Raoul Björkenheim - Solar Winds
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Long Song Records
Hören wir zunächst einen Kritiker: "Raoul Björkenheim’s Solar Winds captures the spirit of Coltrane’s later music. Björkenheim’s playing is very much in the spiritual jazz vein, intense and reaching for a higher consciousness. It’s a deeply felt, propulsive work by a master guitarist you may not have on your list.", so George Grella (The New York City Jazz Record)
Vorliegend ist ein Album des finnisch-amerikanischen Gitarristen Raoul Björkenheim, das man mit Fug und Recht mit dem Etikett Fusion sowie Free Jazz versehen kann. Zugleich ist das aktuelle Album auch eine Verneigung vor John Coltrane, befinden sich doch fünf Kompositionen Coltranes auf dem Album. Doch hier wird nicht Coltrane kopiert, sondern in eine eigene Form gegossen. Aufgemacht wird das Album mit dem Track „Joy“. Erstmals aufgenommen 1965 und posthum 1977 veröffentlicht. Im Original sind die harten, rohen Linien des Saxofons unüberhörbar, zudem auch das kristalline, vehement vorgetragene, kaskadierende Pianospiel – zu hören ist übrigens McCoy Tyner! Und was macht der finnisch-amerikanische Gitarrist mit seinem Quartett daraus? Bassist und Schlagwerker sowie Emanuele Parrini an der Violine eröffnen das Stück. Ehe sich dann der Gitarrist den Saxofonpart Coltranes vornimmt. Derweil agiert der Violinist so, als gelte es The Flock mit Didier Lockwood sowie Jean-Luc Ponty zu vereinen. Hart gesetzte Saitenstriche sind auszumachen und überlagernde Saitenschläge des Gitarristen. Dazu kommen stampfende Trommelschläge. Lauscht man dem Stück, dann vermag man eher Elemente aus der Rockmusik auszumachen und auch die bereits erwähnte Band The Flock. Außer Rand und Band scheint Emanuele Parrini der zum Teil die Saiten nur kurz mit dem Bogen anreißt, wenn er nicht den Bogen über die Saiten fliegen lässt. Teilweise folgt der Gitarrist den Phrasierungen des Violinisten und feilt diese noch ausgiebig aus. Da jault die Gitarre nach Herzenslust. Und der Drummer fügt einen getrommelten Malstrom hinzu. Inferno und Feuerwerk des Klangs erleben die Hörer, insbesondere wenn Violinist und Gitarrist eine klangliche Doppelhelix bilden. Auch ein Solo der Bassistin können wir genießen. Mit Tickticktick und Blechrauschen wird die Bassistin dabei vom Drummer unterstützt. Gegen Ende greift das Quartett noch einmal das Thema auf, das während des Vortrags Stück für Stück seziert wurde.
Das nächste Stück aus der Feder von Coltrane ist „Transition“, posthum 1970 veröffentlicht. Das gleichnamige Album war bereits der Brückenschlag zwischen „A Love Supreme“ und dem sogenannten Spätwerk von Coltrane. Zunächst hören wir auf der aktuellen Einspielung den Bassisten mit Linien, die das Tieftönige teilweise hinter sich lassen. Hart geschlagen werden die Saiten. Teilweise scheinen sich die Tonsilben zu überschlagen, teilweise stufig zu überlagern. Dabei lotet Silvia Bolognesi den gesamten Tonumfang des Basses aus, erklimmt auch die Himmelsleiter der hohen Tonlagen. Wie eine Walze mutet danach an, was der Drummer zum Stück beiträgt. Begleitet wird er vom Gitarristen, der einen klanglichen Parforceritt inszeniert. Und auch der Violinist Emanuele Parrini lässt sich nicht lange bitten, greift auf, was zuvor Björkenheim als angerissene Linien präsentiert hat. Wild, ungezügelt, entfesselt gibt sich der Violinist ebenso wie der Gitarrist. Beide sind für einen Klangtornado gut. Ab und an scheint bei Björkenheim ein wenig Hendrix durch, oder? Und wie hatte Coltrane das Stück angelegt? Schnurren und exaltiert lässt Coltrane dem Saxofon den Lauf, ähnlich aufgewühlt und quer gebürstet wie auch Björkenheim und Parrini ihre Sequenzen angelegt haben, oder?
Nach dem nächsten Stück aus der Feder Coltranes, namens „Living Space“ folgt „Solar Winds“, eine Eigenkomposition des Gitarristen. Coltrane spielte dabei die Originalversion von „Living Space“ 1965 mit McCoy Tyner, Jimmy Garrison und Elvin Jones ein. Übrigens Coltrane ist auf dem gleichnamigen Album am Sopransaxofon und Tenorsaxofon zu hören. Der Duktus des Stücks erinnert im Ansatz an „A Love Supreme“, aber vor allem muss man an Stücke von Pharaoh Sanders denken. Angeführt sei in diesem Kontext „The Creator has a Master Plan“. Und nun aber zu der adaptierten Aufnahme auf dem Album „Solar Winds“: Der Beginn scheint sich aus dem Off zu entwickeln. Deutlich sind dann die Linien Coltranes auch in denen von Björkenheim zu finden. Die E-Gitarre steht im Fokus, derweil die übrigen Musiker eher als Randfiguren agieren, sieht man einmal vom Schlagwerkrauschen ab, das uns Tiziano Tononi beschert. Und auch Silvia Bolognesi ist hier und da mit gestrichenen Tieftönen zu vernehmen. Im Übrigen bleibt das Quartett durchaus nahe am Original, wenn auch mit einer vollständig anderen Besetzung, ohne Saxofon und Harmonieinstrument.
„Solar Winds“ hebt sich im Duktus und Struktur nicht von den Arrangements der Coltrane-Kompositionen ab. Chaos, Aufruhr, Gegenwind und Windhosen des Klangs – das sind die Assoziationen, die sich beim Hören aufdrängen. Im Fokus steht dabei ohne Frage Björkenheim, auch wenn die dunklen Basslinien und das sich wie eine Walze ausbreitende Drumming auszumachen sind. In der Flinkheit, mit der Björkenheim sein Instrument zum Vibrieren, Schnarren, Jaulen und Wimmern bringt, scheint es eine Nähe zu Alvin Lee zu geben, oder? Sehr hörenswert ist das Solo des Violinisten, der ganz in der Tradition von Ponty und Lockwood agiert. Es folgen auf dem Album weitere Kompositionen von Coltrane, so „Saturn“ – in der vorliegenden Fassung mit einer Prise Gary Moore und Jimi Hendrix versehen - und „Peace on Earth“. Beschlossen wird das Album im Übrigen mit „Volition“.
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Line-up
Raoul Björkenheim: electric guitar
https://raoulbjorkenheim.com/home
Silvia Bolognesi: contrabass
Tiziano Tononi: drums, percussion, gong
Emanuele Parrini: violin
Tracklist
1. Joy 08:34 (comp J. Coltrane)
2. Transition 07:26 (comp J. Coltrane)
3. Living Space 04:59 (comp J. Coltrane)
4. Solar Winds 08:37
5. Saturn 05:43 (comp J. Coltrane)
6. Peace on Earth 08:12 (comp J. Coltrane)
7. Volition 06:17