2x Shake Stew: ‚Rise And Rise Again‘ and ‚Gris Gris‘

2x Shake Stew:  ‚Rise And Rise Again‘ and ‚Gris Gris‘

S

Traumton Records

SHAKE STEW ist wohl bis heute die österreichische Jazzband der Stunde, nachdem die Band bereits vor Jahren beim Jazzfestival von Saalfeld aufhorchen ließ. Das Septett präsentiert einmalige Klanglandschaften, die von Afrobeats und Grooves durchzogen sind. Mit dem Album „Rise And Rise Again“ liegt nunmehr das zweite Album der Musiker um den Bassisten Lukas Kranzelbinder vor. Als Gast ist auf der Veröffentlichung Shabaka Hutchings am Tenorsaxofon zu hören. Über das genannte Album äußert sich der Bandleader und Bassist Lukas Kranzelbinder, der auch Guembri und E-Bass zu spielen weiß, wie folgt: “Everytime I was playing a live show with Shake Stew, I felt that this band has the power to send out a very strong musical energy to the audience. So I wanted to create an album that people can put on to get six different kind of tracks, each with a unique energy, lifting them to different levels so that they can rise with the music as well as fall down and land softly with it – only to rise again and drift away to a different place once again. Basically you can choose the kind of track that fits to your current mood or the mood you want to be taken too. For me, only the power of music can do that.”




„Dancing in the Cage of a Soul“ ist der Aufmacher des Albums und lebt zu Beginn von dem hyperaktiven Schlagwerk und dem gemeinsamen Gebläse der Hörner. Dabei muss man hier und da an südamerikanische Tanzmelodien denken, einschließlich Son und Merengue. Wie ein wild tanzender Derwisch so kommt der Saxofonist in einen steten Spielfluss, der kein Ende zu haben scheint. An Stampede muss man angesichts des furiosen Schlagwerkspiels denken, das sich auch in einem Solo zeigt – welch Seltenheit bei CD-Aufnahmen. Und dann ist da ja noch ein begleitendes Pling-Plong-Plong eines der Bassisten des Septetts. Keine Frage, die Band heizt schon gleich beim ersten Stück mächtig ein. „How We See Things“ steht nach der feurigen Eröffnung auf dem Programm. Rauschende Klangwinde verwirbeln. Mario Rom hebt sich mit seiner Stimme aus dem Chor der Bläser ab, hat sein Solo zu sehr sensiblen Setzungen von Bass und Schlagwerk. Beim Zuhören muss man an ungehinderte Blicke über flache, sattgrüne Polder gen Horizont denken. Nein, Rom eifert nicht dem Fjord-Sound eines Jan Gabarek nach, sondern entwickelt ein eigenes Gespür für sich öffnende Klangräume. Ähnliches gilt bei diesem Stück auch für den Saxofonisten Shabaka Hutchings. Zugleich meint man, beim Spiel der Bassisten ein Balafon zu vernehmen. Dem ist zwar nicht so, aber die Assoziationen an afrikanische Musik lassen sich kaum wegwischen. Im Folgenden wird Johnny Staccato ein Abschiedsständchen gegeben. Sehr hörenswert ist dabei das Duett der beiden Saxofonisten, die in „Weillschem Duktus“ zu erleben sind. Nachfolgend scheinen die Musiker zwischen Flamencorhythmus, Bossa und Jive hin und her zu jonglieren. Doch auch die Improvisation kommt nicht zu kurz. Man lausche mal auf die Drehungen und Wendungen des Altsaxofonisten (?). Doch auch die leisen Töne machen einen Teil des Stücks aus. Insbesondere kann man dann auch ein Altsaxofonsolo genießen, das beinahe wie die legendären Sopransaxofonsequenzen eines Sidney Bechet klingt. Überaus beeindruckend ist das Trompetensolo von Mario Rom in „Fall Down Seven Times“. Roms Stimme trägt, ist raumfüllend, nuanciert, quicklebendig, ergeht sich in „Trillern“, ist verwischt und schraffiert. Zum Schluss heißt es dann „No Sleep My King“. Zarte Saxofonschlieren verbinden sich mit tropfenden E-Bass-Zeilen. Lebt da der Geist von Jazz Rock der 1970er Jahre auf? Warum auch nicht! Fazit: Shake Stew rüttelt wach, kredenzt keinen billigen Tropfen, sondern edles Hochprozentiges als süffige Klangbowle! Und der klangvolle Eintopf macht Appetit auf mehr.



Nachfolger des oben genannten Albums ist „Gris Gris“, und erneut weiß das Septett auch durch die außergewöhnliche Besetzung mit zwei Drummern, zwei Bassisten und drei Hornisten zu überzeugen. Diesmal haben sich die Musiker um Kranzelbinder den Gitarristen Tobias Hoffmann eingeladen, um den Klangkörper zu bereichern. Zehn Kompositionen wurden eingespielt, so unter anderem „You Struggle You Strive“, „Keep Walkin'“, zwei Teile von „No More Silence“, „ So He Spoke“ und zum Schluss „HiddenTrack: Like Water Falling Down With A Thousand Spirits“ - welch ein Bild!

Mit einer intensiven Basssequenz lässt „You Struggle You Strive“ aufhorchen, ehe dann das Flirren und Schwirren eines Saxofons den Klangraum füllt. Kurzes Saitengezupfe ist nachfolgend auszumachen, wenn Kranzelbinder am Guembri melodische Linien des Stücks skizziert. Beinahe in einen Choral gleiten dann die folgenden Passagen der Hornisten ab, derweil Kranzelbinder wieder seine Finger über die Basssaiten streichen lässt und das Erdige des Klangs zur vollen Geltung bringt. Dies steht in Kontrast zu den Saxofonisten und dem Trompeter, die sich vollmundig orchestral zu Wort melden. Dabei achte man mal auf die gebrochene Saxofonstimme, die sich überschlägt, um dann wieder in die Balance zu kommen. Schon bei diesem Stück wird deutlich, dass Shake Stew keine puristische Brassband ist und sich auch nicht mit musikalischem Allerlei zufrieden gibt. Hier und da scheint man versucht, Bezüge zu Fela Kuti aufzuspüren. Es scheint aber auch Anlehungen an Cannonball and Nat Adderley zu geben? Verfremdungen von Afro Beats und orchestralem Hymnus sind im Weiteren in „You Let Go You Fly“ zu erleben. Und sind da nicht auch Balkanova und Klezmer zu einem eigenwilligen Makramee verwoben worden? Kristalline Beats vereinen sich mit dem sonoren Klang, den Mario Rom auf seiner Trompete präsentiert, durchaus dabei auf Redundanzen bauend. Und dann entwickelt sich auch ein infernalisches Gebläse. In Trance tanzende Tänzer kann man sich zur Musik gut vorstellen.

Nervöses und kurz angebundenes Schlagwerk verbindet sich mit wellig angelegten Bassklängen in „Keep Walkin'“. Im Vordergrund steht eine starke Rhythmisierung der Komposition, die erst dann Ausschweifungen zeigt, wenn Mario Rom zu seinem Trompetensolo ansetzt. Abgelöst wird er von einem schnurrenden und röhrenden Saxofon, ehe sich dann die Bläser in forcierter Einigkeit zusammenfinden. Ein wenig muss man beim Zuhören an die Zeiten denken, als Earth, Wind & Fire, Chicago oder Blood, Sweat & Tears für andere Klangfarben im Rock sorgten. Doch Shake Stew ist auf einer gänzlich anderen Klangumlaufbahn unterwegs. Da wird stärker das Thema seziert, lösen sich die einzelnen Musiker aus dem Verbund und gehen wieder als fragmentarische Einheit zusammen. Aufrührerisch und erzürnt klingt das Saxofon im weiteren Fortgang des Stücks. Kommentierend sanft ist der Trompeter zu vernehmen, der sich aber allein kaum durchzusetzen vermag.

„Kein Schweigen mehr“ hat gleich zwei Teile, in den sich der Bassist distinkt zu Wort meldet – jedenfalls zu Beginn. Die Klangpalette wird ansonsten von den vereinten Bläsern bestimmt, teilweise mit Rückgriffen auf New Orleans Jazz und Marching Band-Musik. Wie in anderen Stücken auch gibt Kranzelbinder als Bandleader und Komponist seinen Mitmusikern viel Raum zur individuellen Entfaltung, so auch Mario Rom. Ist dieser nicht auch ein wenig auf den Spuren von Armstrong und anderen Legenden des Jazz unterwegs? Und auch an den jungen Miles könnte der eine oder andere beim aufmerksamen Zuhören denken. Ausgefeilter Wohlklang bestimmt die Klangtheatralik. Diese folgt wohl eher einem melodischen Konzept, als sich in freien Eskapaden zu verlieren. Freier konzipiert scheint hingegen der zweite Teil. Und bei diesem hat man das Gefühl West- und Südafrika seien ganz nah, jenseits von einem Ohrwurm wie „Pata pata“. Da muss man eher an Osibisa oder Manu Dibango denken. Angesichts der rhythmischen Durchtränkung des Stück scheint auch „African Market Place“ sehr nahe. „Afro Funk“ darf man erleben und ein umtriebiges röhrendes Saxofon zu schnell trabenden Beats.“ Shake your Bump“ scheint die Devise. Wer immer noch still sitzt, derweil er Shake Stew zuhört, scheint an seinen Gefühlsantennen arbeiten zu müssen. Also, „Schüttel den Eintopf“. Irgendwie scheint die Musik, die Kranzelbinder konzipiert, durchaus archaisch anzumuten, repetetiv zu sein, einfach Tonlagen zu bevorzugen und sich nicht in Polyrhythmik zu verirren. Diesen Sinn für das Repetetive, das nie langweilt, aber auch keine Zumutung für den Hörer ist, unterstreicht das Septett in „So He Spoke“. Da ist dann auch mal der Bassist auf weiter Flur unterwegs mit einem schnarrenden Bass, verfliegen Klänge im Off, scheint auch das  Sphärische Teil der Inszenierung, dank an Mario Rom, der zusammen mit Kranzelbinder auch in dem Trio „Interzone“ auf den Jazzbühnen Europas präsent ist. Rom scheint sich in dem vorliegenden Stück durchaus als Rufer in der Wüste zu verstehen, als Mahner des Klangs, oder?

Blechrauschen und feine Tieftönigkeit vereinen sich zu Beginn von „Hidden Track“. Und dann vernimmt der Zuhörer feinsten Klangregen des Altsaxofons. Auch dieses Stück ist der Melodie und deren Schönheit verbunden, ohne sich in Verwässerungen zu ergehen. Eher scheinen wir eine gewisse „Wiederauferstehung“ von Abdullah Ibrahim und Fela Kuti zu erleben. Das Ganze ist dann mit Alpenfrische, sprich europäischen Jazzbezügen, versehen. Auch wenn man ansonsten aufmüpfige und marktschreierische Saxofonisten nicht mag, im vorliegenden Fall passt dieses Unstete und Aufrührerische zum Klangverbund, den Kranzelbinder gleichsam mit Sekundenkleber für den Moment zusammengefügt hat.

© ferdinand dupuis-panther


Info

https://shakestew.bandcamp.com/album/rise-and-rise-again

Line-Up Rise And Rise Again

Lukas Kranzelbinder - Double Bass, Electric Bass
Clemens Salesny - Alto & Tenor Saxophone
Mario Rom - Trumpet
Johannes Schleiermacher - Tenor Saxophone
Manuel Mayr - Double Bass, Electric Bass
Niki Dolp - Drums, Percussion
Mathias Koch - Drums, Percussion

Special Guest:

Shabaka Hutchings - Tenor Saxophone (Track 2 & 5)

https://www.zeit.de/2019/10/lukas-kranzelbinder-jazz-bassist-portraet

Line-up Gris Gris

Lukas Kranzelbinder: Kontrabass, E-Bass, Guembri, Shaker, Bandleader
Clemens Salesny: Alt Saxofon, Stritch, Opera Gong,Flexatone
Johannes Schleiermacher: Tenor Saxofon, Flöte
Mario Rom: Trompete
Oliver Potratz: Kontrabass, E-Bass, Shaker
Nikolaus Dolp: Schlagzeug, Percussion, Thai Gongs
Mathias Koch: Schlagzeug, Percussion

Special Guest:

Tobias Hoffmann: E-Gitarre, Shaker (Grilling Crickets in a Straw Hut)

Links

Web: http://www.shakestew.com

Traumton: http://www.traumton.de/neu/records/index_shakestew.html


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