Richie Winkler Project – Stitch Down

Richie Winkler Project – Stitch Down

R

alessa records

Das vorliegende Album ist das Kondensat eines neu entstandenen Projekts, welches aus dem Duo-Programm „Fjord“ von Winkler & Frauenlob hervorgegangen ist.

Aus dem Duo ist nunmehr ein Quartett erwachsen, an dem nachstehend Genannte beteiligt sind: Richie Winkler (Altsaxofon, Sopransaxofon, Bassklarinette), Burkhard Frauenlob  (Klavier, Keyboard), Wolfram Derschmidt  (Bass) und Christian Stolz (Drums). Zum Album „Stitch Down“ lesen wir u.a.: „Dies meint, dass in jenem Programm nicht nur die Schuhsohlen für den einen oder anderen Tanzschritt genagelt werden sollen, es wird durchaus der Beat im wahrsten Sinn des Wortes genagelt, um Sitztänzer von ihren Hockern zu liften! … Da wurde das Rad nicht neu erfunden, nichtsdestotrotz swingt und grooved es gleichermaßen und versprüht auch nicht zu knapp positive Energie.“

„Morning in Blue“ steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Tracks des Albums. Aufgemacht wird nicht mit einem „Morgengruß“, sondern mit „Don’t Cry For Me Crete“. Zu hören sind außerdem unter anderem „Shifting Motivation“, „Fjord“, „Stitch Down“, „Lacrymosa“, „Der Kranich“ und „Trainspotting“.

Mit viel Tempo kommt „Don’t Cry For Me Crete“ daher, eröffnet mit viel Getrommel und  gleichsam dahinsegelnder Saxofonsequenz. Man möchte dabei an auffrischende Winde kurz vor einem Sturm denken. Ohne Frage der Saxofonist bestimmt in diesem Stück nachhaltig die Klangfärbungen und die Linienstruktur des Stücks. Gewiss, die Rhythmusgruppe ist wahrnehmbar, aber eher im Hintergrund zu vernehmen. Derweil zwitschert, säuselt, röhrt das Saxofon in vollen Zügen. Doch dann ist es am Pianisten aufzugreifen, was zuvor Richie Winkler „vorgesungen“ hat. Was zu hören sind, sind Klangkaskaden aus geringer Fallhöhe, begleitet von starken raschelnden und rauschenden Verwirbelungen, die der Drummer verantwortet. Doch dann ist es erneut Richie Winkler, der für mächtig Gebläse sorgt, dabei durch die Skalen seines Instruments sich bewegend. Und am Ende gibt es ein veritables Schlagwerksolo mit tanzenden Sticks über die Trommelfelle und für die Trommelfelle der Zuhörer. Kurzlaute des Saxofonisten sind fein verteilt in dieses Solo eingestreut.

Perlendes Tastenspiel und Saxofonschnurren und -flirren umfängt den Hörer in „Guarana“. In wechselnden Duo-Verbindungen zeigen sich Mitglieder des Quartetts, ob Saxofonist mit Pianist oder Bassist mit Pianist. Dabei hat man das Bild von durch Wind verstäubtes Fontänenwasser im Kopf, aber auch von rauschendem Wasser in Bassins, die durch Springbrunnen gespeist werden.  Durch das Thema, das der Saxofonist vorträgt, wird dieser Moment des bildlichen Abschweifens jäh unterbrochen. Sonores und Feintöniges dringen ans Ohr des Zuhörers. Durchaus kann man bei den Passagen, die Richie Winkler spielt, die Vorstellung gewinnen, Jive wäre kurz mal angesagt. Doch dann wird Winklers Spiel immer befreiter und auch exaltierter. Da geht das Schnurren und Flirren in rollendes Klanggewirr über. „Shifting Motivation“ drängt sich wegen des Taktaktak auf, das dem Drummer und nicht einem Metronom geschuldet ist, aber genauso klingt. Dazu brummt der Bass aus voller Kehle, vernimmt man das „Gurgeln“ einer Bassklarinette. Und weiter geht’s mit Taktaktak in der Endlosschleife. „Take Five“-Fantasien sind eingeschlossen, oder? Mit tiefem Timbre aus dem Bauch nimmt uns der Bassklarinettist Richie Winkler mit auf die weitere musikalische Reise. Christian Stolz ist als Drummer mit unentwegtem Taktaktak zu vernehmen. Nach und nach macht sich Funk breit, ehe dann der Bassist Wolfram Derschmidt in die Saiten greift und uns eher an ein wenig „Respect“ denken lässt. Oder ist das nur die allzu frei schwebende Fantasie des Rezensenten?

Bei „Fjord“ muss man sich von nordischem Fjordsound im Sinne von Jan Garbarek lösen. Stattdessen werden wir mit Weichzeichnungen mit einem Klanggemälde konfrontiert, das vom Saxofonisten bestimmt wird. Wohin nimmt er uns mit? Auf eine blühende Alp vielleicht? Hier und da entgleist die Stimme des Saxofonisten, fängt sich wieder, nimmt neuen Anlauf und nimmt  die Zuhörer mit wechselnden Klangschritten mit. In schnelles Kehrwasser des Klangs tauchen wir mit dem Pianisten ein, der vom Bassisten mit einem Solo abgelöst wird. Verspielt ist das, was Derschmidt vorträgt. Ist danach Winkler mit seinem Sopransaxofon in der Schlussphase des Tracks zu hören? Man könnte es meinen. Nun folgt der Titel „Stitch  Down“, der dem vorliegenden Album den Namen gab. Und was nähen die Musiker hier fest? So lautet nämlich die deutsche Übersetzung des Titels. Wie auch zuvor dominiert der Saxofonist weitgehend das musikalische Geschehen, füllt Klangfläche um Klangfläche mit kurvigen Klangwellen. Doch es gibt auch den Versuch der musikalischen Balance, wenn der Pianist die Linien des Stück schummert. Hier und da meint man, man habe so manche Phrasierung von Winkler bereits zuvor in anderen Stück ähnlich oder gleich gehört. Oder ist das mit dem Thema des Stücks zu verwechseln?

Ist bei „Trainspotting“ zu Beginn ein Dampfzug zu hören, der Wasserdampf ablässt? Quietschen da die ins Rollen kommenden Räder? Oder ist es schlicht Free Jazz, den das Ensemble zelebriert, mit und ohne Röhren, Quietschen, Perlen, Schnurren und Klappern sowie mit einem Dialog zwischen Bass und Saxofon? Und irgendwie scheint auch der Blues sich aufzudrängen, wenn auch verfremdet. Ruhige Klanggewässer lässt uns der Pianist Burkhard Frauenlob erleben, dabei hier und da an Garner anknüpfend, so kann man vorschnell meinen. Auffallend ist dabei die Akzentuierung durch die Basshand und die Kaskadierungen mit der anderen Hand, einem Parforceritt gleichend. Nachfolgend lauschen wir bewegten Saxofon-Sequenzen, die langsam ausschwingen, um dann erneut in den Vordergrund zu drängen. Schlussakkord ist „Morning in Blue“. Da ist nichts von Verschlafenheit zu spüren. Das Leben ist schon in vollem Gange, so suggeriert es das Quartett, das in diesem Stück wie zuvor, auch in einzelne Elemente fragmentiert wird, wenn auch Richie Winkler mit seinem Gebläse doch nachhaltig im Gedächtnis bleibt.

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