommen wurde. Es war genau in dem Jahr, in dem Sahlander seine Doktorarbeit zu schreiben begann, die als Thema die Frage von Jazz-Improvisation und Improvisationsmethodik behandelt.  Im O-Ton Sahlander: „The background for the problem that I wanted to research was myself as a jazz improvisor. Despite many years of studying music focusing on improvisation and an endless amount of practicing, I still had not achieved the level of performance I wanted to be at.“ Daraus schloss Sahlander, dass die Methodik seiner frühen Lehrer nicht optimal auf ihn zugeschnitten war. So kontaktierte er den Bassisten Gary Wills, Sahlanders Idol, wie er in den Liner Notes schreibt. Er sollte ihn in die Methodik der Improvisation einführen und zugleich die Fähigkeiten des Improvisierens bei Sahlander vervollkommnen. Dabei spielt auch Geometrie eine ganz entscheidende Rolle: „An electric bass is tuned I fourths. This results in for example the octaves looking the same everywhere of the fretboard. The same goes for melodic motifs. The result is that all that is played on an electric bass can be looked upon as a geometric shape. Willis uses this geometry to organize chords and their available tonal centers.“

Das aktuelle Album zeigt Sahlanders Improvisationen nun nach dem Ende der Studien bei Gary Willis und wurde gemeinsam mit dem Pianisten und Synth-Spieler Bernt Moen sowie dem Drummer Kirk Covington eingespielt. Nur bei „Newfus“ heißt der Drummer Anders Langset. Der Bogen des Albums spannt sich von „Inner Urge“ über „Angry Happy Drummer“, „Horisont“ und „Hold Your Breath“ zum Schlussstück namens „Present Future“.

Ein stolpernder und sich nach und nach verstetigender Herzschlag – so ein Bild für die Bassfolgen, die Frederik Sahlander geschuldet sind – drängen sich auf, wenn „Inner Urge“ zu hören ist. Strudeln gleich ergießt sich das Tastenspiel von Bernt Moen. Dabei wird er von wilden Beckenwirbeln begleitet, die das Bild von Wildwasser im Kopf des Hörers verfestigen. Und dann beginnt das Basssolo von Sahlander, der seinen E-Bass schnurren lässt. Dabei scheint er auch Klangschnüre zu knüpfen, die der Pianist mit kurzen Akzenten begleitet, ehe er sich in seinem Spiel einem Klangrinnsal widmet, das er zu Gehör bringt. Schnell und Schneller rinnen die Akkorde und Klangfolgen, verflüchtigen sich, nehmen einen neuen Beginn, rinnen weiter. Der Drummer begleitet dies mit aufbrausendem Schlagwerkspiel, so als wolle er einen nahenden Sturm in ein Klangbild gießen. Statt des Klaviers sitzt Bernt Moen in „Angry Happy Drummer“ am Synth und beeindruckt mit raschen Klangsequenzen, die sehr nach Rock klingen. Es wäre allerdings wohl etwas zu weit ausgeholt, als Referenz Joe Zawinul anzuführen, oder? Mit gleicher „Laufgeschwindigkeit“ wie der Tastenspieler geht auch der Bassist zu Werke. Dabei hat man den Eindruck, man lausche brodelnden Wassern in einer engen Klamm. Und dann vernehmen wir im weiteren Fortgang Sphärisches und Elektronisches fern von Alan Parsons oder Mike Oldfield. Wir scheinen eher in einer Klangwelt eingebunden, die deutlich nach Jazz Rock bzw. Fusion verweist. Auch das folgende Stück „Angermanlandsmorgen“ („Morgen in Angermanland am Bottnischen Meerbusen“) ist nicht frei von Rockanlehnungen, folgt man dem sanft anmutenden Bassklang. Der Bassist ist dabei dem Melodiösen sehr zugetan. Beinahe schon ins Lyrische driftet er ab. So vermittelt er ein Stück Morgenröte und die ersten Stunden des Tages, die noch frei von Alltagshektik daherkommen. Ausladend und mit großer Geste tritt uns der Bassist entgegen, derweil der Pianist Bernt Moen seinerseits klassische Musik durchscheinen lässt, wenn sein Piano zu vernehmen ist. Nein, Chopin und Grieg sind im Geiste nicht zugegen. Der Klangeindruck wird zudem vom Bassisten bestimmt, und der Pianist scheint partiell in einer Nebenrolle aufzutreten. Das ändert sich im Zuge des weiteren Verlaufs. Dabei scheint er auch hier und da ins Fahrwasser des Mainstreams einzutauchen. In großen Linienschwüngen setzt sich der Bassist schließlich davon ab, auch mit Flageolett.

Bei dem Stück „Horisont“ ist wieder ein Synth mit seinem schwirrenden-flirrenden Klang herauszuhören. Bisweilen meint man, man höre ein Vibrafon, das elektrisch verstärkt wurde, um lange Töne zu erzeugen. Nachfolgend sind die feinen Schraffuren auszumachen, die der Bassist in erdenen Farben zeichnet. Was in diesem Stück äußert deutlich zu Tage tritt, ist die durchaus dominante Rolle, die Sahlander mit seinem Instrument in der musikalischen Inszenierung spielt. Das bedeutet jedoch  nicht, dass er seinen Mitspielern keinen Entfaltungsspielraum einräumt. Im Gegenteil, Bernt Moen nutzt diesen Raum für eigene Paraphrasierungen und stellt damit den Bezug zum E-Bass und seinen linearen Klangzeichnungen her. Treibend erscheint durchgehend der Schlagwerker, der den Bassisten und Synth-Spieler begleitet. Bei „Hold Your Breath“ meint man, nicht ein Synth, sondern Fender Rhodes oder B3 Organ sei präsent. Brummelnd und brummend führt der Bassist das Wort, umtriebig und jenseits allen Phlegmas. Zeit zum Luftholen bleibt nicht. Es geht stetig voran, selbst in den Solopassagen von Bernt Moen. Man verfolgt nicht die Langsamkeit des Langstreckenläufers, sondern die Schnelligkeit eines Sprinters, der erst nach dem Ziel für Momente innehalten und durchatmen kann. Übrigens, im Tastenspiel von Moen meint man, Brian Auger, Jimmy McGriff und Jimmy Smith vereinen sich zu einem dichten „Klangschauer“. Zum Schluss noch ein Wort zu „Present Future“: Fein geschmiedete Klavierpassagen umhüllen den Hörer, lassen Frühlingsfarben aufblitzen. Einnehmend sind die Basssequenzen. Dabei muss man an dahinwandernde Wolkenbänke denken und an eine stete Brise, die sich im Kronendach der Laubbäume fängt. Zugleich klingt das, was wir hören, sehr gegründet, tief verwurzelt und nicht in einer losen Bewegung dahinschwebend. Lyrisch angelegt ist anschließend das Tastenspiel von Bernt Moen. Sein Spiel lässt an von Eis befreite Bäche denken, die ungehindert zu Tal fließen. So jedenfalls könnte man es in einer Bildsprache ausdrücken, oder?

© ferdinand dupuis-panther




Infos

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https://www.facebook.com/fredrik.sahlander.9
https://www.uia.no/en/news/the-bassist-who-wanted-to-excel-at-improvising
https://en.wikipedia.org/wiki/Bernt_Moen


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